Kapitel 21

Die Hunde sprangen in großen Kreisen um Kate und Nick herum, die schweigend über die von der Dürre gezeichneten Koppeln ritten und sich dabei immer weiter vom Farmhaus entfernten. Während Kate auf Felicitys großem, pensioniertem Springpferd saß, überlegte sie fieberhaft. Jetzt gab es für sie keinen Weg mehr zurück. Sie musste es ihm sagen. Aber wie?

Sie sah Tuff zu, der mit wedelndem Schwanz und einem freudigen Ausdruck auf dem Gesicht auf BH zusprang, um mit ihr zu flirten. BH schnappte jedoch laut und vernehmlich mit ihren krokodilartigen Zähnen nach ihm.

»Sieht aus, als würde sie ihm die kalte Schulter zeigen«, sagte Nick.

Kate nickte und fühlte sich dabei unangenehm befangen. Sie trieb ihr altes gemütliches Pferd mit einem Schenkeldruck an, damit es mit Nicks tänzelndem jungem Wallach Schritt hielt. Kate versuchte sich noch an den hohen Sitz auf Felicitys Pferd zu gewöhnen. Sie befand sich, verglichen mit ihrer Stute Matilda, sehr weit über dem Boden. Als Nick die Pferde gesattelt hatte, hatte er ihr gesagt, dass das Pferd, das er Kate gab, Prince hieß. Es war bereits über zwanzig Jahre alt und, wie Nick es formulierte, »Felicitys erste Liebe«. Kate wandte verlegen den Blick ab, als ihr plötzlich wieder jener Abend auf dem B&S lebhaft vor Augen stand. Nick schien nicht zu bemerken, dass er sich in der Wortwahl etwas vergriffen hatte, aber, so dachte Kate, vielleicht sollte sein Pokerface ja gerade auch nicht verraten, dass er dies absichtlich getan hatte.

Kate zwang sich, sich auf ihren Job zu konzentrieren, und sah an der Schulter ihres Pferdes vorbei nach unten, um die Weide in Augenschein zu nehmen. Sie erkannte mit Schrecken, wie geschädigt der Boden bereits war. Sie wusste, dass unter der dürren Oberfläche das weiße Geflecht der Klee- und Graswurzeln von Larven weggefressen war.

»Du weißt, dass du ein echtes Problem mit Engerlingen hast.«

Es folgte eine Pause. Himmel, dachte Kate und zuckte dabei innerlich zusammen. Das hätte ich auch anders formulieren können!

»Engerlingen?«, sagte Nick, einen unübersehbar belustigten Ausdruck auf dem Gesicht. »Ja, ich weiß – mein Engerlingproblem ist wirklich nicht zu übersehen.«

»Ich kann dir helfen, wenn du willst«, sagte Kate und ritt sich damit, ohne es zu wollen, noch tiefer hinein.

»Wirklich?« Nick befand sich jetzt wieder ein Stück vor ihr, aber sie wusste, dass er unter seinem großen schwarzen Hut lächelte. »Fragst du oft irgendwelche Kerle so unverblümt nach ihren Engerlingproblemen? «, rief er über die Schulter gewandt. »Das ist ziemlich direkt.«

Er flirtet wieder, dachte Kate verblüfft. Sie wurde aus diesem Mann einfach nicht schlau.

»Ja, ich meine, nein.« Sie trieb das alte Pferd an, so dass sie jetzt wieder direkt neben Nick ritt. »Ich meine, damals in New South Wales haben wir in unserer Abteilung Versuche mit Engerlingen gemacht. Dabei hat sich herausgestellt, dass der Zeitpunkt, zu dem gespritzt wird, von absolut entscheidender Bedeutung ist. Ich kann dir ein paar gute Adressen geben. Leute, die dir wirklich helfen können.« Ihre Ernsthaftigkeit angesichts des Themas schien seinem Flirten Einhalt zu gebieten.

»Das wäre toll«, sagte Nick. »Gerne.«

Kate deutete mit einem Kopfnicken auf die weite Koppel.

