KAPITEL 17
Sally kam zu Belle, als sie gerade am Ende des Tages ihren Rettungswagen reinigte. »Captain Taylor lässt dir ausrichten, dass jemand im Aufenthaltsraum der Fahrer auf dich wartet«, sagte sie knapp.
Vermutlich Will, dachte Belle. Zwei Wochen waren seit dem Abend vergangen, an dem sie für Miranda Blumen auf den Bahnübergang gelegt hatten. Es war ein sehr schmerzhafter Augenblick gewesen, weil der zerquetschte Rettungswagen immer noch neben den Schienen gelegen hatte. Die Führerkabine sah aus, als hätte man sie mit einem riesigen Dosenöffner öffnen müssen, um Miranda daraus zu befreien, und obwohl der Regen alles Blut weggewaschen hatte, war das Entsetzen, das Belle beim Anblick des Unfalls empfunden hatte, sofort wieder gegenwärtig gewesen. Für Will musste es erschütternd gewesen sein, mit eigenen Augen zu sehen, welch schreckliches Ende Miranda gefunden hatte. Er brach zusammen und schluchzte so herzzerreißend, dass Belle wünschte, sie hätte nie zugestimmt, ihm den Ort des Unfalls zu zeigen.
»Ich hatte so viele Pläne für uns«, brachte er heraus. »Ich wollte mit ihr in New York ins Waldorf gehen und im Central Park picknicken. Meine Familie hätte sie geliebt, und selbst wenn ich ihr nicht den Standard hätte bieten können, den sie gewohnt war, hätten wir ein schönes Leben miteinander gehabt.«
Belle konnte ihn nur in den Armen halten und ihm all das Gute erzählen, das Miranda über ihn gesagt hatte. Und dass sie ihr ganzes Leben auf eine Liebe wie diese gewartet hatte und es nicht hatte erwarten können, ihn zu heiraten.
Sie saßen auf einem alten Baumstamm und weinten, und dann gab Belle ihm das Tagebuch und das Foto.
»Die Eintragungen, nachdem sie Ihnen begegnet ist, habe ich nicht gelesen. Das ist nur für Ihre Augen bestimmt. Aber ich hoffe, Sie finden ein wenig Trost, wenn Sie die witzigen Dinge, die sie gesagt hat, lesen. Bestimmt erfahren Sie ein bisschen mehr darüber, was für ein Mensch sie war. Versuchen Sie, sich an Ihre letzte gemeinsame Nacht zu erinnern, nicht an das fürchterliche Ende ihres Lebens! Sie wird von oben auf Sie hinunterschauen und sich wünschen, dass Sie eines Tages mit einer anderen glücklich werden.«
Die Erinnerung an diesen traurigen Abend mit Will war immer noch in Belle lebendig, und sie hoffte, dass er heute gekommen war, um ihr zu erzählen, dass er von Mirandas Eltern gehört hatte. Weitere emotionale Szenen würde sie jedenfalls nicht mehr verkraften.
»Wenn du noch mehr Herrenbesuch bekommst, kriegst du Ärger«, giftete Sally sie an. »Aber wahrscheinlich hast du dich bei Captain Taylor erfolgreich eingeschmeichelt.«
Sally war oft gehässig zu Belle. Ihr Verhalten weckte unangenehme Erinnerungen an einige der Mädchen in Marthas Bordell in New Orleans. Allerdings war es Belle ein Rätsel, worauf Sally neidisch sein sollte; erstens gab es hier kein Konkurrenzdenken, zweitens konnte Sally viel besser Auto fahren als sie und war noch dazu eine gute Mechanikerin.
»Na ja, den Vorwurf, sich bei anderen einzuschmeicheln, kann dir jedenfalls niemand machen«, gab Belle zurück. »Du bist eher wie eine Kobra, die ihr Gift verspritzt, um ihre Opfer zu lähmen.«
Sally rauschte wortlos davon. Vera, die den Wortwechsel mitbekommen hatte, grinste Belle an und hob anerkennend einen Daumen.
Vera war Belle ein großer Trost gewesen. Sie war in Mirandas ehemaliges Bett umgezogen, vielleicht, weil ihr klar war, dass Belle ihre Freundin abends am meisten vermisste. Die anderen Mädchen erwähnten Miranda überhaupt nicht, es war, als wäre sie nie hier gewesen, doch Vera ermunterte Belle, über sie zu sprechen, und das hatte ihr in den letzten Wochen sehr geholfen.
Da Belle nicht wollte, dass Will sah, womit sie sich gerade beschäftigt hatte, lief sie rasch in die Baracke, um ihre blutbespritzte Schürze abzunehmen, sich Gesicht und Hände zu waschen und die Haare zu bürsten, bevor sie zu ihm ging.
Die Tür zur Hütte der Fahrer stand offen, und sie eilte mit einem Lächeln hinein, um Will zu begrüßen, doch als sie sah, wer auf sie wartete, erstarrte sie.
