Kapitel 29

Als Kate zu Dave und Janies Farm zurückfuhr und die Hunde wieder in den Zwinger sperrte, sah sie, dass Janie im Hühnerhaus auf der anderen Seite des Hofes beschäftig war. Sie trug einen schmuddeligen, blauen Regenmantel mit Kapuze und sah sehr müde aus, als sie sich jetzt bückte, um unter einer zerzausten, brütenden Henne nach Eiern zu suchen. Aus Janies Geländewagen, der neben dem Schuppen stand, schallte laute Countrymusik.

Kate fuhr mit ihrem Pick-up über den Hof, stieg aus und warf durch die Fenster einen Blick in Janies Wagen. Nell saß in ihrem Kindersitz und schlief mit leicht geöffnetem Mund. Neben ihr saßen die Zwillinge und quengelten. Brendan hatte eine silberne Spur Rotz auf der Oberlippe. Als die Zwillinge Kate sahen, steigerten sie ihr Quengeln zum Weinen. Kate öffnete die Tür des Geländewagens, drückte beiden ein Spielzeug in die Hand, putzte Brendan die Nase und erklärte ihnen, dass sie sich noch eine Minute gedulden sollten.

»Eure Mami und ich kommen gleich wieder«, sagte sie, bevor sie die Tür des Wagens wieder schloss.

Als Kate sich bückte und das Hühnerhaus betrat, schlug ihr der Gestank von feuchtem Hühnerdreck entgegen. Janie hielt einen alten Topf in der Hand, in dem ein einziges Ei lag.

»Ich versuche gerade, etwas zu finden, was ich den Kindern zum Mittagessen geben kann. Ich habe nämlich nichts mehr im Haus, nicht einmal eine Dose Bohnen. Du warst nicht zufällig eben einkaufen?«

Kate schüttelte den Kopf. Einkaufen zu gehen war im Moment das Letzte, woran sie dachte. Janie suchte sichtlich gestresst weiter nach Eiern, ohne dabei noch einmal aufzublicken. Hätte sie es getan, hätte sie gesehen, dass Kates Augen geschwollen und rot gerändert waren. Janie redete weiter. Ihre Stimme war ausdruckslos und zynisch.

»In der Spielgruppe hatten wir einen Riesenspaß – wir haben Bilder aus Papierschablonen gebastelt. Nell hat einen Ball gemacht, falls es dich interessiert.« Dann wurde ihr Ton weicher. »Von Lance McDonnell habe ich nichts Neues gehört. Überhaupt nichts. Nur dass er noch immer auf der Intensivstation liegt.«

»Er ist gestorben«, sagte Kate. Ein kalter Windstoß kam durch die Tür. Die Kälte drang sofort bis in ihre Knochen.

»O Gott«, sagte Janie. »Gestorben? Nein. Wann denn?« Sie sah Kate an und bemerkte erst jetzt den verzweifelten Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Der arme Nick.«

Kate unterdrückte ihre Tränen, während sie versuchte, die Worte auszusprechen, die ihren Schmerz noch vergrößerten.

»Und Bronty … steht zum Verkauf.«

Janie schloss die Augen und nickte.

»Ich weiß.«

»Du weißt es? Von wem?«

»Die Spielgruppe …«

»Und du wolltest es mir nicht sagen?«

»Doch … Aber erst wollte ich noch die Kinder versorgen.«

Kate spürte wieder diesen heißen Zorn in sich aufsteigen. Begriff denn überhaupt niemand auch nur irgendetwas?

»Ich weiß, dass das für dich keine große Bedeutung hat, aber ist dir nicht einmal in den Sinn gekommen, das vor den Papierschablonen zu erwähnen?«, fragte Kate kühl.

»Es bedeutet mir sehr wohl etwas!«, antwortete Janie sichtlich bestürzt. »Und natürlich weiß ich auch, wie weh dir das tut. Ich wollte nur zuerst die Kinder versorgen und die Zwillinge ins Bett bringen. Ich dachte, dass wir uns dann zusammensetzen und überlegen könnten, was zu tun ist. Mir ist durchaus bewusst, was du da gerade durchmachst, aber im Moment gehen die Kinder einfach vor.«

»Willst du damit sagen, dass ich eine schlechte Mutter bin?«, fuhr Kate sie aufgebracht an.

