KAPITEL 7

»Ja, ja, ich komme schon!«, brummte Garth und eilte die Kellertreppe hinauf, um die Tür zu öffnen. Da er wusste, dass Mog bei Belle und Schwester Smethwick noch nicht da war, nahm er an, dass Dr. Towle heute früher als sonst kam. Schließlich war es erst halb acht Uhr morgens.

Er schob die Riegel zur Seite und drehte den Schlüssel im Schloss – und fand Jimmy in Uniform auf der Schwelle vor.

»Jimmy, mein Junge!«, rief er freudig überrascht. »Bei deinem Anblick wird einem warm ums Herz! Komm rein!«

Jimmy nahm seine Mütze ab, bevor er eintrat, blieb im Flur stehen und schaute nach oben. »Wie geht es ihr? Der Kommandeur hat mir nur gesagt, dass sie das Baby verloren hat, doch mir ist klar, dass das nicht alles ist.«

Garth, dem es noch nie leichtgefallen war, über Frauenangelegenheiten zu sprechen, zögerte.

»Sie ist doch nicht tot, oder?«, fragte Jimmy mit vor Schreck geweiteten Augen.

»Nein, nein.« Garth klopfte ihm auf die Schulter. »Natürlich nicht. Sie war schlimm dran, aber wir glauben, dass es jetzt langsam wieder aufwärtsgeht. Sie wird gleich munterer werden, wenn sie dich sieht.«

Jimmy nahm immer zwei Stufen auf einmal, als er nach oben rannte. Mog wollte gerade Belles Frühstückstablett abräumen, als er ins Zimmer platzte.

»Jimmy!«, riefen beide Frauen.

»Es tut gut, dich zu sehen«, sagte Mog, und Belle brach in Tränen aus.

Sie lehnte sich an einen Stapel Kissen, aber im Tageslicht wirkte ihr Teint wie vergilbtes Pergament. Mog hatte ihr Haar gebürstet, doch es sah immer noch schlaff und stumpf aus.

Jimmy stürzte zu ihr, um sie zu umarmen, aber Mog hielt ihn zurück. »Pass auf ihre Schulter und Rippen auf, sie tun ihr immer noch weh!«

»Warum?«, fragte er verwirrt.

»Das erklären wir dir später«, sagte Mog.

Jimmy warf ihr einen verdutzten Blick zu, setzte sich aber auf die Bettkante und streichelte Belles Wange. »Nicht weinen, Liebes«, flüsterte er. »Jetzt bin ich ja da, und du kannst mir alles erzählen, wenn du so weit bist.«

Mog hörte Schwester Smethwick die Treppe hinaufstapfen. »Das ist die Pflegerin. Sie muss Belle waschen und noch ein paar andere Dinge erledigen. Du kommst am besten erst mal mit nach unten, und ich bereite dir ein Frühstück zu. Wenn du die ganze Nacht unterwegs warst, bist du bestimmt müde und hungrig.«

»Ich lasse mich nicht wegen irgendeiner Krankenschwester von meiner Frau weglotsen«, verkündete Jimmy empört.

Mog drehte sich um und sah Schwester Smethwick in der Tür stehen. Sie war eine unscheinbare, untersetzte Frau mit einem Gesicht, das an einen Klumpen Teig erinnerte, und sie hatte Jimmys Bemerkung offensichtlich gehört.

»Ihre Frau, Mr. Reilly, braucht im Moment eine Krankenschwester«, erwiderte sie scharf. »Und wie können Sie auf dem Bett sitzen? Weiß der Himmel, was für Keime an dieser Uniform kleben!«

Jimmy blieb der Mund offen stehen, doch Belle stemmte sich auf die Ellbogen. »Was fällt Ihnen ein, so mit meinem Mann zu reden!«, rief sie. »Er war die ganze Nacht unterwegs, um von Frankreich hierherzukommen. Wir bezahlen Sie für Ihre Arbeit als Pflegerin, nicht, damit Sie meinen Mann oder meine Tante herumkommandieren. Merken Sie sich das gefälligst, wenn Sie weiterhin hier arbeiten wollen!«

Mog grinste. Belle schien es schon wesentlich besser zu gehen, wenn sie gegen einen Drachen wie die Smethwick aufbegehrte.

»Lassen Sie den beiden zehn Minuten Zeit füreinander, Schwester!«, schlug Mog vor. »Kommen Sie mit mir auf eine Tasse Tee in die Küche, während ich Jimmy ein Frühstück zubereite!«

Jimmy lächelte Belle an, als Mog und die Krankenschwester das Zimmer verließen. »Wo habt ihr denn diesen Dragoner her?«

Belle ließ sich in die Kissen zurücksinken. »Mog sagt, dass der Doktor sie geschickt hat, aber ich glaube, sie ist einfach von selbst erschienen. Eine Strafe für frühere Sünden.«

»Und jetzt erzähl mir bitte, was passiert ist!«, drängte Jimmy. »Was ist mit deiner Schulter und deinen Rippen los? Hast du einen Unfall gehabt?«

Belle hatte versucht, sich etwas einfallen zu lassen, um das, was in ihrem Laden geschehen war, ein wenig zu entschärfen, damit Jimmy sie auch weiterhin dort arbeiten ließ. Doch als sie die tiefe Sorge in seinen Augen sah und erkannte, wie viel Angst er auf der Fahrt ausgestanden haben musste, war ihr klar, dass sie ihm die volle Wahrheit sagen musste.

Er ballte die Hände zu Fäusten, als sie berichtete, was sich zugetragen hatte. Männer wie Garth und er warteten nicht einfach darauf, bis Polizei und Justiz Gerechtigkeit walten ließen. Belle war ziemlich sicher, dass Garth bereits jedem, der Angaben über den Täter machen konnte, eine Belohnung in Aussicht gestellt hatte.