Es war Etienne.
Wann immer sie ihn vor sich sah, dann so, wie er in Paris auf dem Gare du Nord ausgesehen hatte, mit Hut, dunklem Anzug und gestreifter Weste, die Augen wie blaues Glas. Jetzt wirkte er sehr schneidig in der blaugrauen Uniform der Franzosen, den blitzblank polierten Stiefeln und den Rangabzeichen eines Sergeants. Aber seine blauen Augen waren dieselben und ließen ihr Herz sofort schneller schlagen.
Als sie nach Frankreich gekommen war, hatte sie, halb und halb in der Hoffnung, Etienne zu sehen, die französischen Soldaten immer aufmerksam gemustert und auch die Namen der französischen Verwundeten, die ins Lazarett gebracht wurden, überprüft. Aber auf keinen Fall hatte sie damit gerechnet, dass er aus heiterem Himmel hier auftauchen würde, um sie zu besuchen.
»Etienne!«, rief sie. »Wie ist das möglich?« Sie brach ab, zu fassungslos, um ein vernünftiges Wort herauszubringen.
»Ich habe auf der amerikanischen Basis zufällig Will Fergus getroffen, als ich dort Vorräte abholte. Er hat mir erzählt, was seinem Mädchen zugestoßen ist. Ich hatte das Gefühl, dass ich herkommen muss, um dich zu sehen. Mir war klar, dass es dich genauso getroffen haben muss wie ihn.«
Belle fühlte sich so wackelig auf den Beinen, dass sie sich hinsetzen musste. »Aber woher weißt du, dass ich sie kannte?«
Etienne runzelte die Stirn und setzte sich ebenfalls. »Hat Miranda dir nicht erzählt, dass wir uns kennengelernt haben, als sie mit Fergus im Faisan Doré war?«
»Nein«, antwortete Belle. »Doch sie ist in jener Nacht erst sehr spät heimgekommen, und am nächsten Tag ist der Unfall passiert.« Sie sah ihn verwirrt an. »Aber wie in aller Welt hat sie dich mit mir in Verbindung gebracht?«
Etienne zuckte mit den Schultern. »Ich war mit zwei Männern aus meiner Kompanie dort. Will hat sich mit uns unterhalten, und ich habe für die anderen beiden übersetzt. Irgendwann stellten wir uns mit unseren Namen vor. Ich vermute, sie hat mich aufgrund irgendwelcher Dinge, die du ihr erzählt hast, erkannt, weil sie mich fragte, ob ich aus Marseille komme. Als ich Ja sagte, wollte sie wissen, ob ich jemanden namens Belle kenne. Ich war in dem Moment genauso fassungslos wie du jetzt. Sie hat mir erzählt, dass ihr beide zusammen aus England hergekommen seid.«
»Sie hatte es mit keinem Wort erwähnt …«, brachte Belle heraus.
»Vielleicht dachte sie, es wäre besser so«, meinte er. »Später wurde mir klar, dass du ihr einiges über mich erzählt haben musst, wenn sie sich an meinen Namen erinnern konnte. Das hat mich sehr berührt. Und dann zu hören, dass sie auf so schreckliche Weise ums Leben gekommen ist! Will konnte kaum darüber sprechen.«
Belle nickte. »Ja, es war entsetzlich. Ich kann es immer noch nicht fassen. Wir waren so gute Freundinnen, und ich dachte, das würden wir immer sein. Ohne sie fühle ich mich ganz verloren.«
»Das dachte ich mir, und deshalb bin ich hier. Aber es hat mich gefreut, dass du ihr von mir erzählt hast, das muss ich zugeben. Das heißt ja wohl, dass du mich nicht ganz vergessen hast.«
Die Tür stand offen, und sie saßen einander gegenüber, und hätte zufällig jemand hereingeschaut, hätte er nichts gesehen, was darauf hingewiesen hätte, dass der französische Sergeant und Belle mehr als flüchtige Bekannte waren. Trotzdem wurde sie auf einmal sehr nervös.
