Kapitel 26

Kate fröstelte in der Dunkelheit. Während sie Nicks gleichmäßigem leisem Atem lauschte, hatte sie das Gefühl, sie müsse sich in den Arm kneifen, um festzustellen, ob sie nicht träumte. Aufregung und zugleich Erstaunen erfüllten sie. Hier lag sie bei ihm, in seinem Schlafsack. Und das Verrückte – sie waren beide noch vollkommen bekleidet. Kate fragte sich, was mit dem Mädchen geschehen war, das sich früher vor jedem Mann ausgezogen hatte, jedenfalls, wenn es betrunken genug war. Hier und jetzt war sie mit einem Mann zusammen, den sie wirklich begehrte, egal ob sie betrunken oder nüchtern war. Und dennoch hatte sie ihm nicht die Kleider vom Leib gerissen und war über ihn hergefallen. Stattdessen hatte sie ihn nur sanft geküsst, hatte ihm zärtlich übers Haar gestreichelt und ihn in ihren Armen in einen betrunkenen Schlaf hinübergleiten lassen. Nick McDonnell. Die Liebe ihres Lebens.

Sie starrte zum schwarzen Himmel hinauf. Der Mond war schon längst hinter einem Hügel verschwunden, die Lagerfeuer in der Ferne waren zu grauer Asche geworden.

Kate schmiegte sich noch enger an Nick, zog dabei die feuchte Decke über ihre Schultern. Sie versuchte sich irgendwie an ihm zu wärmen. Sie presste ihre Hände an seinen Oberkörper und schob ihre nackten Füße zwischen seine Beine. Obwohl sie sein Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen konnte, spürte sie, dass sie ihn mit ihrer Bewegung und ihrer Kälte geweckt hatte. Als er sie in die Arme nahm und sie die Wärme seines Körper spürte, hätte sie fast wie eine Katze zufrieden zu schnurren angefangen.

»Hallo, du wunderbares Mädchen«, sagte er. Seine Stimme war von viel zu viel Alkohol brüchig und rau.

»Weißt du überhaupt, welches Mädchen du gerade in den Armen hältst? Es ist ziemlich dunkel.«

»Hmm.« Nick schmiegte sein Gesicht an ihren Hals. »Ich glaube, das mit dem roten Kleid.«

»Rot? Es ist das Mädchen in Blau. Das Mädchen im roten Kleid ist vor vielen Jahren fortgegangen.«

»Ach, und ich dachte, ich hätte sie heute Nacht wiedergefunden.« Nicks Hände glitten unter dem zerrissenen Stoff ihres Kleides an Kates Bein hinauf. »Wie schade, dass ich eingeschlafen bin, bevor sie mich wieder ausnutzen konnte.« Er begann seine Nase an Kates Schulter zu reiben.

Kate hielt seine Hand fest, die jetzt langsam ihren Oberschenkel hinaufzuwandern begonnen hatte.

»Bist du dir sicher, dass du nicht doch das Mädchen mit dem silbernen Kleid willst? Vielleicht solltest du all das hier ja mit ihr und nicht mit mir machen.«

Nick legte einen Finger sanft auf ihre Lippen.

»Pssst. Das ist vorbei.« Er küsste sie auf die Stirn.

Sie schwiegen und hielten einander einfach nur in den Armen. Die hellen Lichter, der Alkohol und die laute Musik, die alles so einfach und unkompliziert hatten erscheinen lassen, waren jetzt verschwunden. Alles, was Kate in der Dunkelheit noch fand, war die Realität. Da war Nell, an die sie denken musste. Ein Kind. Nicks Kind. Wenn sie jetzt zusammenkamen, was würde dann geschehen? Kate legte Nicks Hand auf ihren Bauch.

»Ich habe mich von keinem Kerl mehr hier anfassen lassen, weißt du«, sagte sie. »Nicht, seit ich Nell bekommen habe.« Nick begann mit langsamen, kreisenden Bewegungen seiner warmen Hand über ihren Bauch zu streicheln. Sie schloss die Augen. Hinter ihren Lidern war die Welt jetzt noch dunkler. Sie empfand Nicks Berührung als tröstlich.

