Geld

Geld macht reich.
Süddeutsche Klassenlotterie

Eigentlich ist das Geld eine einfache Sache: Hat man welches, kann man es in Kaugummiautomaten oder Aktienmärkte stecken. Hat man keines, muss man Pfandflaschen in Parks einsammeln. Verständnisprobleme im Umgang mit Geld sind in Laienkreisen selten – abgesehen von der schwer zu klärenden Frage, wieso es einem immer so schnell durch die Finger rinnt.

Unter Fachleuten sieht es anders aus. Der französische Finanzjournalist Marcel Labordère schrieb in den 1920er Jahren: «Es liegt auf der Hand, dass der Mensch niemals wissen wird, was Geld ist, genauso wenig wie er jemals wissen wird, was Gott in der spirituellen Welt ist.» Vielleicht wird man beides eines Tages herausfinden; bisher sind allerdings nur bescheidene Fortschritte zu verzeichnen. Insbesondere die grundlegenden Fragen «Was ist Geld?», «Wie viel gibt es davon?» und «Welche Auswirkungen hat Geld?» führen immer wieder dazu, dass VWL-Professoren einander hässliche Dinge sagen.

Geld, so glauben die meisten Finanztheoretiker, hat drei Funktionen: Es dient als Tauschmittel, zur Wertaufbewahrung und als Wertmaßstab. Man kann also damit einkaufen, man kann es herumliegen lassen, und man braucht es, weil man sonst nicht wüsste, wie viel die 55-Cent-Briefmarke wert ist. In seinem Lehrbuch «Geldtheorie» erklärt der Volkswirt Hans-Joachim Jarchow: «Ganz allgemein kann man unter Geld oder Zahlungsmitteln alles verstehen, was im Rahmen des nationalen Zahlungsverkehrs einer Volkswirtschaft generell zur Bezahlung von Gütern und Dienstleistungen akzeptiert wird.» Karl Kraus hat denselben Sachverhalt noch prägnanter zusammengefasst: «Für Geld kann man Waren kaufen, weil es Geld ist, und es ist Geld, weil man dafür Waren kaufen kann.»

Wie es dazu kam, dass es Geld gibt, ist eine Frage, um die sich die Experten gern herummogeln. Es ist nun mal da – wen kümmert es da, warum Menschen sich irgendwann dazu bereitfanden, Waren gegen Metallstückchen und bedrucktes Papier einzutauschen? Intuitiv ist man geneigt, anzunehmen, Geld sei einfach eine besonders praktische, transportfähige und haltbare Ware und daher als Tauschmedium deutlich besser geeignet als zum Beispiel Gurken. Das ist aber durchaus nicht unumstritten; manche Fachleute glauben, Geld sei (in Form von Gold und anderem Gepränge) für symbolische Kulthandlungen wie Opfergaben an Götter oder Priester entwickelt worden und habe sich erst später als Hilfsmittel im Alltag etabliert. Andere gehen davon aus, dass Geld durch Belastung von Eigentum entstanden ist, also zunächst ein Schuldschein war, den man vorweisen musste, um verpfändetes Eigentum wiederzubekommen.

Insbesondere seit dem Ende der Golddeckung sind die Verhältnisse noch weniger intuitiv begreifbar als früher. Vorher entsprach jedem Geldschein immerhin eine bestimmte Menge Gold im Besitz des Staates, und der Staat durfte nicht nach Gutdünken mehr Geld drucken, nur weil er gerade ein paar teure neue Flugzeugträger kaufen wollte. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben nur noch die USA bis 1968 und die Schweiz bis 1999 bei einer goldgedeckten Währung, aber da die Golddeckungspflicht schon seit den 1930er Jahren eher dekorative Funktion gehabt hatte, merkt man heute allgemein nicht viel davon, dass sie abgeschafft wurde. Außer eben, wenn es darum geht, das Phänomen Geld zu verstehen.

Um eine undurchsichtige Angelegenheit noch komplizierter zu gestalten, gibt es aber nicht nur eine Sorte Geld, sondern deren viele: Neben dem Bargeld hätten wir da (hoffentlich) das Geld auf dem Konto. Man kann es überweisen, aus dem Kontoautomaten ziehen oder auf seine Geldkarte laden; es verhält sich in vieler Hinsicht genau wie Bargeld, muss also wohl Geld sein. So weit, so gut – aber wenn das Geld auf dem Girokonto Geld sein darf, warum dann nicht auch das für einen Monat festgelegte Geld? Und wieso bei einem Monat aufhören? Man könnte noch die längerfristig festgelegten Gelder, die Wertpapiere und die Einlagen bei Versicherungen mitzählen. Genau das geschieht auch – so entstehen diverse Geldmengen, die man mit M0 bis M3 bezeichnet. Leider befinden sich jetzt am äußersten Rand dieses Spektrums Angelegenheiten, die mit dem Geld, wie wir es aus dem Portemonnaie kennen, nicht mehr viel zu tun haben, etwa Aktien. Die Deutsche Bundesbank schreibt: «Was man sinnvollerweise zum Geld rechnet, ist … keine Frage, die sich mit wissenschaftlicher Exaktheit ein für allemal klären ließe, sondern eine Zweckmäßigkeitsfrage. (…) Für die Europäische Zentralbank steht die weit abgegrenzte Geldmenge M3 im Vordergrund ihrer monetären Lageeinschätzung.» In den USA wiederum hält man M3, die am weitesten gefasste Geldmenge, für «keine hilfreiche Angabe» und veröffentlicht sie seit 2006 gar nicht mehr. «Der Versuch, die Geldmenge zu definieren», meint der Volkswirt Paul A. Samuelson, «treibt akribische Experten an den Rand der Verzweiflung, denn es gibt keine klare Trennungslinie im Kaleidoskop der Anlagen, die es ermöglichen würde, genau den Punkt festzulegen, an dem sich Geld von anderen Anlagen scheidet.»