»Ach, das war nur so ein Austausch von Vertraulichkeiten, wie er unter Frauen üblich ist«, gab sie leichthin zurück, als wäre es im Grunde belanglos. »Sie war die Einzige, der ich je alles über New Orleans und Paris und die Rolle, die du dabei gespielt hast, anvertraut habe. Aber Miranda war sehr romantisch und hat dazu geneigt, mehr in Dinge hineinzudeuten, als tatsächlich vorhanden war.«
»Sie muss dir wirklich sehr viel bedeutet haben, wenn du ihr all das erzählt hast.« Er zog eine Augenbraue hoch und sah Belle direkt an. »Wie hast du sie kennengelernt?«
»In meinem Laden. Sie hat in der Nähe gewohnt, und du hast recht, sie hat mir sehr viel bedeutet. Ihr Tod hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Es war grauenhaft, und es wäre nie passiert, wenn der Bahnübergang wie sonst auch bemannt gewesen wäre.«
»Es ist schlimm, gute Freunde zu verlieren«, sagte er. »Ich habe seit Kriegsbeginn schon so viele verloren, dass ich es inzwischen vermeide, neue Freundschaften zu schließen.«
»Ich hatte vorher noch nie eine richtige Freundin, keine, der ich mich anvertrauen konnte, mit der ich über alles reden konnte. Ich glaube, bei Miranda war es genauso. Wir haben zwar nicht derselben Gesellschaftsschicht angehört, aber wir hatten viel gemeinsam.«
»Was ist aus deinem Hutsalon geworden?«
»Jimmy ging zum Militär, ich verlor das Kind, das ich erwartete, und irgendwie hatte es für mich keinen Reiz mehr, Hüte zu entwerfen und zu verkaufen. Es erschien mir so frivol, wenn täglich Männer an der Front starben.«
»Das mit dem Kind tut mir sehr leid«, sagte er. »Ich kann verstehen, dass sich dadurch alles für dich verändert hat, insbesondere weil dein Mann nicht zu Hause war. Doch wie seid ihr hier gelandet, Miranda und du?«
Belle hatte das Gefühl, dass Etienne mit seinen Fragen ausloten wollte, ob er ihre Entscheidung beeinflusst hatte. Sie musste ihm unbedingt klarmachen, dass er nichts damit zu tun hatte, aber all ihre Gefühle für ihn, die sie tot und begraben geglaubt hatte, wurden wieder wach. Sein französischer Akzent war so anziehend und weckte so viele schöne Erinnerungen an die Zeit, die sie miteinander verbracht hatten.
»Das war reiner Zufall«, erklärte sie und wich seinem Blick aus, weil sie Angst hatte, er könnte in ihren Augen lesen, dass sie nicht ganz aufrichtig war. »Wir beschlossen, unseren Teil für den Krieg zu leisten, und meldeten uns als freiwillige Hilfskräfte in einem Militärlazarett. In dem Jahr, in dem wir dort waren, hat Miranda mir das Autofahren beigebracht. Dann hörten wir, dass man hier dringend Rettungsfahrer braucht. Ich dachte, ich könnte Jimmy dann vielleicht öfter sehen.«
»Und? Hast du ihn gesehen?«
Wie immer, wenn ihr diese Frage gestellt wurde, regte sich ihr Gewissen, weil sie es nicht einmal versucht hatte. »Nein, leider gibt es hier zu viel zu tun.«
»Miranda hat es geschafft«, bemerkte er.
Belle errötete. Sie hätte wissen müssen, dass er mit diesem Argument kontern würde. »Für sie war es leichter. Will ist nicht an regelmäßige Dienstzeiten gebunden, und außerdem ist er ganz in der Nähe stationiert.«
»Ich bin nicht in der Nähe und habe auch regelmäßige Dienstzeiten, doch als ich erfuhr, dass du hier bist, wäre ich am liebsten sofort gekommen. Nicht die Schwierigkeiten haben mich abgehalten, sondern die Befürchtung, dass du mich vielleicht nicht sehen willst.«
Sie hatte das Gefühl, in die Enge getrieben zu werden. Versuchte er, sie dazu zu bringen, ihre Gefühle für ihn einzugestehen? Die einfachste Lösung wäre gewesen, ihm zu sagen, dass sie ihn tatsächlich nicht sehen wollte, aber das brachte sie nicht über die Lippen.
»Ich hatte nicht erwartet, Will noch einmal zu begegnen«, fuhr er fort. »Doch das Schicksal hat sich eingemischt, als ich zu dem Depot geschickt wurde, das er verwaltet. Als er mir erzählte, wie sehr dich Mirandas Tod mitgenommen hat, hatte ich das Gefühl, du könntest einen alten Freund gebrauchen. Aber vielleicht sollte ich lieber gehen, wenn dich mein Besuch verunsichert.«
»Du hast mich schon bei deinem letzten Besuch verunsichert«, sagte sie. »Warum?«
»Warum ich dich besuche? Oder warum ich dich verunsichere?«, entgegnete er. Seine klaren blauen Augen schienen direkt in ihre Seele zu sehen. »Ich komme, weil ich nicht anders kann. Die andere Frage kannst nur du selbst beantworten.«
»Warum bist du dann nicht nach England gekommen, um mich zu sehen, nachdem ich Frankreich verlassen hatte?«, brach es aus ihr heraus. »Du musst doch gewusst haben, wie sehr ich darauf gehofft habe.«
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich dachte, dass du Zeit brauchst, um über all das hinwegzukommen.«
»Der eine Brief, den du mir geschrieben hast, hätte von einem Onkel sein können, der sich nach meinem Befinden erkundigt«, rief sie empört.