»Wann habt ihr sie angesät?«

Nick kniff die Augen zusammen und überlegte. Er zog dabei den Mund ein wenig schief, genauso wie Nell es immer tat.

»Ah … im Sommer vor drei Jahren.«

Kate verdrängte ihre Erinnerungen.

»Wann wurde gedüngt?«, fragte sie und versuchte auf diese Weise tiefer in das Gespräch einzusteigen, damit sie die lauten Stimmen in ihrem Kopf nicht mehr hörte.

»Wie bitte?«

»Wann wurde die Weide gedüngt?«

»Ähm … noch nie.«

Kate speicherte diese Information.

»Wir sollten uns noch einmal mit deinem Vater zusammensetzen und überlegen, ob sich etwas Geld für Dünger und Schädlingsbekämpfung abzweigen lässt. Und wir sollten den Boden untersuchen lassen, um zu sehen, ob er Kalk braucht, wir könnten es aber auch mit flüssigem Humus versuchen, ich habe gehört, dass man damit auf einer Farm ein Stück weiter unten an der Küste gute Ergebnisse erzielt hat, selbst ohne Regen.«

»Regen? Was ist das? Das ist doch das, wovon Dad ständig schwafelt«, sagte Nick frustriert.

Kate wurde bewusst, dass sie einen Nerv getroffen hatte. Nick wurde genau wie Will und viele andere Farmersöhne einerseits durch seinen Vater und andererseits durch das Wetter eingeengt. Auch wenn Lance praktisch ans Haus gefesselt war, so hatte er doch bei allem, was auf der Farm geschah, das letzte Wort. Jedes schlechte Jahr verschlimmerte die Spannungen und verschärfte die Konflikte. Kate war daher bestrebt, bei allen Erstbesprechungen, die sie mit ihren Kunden führte, das Gespräch vorsichtig von den Vätern auf die jüngere Generation zu verlagern, um herauszukitzeln, wie ihre Träume aussahen.

»Ein hübsches Spielzeug hast du da«, sagte Kate und wies mit einem Kopfnicken auf den Bagger, der jetzt in Sicht kam. Er stand da wie ein schlafender gelber Dinosaurier. Seine riesige Schaufel ruhte auf dem Boden, so dass es aussah, als hätte er sich gerade eben erst den Bauch mit Felsen und Schotter aus dem Bachbett vollgeschlagen, und würde seine Mahlzeit jetzt genüsslich verdauen.

»Er tut seinen Dienst«, sagte Nick. Sein Pferd scheute beim Anblick des Baggers. Nick trieb das Vollblut vorwärts und durch die steile Spur hinunter, die der Bagger im Bachbett hinterlassen hatte. Das Pferd rutschte ein wenig auf seiner Hinterhand und trat dabei lockere Steine los.

»Alles in Ordnung bei dir?«, rief er ihr über die Schulter gewandt zu.

»Ja«, sagte Kate, als Prince sich vorsichtig seinen Weg die Böschung hinunter suchte.

»Dann bist du bereit, den Kamm hier im Trab hinaufzureiten?«

»Ja«, rief Kate wieder. Bald trabten sie nicht nur einfach nebeneinanderher, ihre Pferde waren vielmehr in einen leichten, gleichmäßigen Arbeitsgalopp gefallen. Kate kam sich auf dem englischen Sattel, der, verglichen mit ihrem alten Viehtreibersattel, sehr wenig Halt bot, ein wenig merkwürdig vor. Sie genoss es jedoch, mit diesem Mann auszureiten.

Wieder warf sie einen Blick zu Nick hinüber und stellte fest, dass er sie beim Reiten beobachtete. Er lächelte. Ein reines, weißes Strahlen. Kate spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam, obwohl es an diesem wolkenverhangenen Tag für diese Jahreszeit ungewöhnlich warm war. Der Geruch des Busches betörte ihre Sinne, als sie mit ihren Pferden vom Hauptweg abbogen. Sie ritten jetzt auf einem Pfad, der mit silbergrauen, von hellgrünen Flechten überwachsenen Steinen gesprenkelt war. Struppiges Tussock-Gras und die dünnen Stacheln des Silbergrases bedeckten den unebenen Boden. Die Hunde liefen hintereinander in den Busch hinein, sprangen über Baumstämme und spitzen ihre Ohren, wenn vor ihnen ein aufgeschrecktes Forester- oder Bennets-Känguru davonhüpfte.