»War die Geburt schlimm?«, fragte er.

»Schrecklich. Ich dachte, ich würde sterben – es war die Hölle. Davor und danach gab es aber auch noch ein paar Sachen, die ziemlich schlimm waren.«

»Das tut mir leid für dich.«

»Oh, versteh mich nicht falsch. Es gab auch gute Momente. Geradezu überirdisch schöne Augenblicke, wie zum Beispiel der, als ich das erste Mal gespürt habe, wie sie sich in meinem Bauch bewegt. Es war eine Art Flattern, wie bei einem Schmetterling.« Kate konnte Nicks Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen, sie war sich jedoch sicher, dass er lächelte.

»Oder als man sie mir gleich nach der Geburt auf den Bauch gelegt hat und ich zum ersten Mal ihr Gesicht sah. Das hat mir regelrecht den Atem genommen. Sie war so wunderschön.«

Nick strich ihr übers Haar. »Sie ist noch immer wunderschön.«

»Möchtest du sie öfter sehen?« Kate spürte, wie Nicks Hand verharrte. Seine Handfläche lag jetzt schwer auf ihrem Bauch. Warm.

»Ja, sicher. Aber ich denke, es ist das Beste, wenn wir das Ganze langsam angehen. Findest du nicht auch?«

Kate nahm seine Hand und hielt sie fest. »Ich bin nicht zurückgekommen, um dich durch sie an mich zu ketten«, sagte sie. »Aber das weißt du auch, nicht wahr? Darauf bin ich nicht aus.«

»Das weiß ich«, sagte Nick.

»Ich erwarte nicht von dir, dass du sofort anfängst, glückliche Familie mit uns zu spielen. Nellie und ich kommen auch allein sehr gut klar. Wir waren immer allein. Wir können auch allein bleiben. Du musst dich nicht um uns kümmern, wenn du nicht willst.«

Nick stützte sich auf einen Ellbogen.

»Was machst du dann hier mit mir?«

Kate dachte über ihre Antwort nach.

»Vielleicht wollte ich heute Nacht einfach mal den erwachsenen Nick McDonnell ausprobieren.« Sie fuhr mit ihrer Hand über seine Brust und ließ ihre Fingerspitzen dann über seinen Unterkiefer gleiten. Nick lachte leise, fast wehmütig.

»Ist das alles?«, fragte er.

»Ich habe viel zu große Angst, um zuzugeben, dass es mehr sein könnte.«

Nick zog sie noch näher an sich heran.

»Hab keine Angst. Bitte.«

Er begann ihren Hals mit Küssen zu bedecken. Sie bekam eine Gänsehaut, als seine Lippen an ihrem Hals entlang bis zur weichen, blassen Haut hinter ihrem Ohr wanderten. Sie stöhnte und schloss die Augen. Spürte sein Gewicht auf sich. Seine Hände, die jetzt über ihre Brüste wanderten. Sie spürte sein Verlangen. Seine Küsse wurden fordernder, seine Berührung fester. Er zerrte an den Knöpfen seiner Anzughose und küsste Kate dabei leidenschaftlich. Er begehrte sie. Und Kate begehrte ihn auch.

»Nein«, hörte Kate sich plötzlich sagen. Sie hielt von sich selbst überrascht den Atem an und schob seine Hände weg. »Nicht jetzt. Ich kann nicht.«

Sie hörte die Enttäuschung aus seinem tiefen Seufzer heraus. »Warum nicht?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht wegen Felicity. Es geht mir einfach alles zu schnell.«

Nick schwieg eine Weile. Dann spürte sie, wie er sich auf den Rücken legte. Seine Stimme klang jetzt anders. Die Vertrautheit war verschwunden. Er hatte offenbar wieder die Kontrolle über sich gewonnen.