»Es tut mir so leid, Belle!«, sagte Jimmy, in dessen Augen Tränen standen, und legte eine Hand an ihre Wange. »Der Gedanke, dass dir jemand wehgetan hat, ist mir unerträglich. Und dass du unser Baby verloren hast, ist auch furchtbar traurig. Ich finde einfach nicht die richtigen Worte, um dich zu trösten.«

»Dass du hier bist, ist Trost genug«, erwiderte sie, nahm seine Hand und küsste sie. Sie sah die Schrammen und Blasen auf der Innenfläche, und es erinnerte sie daran, dass es für ihn selbst im Moment auch nicht gerade rosig aussah. »Geh jetzt frühstücken, und nachher solltest du ein Bad nehmen und ein bisschen schlafen. Lass den Dragoner ruhig zu mir kommen! Und versuch, Mog zu überreden, dass sie sich heute ausruht! Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass sie in den letzten Tagen pausenlos auf den Beinen war.«

Er lächelte bedrückt. »Die ganze Zeit in Frankreich habe ich mir immer nur ausgemalt, wie ihr alle zusammen in der Küche sitzt und redet und lacht, genauso wie es immer war. Ich dachte, wenn einem von uns etwas zustößt, dann mir, nicht dir.«

»Es geht mir schon wieder besser«, beruhigte sie ihn. »Und jetzt ab mit dir! Wir reden später weiter.«

Sowie Jimmy gefrühstückt und drei sehr willkommene Tassen Tee getrunken hatte, machte er sich auf die Suche nach Garth. Sein Onkel polierte im Schankraum gerade Gläser und blickte auf, als Jimmy hereinkam und hinter sich die Tür zum Haus schloss.

»Wie war die Ausbildung?«, fragte Garth. »Dein Haar ist reichlich kurz.«

Jimmy lächelte schwach und fuhr mit einer Hand über die streichholzkurzen Stoppeln, die ihm der Armeefriseur gelassen hatte. »Mit etwas Glück brauche ich bis Weihnachten keinen neuen Schnitt mehr«, sagte er. »Belle hat mir von dem Überfall erzählt. Wisst ihr schon, wer der Täter war?«

»Nein, nur, dass es in den letzten Monaten in Lewisham, Catford und Greenwich zu ähnlichen Überfällen gekommen ist«, antwortete Garth. »Die Polizei glaubt, dass es derselbe Mann war. Er sucht sich immer Leute aus, die allein in ihrem Laden sind, meistens gegen Ende des Tages. Man nimmt an, dass er aus Deptford kommt, und du weißt ja, wie es da zugeht.«

Jimmy wusste es tatsächlich: trostlose, überfüllte Mietskasernen, ein Gewirr enger Gassen mit Bruchbuden wie Kaninchenbaue und Bewohner, die mit Sicherheit keinen der Ihren verraten würden. »Haben sie vielleicht auch einen Namen, wenn sie schon wissen, dass er aus Deptford kommt?«

»Falls ja, verraten sie ihn nicht. Es ist schwer, jemanden ohne genaue Beschreibung aufzuspüren. Glaubst du, Belle könnte ihn vielleicht zeichnen? Das könnte hilfreich sein.«

Jimmy überlegte kurz. Belle verstand sich sehr gut darauf, kleine Skizzen von Leuten anzufertigen, aber er war sich nicht sicher, ob es gut für sie wäre, einen Mann zu zeichnen, den sie lieber vergessen sollte. Das sagte er auch seinem Onkel.

Garth seufzte. »Ich weiß. Deshalb habe ich es bisher auch nicht zur Sprache gebracht. Ein Mann, der eine wehrlose Frau zusammenschlägt, braucht selbst eine ordentliche Tracht Prügel. Es würde mir unheimlich guttun, derjenige zu sein, der ihm eine Abreibung verpasst.«

»Mir auch«, gab Jimmy zu. »Aber ich habe nur ein paar Tage Urlaub, und ich möchte die Zeit lieber mit Belle verbringen.«

»Wie ist es denn da drüben?«

»Mir tun Muskeln weh, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie habe«, antwortete Jimmy trocken. »Doch ich bin besser in Form als die meisten anderen. Und werde allmählich zu einem guten Schützen – unser Sergeant brüllt mich nicht mehr an und hat neulich sogar ›Gut gemacht!‹ zu mir gesagt. Ich hoffe bloß, ich verliere nicht die Nerven, wenn ich erst mal an der Front bin. Die meisten jüngeren Männer können es kaum erwarten, aber ich bin auf einem Schiff mit Verwundeten zurückgekommen und habe so schlimme Verletzungen gesehen, dass mir schlecht geworden ist.«

Er wollte Garth nicht erzählen, dass er den Krankenschwestern auf dem Schiff geholfen hatte. Viel hatte er nicht tun können, höchstens Wasser anbieten oder einem Soldaten eine Zigarette an die Lippen halten. Einige von ihnen hatten ihn gebeten, einen Brief an ihre Angehörigen zu schreiben. Diese Männer waren alle Berufssoldaten, furchtlos und zäh, manche hatten im Burenkrieg gedient, und sie waren ein ganz anderer Schlag als die Freiwilligen, mit denen Jimmy ausgebildet wurde. Wenn sie mit all ihrer Erfahrung und ihren Kenntnissen verwundet oder getötet werden konnten, wie sollte es dann den Neulingen ergehen, die den Krieg immer noch für ein Abenteuer hielten?

Zwei der Männer, für die Jimmy Briefe schrieb, starben, bevor sie Dover erreichten, doch er wollte trotzdem nachher ihre Briefe aufgeben. Vielleicht war es für ihre Familien ein kleiner Trost, dass die Männer kurz vor ihrem Tod an sie gedacht hatten.

Garth klopfte ihm kräftig auf die Schulter. Jimmy wusste, was sein Onkel ihm damit sagen wollte: Garth war stolz auf ihn und verstand seine Befürchtungen.

Nach einem Bad und ein, zwei Stunden Schlaf auf der Couch hörte Jimmy, wie der Arzt aus Belles Zimmer kam, und fing ihn ab, als er die Treppe hinunterstieg.

»Wie geht es meiner Frau?«, fragte er, nachdem er sich vorgestellt hatte.