Er stand auf, trat zu ihr und nahm ihre Hände. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich auf Englisch nicht gut schreiben kann«, erinnerte er sie. »Dein Brief war voll mit Jimmy hier und Jimmy da, und noch dazu habt ihr unter einem Dach gelebt. Noah hat mir geschrieben, ihr zwei würdet höchstwahrscheinlich heiraten. Ich wollte, dass du glücklich wirst, und hielt es für das Beste, aus deinem Leben zu verschwinden.«
»Wie konnte ich dir sagen, was ich für dich empfinde, wenn du mich nie auch nur im Geringsten ermutigt hast, in dir etwas anderes als einen guten Freund zu sehen?«, fragte sie. Dass er ihr so nahe war und ihre Hände hielt, ließ sie zittern.
»Hals über Kopf nach Paris zu kommen, um dich zu retten, und in deiner Nähe zu bleiben, bis du dich erholt hattest, war nicht Beweis genug, wie es um meine Gefühle steht?«, gab er zurück. »Nach allem, was du durchgemacht hattest, habe ich mich nicht einmal getraut, dich zu küssen.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie.
Es war ein unglaublich sanfter und zarter Kuss, der gerade lange genug dauerte, um ihr Herz schneller schlagen zu lassen.
»Ich bin verheiratet«, sagte sie, wich aber nicht zurück, und sie wusste, dass sie nicht entrüstet klang.
»Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, heißt es.« Sein Lächeln war spitzbübisch und jungenhaft. »Wir wissen alle nicht, ob wir diesen Krieg überleben. Ich möchte nicht sterben, ohne dir gesagt zu haben, was ich für dich empfinde.«
»Also ehrlich!« Jetzt war sie wirklich empört. »Du glaubst wohl, du brauchst nur herzukommen, damit ich dir in die Arme falle, weil ich ohne meine Freundin einsam bin und Jimmy an der Front ist? Na schön, da liegst du falsch. Du hattest in Paris deine Chance, über deine wahren Gefühle zu sprechen.«
»Wärst du bei mir geblieben, wenn ich es getan hätte?«
Belle rief sich die letzten Minuten mit ihm im Gare du Nord in Erinnerung, das fast schmerzhafte Verlangen nach ihm. »Im Bahnhof habe ich dich gebeten, etwas auf Französisch zu mir zu sagen. Ich habe nicht verstanden, was du gesagt hast, aber ›Ich liebe dich‹ war es nicht.«
»Ich habe gesagt, dass ich durch Feuer und Wasser gehen und jeder Gefahr trotzen würde, um bei dir zu sein«, antwortete er und sah ihr in die Augen. »Wenn das nicht heißt, dass ich dich liebe, was dann? All das würde ich immer noch tun. Ich nehme sogar deinen Unwillen in Kauf, weil ich dich, eine verheiratete Frau, hier besuche.«
Tränen stiegen in Belles Augen. Sie fühlte sich, als würde etwas in ihrem Inneren schmelzen, und obwohl sie wusste, dass es besser gewesen wäre zu gehen, brachte sie es nicht übers Herz.
Er hob seine Hand und wischte schweigend mit dem Daumen ihre Tränen weg, dann senkte er den Mund auf ihren und küsste sie so, wie sie es sich damals in Paris erhofft hatte.
Ihre Arme schlangen sich wie von selbst um ihn. Seine Zunge liebkoste ihre, sein Körper presste sich an ihren, und Leidenschaft flammte zwischen ihnen auf wie ein Waldbrand. Belle vergaß, dass die Tür offen stand und jeder sie sehen konnte, und sie vergaß auch, dass sie einen Ehemann hatte, dem es das Herz brechen würde, wenn er jemals davon erfuhr.
Sie war verloren, und sie wusste es. Unmöglich, ihn jetzt von sich zu stoßen und so zu tun, als hätte der Kuss nichts zu bedeuten. Sie wollte ihn, und das Verlangen war zu stark, um besiegt zu werden.
»Komm mit!«, murmelte er, als er ihre Lippen freigab, ließ sie aber nicht los. »Ich kenne einen Platz, an dem wir zusammen sein können.«
»Es ist falsch, Etienne«, wandte sie schwach ein.
»Wie kann es falsch sein, wenn ich durch puren Zufall in einem vom Krieg zerrissenen Land das Mädchen finde, das ich liebe? Ich könnte schon in der nächsten Schlacht fallen, und Jimmy ebenso. Wir müssen uns nehmen, was wir bekommen können. Keiner weiß, was der morgige Tag bringen wird.«
Diese Worte hatte sie schon oft gehört, seit sie in Frankreich war, und sie hatte sie immer nachvollziehen können, doch eine leise Stimme in ihrem Inneren versuchte, sie daran zu erinnern, dass sie sich nicht auf ihre Situation anwenden ließen. Schließlich war sie verheiratet. Aber eine viel lautere Stimme übertönte ihr Gewissen und rief ihr zu, dass es jetzt oder nie hieß und zum Teufel mit den Konsequenzen!
»Verlass das Lazarettgelände!«, sagte sie und beschrieb ihm die Stelle, wo sich jene Lücke im Zaun befand, wo sich Miranda und Will immer getroffen hatten. Dort würden sie sich treffen.