Als der Weg langsam schmaler wurde und von einem grünen Blätterdach fast eingeschlossen war, fielen die Pferde in den Schritt. Die Wallache suchten sich schnaubend ihren Weg über abgebrochene Äste und durch hohe Farnbüsche, störten dabei die Wallabys in ihren geheimen Tunneln und scheuchten unzählige kleine Insekten auf. Über ihnen berührten die fingerartigen Äste der Eukalyptusbäume fast die tief hängenden Wolken. Es sah zwar nach Regen aus, aber Nick und Kate wussten beide, dass es auch heute nicht regnen würde.

Oben auf dem Kamm brachte Nick sein Pferd Calvin zum Stehen und saß ab. Kate tat dasselbe. Dann standen sie da und sahen auf ein Tal hinunter, das mit Rindern und Schafen gesprenkelt war. Die Koppeln schmiegten sich zwischen die weiten Buschflächen, die das Tal säumten.

»Ich wusste gar nicht, dass ihr hier oben noch Land habt. Es ist wunderschön.«

Nick nickte. Er streckte seinen Arm aus, so dass sein Ärmel bis zu seinem Ellbogen hochrutschte, und zeigte in die Ferne. »Die Grenze verläuft dort über diese Kammlinie und dann am Bach entlang. Das dort unten ist die Stelle, von der Dad gesprochen hat, dort soll der Damm gebaut werden.« Kate riss ihren Blick von Nicks wunderbar bemuskelten Unterarmen los und sah zu der Stelle hin, auf die er zeigte.

Nick fuhr fort: »Weil wir hier ziemlich weit vom Farmhaus entfernt sind, hat Dad ein automatisches Beregnungssystem ins Auge gefasst.

Kate nickte. »Und? Wie weit ist er gekommen? Hat er schon die ganze Bürokratie hinter sich gebracht – Umweltstudien, Aboriginesstudien, Finanzierung, Cashflow eures Betriebes, Bodenuntersuchungen?«

Nick zuckte resigniert mit den Schultern. »Nein, seit seinem Unfall ist überhaupt nichts mehr geschehen. Alles steht still.« Er setzte sich auf einen umgefallenen Baumstamm, riss ein Stück Rinde ab und begann, es zwischen seinen mit Hornhaut überzogenen Fingerspitzen zu drehen.

»Er hat das Interesse an der Farm völlig verloren«, sagte er. »Er hat große Angst davor, dass er meiner Mutter nichts hinterlassen könnte, wenn er stirbt. Also hat er einfach aufgehört, Geld auszugeben.« Kate nahm die tiefen Gefühle hinter seinen Worten wahr. Nick zeigte auf die Hügel in der Ferne. »Was hat das alles noch für einen Sinn? Unser Nachbar hat gerade an ein Sägewerk verkauft. Alles, was wir jetzt anbauen, ist damit nur Futter für die Wildtiere.«

»Ist die Firma denn nicht verpflichtet, den Wildbestand zu kontrollieren? «

»Du weißt doch, wie das läuft«, sagte Nick. »Nach fünf Jahren, wenn die Bäume angewachsen sind, stellen sie plötzlich all ihre ›Kontrollen‹ ein, und dann ist es vorbei mit unserer Ernte. Ich will kein Gift auslegen. Sie abzuschießen erfordert viel Zeit, und Einzäunen – nun, du weißt ja selbst, wie teuer das ist. Es gibt keine Lösung. Diese verdammten Monokulturen. Das wird uns noch alle ruinieren.« Er schnippte die Rinde weg und riss ein weiteres Stück vom Baumstamm ab.