»Schon viel besser, seit Sie hier sind«, antwortete der Doktor und lächelte. »Sie ist über den Berg, doch es wird eine Weile dauern, bis sie wieder ganz bei Kräften ist. Sie hat viel Blut verloren.«

Jimmy nickte. »Mrs. Franklin wird darauf achten, dass Belle die richtigen Speisen und viel Ruhe bekommt. Danke für alles, was Sie für sie getan haben, Dr. Towle! Und auch dafür, dass Sie mir ermöglicht haben, nach Hause zu fahren! Darüber bin ich wirklich sehr froh.«

»Gern geschehen.« Der Arzt legte eine Hand auf Jimmys Schulter und sah ihn sorgenvoll an. »Aber ich fürchte, ich habe Ihnen noch etwas zu sagen. Es wäre nicht ratsam für Ihre Frau, noch einmal das Risiko einzugehen, ein Kind zu bekommen.«

Jimmy wurde blass. »Nie?«

»Ich kann nicht mit absoluter Gewissheit sagen, ob die Verletzungen, die sie davongetragen hat, verhindern würden, dass sie ein Kind austrägt, doch es wäre auf jeden Fall riskant«, erklärte der Arzt freundlich. »Es tut mir aufrichtig leid. Ich weiß, was für ein Schlag das für sie beide ist.«

»Haben Sie es Belle schon gesagt?«, fragte Jimmy mit bebender Stimme.

»Nein, und ich halte es für besser, wenn es einstweilen unter uns bleibt.«

Jimmy, der kein Wort herausbrachte, schluckte und nickte.

Zwei Tage später ging Jimmy, als Belle gerade ein Schläfchen machte, zu ihrem Laden.

An diesem Morgen waren etliche teilnahmsvolle Briefe von Belles Kundinnen eingetroffen, die gehört hatten, was passiert war, und ihr ihr Mitgefühl aussprechen wollten. Belle hatte ihn gefragt, wie sie darauf antworten sollte. »Soll ich den Damen schon mitteilen, dass ich den Laden schließen werde?«

Jimmy hatte nicht gewusst, was er antworten sollte. Garth hatte seine Meinung zu diesem Thema unmissverständlich kundgetan. Er fand, Belle sei in ihrem Laden nicht mehr sicher und solle lieber zu Hause bleiben. Jimmy teilte Garths Meinung zwar, aber er wusste auch, was der Hutsalon Belle bedeutete, und zögerte, sich dazu zu äußern.

Vielleicht sah er klarer und konnte leichter eine Entscheidung treffen, wenn er sich dort einfach ein bisschen umschaute, hoffte er. Jimmy schloss die Ladentür hinter sich ab und blickte sich um. Mog hatte an dem Tag nach dem Überfall aufgeräumt, aber der zersplitterte Drehspiegel und der zerbrochene Stuhl im Hinterzimmer führten ihm eindringlich vor Augen, wie schlimm es gewesen war. An der Wand war eine Blutspur zu sehen, und allein dieser Anblick erfüllte Jimmy mit rasender Wut.

Doch als er durch den Laden schlenderte und die hübschen Hüte berührte, die Belle so geschickt anfertigte, wusste er, dass er es nicht übers Herz bringen würde, darauf zu bestehen, dass sie ihr Geschäft ganz und gar aufgab. Ohne diese Ablenkung und mit einem Ehemann, der weit weg in Frankreich war, würde sie das Gefühl haben, dass ihr nichts geblieben war.

Jemand hämmerte an die Tür und riss ihn aus seinen Gedanken. Mog hatte einen Zettel mit der Aufschrift Bis auf Weiteres geschlossen aufgehängt, doch wie Jimmy feststellen musste, bedeutete ihm die junge Frau, die draußen stand, trotzdem, ihr zu öffnen.

Leicht verärgert schloss Jimmy die Tür auf. Die Frau war jung und sehr elegant und trug einen schicken grünen Hut mit Feder, der sicher von Belle stammte. »Tut mir leid, aber der Laden ist geschlossen«, sagte er und zeigte auf den Zettel.

»Ich weiß. Ich kann lesen«, entgegnete die junge Frau spitz. »Doch ich war eine Weile weg. Ich wollte Belle besuchen, wir sind nämlich befreundet, verstehen Sie? Mein Name ist Miranda Forbes-Alton. Ist Belle etwas passiert? Und wer sind Sie?«

Jimmy erinnerte sich, dass der Name Miranda irgendwann zu Hause gefallen war. Mog hatte behauptet, sie habe eine eingebildete Mutter, und nach der hochnäsigen Art der Tochter zu schließen, war sie aus demselben Holz geschnitzt.

»Ich bin ihr Ehemann«, erklärte er. »Belle wurde überfallen und ausgeraubt und hat infolgedessen das Kind verloren, das sie erwartet hat.«

Zu seiner Bestürzung füllten sich die Augen der Frau mit Tränen. »O, mein Gott, nein!«, rief sie und betupfte ihre Augenwinkel mit einem spitzengesäumten Taschentuch. »Arme, arme Belle, wie furchtbar für sie! Sie hat sich so auf ihr Kind gefreut! Wenn ich es bloß eher erfahren hätte! Kann ich vielleicht irgendetwas für sie tun? Ich könnte mich um den Laden kümmern, falls das eine Hilfe wäre.«

Jimmy hatte die schroffe Art und Weise, in der sie sich erkundigt hatte, wer er war, ganz und gar nicht gefallen, aber ihre aufrichtige Sorge um Belle machte sie ihm etwas sympathischer. »Sehr freundlich von Ihnen«, sagte er. »Doch wir haben beschlossen, das Geschäft eine Weile geschlossen zu lassen. Wie Sie sich sicher denken können, ist Belle sehr angegriffen und niedergeschlagen.«

»Ja, natürlich. Tut mir leid, dass ich vorhin so kurz angebunden war, Mr. Reilly. Ich hatte nicht erwartet, dass Sie es sind, weil ich Sie in Frankreich wähnte. Erzählen Sie mir bitte von dem Überfall! Um welche Tageszeit ist es passiert?«

Jimmy berichtete ausführlich, was vorgefallen war, und erwähnte auch, wie knapp Belle daran gewesen war zu verbluten. Er verschwieg nicht, dass Dr. Towle seine Beziehungen hatte spielen lassen, um ihn, Jimmy, nach Hause zu holen. Miranda hörte ihm entsetzt zu.