Ein weiterer Kuss besiegelte es. Etienne fuhr los, und sie lief in die Baracke, um ihre Kleidung zu wechseln und ein paar Sachen zum Übernachten zu packen.
Zum Glück war Vera allein in der Baracke und las. Die anderen spielten Tennis.
»Kannst du mich decken?«, fragte Belle sie, nachdem sie ihr kurz mitgeteilt hatte, dass sie mit einem alten Freund ausgehen würde. »Bleib unbestimmt! Erzähl den anderen, dass du glaubst, mein Mann sei hier gewesen, um mich zu sehen. Ich bin morgen rechtzeitig zur Arbeit wieder da.«
»Aber es ist nicht Jimmy?«, fragte Vera. Sie wirkte überrascht, nicht entsetzt. Die starren Regeln, denen sich die Engländer unterwarfen, schienen ihr nichts zu bedeuten. Auch Vera hatte schon oft gesagt, dass man jede Chance auf ein bisschen Glück mit beiden Händen beim Schopf packen sollte.
Belle schüttelte den Kopf. »Ich erkläre es dir morgen. Und bete für meine Seele! Ich weiß nämlich, dass ich das wirklich lieber lassen sollte.«
Nach einer Katzenwäsche schlüpfte sie rasch in frische Unterwäsche und ihr gutes Kleid, stopfte die Arbeitskleidung für den nächsten Tag in einen Beutel und stürzte hinaus, vorbei an den langen Reihen von Krankenstationen zu der Straße, wo Etienne wartete.
Ihr Puls raste, und ihr Herz schlug Purzelbäume, aber als sie in den Wagen sprang, den er fuhr, sagte ihr ein Blick auf sein freudestrahlendes Gesicht, dass es das Risiko wert war, gleichgültig, was später kommen mochte.
»Es ist nur ein Café mit ein paar Zimmern im ersten Stock«, sagte er. »Doch ein paar Männer, die ich kenne, waren mit ihren Frauen dort und haben mir erzählt, die Zimmer seien sauber. Ich verspreche dir, dich morgen früh lange vor sechs zurückzubringen. Du hast deine Meinung doch nicht geändert, oder?«
Belle konnte nur den Kopf schütteln, lächeln und sich vorbeugen, um ihn auf die Wange zu küssen. Heute Nacht wollte sie so tun, als wäre sie frei wie ein Vogel. Die Reue konnte warten.
Das Café war ungefähr vierundzwanzig Kilometer entfernt. Der Ort konnte kaum »Dorf« genannt werden, so klein war er, nur eine Handvoll bescheidener Häuser, ein Lebensmittelladen und das Café, über dem im ersten Stock Zimmer vermietet wurden.
Sie aßen Spiegeleier und Bratkartoffeln und tranken dazu Rotwein, der so herb war, dass Belle ihn kaum hinunterbekam, ohne das Gesicht zu verziehen. In dem Lokal hielten sich auch einige französische Soldaten auf, aber Etienne setzte sich mit ihr an einen Tisch im hinteren Teil des Raumes, und falls er einen der Männer kannte, erwähnte er es nicht. Er hatte den Wirt nach einem Zimmer gefragt, ein kurzer Wortwechsel, begleitet von Schulterzucken und gestikulierenden Händen. Als Belle wissen wollte, worum es in dem Gespräch gegangen war, lachte Etienne bloß und behauptete, der Mann habe gemeint, dass sie eine Schönheit sei und er ihnen die Hochzeitssuite geben werde.
»Das ist also die Hochzeitssuite«, stellte Belle fest, als sie später nach oben gingen. Das Zimmer auf der Rückseite des Hauses war sehr klein, kaum groß genug für das gewaltige Doppelbett, und die geblümte Tapete blätterte an einigen Stellen bereits ab.
»Na ja, immerhin ein Doppelbett«, sagte Etienne und testete die Matratze. »Und nebenan ist ein Bad – ich hatte eine Latrine im Hinterhof erwartet.«
Belle fühlte sich befangen, als er ans Fenster trat und hinausschaute. Sie war weder eine Hure, von der erwartet wurde, die Initiative zu ergreifen, noch eine Ehefrau, die normalerweise als Erste zu Bett ging und abwartete, in welcher Stimmung ihr Mann war. Sie genierte sich, sich vor Etienne auszuziehen, was ihr angesichts der Tatsache, dass sie mit sechzehn auf dem Schiff nach New Orleans einfach in seine Koje gekrochen war und sich ihm angeboten hatte, lächerlich erschien.
Er drehte sich um und lächelte sie an. Die Abendsonne fiel durch das Fenster und tauchte sein Haar in einen goldenen Glanz. »Angst?«
Sie nickte. Er quetschte sich am Bett vorbei und nahm Belle in die Arme. »Dafür habe ich ein Heilmittel«, sagte er leise und küsste sie.