»Ich habe Dad so weit gebracht, dass er verkaufen will. Dann könnten er und meine Mutter in der Stadt eine Immobilie kaufen, und keiner von beiden müsste sich jemals wieder Sorgen machen.« Er warf einen Blick zu Kate hinüber. Offensichtlich war er froh, jemanden gefunden zu haben, der ihm zuhörte. Kate hatte nicht erwartet, dass er ihr gegenüber so offen wäre. Sie starrte weiter ins Tal hinab, während sie neben ihm auf dem Baumstamm saß. Nick zerbrach die Rinde mit seinen Fingern in immer kleinere Stücke, während er weitersprach. Er lachte freudlos.

»Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals laut sagen würde. Dass es mir einmal lieber wäre, wenn man die Farm verkaufen würde. Aber es ist so. Alle anderen hier in der Gegend haben schon verkauft. Was hat es noch für einen Zweck, Lebensmittel anzubauen, wenn das der Regierung nichts mehr wert ist?«

Kate wollte sich zu ihm umdrehen, wollte ihn in ihre Arme nehmen und festhalten. Stattdessen starrte sie weiter geradeaus auf das wunderschöne Tal unter ihnen. Die zerklüftete Höhenlinie der mit Busch bestandenen Hügel, die Freycinet Peninsula, die sich in der Ferne als blaue Silhouette erhob. Nick sprach weiter.

»Und dann tauchst plötzlich du auf.« Er warf wieder einen Blick zu ihr hinüber, dessen Intensität sie geradezu körperlich spürte. »Und siehe da, es dauert nur ein paar Stunden, und du hast meinen alten Herrn mit deinen Ideen wieder zum Leben erweckt! Ich will verdammt sein, wenn mir das jemals gelungen wäre. Und dann beginnst du auch noch, mich zu überzeugen. Ich fange an zu glauben, dass das Ganze tatsächlich funktionieren könnte.«

»Das ist mein Job«, sagte Kate.

Nick schüttelte den Kopf. »Ist das wirklich nur dein Job?« Er drehte sich um und sah sie an. »Oder liegt es einfach daran, dass du so bist, wie du bist? Dass du so gut über die Landwirtschaft Bescheid weißt und dass du so exzentrisch mit deinen Hunden umgehst und dich dabei um nichts und niemanden scherst.«

»Exzentrisch?«, fragte Kate, völlig entsetzt darüber, dass er ausgerechnet dieses Wort gewählt hatte, um sie zu charakterisieren. Sie sah ihn an. Er war der einzige Mann, den sie wirklich haben wollte, und dieser Mann war für sie unerreichbar. Schlimmer noch: Er fand sie exzentrisch. »Ich nehme an, neben Felicity erscheine ich tatsächlich ein wenig exzentrisch«, sagte sie und starrte dabei das brüchige Leder ihrer Blundstone-Stiefel an. Nick schnippte wieder ein Stück Rinde weg und strahlte sie an.

»Das war doch nicht als Beleidigung gemeint. Um Gottes willen! Ist dir denn überhaupt nicht bewusst, wie hübsch und wie klug du bist? Du hast Dad vorhin regelrecht um den Finger gewickelt und hast das anscheinend nicht einmal bemerkt. Dir ist anscheinend auch nicht klar, welche Wirkung du auf mich hast.«

Kate blickte völlig verblüfft in seine wunderschönen blauen Augen. Er machte sich doch tatsächlich an sie heran. Verlobte hin oder her. Er spürte es also auch! Diese Chemie zwischen ihnen. Diese Funken jenseits aller Vernunft. Aber in ebendiesem Augenblick der unglaublichen Freude spürte Kate plötzlich auch das Gewicht der Vergangenheit, das ihre Hoffnungen auf der Stelle wieder zunichtemachte. Er musste die Wahrheit erfahren. Und dann wäre es zwischen ihnen vorbei, bevor es noch richtig begonnen hatte, genau wie es mit ihrem Leben am College und ihrem Leben auf Bronty der Fall war.

Sie hörte Wills Stimme in ihrem Kopf, als wäre er ihr personifiziertes Gewissen. Seine Stimme drängte sie, endlich die Wahrheit zu sagen. Nick war jetzt ein Stück näher zu ihr gerückt. Sah sie an. Beugte sich zu ihr herüber, wollte ihre Hände berühren.