»Aber Sie müssen zurück zur Armee, nicht wahr?«, fragte sie. »Kann ich irgendwie helfen, wenn es so weit ist? Ich mag Belle wirklich sehr, und wenn Sie wieder fort sind, wird sie noch unglücklicher sein.«

Jimmy erkannte, dass die Frau es ehrlich meinte, und ihm selbst würde wesentlich wohler sein, wenn er wüsste, dass Belle eine gute Freundin hatte, mit der sie reden konnte. »Ich muss morgen zurück«, berichtete er. »Belle freut sich bestimmt, wenn Sie sie morgen Nachmittag besuchen kommen. Vielleicht können Sie sie ein bisschen aufmuntern.«

»Versuchen werde ich es«, versprach sie. »Richten Sie ihr bitte aus, dass ich an sie denke, und erklären Sie ihr, dass ich von dem Überfall erst von Ihnen erfahren habe!«

»Natürlich, Miss Forbes-Alton. Sie freut sich über Ihre Anteilnahme sicher genauso wie ich. Wir haben im Railway Inn eine Seitentür; Sie müssen also nicht durch den Schankraum gehen.«

»Ich werde gegen zwei Uhr kommen«, sagte sie. »Und passen Sie in Frankreich gut auf sich auf! Belle braucht Sie in einem Stück zurück.«

Jimmy lächelte sie an. Jetzt verstand er, warum Belle diese junge Frau gernhatte. Sie wirkte zunächst ein bisschen überheblich, doch sie gewann bei näherem Kennenlernen.

Am selben Abend um sechs Uhr versuchte Jimmy, Belle zu überreden, ein bisschen mehr zu essen. »Komm, noch einen Bissen!«, sagte er und hielt ihr auf der Gabel ein kleines Stück Fischpastete hin.

Sie seufzte, öffnete gehorsam den Mund und ließ sich von ihm füttern. Mog bereitete die beste Fischpastete der Welt zu, und normalerweise hätte Belle sie gierig verschlungen, doch sie hatte keinen Appetit und schon nach ein, zwei Bissen aufgegeben. Aber schon morgen musste Jimmy nach Frankreich zurückfahren, und sie wusste, dass er sich weniger Sorgen machen würde, wenn er das Gefühl hatte, dass sie wieder ordentlich aß.

Ihn hier zu Hause zu haben hatte ihr sehr geholfen. Zu Schwester Smethwicks großem Ärger hatte er den Großteil der letzten beiden Tage bei Belle auf dem Bett verbracht, mit ihr geredet und ihr aus der Zeitung vorgelesen. Sie würde ihn so sehr vermissen!

Am Vorabend hatte Dr. Towle Mrs. Smethwick mitgeteilt, dass ihre Dienste nicht länger benötigt würden. Belle und Mog waren beide erleichtert, die despotische Krankenschwester endlich los zu sein.

»Siehst du, du warst einfach nur faul«, sagte Jimmy triumphierend und schob Belle noch einen Bissen in den Mund. »Wenn du nicht brav isst, bitte ich Mog, die alte Smethwick zurückzuholen.«

»Jetzt habe ich aber wirklich genug.« Belle schob den Teller weg. »Ich verbrauche nicht genug Energie, um Hunger zu haben. Mein Appetit kommt bestimmt wieder, wenn ich aufstehen darf.«

»Aber das wird frühestens in einer Woche passieren«, erklärte Jimmy fest und schob den Teller zu ihr zurück. »Und dann nur ein, zwei Stunden für den Anfang.«

»Du wirst es nicht wissen«, neckte sie ihn.

»Ich wette, ich weiß es doch. Ich fühle mich mit dir verbunden, auch wenn wir nicht zusammen sind. An dem Tag, als du überfallen worden bist, hatte ich ganz seltsame dunkle Vorahnungen.«

»Dann muss ich mich wohl gut vorsehen«, erwiderte sie verschmitzt. »Und jetzt gib mir meinen Skizzenblock, damit ich diesen Kerl zeichnen kann!«

Jimmy lehnte sich an die Kissen, während Belle eine Zeichnung anfertigte. Es versetzte ihn immer wieder in Erstaunen, dass jemand bloß mit einem Bleistift ein erkennbares Bild wiedergeben konnte. Er selbst malte wie ein Kind – Hunde, die wie Würstchen auf Stöcken aussahen, und Blumen, die samt und sonders Gänseblümchen wurden.

Es bedrückte ihn, dass Belle so blass und elend aussah. Ihr Haar brauchte eine Wäsche; er hatte es noch nie so glanzlos und strähnig gesehen. Er wusste, wie viel Mühe sie sich gab, um ihn davon zu überzeugen, dass sie sich auf dem Weg der Besserung befand, und körperlich war sie das auch. Aber sosehr sie auch versuchte, zu lachen und mit ihm zu scherzen, spürte er dennoch, wie verzweifelt sie über den Verlust ihres Babys war. Jimmy wünschte inständig, ihren Schmerz irgendwie lindern zu können.

Als er nach Hause gekommen war und ihr erzählt hatte, dass Miranda am nächsten Tag vorbeischauen würde, hatte Belle sich sehr gefreut. »Ich bin froh, dass du sie kennengelernt hast«, sagte sie. »Im ersten Moment wirkt sie steif und zugeknöpft, doch das liegt nur an ihrer Erziehung. Wenn man sie erst einmal besser kennt, ist sie kein bisschen anders als wir.«

Als er jetzt Belle beim Zeichnen zuschaute und über ihre eher ungewöhnliche Freundschaft mit einer jungen Frau wie Miranda nachdachte, fragte er sich, ob Belles Vater vielleicht ein Gentleman gewesen war. Schon mit fünfzehn hatte sie das Auftreten und die Umgangsformen besessen, die die Oberschicht auszeichneten. Man brauchte sich doch nur Vollblüter anzuschauen, um zu wissen, dass Abstammung zählte. Mog hatte Belle großgezogen und ihr gute Manieren beigebracht, doch Belles schwarzes lockiges Haar und ihre schönen blauen Augen mussten ein Erbe ihres Vaters sein. Vermutlich hatte sie von ihm auch ihre Haltung und ihren Charme.