Als sich seine Lippen auf ihre pressten und seine Zunge in ihren Mund glitt, war sie sofort erregt, und jeder Gedanke an Scham oder Furcht verschwand.
Er drängte sie sanft zurück, bis sie aufs Bett fiel, und küsste sie, bis sie sich unter ihm wand und an seiner Uniform zerrte.
»Du zuerst«, flüsterte er, schob ihre Hände weg und drehte sie um, damit er ihr Kleid aufknöpfen konnte. Bei jedem Knopf, der aufsprang, küsste er ihren Rücken, schob dann einen Ärmel an ihrem Arm hinunter, überhauchte ihn mit Küssen und verfuhr auf dieselbe Art mit dem anderen Arm. Dann streifte er das Kleid über ihre Schultern und drehte sie auf den Rücken, um ihre Brüste zu küssen, die von ihrem Hemd kaum verhüllt wurden.
»Sie sind größer als damals, als du sechzehn warst«, raunte er. »Die schönen Brüste einer Frau.«
Er fuhr fort, sie zu küssen, während er ihren Unterrock an der Taille aufhakte und auf den Boden warf, ihr dann Strümpfe und Höschen und schließlich das Hemd auszog, sodass sie nackt war.
Der raue Serge seiner Uniform auf ihrer nackten Haut steigerte ihre Erregung, und Etienne schien keine Eile zu haben, sich auszuziehen. Er schob seinen Oberschenkel zwischen ihre Beine und rieb ihn an ihrem Fleisch, während er ihre Brüste küsste und liebkoste.
Ungeduldig nestelte sie an den Knöpfen seiner Uniformjacke. Sie wollte seine Haut fühlen. Er trug Hosenträger über dem blauen Baumwollhemd, und sie riss sie herunter.
»Warum so eilig, meine Kleine?«, murmelte er. »Wir haben die ganze Nacht Zeit.«
Auf dem Weg nach Amerika hatte sie seinen nackten Oberkörper Dutzende Male gesehen und insgeheim seine breiten, muskulösen Schultern und seine schlanke Taille bewundert, doch als sie jetzt das Unterhemd herunterzog, entdeckte sie eine deutliche Narbe, die sich von seiner Schulter über seine Seite zog.
»Du bist verwundet worden!«, rief sie und berührte die Narbe behutsam. Sie sah viel schlimmer aus als Jimmys Verletzung, aber sie wünschte, sie wäre nicht gerade in diesem Augenblick an ihren Mann erinnert worden.
»Nicht so schlimm«, meinte er. »Als Junge habe ich mir immer eine furchterregende Narbe gewünscht. Ich dachte, wenn ich eine hätte, würde ich wie ein richtig harter Bursche aussehen.«
»Das tust du auch ohne Narbe«, sagte sie und strich mit einem Finger darüber.
Etienne zog sie an sich, brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen und vergrub seine Hände in ihrem Haar.
Belle hörte nicht mehr das Reden und Lachen der Soldaten unten im Café, sie merkte nicht, wie der Tag zum Abend wurde, und es kümmerte sie nicht, welchen Preis sie für diese eine Nacht der Glückseligkeit würde zahlen müssen. Etiennes Narbe war eine eindringliche Erinnerung an seine Worte von vorhin: dass es keine Garantie gab, diesen Krieg zu überleben. Belle war nie auf den Gedanken gekommen, dass Miranda oder sie ums Leben kommen könnten, doch ihre Freundin war tot. Und obwohl es eher wahrscheinlich war, dass Jimmy und Etienne im Kampf fallen würden, als dass auch sie bei einem tragischen Unfall umkam, konnte sie sich dessen nicht sicher sein.
Sicher war sie sich nur in ihrer Überzeugung, dass das Schicksal eingegriffen und ihr Etienne zurückgegeben hatte. Dafür musste es einen guten Grund geben. Mit sechzehn hatte sie ihn geliebt. Er war es, der ihr ermöglicht hatte, alles, was sie seit ihrer Entführung durchgemacht hatte, zu überwinden; er hatte ihr die Kraft und die Entschlossenheit gegeben, alles, was sie in New Orleans erwartete, zu bewältigen.
Zwei Jahre später war er es, der sie in Paris vor Pascal gerettet hatte, und er hatte während ihrer Genesung an ihrem Bett gesessen. Der Rest der Welt mochte denken, dass sie nur eine von vielen verheirateten Frauen war, die der Versuchung, sich einen Liebhaber zu nehmen, erlag, weil sie weit fort von daheim und einsam war. Aber für Belle besaß Etienne immer noch den ersten Anspruch auf ihr Herz.
Jede Liebkosung, jeder Kuss, jede Berührung und jedes gemurmelte Kosewort steigerten ihre Ekstase. Er hatte es nicht eilig, in sie einzudringen, sondern schien nur an ihr Vergnügen zu denken, und leckte sie, bis sie den Höhepunkt erreichte und ihn anflehte, sie zu nehmen.