»Ja sicher. Du hast Recht. Ich verstehe.«

»Können wir uns einfach nur im Arm halten?«

»Natürlich können wir das. Wir können zusehen, wie die Sonne aufgeht. Als Freunde«, sagte er. Dann legte er seine starken Arme um sie, und schon bald begann der bläuliche Schimmer der Morgendämmerung die Dunkelheit zu verdrängen.


Der Geruch brutzelnder Würstchen auf dem Grill und das Knallen von Viehpeitschen weckte die Partygäste aus ihrem Schlaf. Junge Männer krochen unter den Abdeckplanen ihrer Pick-ups hervor, zogen sich in aller Öffentlichkeit ihre Hosen vom Abend zuvor aus, und schlüpften stattdessen in bequeme Shorts. Sie nahmen Bierdosen aus ihren Kühlboxen und öffneten sie geräuschvoll. So ausgerüstet, waren sie für den Ausklang des B&S gestärkt.

Kate hörte das Schlagen von Autotüren und Musik, die aus den Stereoanlagen der Pick-ups zu plärren begann. Motoren heulten auf, und Abgase stiegen in die kristallklare Morgenluft. Sie setzte sich im Schlafsack auf und versuchte sich mit den Fingern durch ihre bierverklebten Haare zu kämmen. Gähnend sah sie Nick an, der noch tief und fest schlief. Seine langen Wimpern lagen weich auf seinen Wangen. Auch im entlarvenden Licht des Morgens sah er noch beängstigend gut aus, selbst wenn sich auf seinem markanten Kinn Bartstoppeln zeigten und seine großen Farmerhände ziemlich schmutzig waren. Kate wünschte sich so sehr, von diesen Händen überall berührt zu werden. Sie wollte ihn küssen und mit ihren Fingerspitzen über die weichen Stacheln seiner kurzgeschnittenen, rotblonden Haare fahren. Sie ließ ihn jedoch weiterschlafen und krabbelte stattdessen vorsichtig aus dem Schlafsack heraus. Besser er war allein, wenn er aufwachte, dann hatte er Zeit und Gelegenheit, über die letzte Nacht noch einmal nachzudenken, ohne dass er sich durch ihre Anwesenheit unter Druck gesetzt fühlte. Wenn er nüchtern war, würde er vielleicht anders empfinden als in der Nacht.

Die Sonne auf ihrer Haut und das kühle Gras unter ihren nackten Sohlen belebten ihre Sinne. Als sie sich bückte, um ihre Stiefel anzuziehen, wurde ihr bewusst, dass sie keinen Kater hatte. Sie hatte Durst und eine volle Blase, aber das war auch schon alles. Sie ging an den Reihen von Autos vorbei, deren Scheiben durch den Atem der Insassen, die ihren Rausch ausschliefen, beschlagen waren. Ein paar Jungen pfiffen ihr aus ihren Pick-ups heraus nach und luden sie in ihre Schlafsäcke ein. Sie lächelte sie scheu an, während sie sich in ihrem zerrissenen Kleid ungeschützt und verwundbar fühlte. Hinter der letzten Reihe von Pick-ups standen zwei Jungen nebeneinander am Zaun. Sie hatten sich vornübergebeugt und übergaben sich.

»Gute Arbeit, Jungs«, sagte Kate zu ihnen. Einer von ihnen gab ihr mit erhobenen Daumen ein Zeichen, bevor er wieder zu würgen begann.

Nach dem Besuch in einem stinkenden Klohäuschen war sie heilfroh, als sie endlich Daves alten Cruiser-Pick-up fand. Sie schlug eine Ecke der Abdeckplane zurück und griff dann vorsichtig darunter, um ihre Tasche zu suchen.

»Wer ist da?«, hörte sie plötzlich eine krächzende Stimme unter der Plane fragen.

»Janie, wie geht’s dir?«, fragte Kate.

»Beschissen.«

»Und wie geht’s Dave?«

»Ich hab einen solchen Hunger, dass ich einen ganzen Ochsen vertilgen könnte«, ertönte jetzt Daves tiefe Stimme unter der Abdeckplane.

»Mir knurrt der Magen auch ganz schön«, sagte Janie.