Falls Annie überhaupt wusste, wer der Vater war – und in ihrem Gewerbe schien das wenig wahrscheinlich –, würde sie es Belle wohl nie erzählen. Mog wusste es nicht. Als sie Annie einmal nach dem Vater gefragt hatte, hatte sie als Antwort bekommen, dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern solle.

Annie war in einem Dorf aufgewachsen, ihr Vater war Zimmermann gewesen. Sie mochte sich zwar gute Umgangsformen angeeignet haben, sich elegant kleiden und wie eine Dame wirken, doch niemand würde auf die Idee kommen, dass sie der Oberschicht entstammte.

»So, besser kann ich es nicht«, verkündete Belle und riss Jimmy abrupt aus seinen Überlegungen.

Er nahm ihr den Skizzenblock ab und betrachtete das Bild, doch anstelle des brutalen Schurken, den er sich vorgestellt hatte, hatte sie ein ganz gewöhnliches Gesicht gezeichnet, das ohne Weiteres einem Bankbeamten oder Gepäckträger gehören könnte.

»Hast du etwas anderes erwartet?«, fragte Belle. »Tut mir leid, ich hätte ihm gern eine hässliche Narbe oder eine Augenklappe verpasst, aber er sah einfach ganz durchschnittlich aus. Er war untersetzt, fast völlig kahlköpfig, ungefähr eins achtundsiebzig groß. Seine Stimme war rau, und erst als er näher kam, fielen mir sein schmutziger Kragen, die Bartstoppeln und der muffige Geruch auf, der von ihm ausging. Da habe ich es dann auch mit der Angst bekommen.«

»Ich sollte aus meiner Zeit in Seven Dials wissen, dass schlechte Menschen keine besonderen Merkmale haben«, meinte Jimmy nachdenklich. »Du kannst wirklich gut zeichnen, Belle. Vielleicht solltest du daraus etwas machen, ernsthaft, meine ich.«

»Statt des Hutsalons?«, fragte sie, und er sah in ihren Augen den eigensinnigen Ausdruck, den er so gut kannte.

»Nicht unbedingt«, erwiderte er vorsichtig. »Hör mal, ich bin genau wie Onkel Garth der Meinung, dass es für dich nicht mehr sicher ist, allein dort zu arbeiten. Der Laden ist zu nahe bei der Heide, und es ist für jeden Ganoven, der auf schnelles Geld aus ist, ganz leicht, dich auszurauben und unerkannt zu entkommen. Aber wenn du eine Hilfskraft einstellst, wäre es nicht so riskant.«

»Eine Angestellte zu bezahlen, würde den Gewinn deutlich reduzieren«, sagte sie.

»Am Anfang schon. Doch wenn du die richtige nimmst, sagen wir mal, deine Freundin Miranda, hättest du mehr Zeit, um Hüte anzufertigen. Du könntest deine besonderen Entwürfe für deinen Laden behalten und schlichtere Modelle an andere Geschäfte verkaufen, Geschäfte in Lewisham zum Beispiel oder in Greenwich.«

»Willst du damit sagen, dass ich das Geschäft behalten soll?«

Jimmy lächelte, als ihm auffiel, wie ihre Augen plötzlich aufleuchteten. »Ich bin dein Ehemann, nicht dein Wärter«, erwiderte er. »Ich weiß, dass für die meisten Männer die beiden Begriffe keinen Unterschied machen, doch schließlich bin ich bei einer Mutter aufgewachsen, die ihr eigenes Geschäft besaß und keinen Mann hatte, der sie bevormunden konnte. Sie hat gesagt, dass in Wirklichkeit die Frauen das stärkere Geschlecht sind. Ich brauche nur dich und Mog anzuschauen, um zu wissen, dass sie recht hatte.«

Belle nahm seine Hand, zog sie an ihren Mund und küsste sie.

»Aber du gehst erst wieder in den Laden, wenn Dr. Towle findet, dass du dich vollständig erholt hast«, ermahnte er sie. »Und wenn du eine Mitarbeiterin hast.«

Belle sah ihn einen Moment lang schweigend an. Eine Träne lief ihr über die Wange.

»Was gibt es denn da zu weinen?«, fragte er.

»Du bist der Grund«, sagte sie. »Weil du immer so verständnisvoll und aufmerksam bist. Ich habe solches Glück, dass ich dich habe.«

Jimmy beugte sich zu ihr vor und küsste sie. »Tja, dann können wir nur hoffen, dass Onkel Garth sich nicht plötzlich entschließt, den Herrn und Meister zu spielen, denn ich denke, es ist an der Zeit, dass ich ihm von unseren Plänen erzähle. Die Zeichnung nehme ich gleich mit, damit er sie morgen zur Polizei bringen kann.«

Es war noch dunkel, als am nächsten Morgen der Wecker klingelte. Jimmy stellte ihn ab und richtete sich auf.

»Noch einmal kuscheln!«, murmelte Belle schlaftrunken.

Jimmy drehte sich zu ihr um und legte behutsam seine Arme um sie. Ihr warmer Körper schmiegte sich an seinen, und als er ihren Lavendelduft einatmete, wünschte er von ganzem Herzen, er müsste nicht diesen Zug erwischen. Ihr Haar an seiner Wange war seidig und glatt, ihr Körper unter dem weißen Baumwollnachthemd so weich, und er hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis er sie wieder in den Armen halten würde.

»Ich muss jetzt los«, flüsterte er. »Bleib hier und schlaf noch ein bisschen! Ich möchte nicht, dass du mit nach unten kommst. Es ist besser, hier Abschied zu nehmen.«

Er küsste sie sanft, wand sich aus ihren Armen, stieg aus dem Bett und zündete eine Kerze an, damit er genug sah, um seine Sachen zu finden.