Lange, tiefe Stöße folgten, bis sie beide schweißnass waren, erst voller Zärtlichkeit, dann wild und leidenschaftlich. Immer wieder kam sie zum Höhepunkt, so berauscht vor Glück, dass sie nicht einmal wahrnahm, dass er sich aus ihr zurückgezogen hatte. Als sie etwas Feuchtes, Klebriges auf ihrem Bauch spürte, erkannte sie, dass er selbst in seiner Leidenschaft an sie gedacht und eine Schwangerschaft verhindert hatte.
»Meine schöne englische Rose«, sagte er, stützte sich auf einen Ellbogen, um sie zu betrachten, und rieb ihr zärtlich die Tränen vom Gesicht. »Das war alles, was ich mir erträumt habe, und noch viel mehr.«
»Wenn es nur wahr wäre!«, flüsterte sie, und noch mehr Tränen schossen ihr in die Augen.
Er legte einen Finger, der nach ihr roch, auf ihre Lippen. »Sag das nicht! Wir müssen einfach daran glauben, dass das Schicksal noch mehr mit uns vorhat, nachdem es uns wieder zusammengeführt hat. Ich liebe dich, Belle, nicht nur diese eine Nacht lang, sondern für alle Zeit. Die Liebe findet immer einen Weg.«
»Gehst du zurück an die Front?«
»Ja, sehr bald. Aber ich werde dir schreiben und dich besuchen, wenn ich kann. Wirst du daran glauben, dass dieser Krieg eines Tages vorbei ist und wir zusammen sein können?«
»Ja, weil ich dich liebe.« Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um von den Hindernissen zu sprechen, die das unmöglich machten. »Und ich denke, es ist an der Zeit, mich für all die Lust, die du mir geschenkt hast, zu revanchieren.«
Sie verwöhnte ihn mit ihrem Mund und ihrer Zunge. Jedes Mal, wenn er versuchte, sie zu streicheln, klopfte sie ihm auf die Finger und machte weiter, bis er nachgab und akzeptierte, dass es jetzt nur um ihn ging.
Erinnerungen an Marthas Freudenhaus in New Orleans wurden wach, als sie ihn stöhnen hörte. Als sie zum ersten Mal das Glied eines Mannes in den Mund hatte nehmen sollen, hatte sie es absolut widerwärtig gefunden, und auch später hatte sie es vermieden. Doch nichts war abstoßend daran, Etienne auf diese Weise zu verwöhnen; es schien die natürlichste Sache von der Welt zu sein. Es bereitete ihr sogar selbst Vergnügen, ihm so viel Lust zu schenken.
Es war kurz vor sechs, und es regnete wieder, als er sie hinter dem Lazarett absetzte. Sie hatte ihre Arbeitskleidung und einen sauberen Kittel an und ihre anderen Sachen in den Beutel gesteckt, sodass sie direkt zu ihrem Rettungswagen gehen konnte. Ihre Lippen waren geschwollen von Etiennes Küssen, zwischen den Schenkeln war sie wund, und sie war müde, weil sie kaum geschlafen hatte. Das Herz war ihr schwer, weil sie keine Ahnung hatte, wann sie Etienne wiedersehen würde.
»Nimm das und heb es gut auf!«, sagte er und drückte ihr ein Stück Papier in die Hand. »Unter diesen Adressen kannst du Kontakt zu mir aufnehmen, falls irgendetwas passiert.«
Sie warf einen Blick auf den Zettel: genaue Angaben zu seinem Regiment, eine Anschrift in Marseille und eine in Paris. »Ich werde mich bemühen, bessere Briefe auf Englisch zu schreiben«, meinte er mit einem traurigen Lächeln und schlang eine Strähne ihres Haares um seinen Finger. »Aber falls es mir misslingt, denk dran, dass ich dich liebe und durch die Hölle gehen würde, um bei dir zu sein.«
Belle spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. »Pass auf dich auf!«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Und falls du verwundet wirst, bitte darum, hierhergebracht zu werden.«
»Jetzt habe ich jeden Grund, auf mich aufzupassen.« Er beugte sich vor, um sie ein letztes Mal zu küssen. »Geh jetzt! Ich möchte nicht, dass du meinetwegen Ärger bekommst.«
Belle blieb ein, zwei Augenblicke stehen und sah ihm nach, als er wegfuhr. Plötzlich wurde ihr das Ausmaß ihres Handelns bewusst. Wie sollte sie Jimmy je wieder in die Augen sehen? Warum hatte sie der Versuchung nachgegeben? War eine Nacht voller Leidenschaft ein ganzes Leben mit Schuldgefühlen wert?