»Ich weiß, dass es verrückt ist und dass da auch noch Felicity ist, aber seit ich dich bei der Schafschur wiedergesehen habe, muss ich ständig an dich denken …« Er brach ab und wandte den Blick ab. »Ach! Es tut mir leid«, sagte er und schloss kopfschüttelnd die Augen. »Es kommt alles irgendwie falsch heraus.«

»Es ist schon okay«, sagte Kate. »Es kommt nicht falsch heraus. Für mich hört es sich sogar genau richtig an, aber …« Sie holte tief Luft und schüttelte den Kopf. Nick schob seinen Hut in den Nacken und starrte sie an.

»Ich weiß«, sagte er. »Wir kennen uns kaum, und dein Leben ist auch nicht gerade einfach, du musst ja schließlich auch an deine Tochter denken. Aber dieses Gefühl. Es ist da, nicht wahr? Es ist schließlich nicht so, dass wir uns vollkommen fremd sind! Himmel! Das B&S damals! Hast du das etwa vergessen. Wir waren mehr als nur Freunde, als wir damals auseinandergegangen sind. Erinnerst du dich nicht?« Nick lächelte angesichts dieser Erinnerung. »Als ich in der Woche darauf wieder ins Internat zurückmusste, habe ich mich gefühlt wie King Kong. Mann, ich hätte mir keinen besseren Start ins Erwachsenwerden wünschen können, ich war verrückt nach dir. Jeder Junge in der Schule hat von dir geträumt, und ich hatte dich in der Realität. Du warst meine Bundy-Göttin, im Kunstunterricht habe ich immer versucht, dich zu malen, ich konnte dich nie vergessen. Jetzt bist du wieder da und hast mir die Augen geöffnet. Ich sehe jetzt, was ich nicht habe. Du bist wirklich eine erstaunliche Frau, Kate Webster. Ich möchte dich am liebsten noch einmal ganz und gar kennen lernen.«

Als Nick nervös lachte, spürte Kate, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Wonach sie sich so sehr gesehnt hatte, war endlich wahr geworden. Er empfand tatsächlich etwas für sie, wenn sie ihm jetzt sagte, dass Nell seine Tochter war, wäre es vorbei. Er beugte sich nach vorn, um hinter dem glänzenden Vorhang aus Haaren etwas zu erkennen, denn sie hatte ihren Pferdeschwanz gelöst und ihre Haare nach vorn fallen lassen, um ihr Gesicht dahinter zu verbergen.

»Was ist?« Er runzelte die Stirn, als Kate aufstand. Sie holte Luft, schloss die Augen und versuchte sich ihre Mutter und Will vorzustellen. Dann drehte sie sich zu Nick um. Sie sah direkt in sein erwartungsvolles Gesicht.

»Du kennst doch Nell?«, begann Kate.

Nicks Stirnrunzeln verstärkte sich.

»Jaaah«, sagte er langsam.

»Also … sie … sie ist … In jener Nacht, als wir … also, Nell ist …«

Kate konnte den Satz einfach nicht beenden. Sie presste ihre Lippen zusammen und sah ihn verzweifelt an. Sie konnte erkennen, dass sein Verstand fieberhaft arbeitete. Wie er die Puzzelstücke zusammensetzte. Die Jahre zählte. Sich plötzlich bewusst wurde, wie ähnlich ihm das kleine Mädchen sah. Sie sah, wie er erschrak.

»Es tut mir leid!«, stieß Kate hervor. »Es tut mir wirklich leid. Ich kenne dich ja nicht einmal richtig.« Jahre des Kummers, der Einsamkeit und der Angst brachen sich jetzt in Form von Tränen Bahn. Sie empfand keine Erleichterung darüber, dass sie es ihm gesagt hatte, nur eine große Angst, was diese Neuigkeit bei ihm anrichten würde. Nick saß jedoch einfach nur da, kopfschüttelnd und mit offenem Mund. Völlig schockiert.

Dann begann er langsam zu sprechen, aber da waren zu viele Fragen, zu viele Worte, ein einziger Wirrwarr von Gedanken.