»Zieh die neue Weste an, die Mog für dich gestrickt hat! Auf dem Schiff wird es kalt sein«, sagte sie, als er in seine Hose schlüpfte. Mog hatte seine Uniform ausgebürstet und gebügelt, und Garth hatte seine Stiefel geputzt und eingefettet, kleine Gesten, mit denen sie ihm zeigen wollten, wie lieb sie ihn hatten. Aber in diesem Moment wünschte er, dass es weniger Liebesbeweise für ihn gäbe, dass Mog nicht schon mit einem Becher Tee und einem Paket belegter Brote für unterwegs unten bereitstände, dass keine besonders warmen Socken und ein neuer Schal in seinem Tornister wären. All diese liebevolle Fürsorge machte ihm den Abschied noch schwerer.

Schließlich schnürte er seine Stiefel und trat ans Bett, um Belle ein letztes Mal zu küssen. Er hätte ihr gern gesagt, dass sie für den Fall, dass er nicht zurückkam, immer daran denken sollte, dass ihre Liebe ihn zum glücklichsten Mann der Welt gemacht hatte. Doch er wollte ihr nicht den Gedanken in den Kopf setzen, dass er fallen könnte. Auch er selbst sollte diese Möglichkeit außen vor lassen; er durfte nur an die gemeinsame Zukunft denken, die vor ihnen lag, wenn der Krieg vorbei war.

»Ich liebe dich«, raunte er ihr zu und deckte sie gut zu.

Er gönnte sich einen letzten langen Blick, ein Bild, an dem er festhalten konnte, egal, wie schlimm es in Frankreich werden würde: die dichte Fülle dunkler Locken auf dem Kissen, die blauen Augen, in denen Tränen standen, und ihr voller, weicher, bebender Mund.

»Pass gut auf dich auf und schreib mir jeden Tag!«, bat er leise, bevor er die Kerze ausblies und sich zum Gehen wandte.

Auf dem Treppenabsatz musste er stehen bleiben, um sich wieder zu sammeln. In diesem Haus durfte er ausschließlich ein Ehemann sein, aber sowie er zur Tür hinaustrat, musste er wieder ein Soldat sein und alle Angst und Sentimentalität abstreifen.

Als Belle wenig später Jimmys schwere Stiefel auf dem Straßenpflaster hörte, musste sie weinen. Bald darauf fuhr der Zug im Bahnhof ein, und kurz darauf vernahm sie das Rattern und Schnaufen der Lok, als er wieder abfuhr und Jimmy mitnahm.

Mog kam nach oben und spähte wie erwartet ins Schlafzimmer, aber Belle gab vor zu schlafen, weil sie wusste, dass Mitleid alles noch verschlimmern würde. Den ganzen Vormittag über musste sie immer wieder weinen. Nun, da sie das Baby verloren hatte und Jimmy wieder fort war und vielleicht nie wiederkommen würde, fühlte sie sich hoffnungslos verloren.

Dass Mog sie schalt, weil sie weder zum Frühstück noch zu Mittag etwas essen wollte, machte es nicht besser.

»Ich verstehe durchaus, wie traurig du bist, weil Jimmy wieder wegmusste«, sagte sie scharf. »Aber nichts essen bringt ihn auch nicht zurück, sondern verhindert nur, dass du wieder zu Kräften kommst. Ich habe Besseres zu tun, als ständig Essen nach oben zu schleppen, das du nicht einmal anrührst.«

Als Belle gegen zwei Uhr nachmittags Schritte auf dem Treppenabsatz hörte, glaubte sie, es wäre Mog, um ihr erneut eine Strafpredigt zu halten. Sie vergrub das Gesicht im Kissen und wollte sich wieder schlafend stellen, doch dann wurde die Tür geöffnet, und Miranda rief:

»Oh, meine arme Belle!«

Belle setzte sich auf. Sie hatte ganz vergessen, dass Miranda kommen wollte. Wenn sie daran gedacht hätte, hätte sie Mog bitten können, sie abzuwimmeln. Aber nun war sie da, mit einem großen Strauß Treibhausblumen in den Armen, und Belle brachte es nicht übers Herz, sie kurz abzufertigen.

»Wie nett von Ihnen, mich besuchen zu kommen!«, sagte sie matt. Ihr war bewusst, dass Mog direkt hinter Miranda stand, bereit, irgendeine Ausrede vorzubringen, falls Belle keine aufrichtige Freude zeigte.

»Ich war ganz entsetzt, als Mr. Reilly mir von dem Überfall erzählte, und es tut mir schrecklich leid, dass Sie Ihr Baby verloren haben«, sagte Miranda. »Ich war unten in Sussex, deshalb wusste ich nichts davon. Ich wünschte, ich könnte irgendwie dafür sorgen, dass es Ihnen besser geht.«

»Allein Sie zu sehen hilft mir schon«, erwiderte Belle. »Kommen Sie doch herein und nehmen Sie Platz! Sind diese wunderschönen Blumen für mich?«

Mog, die unverkennbar erleichtert war, dass Belle nicht vorhatte, unhöflich zu sein, lächelte. »Wie wär’s mit Tee?«, schlug sie vor. »Und ich könnte auch die Blumen ins Wasser stellen.«

Miranda nickte und bedankte sich, dann zog sie sich einen Stuhl ans Bett. Mog nahm ihr die Blumen ab und verließ das Zimmer.