Vera kam zu Belle gelaufen, als sie gerade den Motor ihres Wagens anließ. David war im Vorratsraum, um noch mehr Decken zu holen. »Sally war gestern Abend ein bisschen gehässig«, flüsterte Vera. »Sie dachte, es wäre Will, der dich abgeholt hat, und hat gemeint, dass es für ihn langsam Zeit wird, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Ich habe ihr nicht gesagt, dass es jemand anders war. Lass dir also nichts anmerken, falls sie dich darauf anspricht!«
Belle starrte Vera entsetzt an. »Sie hat gedacht, dass ich die ganze Nacht bei ihm war?«
Vera grinste schief. »Nein, sie und die anderen haben schon vor neun in ihren Betten gelegen und geschlafen und nicht mitgekriegt, dass du nicht zurückgekommen bist. Ich bin heute Morgen vor ihnen aufgestanden und habe dein Bett zerwühlt und die Tür aufgeschlossen.«
»Dem Himmel sei Dank!«, rief Belle. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie denken würden, dass ich mir Mirandas Verlobten geschnappt habe. Ich fühle mich sowieso schon schlecht genug.«
Vera nahm ihre Hand und drückte sie verständnisvoll. »Du warst vielleicht ein bisschen schwach«, erwiderte sie tröstend, »du bist aber nicht schlecht. Du hast Trost gebraucht, das ist alles.«
Veras Verständnis rührte Belle. »Danke für alles! Nachher versuche ich, dir das Ganze zu erklären.«
Bis zehn Uhr morgens hatte Belle die Tour zum Bahnhof dreimal gemacht. Da ihr Wagen als zweiter das Lazarett verlassen hatte, hatten David und sie alle sitzenden Patienten übernommen, die wesentlich leichter zu befördern waren als die, die liegen mussten. Aber bei der zweiten und dritten Tour waren vor allem Kanadier dabei, große, kräftige Männer, alle mit schweren Verletzungen.
»Du bist heute ja so ruhig und verträumt«, bemerkte David, als sie den Krankenwagen an der Stelle reinigten, wo sich einer der Verwundeten übergeben hatte. »Gibt es dafür einen besonderen Grund?«
In Wirklichkeit durchlebte sie in Gedanken immer wieder ihre Nacht mit Etienne, und zwar so intensiv, dass sie spürte, wie sie immer erregter wurde. Sie fragte sich ständig, wie lange es dauern würde, bis sie ihn wiedersah.
Belle vertraute David sehr viel an; sie waren schon vor Mirandas Tod gute Freunde geworden und hatten sich danach noch enger aneinander angeschlossen. Aber über Etienne konnte sie nicht mit ihm reden – er wäre entsetzt, wenn er wüsste, dass sich eine verheiratete Frau, deren Mann an der Front war, mit einem anderen traf.
Erst jetzt wurde Belle ihre Situation voll und ganz bewusst. Jimmy war ein guter Mensch, und er liebte sie. Es würde ihm das Herz brechen, wenn sie ihm eröffnete, dass sie ihn verlassen wollte. Und dann würde sie auch Mog verlieren, die mit Garth verheiratet war und deshalb nicht für Belle Partei ergreifen konnte.
»Ach, immer dieselbe alte Geschichte – man denkt zu viel über die Schrecken des Krieges nach«, sagte sie rasch. »Das Leben ist eine sehr unsichere Sache, nicht?«
»Hast du schon von deinem Mann gehört, seit du ihm von Mirandas Tod geschrieben hast?«
»Nein, und von Mog und Garth auch nicht«, antwortete sie. »Ich frage mich ständig, ob Mog bei Mirandas Beerdigung war. Mrs. Forbes-Alton hat sicher dafür gesorgt, dass alle Welt davon erfährt, und Mog war bestimmt schockiert, dass ich nicht dabei war. Ich habe ihr in meinem Brief natürlich die Gründe erklärt, doch sie wird ihn nicht rechtzeitig bekommen haben.«
»Hoffentlich ist sie Mog nicht mit diesem Unsinn gekommen, dass du schuld daran bist!«, meinte David. »Furchtbar, so etwas über jemanden zu sagen!«
»Vielleicht ist Mrs. Forbes-Altons Ehe nicht sehr glücklich«, gab Belle zu bedenken. »Ich nehme an, so etwas verdirbt den Charakter.«
»Das glaube ich auch. Ich hatte eine Tante, die ein richtiger Drachen war, und irgendwann erfuhr ich, dass man ihr nicht erlaubt hatte, ihre große Liebe zu heiraten. Der Mann, mit dem man sie verheiratet hat, war ein anständiger Kerl, jedoch ohne jedes Rückgrat. Deshalb konnte sie sich zu einer solchen Despotin auswachsen. Ich frage mich oft, wie die Ehefrauen der Schwerverwundeten mit ihren Männern zurechtkommen werden, wenn sie wieder daheim sind«, fuhr er fort. »Auch wenn sie vorher eine glückliche Ehe geführt haben, von einer kleinen Pension mit einem Mann zu leben, der ständige Pflege braucht, kann zum Albtraum werden.«
Belle zuckte innerlich zusammen. Etienne hatte geklungen, als würden sie einen Weg finden, um zusammenzukommen. Hoffte er, dass Jimmy den Krieg nicht überlebte?