»Zum Glück haben sie den Grill schon angeworfen«, meinte Kate. »Ihr solltet besser aufstehen, bevor euch die Banditos alles wegessen.«

»Es wegessen oder draufpinkeln«, sagte Dave trocken.

»Wie lief es bei dir letzte Nacht?«, fragte Janie.

»Gut.«

»Gut?«, sagte Janie, schlug die Plane zurück und setzte sich auf. »Gut. Was soll das heißen?«

»Du weißt schon. Gut eben«, sagte Kate und musste unwillkürlich lächeln, als sie sah, dass Janie mit ihren in alle Richtungen abstehenden Haaren und ihrer verschmierten Mascara aussah wie ein kleiner Panda. Unter der Plane ließ sich jetzt wieder Daves brummende Stimme vernehmen. »Hat irgendjemand einen großen, rosa Kombi in deiner Garage geparkt?«

»Dave«, stöhnte Kate, »halt die Klappe!«

»Erzähl mir mehr, Kate. Wer war es? Kennen wir ihn?«

»Ich hab jetzt keine Zeit zum Quatschen«, sagte Kate und schnappte sich ihre Tasche. »Ich glaube, ich sollte zu ihm zurückgehen, sonst glaubt er noch, ich hätte mich still und heimlich aus dem Staub gemacht. «

»Kate!«, sagte Janie. »Der Name!«

»Fängt mit einem N an«, sagte Kate lächelnd und zog dabei ihre Shorts und eine saubere Unterhose aus ihrer Tasche. »Und hört mit ›ick‹ auf«.

»N? ick?« Janie sah völlig verblüfft aus. »Nick! Nein! Nick? Das ist nicht dein Ernst?«

»Doch«, sagte Kate. Sie lächelte, als Janie laut kreischte und dabei begeistert in die Hände klatschte. Kate öffnete die Tür des Pick-ups und zog schnell ihren Schlüpfer aus.

»Du liebe Güte! Aber was ist mit Felicity? Du musst mir alles erzählen! Los, erzähl es. Erzähl es.«

»Himmel, Janie! Lass mich doch zuerst mal saubere Unterwäsche anziehen!«


Nick lag auf einen Ellbogen gestützt auf seinem Schlafsack in der Sonne. Er lächelte Kate an, als sie auf ihn zukam. Jetzt, da sie ihre Blunnie-Stiefel, Shorts und ihr altes blaues Top trug, fühlte sie sich wieder wesentlich selbstsicherer. Sie hatte ihre Haare unter ihren alten Cowboyhut aus Stroh gesteckt und sich an einem Wasserhahn neben der Scheune das Gesicht gewaschen. Das Krankenhausband an ihrem Handgelenk war noch feucht und fühlte sich in der Morgenluft auf ihrer Haut kalt an. Sie sah Nicks Lächeln, und ihr wurde bewusst, dass es keinen Grund gab, an ihm zu zweifeln. Er würde nicht einfach weggehen … Und er würde ganz bestimmt nicht Felicity hinterherlaufen. Sie setzte sich im Schneidersitz neben ihn und bot ihm ein Würstchen mit Brot an.

»Ich dachte schon, du wärst abgehauen.«

»Quatsch. Ich doch nicht. Ich hab dir nur Frühstück geholt«, sagte sie.

Nick schob die Wurst sanft, aber bestimmt von sich weg.

»Danke, aber ich bin mir sicher, dass ich zweimal etwas davon habe, wenn ich das esse.«

»So richtig fit scheinst du nicht zu sein«, sagte Kate und biss herzhaft in die Wurst.

»Mir ist einfach nur kotzübel.«

Kate sah ihn an. Sein Hemd war inzwischen getrocknet. Es hatte jetzt eine hellbeige Farbe und war steif wie Pappe. An einem seiner Hosenbeine war die Naht aufgerissen. Seine nackten Füße waren schwarz vor Schmutz. Kate stellte sich vor, wie sie seine Füße wusch. Sie langsam einseifte. Mit ihren Händen darüberstrich und ihre Finger zwischen seine Zehen gleiten ließ.