»Aber nein! Ganz und gar nicht! Aber jetzt halt einfach mal die Luft an, und beruhige dich. Sieh die Dinge zur Abwechslung einmal so, wie sie sind. Mir ist klar, dass das alles ein großer Schock für dich ist. Aber trotz alledem ist es nicht nötig, dass du hier vor den Kindern ein solches Theater veranstaltest. Bitte. Farm hin oder her. Sie sind es, die zuallererst unsere Aufmerksamkeit brauchen.«

»Es geht hier doch gar nicht um mich, Janie. Es geht um Nell … Ich mache das doch alles nur für sie. Sie hat das Recht, auf Bronty aufzuwachsen.«

»Das Recht?« Janies Augen wurden vor Zorn ganz schmal. »Im Leben wird einem nichts geschenkt, Kate. Und zwar überhaupt nichts. Wir müssen dafür hart arbeiten. Wenn du also willst, dass Nell auf Bronty aufwächst, dann arbeite dafür.«

»Aber genau das habe ich doch getan! Ich war auf dem College und habe meinen Abschluss gemacht, obwohl das die reinste Hölle ist, wenn man auch noch einen Säugling zu versorgen hat. Jetzt habe ich einen guten Job und tue nichts anderes, als Tag und Nacht zu arbeiten! Ich habe viele Stunden damit verbracht, einen Sanierungsplan für die Farm zu erstellen.«

Janie schüttelte den Kopf. »Das habe ich mit ›arbeiten‹ nicht gemeint. Was ich meinte ist, dass du an deiner Beziehung zu den Menschen arbeiten musst. Glaubst du, es ist mir leichtgefallen, mich in das Leben hier auf Daves Farm einzufügen? Glaubst du wirklich, Daves Vater lässt uns hier einfach schalten und walten, wie es uns gefällt? Glaubst du, zwischen seiner Mutter und mir herrscht immer eitel Sonnenschein, wenn die Kinder da sind? Nein! Wir alle arbeiten daran – jeden Tag –, indem wir einander verzeihen, uns manchmal auf die Zunge beißen, auch wenn wir am liebsten explodieren würden, und indem wir versuchen, uns in andere Menschen hineinzuversetzen, anstatt einfach aggressiv auf jeden loszugehen, der uns nicht passt!«

»Ach, das ist ja toll! Die Farm meiner Familie soll verkauft werden, Nicks Dad ist gerade gestorben, und du nennst mich aggressiv! Und bildest dir auch noch ein, mir einen verdammt selbstgerechten Vortrag halten zu dürfen. Nur weil du die perfekte Mutter bist.«

»Kate«, sagte Janie mit müder Stimme. »Dave und ich haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um dir zu helfen. Das weißt du. Viele Leute haben dir geholfen, weil du … nun … weil du eben du bist. Jeder weiß, wie schlimm es für dich war, deine Mutter schon so früh zu verlieren. Das Problem dabei ist nur, dass dich seitdem jeder mit Samthandschuhen anfasst. Wenn du nur endlich einsehen würdest, dass dir niemand etwas Böses will und du nur dir selbst schadest, dann würde es dir bestimmt viel besser gehen. Also, wir bringen jetzt die Kinder rein, und wenn sie versorgt sind, reden wir in aller Ruhe miteinander. Ich bin jetzt einfach viel zu müde, um noch weiter mit dir zu streiten.«

Kate schloss die Augen. Janies Worte hatten sie tief getroffen.

»Was soll ich nur tun?«

»Du bist doch die Farmberaterin, hör endlich auf, immer nur an dich selbst zu denken. Versetz dich zur Abwechslung mal in die Lage der anderen, zum Beispiel in die deines Vaters. Vielleicht gelingt es dir ja sogar, dich in Annabelle hineinzuversetzen. Sie kann kein so schlechter Mensch sein, wie du denkst. Vielleicht ist sie einfach nur ein bisschen daneben. Und hör um Himmels willen endlich damit auf, sauer auf mich zu sein, weil ich eine gute Mutter bin. Das ist mein Job. Es ist ein Vollzeitjob, und er ist um einiges härter als irgendein Studium oder ein Beruf. Mit anderen Worten, nimm dich selbst nicht ständig so wichtig, Webster.«

Kate seufzte. »Ich weiß, Janie. Du hast ja Recht. Es tut mir leid.«

Janie begann weiter mit rotem Gesicht nach Eiern zu suchen. Kate ging einen Schritt auf sie zu und zog dabei den Brief der Versicherung aus ihrer Hosentasche.

Sie hielt ihn Janie wortlos hin.

»Was ist das?«, fragte Janie in verärgertem Ton und wollte sich an Kate vorbei durch die kleine Tür des Hühnerhauses quetschen.