»Warum hast du es mir nicht schon früher gesagt?«

»Dir gesagt? Warum ich es dir nicht gesagt habe?« Kate hörte, wie ihre Stimme lauter wurde. »Du warst damals gerade einmal siebzehn Jahre alt! Was hätte ich denn tun sollen? Dich anrufen und dir sagen, dass du die Schule abbrechen sollst, damit du mit mir glückliche Familie spielen kannst? Ich wollte damals einfach nur meinen Spaß haben. Das Ganze war eine Wette! Eine verdammte, blöde Wette. Das ist alles!« Schon während Kate das sagte, war ihr klar, dass es bereits damals weit mehr als nur eine Wette war. Nick war möglicherweise der Eine … ihr Seelenverwandter.

»Das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Ich habe ein Kind, und du hast es mir nicht gesagt! Hättest du nicht …« Nick war jetzt aufgestanden, ging aufgeregt auf und ab. Er riss sich den Hut vom Kopf und fuhr sich mit den Fingern durch seine kurzen, rotblonden Haare. Tränen traten ihm in die Augen, als er zum Himmel hinaufsah. Tuff hatte sich neben ihn gestellt. Auch er war aufgeregt, da er die Verzweiflung seines Herrn spürte.

»Hättest du nicht … Du weißt schon. Hast du überlegt, ob …?«, setzte er noch einmal an.

»Was? Eine Abtreibung?«, sagte Kate. »Ja, daran habe ich sehr wohl gedacht. Aber ich habe mich dann dagegen entschieden. Es ist meine Nellie, von der du dir wünschst, sie wäre tot. Ich habe nicht abgetrieben, okay? Ich hatte damals gerade meine Mutter verloren. Vielleicht wollte ich genau deshalb ein anderes Leben, das eben im Entstehen war, nicht zerstören. Es tut mir leid, wenn ich in deinen Augen die falsche Entscheidung getroffen habe.«

»Es tut dir leid! Leid?« Nicks Stimme brach. »Was sage ich jetzt meinen Eltern? Was sage ich Felicity?«

»Sie brauchen es überhaupt nicht zu erfahren. Ich habe nur Will gesagt, wer der Vater von Nell ist. Und Janie und Dave. Sie sind die einzigen Menschen, die es wissen. Abgesehen davon, was kümmert es dich eigentlich, was Felicity davon hält? Gerade eben hast du versucht, dich an mich heranzumachen! Warum also sollte Nell für sie irgendwie von Bedeutung sein?«

»O mein Gott!« Nick konnte es einfach nicht fassen. Heftiger Zorn stieg in ihm auf. Bilder von Nell bei der Schafschur in der Scheune zuckten durch seinen Kopf. Er war ihr Vater. Dieser Satz ging ihm ständig im Kopf herum. Er sah Kate an, sah den gequälten Ausdruck auf ihrem Gesicht.

»Meine Mutter war gerade gestorben«, sagte Kate jetzt fast flehentlich. »Mein Leben war ein einziges Chaos.«

Nick wusste, dass er für die Ursache ihres Schmerzes Verständnis haben sollte, aber er konnte einfach nicht anders, als ihr Vorwürfe zu machen. Er fühlte sich verraten.

»Und das berechtigt dich, das Leben anderer Menschen zu zerstören? «

»Ich habe es dir schon einmal gesagt. Das alles muss für dein Leben keine Bedeutung haben. Ich verlange nichts von dir. Du brauchst die Vaterschaft nicht einmal anzuerkennen.«

Nick sah sie völlig fassungslos an. Ein kalter, abweisender Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht aus.

»Du sollst das Leben anderer Menschen ordnen, Kate, und es nicht versauen.« Mit vor Zorn und Verwirrung gerötetem Gesicht wich Nick einen Schritt vor Kate zurück. Er band Calvins Zügel los und warf sie über den Kopf des Pferdes. Dann schwang er sich in den Sattel. »Such dir jemand anderen, den du beraten kannst«, sagte er bitter. »Du findest sicher auch allein zurück.«

Er trieb Calvin zum Trab an. Das Pferd begann sich seinen Weg zwischen den grauen Stämmen der Eukalyptusbäume hindurch zu suchen.