Sie wollte ihn nicht so sehr begehren. Noch nicht. Sie sah zu den Leuten hinüber, die um den Grill herumstanden und sich zum Frühstück ein Bier genehmigten. Sie sollte sich jetzt erst einmal auf das Hier und Heute, auf den Ausklang des B&S konzentrieren und nicht auf das, was die Zukunft für sie und Nick bereithalten mochte. Das helle Licht des Morgens brachte eine Klarheit, die der Nacht gefehlt hatte. Kate entschied, das sie vorerst eine gewisse Distanz zu Nick wahren würde, auf freundliche, jedoch bestimmte Art und Weise. Immerhin wusste so gut wie jeder hier, dass Nick noch mit Felicity verlobt war, als sie auf dem B&S eingetroffen waren. Und jeder hier wusste, dass letzte Nacht irgendetwas vorgefallen war. Kate wollte, da Nick wieder einigermaßen nüchtern war, gerade mit ihm darüber sprechen, als plötzlich lautes Geschrei ertönte. Die Menge teilte sich, und schallendes Gelächter war zu hören. Drei Jungen, die bis auf ihre Schuhe nichts am Leib trugen, rannten am Grill vorbei und dann den Hügel hinauf auf Kate und Nick zu. Die Körper der Jungen – zwei pummelig, einer ziemlich mager – waren von oben bis unten mit Schlamm beschmiert. Jeder von ihnen schien eine Rauchfahne hinter sich herzuziehen. Als sie auf einen Trog aus Beton zurannten, sah Kate das zusammengerollte Zeitungspapier, das zwischen ihren Pobacken steckte. Das Papier schwelte, und es waren sogar kleine orangefarbene Flammen zu sehen. Die drei waren, wie nicht anders zu erwarten, Simmo, Johnno und Blue.

»Feuer unterm Arsch! Feuer unterm Arsch!«, schrie Blue, als er an Nick und Kate vorbeirannte. Er folgte der Rauchfahne seiner Freunde, bis sie alle drei mit dem Hintern voran in den Wassertrog sprangen.

»Jesus!«, sagte Nick. »Vielen Dank, dass du mich gestern vor diesen Typen gerettet hast. Wenn ich die ganze Nacht bei ihnen geblieben wäre, dann würde ich jetzt wahrscheinlich auch nackt und mit brennendem Arsch durch die Gegend rennen.«

»Das glaube ich nicht. Ich denke, du bist doch eher der vernünftige Typ. Du hättest früher oder später Reißaus genommen.«

»Ja, das bin ich wohl wirklich. Der vernünftige Typ. Alle wissen, dass ich ein verdammter Langweiler bin.«

»Du meinst, du gehörst nicht zu diesen B&S-Legenden, die sich zum Frühstück ein überfahrenes Tier grillen?«

»Nein, und ich habe auch niemals ein ausgeweidetes Känguru auf dem Kopf getragen.«

»Ach, Nick! Komm schon. So spießig wie du behauptest, bist du nicht. Zumindest ist es der Nick, den ich kenne, nicht.«

»Genau das gefällt mir an dir, Kate Webster. Du siehst auch die wilde Seite in mir.«

Er setzte sich auf, beugte sich nach vorn und wollte sie küssen. In ebendiesem Moment sah Kate, dass Razor unten am Grill neben Dave stand und dass Dave auf sie beide zeigte. Sein Gesichtsausdruck verhieß dabei nichts Gutes. Kate runzelte die Stirn. Sie wusste, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte.

Nick merkte, wie Kate erstarrte, richtet sich wieder auf und folgte ihrem Blick. Er sah, wie Razor mit großen Schritten und einem ernsten Ausdruck auf dem Gesicht den Hang zu ihnen heraufstapfte. Während er näher kam, schossen Kate alle möglichen entsetzlichen Gedanken durch den Kopf. War etwas mit Nell? Was war geschehen? Hatte Felicity eine Dummheit gemacht? Kate machte sich auf alles gefasst.