Kritiker der verschiedenen Ms wenden ein, es sei ungefähr so sinnvoll, Geld und Guthaben zusammenzuzählen, wie Äpfel zu Abbildungen von Äpfeln zu addieren, die man anderen geliehen hat. Geld sei ein für alle Mal nur das, was per Gesetz als Zahlungsmittel akzeptiert werden muss, also Banknoten und Münzen. Entsprechend umstritten ist auch, ob die Banken durch Geldverleih Geld schaffen, das vorher nicht da war. Wenn jemand 100 Euro auf die Bank trägt, verleiht die Bank dieses Geld an andere Kunden, und zwar nicht nur einmal, sondern so oft, dass insgesamt um die 900 Euro daraus werden. Das ist die sogenannte Giralgeldschöpfung, aber die Frage, ob dabei tatsächlich, wie der Name suggeriert, Geld geschöpft wird, bietet Wirtschaftswissenschaftlern immer wieder Anlass zu langwierigen Nein!-Doch!-Nein!-Doch!-Debatten.

Wie viel Geld es gibt, ist nicht nur eine spitzfindige Definitionsfrage, denn die Notenbanken versuchen die Geldmenge zu steuern, um so dafür zu sorgen, dass die Kaufkraft stabil bleibt. Alan Greenspan, der langjährige Vorsitzende der US-Notenbank, erklärt in einem Interview: «Das Hauptproblem ist die Definition, welcher Teil unserer Liquiditätsstruktur wirklich Geld ist. Wir versuchen seit Jahren, Indikatoren dafür ausfindig zu machen. Dabei legen wir den Maßstab an, dass sich mit Hilfe eines solchen Indikators die Entwicklungsrichtung von Wirtschaft und Finanzen vorhersagen lassen sollte. Leider ist das bisher mit keinem der von uns entwickelten Indikatoren gelungen (…). Das heißt nicht, dass wir Geld für unwichtig halten; es heißt nur, dass unsere Messverfahren unzureichend waren. (…) Man kann nichts managen, das man nicht definieren kann.»

Selbst wenn man sich auf das reine Bargeld beschränkt, wissen die Notenbanken zwar, wie viel sie davon herausgegeben haben, aber nicht, wie viel davon tatsächlich im Umlauf ist. Der Sachbuchautor Helmut Creutz schätzt, dass in den 1990er Jahren nur ein knappes Drittel der herausgegebenen DM-Menge zirkulierte. Der Rest steckt anscheinend in Sparschweinen und Schwarzgeldkassen oder im Ausland: Zu DM-Zeiten soll sich in der Türkei zeitweise mehr deutsches Bargeld aufgehalten haben als in Deutschland selbst. Und fünf Jahre nach der Euro-Umstellung fehlen immer noch 14 Milliarden DM, die vermutlich nicht komplett in Gullys, Waschmaschinen oder glückbringenden Brunnen verschwunden sind.

Auch wenn wir annehmen, man wüsste, wie Geld entsteht, was es ist und wie viel davon zirkuliert, bleibt immer noch die Frage, wie sich das Vorhandensein von Geld auswirkt. Im 19. Jahrhundert herrschte kein Zweifel daran, dass Geld nur ein neutraler Faktor, ein «Schleier» vor der Produktion und dem Tausch von Gütern sei. Dann fiel jedoch auf, dass es einen Zusammenhang zwischen der Höhe der Zinsen und dem Verlauf der Konjunktur gab – ganz ohne Einfluss konnte das Geld also nicht sein. Ab 1936 dominierte die These des britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes, es gebe keine Trennung zwischen Wirtschaft und Geld. Im Keynesianismus und Postkeynesianismus nimmt man an, dass Geldpolitik eindeutige und nachhaltige Auswirkungen auf die reale Wirtschaft hat. In den 1950er Jahren schließlich begründete Milton Friedman den Monetarismus: Geld übe, wenn überhaupt, nur kurzfristig Einfluss auf die Wirtschaft aus. Zur Illustration erfand er das leider hypothetische «Hubschrauberbeispiel», in dem Geld vom Himmel geworfen wird, sodass sich die umlaufende Geldmenge über Nacht verdoppelt. In der Folge steigen lediglich die Preise auf ein höheres Niveau, sonst ändert sich gar nichts. Für die Geldpolitik folgt daraus, dass man einfach alles möglichst stabil halten sollte, während Keynesianer auf eine antizyklisch steuernde Geldpolitik setzen. An eine völlige Neutralität des Geldes glaubt heute niemand mehr – leider aber aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen.

Einerseits muss man sich wundern, dass trotz der mysteriösen Natur des Geldes letztlich alles ganz gut funktioniert und es hin und wieder sogar gelingt, offene Rechnungen pünktlich zu bezahlen. Andererseits wenden Kritiker unseres Geldwesens ein, wir hätten die schädlichen Folgen der derzeitigen Geld- und Zinspraktiken nur aus dem Blick verloren, weil wir sie für selbstverständlich und unvermeidlich hielten. Wenn man nur an ein paar Stellschräubchen drehen würde, könnten Ausbeutung, ungerechte Verteilung von Reichtum und sogar der Krieg in ihre Schranken gewiesen werden. Vielleicht werden wir es eines Tages herausfinden. Analog zur alten Faustregel «Erst Zimmer aufräumen, dann Schweinesystem abschaffen» schadet es aber sicher nicht, sich um eine Klärung der offenen Geldfragen zu bemühen, bevor man die Weltwirtschaft umkrempelt.

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt
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