Rotation von Sternen

Astronomers never seem to want to do anything easy.
Peter B. Stetson, Astronom

Sterne entstehen aus Klumpen in gigantischen Gas- und Staubwolken. Das Material, aus dem sie zusammengebaut werden, ist vorher, in der Wolke, über ein wesentlich größeres Volumen verteilt, die Dichte am Anfang wesentlich geringer als zum Schluss. Nun drehen sich diese Wolken, wie beinahe alles im Universum. Wenn sich etwas Rotierendes zusammenzieht, dann dreht es sich in der Folge immer schneller. Das kann man zum Beispiel bei Eiskunstläufern beobachten, die beim Pirouettendrehen die Arme an den Körper ziehen. (Wer es selbst ausprobieren möchte: Ein Drehstuhl und etwas Schwung genügen.) Junge Sterne müssten sich daher, das können Astronomen relativ leicht ausrechnen, sehr schnell drehen, in deutlich weniger als einer Stunde einmal um die eigene Achse.

Das allerdings geht gar nicht: Dreht man eine Kugel immer schneller und schneller, sind die Fliehkräfte an ihrer Oberfläche irgendwann größer als die Kräfte, die die Kugel zusammenhalten (im Falle des Sterns ist das die Schwerkraft), sodass es das Ding zerlegt. Die Drehgeschwindigkeit, bei der Sterne zerreißen würden, lässt sich ebenfalls einigermaßen gut berechnen, und sie liegt viel niedriger als die Geschwindigkeit, die Sterne eigentlich nach ihrer Entstehung haben müssten. Die einfache Schlussfolgerung: Sterne existieren gar nicht, weil sie während ihrer Entstehung immer schneller und schneller rotieren, bis sie die Zerreißgeschwindigkeit erreichen und zerbrechen. Diese Schlussfolgerung deckt sich allerdings, so glauben wir heute, nicht mit der Wirklichkeit: Sterne existieren wohl, ein Zwiespalt, den die Experten seit den 1970er Jahren das «Drehimpulsproblem» der Sternentstehung nennen.

Auf irgendeine Weise muss die Drehgeschwindigkeit der Sterne also abgebremst werden. Leider lässt sich die «Zeugung» von Sternen schlecht beobachten, weil die Sterne anfangs tief in ihre Geburtswolke eingebettet sind. Erst nach etwa einer Million Jahren (das entspricht, auf ein Menschenleben umgerechnet, der ersten Woche im Mutterleib) sind sie klar und deutlich für uns erkennbar, weil die Hülle aus Gas und Staub sich fast komplett aufgelöst hat. Übrig bleibt der junge Stern mit einer ihn umgebenden Scheibe aus Wolkenresten, aus der sich später Planeten bilden können. Zu diesem Zeitpunkt aber ist die Rotation schon ausreichend heruntergebremst. Gemeinerweise erledigt der Fötusstern das Interessante also in einer Lebensphase, in der man ihn nur schwer untersuchen kann.

Seit mehreren Jahrzehnten glauben viele Experten, dass Magnetfelder eine wichtige Rolle bei der Rettung des Sterns vor dem Tod durch Zerreißen spielen. Einer Theorie zufolge, die «Disk-Locking» heißt, sind Stern und Scheibe über das Magnetfeld des Sterns aneinandergekoppelt: Während der Stern sich dreht, pflügen seine Magnetfeldlinien munter durch das ihn umgebende Material. Weil die Scheibe diesem Prozess Widerstand entgegensetzt, wird die Drehung des Sterns abgebremst. Wenn man immer noch den Drehstuhl zur Hand hat, kann man einmal versuchen, sich schnell zu drehen und sich gleichzeitig mit den ausgebreiteten Armen durch eine zähe Masse aus kaltem Gas und Staub zu arbeiten. So ähnlich geht es dem jungen Stern womöglich auch, nur verwendet er statt der Arme ein Magnetfeld.

Die Idee vom Disk-Locking scheint zumindest im Ansatz zu stimmen: Sterne mit Scheibe drehen sich tatsächlich langsamer als Sterne ohne Scheibe. Das wurde mittlerweile für zahlreiche Stern-Geburtsstätten überzeugend belegt. Irgendetwas Bremsendes stellt die Scheibe also an. Allerdings gibt es dabei zahlreiche Probleme: Einmal ist nicht klar, ob der Mechanismus wirklich funktioniert und ob er ausreicht, um das Drehimpulsproblem zu lösen. Eigentlich müssten sich die Magnetfeldlinien bei ihrem Lauf durch die Scheibe in kurzer Zeit verbiegen, verwickeln, zerreißen, und die schöne Verbindung zwischen Stern und Scheibe bräche auf. Zum anderen weiß niemand so genau, wie früh sich die entstehenden Sterne ein Magnetfeld zulegen. Man benötigt aber ein einigermaßen stabiles, ordentliches Magnetfeld für das Disk-Locking, sonst braucht man erst gar nicht damit anzufangen.

Einige Experten begegnen diesen Problemen lediglich mit Stirnrunzeln, andere denken sich völlig andere Theorien aus, die zum Beispiel mit Ionenstürmen, Ausströmungen und Propellerwinden zu tun haben. (Es geht ziemlich unordentlich zu, wenn ein Stern auf die Welt kommt.) Wie es sich in Wirklichkeit verhält, wird man vielleicht herausfinden, wenn es einmal gelingt, verlässlichere Aussagen über die frühesten Lebensphasen des Sterns zu erhalten. Die Entstehung von Sternen ist nämlich nur unsichtbar, wenn man den Bereich des elektromagnetischen Spektrums beobachtet, der dem menschlichen Auge zugänglich ist. Sternföten senden jedoch auch andere Signale, zum Beispiel Infrarotstrahlung oder Mikrowellen. Neuerdings gibt es Geräte, mit denen man diese Signale sehr genau unter die Lupe nehmen kann. Schon bald werden wir schöne Ultraschallfotos von den Kleinen haben, die wir überall herumzeigen können.

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