Als Razor vor ihnen stand, sprach er jedoch nicht Kate, sondern Nick an: »Tut mir leid, Kumpel. Es geht um deinen Dad. Er ist im Krankenhaus«, sagte er mit überraschend sanfter Stimme.

»Krankenhaus?«

Razor nickte.

»Sie haben ihn heute früh eingeliefert. Die Polizei hat uns benachrichtigt. Deine Mutter bittet dich, sofort in die Klinik zu kommen, für den Fall … Felicity ist schon dort.«

Nick starrte mit leerem Blick geradeaus.

»Danke, Raze. Danke.«

»Deine Mutter sagt, du sollst nichts Unüberlegtes tun und dich auf keinen Fall hinters Steuer setzen. Sie weiß, dass du noch nicht fit bist. Also fahre ich dich nach Hause. Dort kannst du erst einmal duschen, dann bringe ich dich nach Hobart.« Razor legte seine große Hand auf Nicks Schulter, während dieser geistesabwesend nickte. Nick wandte sich jetzt an Kate, aber sie hatte das Gefühl, als würde er sie überhaupt nicht mehr richtig wahrnehmen.

»Ich sollte besser gleich gehen«, sagte er.

»Soll ich dich begleiten?«

»Danke, aber ich denke, dass das nicht nötig ist.«

»Bist du dir sicher?«, sagte Kate. »Kann ich sonst irgendetwas für dich tun?«

»Vielleicht könntest du meinen Schlafsack mitnehmen. Okay? Ich hole ihn dann später bei dir ab.«

Er stand auf und folgte Razor den kahlen Hang hinunter.

Kate saß da und sah ihm nach, während sie an Lance dachte, den gebrochenen Mann in seinem großen, traurigen Haus. Sie fragte sich, was geschehen war. Ein kalter Wind kam auf, und Kate spürte, wie ihre Haut zu prickeln begann. Die B&S-Gäste begrüßten die sich auftürmenden grauen Wolken mit erhobenen Bierdosen. Das goldene Licht des Morgens verlor plötzlich seinen Glanz, und dicke Wolken rasten über die Hügel in der Umgebung.

Als riesige Tropfen wie flüssige Murmeln auf den Boden zu platschen begannen, war ein vielstimmiger Jubelschrei zu hören. Ein wahrer Sturm der Begeisterung rollte wie Donner durch die Menge, als der Geruch des Regens von der trockenen, staubigen Erde aufstieg.

»Regen, Regen, Regen«, rief die Menge begeistert im Takt. Als ob er antworten wollte, öffnete der Himmel mit einem Schlag alle seine Schleusen. Ein Sommergewitter zog über sie hinweg, verwandelte den Staub binnen Minuten in Matsch. Vom Grill stieg zischender Dampf auf. Die Leute standen mit ausgestreckten Armen, zum Himmel gerichteten Gesichtern und offenen Mündern da. Kalte Tropfen prasselten auf ihre Zungen und liefen über ihre Gesichter. Schon bald nach ihrer heißersehnten Ankunft zogen die dunklen Wolken weiter, und der strömende Regen ließ nach. Jetzt lag eine Decke aus stillen, weißen Wolken über der Landschaft. Ein leichter, warmer Dunstschleier bedeckte die Erde. Für die Farmer war das ein Zeichen, dass das den ganzen Tag so bleiben würde, vielleicht sogar noch länger. Die Leute holten ihre Mäntel und Hüte aus den Autos und Pick-ups. Dann kehrten sie zu den Lagerfeuern und dem Grill zurück, um weiter zu feiern und zu singen. Ein paar der betrunkenen Jungen wälzten sich in den schlammigsten Pfützen. Alle feierten. Alle außer Kate, die unter Nicks tropfender Schlafsackplane saß, die Arme um ihre an die Brust gezogenen Knie geschlungen. Eine Träne, klar wie ein Regentropfen, lief ihr über die Wange. War ihre Beziehung mit Nick schon wieder vorbei, bevor sie überhaupt begonnen hatte? So wie das bei so vielen anderen Dingen in ihrem Leben der Fall gewesen war?