»Sie haben geweint«, stellte Miranda fest, als die Tür ins Schloss fiel. »Aber das ist ja kein Wunder, vor allem, wenn man bedenkt, dass Ihr Mann nach Frankreich zurückmusste. Sie fühlen sich bestimmt so, als hätte man Ihnen alles genommen, nicht wahr?«

»Ja, so ungefähr«, seufzte Belle. »Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn ich Jimmy auch noch verliere. Er wird bald an die Front kommen, und auch wenn er inzwischen vielleicht das Schießen gelernt hat, wage ich zu bezweifeln, dass man einem Soldaten beibringen kann, feindlichen Kugeln auszuweichen.«

»Auf mich hat er einen sehr vernünftigen und intelligenten Eindruck gemacht«, erwiderte Miranda. »Und er hat sehr viel, für das es sich zurückzukehren lohnt. Ein Onkel von mir ist Brigadegeneral, und er hat einmal zu mir gesagt, dass Soldaten, die nichts zu verlieren haben, eine Belastung sein können. Sie sind oft sehr tapfer, aber auch tollkühn. Diejenigen, die etwas zu verlieren haben wie Ihr Jimmy, gehen keine Risiken ein, die sie selbst oder ihre Kameraden in Gefahr bringen könnten, und sie sind eindeutig am besten zu befehligen.«

»Wie tröstlich!« Belle lächelte schwach. »Ziehen Sie mich bitte aus diesem Sumpf des Selbstmitleids heraus, ja? Erzählen Sie mir, was Sie gemacht haben!«

Miranda warf mit einer Geste, die zu besagen schien, dass sie eine ganze Menge zu berichten hatte, ihren eleganten Seidenschal zurück. »Na ja, so seltsam es klingen mag, ich habe in Sussex in einem kleinen Krankenhaus ausgeholfen«, sagte sie. »Die meisten Patienten waren verwundete Offiziere, und weil ich Auto fahren kann, musste ich diejenigen, die transportfähig waren, in ein Sanatorium oder zu ihren Familien fahren. Doch irgendwann war damit Schluss, weil sich irgendwer darüber beschwert hat, dass eine Frau Männerarbeit verrichtet.«

»Das ist ja lachhaft!«, rief Belle. »Die meisten Männer, die Auto fahren können, sind doch bestimmt bei der Armee, oder?«

»Anscheinend nicht«, antwortete Miranda düster. »Ich habe das natürlich ehrenamtlich gemacht, und ehrlich gesagt, ich fand es blödsinnig, dass meine Hilfe abgelehnt wurde. Man hat mir vorgeschlagen, beim VAD, dem Voluntary Aid Detachment, einzutreten und Kranke und Verwundete zu pflegen, wenn ich mich irgendwie nützlich machen will. Doch ich lehne mich gegen den Gedanken auf, dass Frauen nur dazu gut sein sollen, Leute zu waschen und zu verbinden. Wie Sie sich sicher denken können, ist meine liebe Mama der Meinung, dass eine wohlerzogene junge Dame nicht einmal das tun sollte.«

Miranda erzählte Belle, wie sie bei einer ihrer Fahrten in die Klemme geraten war. Sie war im Dunkeln auf einer Landstraße falsch abgebogen und mitten in einem Wald im Schlamm stecken geblieben, und das mit einem Patienten, der nicht gehen konnte.

»Es war beängstigend«, gestand sie. »Ich musste ihn im Wagen lassen und den nächsten Bauernhof suchen, um Hilfe zu holen. Es goss in Strömen, und meine Schuhe und mein Mantel waren im Handumdrehen ruiniert. Als ich endlich einen Bauern aufgetrieben hatte, der bereit war, meinen Wagen mit seinem Pferdegespann aus dem Schlamm zu ziehen, begrüßte mich dieser elende Patient mit einem Mordsdonnerwetter, weil ich mich nicht vergewissert hatte, ob er Streichhölzer hatte, um sich seine Zigaretten anzuzünden, bevor ich mich auf den Weg gemacht hatte. Ich bitte Sie! Da saß er schön warm und trocken und beschwerte sich, dass er nicht hatte rauchen können, während ich ungefähr acht Kilometer zu Fuß gegangen war und wie eine ertrunkene Ratte aussah!«

Belle bog sich vor Lachen. Miranda wirkte auf den ersten Blick ein bisschen kaltschnäuzig, und wahrscheinlich hatte der Patient befürchtet, dass sie schnurstracks ins erste Hotel gehen, sich ein Bett für die Nacht sichern und ihn darüber vergessen würde. »Und was kommt als Nächstes?«, fragte sie. »Tee an Soldaten verteilen, die auf Truppentransportzüge warten?«

»Man hat mich tatsächlich gebeten, an einem Teestand zu arbeiten«, erwiderte Miranda. »Doch das wäre die Hölle. Ich würde den ganzen Tag in der Gesellschaft von Frauen wie meiner Mutter sein. Weiß nicht, ob ich das lange durchhalten könnte.«

»Sie könnten mir in meinem Laden helfen, wenn es mir wieder besser geht«, schlug Belle impulsiv vor. »Jimmy meint, ich könnte ihn ruhig eröffnen, solange noch jemand anders bei mir ist. Der Vorschlag, dass Sie mir vielleicht helfen könnten, stammt übrigens von ihm. Ich würde Sie dafür natürlich bezahlen, und Sie wären einfach ideal. Schauen Sie sich nur an – der wandelnde Inbegriff von Mode!«

Miranda trug ein silbergraues Kostüm mit einem langen, schmalen Rock, und um den Kragen der eng anliegenden Jacke hatte sie einen seidenen Fransenschal in Schattierungen von Blau und Silber mit einem Hauch Rosa geschlungen. Ihr schlichter grauer Hut war mit einem Band aus demselben Stoff wie ihr Schal verziert.

»Das ist nicht Ihr Ernst, oder?«, fragte sie überrascht.

»Doch, natürlich«, antwortete Belle. »Ich brauche eine Angestellte, und es ist viel sinnvoller, jemanden einzustellen, der ein Gespür für Stil und Schick hat, als irgendein unbeholfenes Ladenmädchen, das bisher Käse abgewogen hat.«

Miranda lachte. »Oh, Belle, ich wäre in meinem Element, weil ich Hüte liebe! Aber weiß der Himmel, was Mama dazu sagen wird!«

»Vielleicht könnten Sie ihr erzählen, dass Sie mir nur aushelfen wollen? Es eher als Akt der Barmherzigkeit darstellen, nicht als bezahlte Arbeit?«

Jetzt brachen beide Mädchen in Gelächter aus, Belle, weil sie sich ausmalte, wie sich die Furcht einflößende Mrs. Forbes-Alton vor Empörung aufplusterte, während sie ihre Ansichten über gewöhnliche Ladenmädchen zum Besten gab, als wären sie so etwas wie Ungeziefer.