»Lies einfach.«

»Ich hab jetzt keine Zeit.« Janie schob sich an ihr vorbei, und Kate folgte ihr ins Freie, während sie ihr sagte, was in dem Brief stand und dabei die Summe von zweihunderttausend Dollar nachdrücklich betonte. Am Geländewagen angekommen, sah Janie sie mit weit aufgerissenen blauen Augen an. »Hast du das gewusst?«

»Nein. Ich weiß es auch erst seit heute. Will hat mir kein Wort davon gesagt.«

Janie stand da, die Hand auf der Klinke, um die Tür zu öffnen. »Dann musst du jetzt wohl oder übel mit deinem Dad sprechen, wenn du das Geld haben willst. Er ist doch der Testamentsvollstrecker, oder etwa nicht?«

»Ja, das stimmt. Aber darum werde ich mich später kümmern. Wenn ich das Geld habe, könnte ich es als Anzahlung für Bronty verwenden.«

»Jetzt bleib mal auf dem Teppich, Kate! Bronty ist mehrere Millionen wert!«

»Nun, dann vielleicht für ein Stück von Bronty?«

»Bist du da nicht ein bisschen voreilig? Solltest du nicht erst mal mit deinem Dad reden? Wenn er mit dir gesprochen hat, will er vielleicht gar nicht mehr verkaufen.«

»Warum sollte er mit mir reden?«

Janie stieß einen frustrierten Laut aus. Ihre Wangen röteten sich vor Anspannung, als die Zwillinge in ihren Kindersitzen noch lauter zu brüllen begannen.

»Soweit ich weiß, versucht er dich seit drei Wochen telefonisch zu erreichen, Kate!«, schrie jetzt auch Janie. »Ich kann einfach nicht glauben, dass jemand, der so intelligent ist wie du, so blöd sein kann! Ist dir noch nie in den Sinn gekommen, dass vor allem du selbst für diesen Scheiß zwischen dir und deinem Dad verantwortlich bist?«

»Es ist seine Schuld! Und nicht meine.«

Janie sah Kate fassungslos an, dann riss sie die Tür auf. »Wie du meinst, Kate«, sagte sie müde.

Kate sah zu, wie Janie in den Geländewagen stieg, während das Geplärr der schreienden Zwillinge in den regnerischen Tag hinaushallte.

»Hättet ihr denn, ich meine du und Dave, Interesse?«, fragte Kate. »Wir könnten doch Partner werden und die Farm gemeinsam kaufen.«

»Wir?«, sagte Janie ungläubig. Sie schaltete das Autoradio aus. Die Zwillinge quengelten noch immer, und jetzt war auch Nell aufgewacht. Sie sah verschlafen und missmutig aus.

»Du, ich und Dave«, sagte Kate. »Ihr würdet euch dadurch verbessern. Es ist nur so eine Idee. Sie ist mir gerade gekommen!«

»Warum sollten Dave und ich das wollen?« Janie drehte sich jetzt zu Kate um und sah sie an. Es war offensichtlich, dass sie ihren Zorn jetzt nicht mehr unterdrücken konnte. »Wir sind hier vollkommen glücklich, wir wollen uns doch gar nicht verbessern. Wir müssen an Daves Eltern denken und abgesehen davon …« Janie sprach nicht weiter. Wütend ließ sie den Motor an, während sie mit finsterem Blick an Kate vorbei zum Hühnerhof starrte, wo ein paar weiße Hennen um den Schuppen herumstolzierten und im Dreck scharrten.

»Abgesehen wovon?«

»Wer kann dir schon vertrauen? Wer sagt denn, dass du das nächste Mal, wenn sich der Wind dreht, nicht wieder auf und davon rennst. Ich glaube, sogar Nell spürt das manchmal.«

Das hatte gesessen. Kate stocherte mit ihrer Stiefelspitze in der Erde herum. Es begann jetzt heftiger zu regnen.

»Du hörst mir nicht einmal zu, oder?«, sagte Janie. »Es ist deine Sache und nur deine Sache, etwas zu verändern, und zwar hier drin …«, Janie klopfte sich mit der Handfläche auf die Brust, »und hier.« Sie tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Dann wird sich alles von allein fügen. Mit Nick, mit Bronty und mit Nell. Aber es hängt alles davon ab, ob es dir gelingt, diesen Zorn zu begraben und mit deinem Dad zu reden.«

»Zorn! Was für ein Zorn?«, fauchte Kate.

»Kate, bitte«, versuchte Janie sie zu beruhigen. »Ich habe drei brüllende Kinder im Auto sitzen, und eines davon ist zufällig deins, falls du das vergessen haben solltest. Es wäre also nett, wenn du mir ein wenig zur Hand gehen könntest. Mit Zwillingen hat man es nicht leicht. Ganz zu schweigen davon, dass ich mich schon länger um ein drittes Kind kümmern muss. Mir ist klar, dass du eine schwere Zeit hattest, Kate. Aber du solltest wenigstens hin und wieder auch einmal an die anderen Menschen denken. Wir sehen uns gleich im Haus.«

Janie schlug die Tür zu und fuhr davon, während Kate dastand und die volle Wucht ihrer Worte spürte.