»Sie wird sagen: ›Das kann nicht dein Ernst sein, Miranda! Man wird dich für eine Suffragette halten!‹«, bemerkte Miranda, wobei sie die Stimme ihrer Mutter nachahmte. »Für sie ist alles, was auch nur im Geringsten von der Norm abweicht, ein Anzeichen für Feminismus.«

»Mog hat große Sympathien für die Suffragetten«, erwiderte Belle. »Ich auch. Warum sollten Frauen nicht wählen dürfen?«

»Ehrlich gesagt, ich bin derselben Meinung«, gab Miranda zu. »Wenn Frauen an der Macht wären, gäbe es keine Kriege. Wir haben mit unserer Zeit Besseres zu tun, als Schützengräben auszuheben und auf Leute zu schießen.«

»Und was würden Sie mit Ihrer Zeit anfangen, wenn Sie tun und lassen könnten, was Sie wollen?«, fragte Belle.

»Ich hätte nichts gegen einen Nachmittag mit einem tollen Liebhaber einzuwenden«, antwortete Miranda.

Ihre unerwartet kecke Antwort versetzte Belle sofort in die Zeit in New Orleans zurück und erinnerte sie an die trägen Tage in Marthas Freudenhaus. Die Mädchen dort waren offen und warmherzig gewesen, und Belle fehlte es, unbeschwert mit anderen jungen Frauen zu plaudern und herumzualbern. Miranda war nicht so deutlich geworden, wie es die Mädchen bei Martha gewesen wären, doch die Tatsache, dass sie so etwas ganz unbefangen aussprach, bewies, dass sie Belle als Freundin betrachtete.

Miranda hielt sich eine Hand vor den Mund. »Wie taktlos von mir nach allem, was Sie durchgemacht haben!«, murmelte sie und errötete über und über.

»Ganz und gar nicht«, lachte Belle. »Sie haben mich mehr aufgemuntert, als Sie ahnen.«

»Wirklich?«

»Ja, wirklich. Es ist schön, dass Sie nicht das Gefühl haben, in meiner Gegenwart jedes Wort auf die Goldwaage legen zu müssen.«

Die beiden lachten immer noch, als Mog auf einem Tablett die Blumen in einer Vase und Tee und Kuchen hereintrug. »Ich konnte euch unten lachen hören. Darf ich auch hören, was so lustig war?«

»Ach, nur eine dumme Bemerkung über eine von Belles Kundinnen«, flunkerte Miranda. »Es hat uns beide zum Lachen gebracht.«

»Nun, es hat gutgetan, das zu hören«, erwiderte Mog. Sie stellte das Tablett auf den Frisiertisch und die Blumen auf die Kommode. »Das Einschenken überlasse ich Ihnen, Miss Forbes-Alton«, sagte sie und ließ die beiden wieder allein.

Belle schüttete sich förmlich aus vor Lachen. »Miranda, Sie können genauso gut schwindeln wie ich«, stellte sie fest.

»Das habe ich gelernt, um Mama bei Laune zu halten«, gab sie zurück. »Sie würde glatt platzen, wenn sie hören könnte, dass ich mir einen Nachmittag mit einem Liebhaber wünsche.«

Auf einmal erkannte Belle, warum Miranda bei Frank so rückhaltlos gewesen war. Als sie ihn kennengelernt hatte, mochte sie noch etwas naiv gewesen sein, doch sie war nicht das zarte, kleine Pflänzchen, für das Belle sie anfänglich gehalten hatte. Im Grunde ihres Herzens war sie eine Abenteurernatur, und es lag nur an ihrem Mangel an Erfahrung mit heißblütigen Männern, dass sie ihrem Verführer in die Falle gegangen war. Anscheinend hatten sie und Belle noch mehr gemeinsam, als sie gedacht hatte.

Miranda blieb bis kurz vor fünf bei ihr. Sie redeten über dies und das, und die Zeit verging wie im Flug. Erst als Miranda auf die Uhr sah und feststellte, dass sie nach Hause müsse, wurde sie wieder ernst.

»Ich habe Sie noch gar nicht gefragt, wie Sie mit dem Verlust Ihres Babys fertigwerden«, sagte sie und beugte sich vor, um Belles Wange zu streicheln. »Glauben Sie bitte nicht, dass es mich nicht interessiert, denn ich fühle aufrichtig mit Ihnen. Aber nach allem, was wir miteinander durchgemacht haben, hatte ich das Gefühl, nicht das Recht zu haben, Sie danach zu fragen. Wahrscheinlich glauben Sie ja, dass mir der Verlust meines Babys nichts ausmacht.«

Ihre Ehrlichkeit rührte Belle. »Ich weiß genau, was Sie meinen, Miranda. Aus demselben Grund habe ich Ihnen in jener Nacht nicht erzählt, dass ich ein Kind erwarte. Wir haben beide unsere Babys verloren, doch ob nun absichtlich oder durch einen Unfall, der Schmerz in unserem Inneren ist derselbe. Ich finde es sehr tapfer, dass Sie mich besuchen gekommen sind; Sie mussten doch befürchten, dass ich Sie jetzt ablehnen würde. Aber Sie haben mir geholfen und mir die Hoffnung gegeben, dass ich im Lauf der Zeit darüber hinwegkommen werde. Das ist viel mehr wert als Worte des Mitgefühls.«

Miranda wischte sich hastig eine Träne aus dem Auge. »Darf ich wiederkommen? Mir ist klar, dass Sie sich schonen müssen, um wieder zu Kräften zu kommen, doch wie wäre es mit übermorgen?«

»Das wäre schön«, sagte Belle. »Und das mit der Arbeit in meinem Laden war ernst gemeint. Überlegen Sie sich also lieber schon mal, wie Sie es Ihrer Mutter beibringen wollen!«

Darüber mussten beide wieder lachen, und Belle lächelte immer noch, als Miranda das Zimmer verließ und die Treppe hinunterging.