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The Menagerie [1]

Das Parkhaus des Hotels war sieben Etagen hoch. Sechs lagen über der Erde, eine darunter. In der riesigen unterirdischen Halle standen Tourneebusse, luxuriöse Reisebusse und auch sonst alles, was mehr Raum und Sicherheit brauchte als ein Pkw. Nachts ließ man vor dem einzigen Eingang dieses Bereichs ein riesiges Metalltor herab.

Jim stand am K-7 und erwartete die Ankunft seiner Schwester.

In seinem Walkie-Talkie knisterte eine Stimme.

»Da kommen sie«, meldete Oscar. »Leck mich am Arsch! Das glaubst du nicht!«

»Was glaub ich nicht?«, erwiderte Jim.

Er hatte die Frage kaum ausgesprochen als die Karre mit seiner Schwester um die Ecke bog. Es war ein gewaltiges Wohnmobil jener Art, wie Rockstars es nutzten, wenn sie durchs Land zogen, oder Rentner, die unterwegs zum Yellowstone Park waren. Es war in glänzendem Blaumetallic lackiert. Aus der Motorhaube ragte etwas hervor, das einer Satellitenschüssel ähnelte. Am gesamten Dach liefen zu beiden Seiten dicke Metallrohre entlang; vorn befanden sich flackernde rote Lichter.

Jim wusste genau, was er da sah: den äußerst kostenträchtigen, höchst aufwendigen, doch erbärmlichen Versuch, ein Wohnmobil in die USS Enterprise zu verwandeln.

»Houston, wir haben … es mit Irren zu tun«, murmelte er niedergeschlagen.

Der Bus blieb mit zischenden Bremsen stehen. Die Seitentür ging auf. Rayna sprang heraus. Sie legte die drei sie trennenden Meter mit drei aufgeregten Schritten zurück und umarmte ihn. Jim drückte sie an sich und hob ihre schlanke Gestalt vom Boden hoch.

»Du hast dich verändert«, sagte Rayna als sie sein Gesicht sah. »Du siehst ernster aus.«

»Du hast ja keine Ahnung«, erwiderte Jim. »Aber du hast dich auch verändert.«

»Wirklich? Wie denn?«

»Du bist blau. Und auf deinem Kopf wachsen Fühler.«

»Ich bin doch ’ne Andorianerin«, sagte Rayna. »Wir sind ein kriegerisches Volk und leben auf einem Mond der Klasse M. Du kannst mich mit meinem korrekten Namen ansprechen: Lieutenant Thellina.«

»Lieutenant?«

»Ja, bei uns zu Hause sprechen wir auch Englisch.«

»Wie ich sehe, hast du auch einen an der Waffel.«

»Du solltest mir gratulieren«, sagte Rayna. »Ich bin gerade zum Steuermann der USS Stockard befördert worden.«

»Was ist das?«

Rayna deutete auf den Bus.

»Verstehe«, sagte Jim. »Wer hat dich befördert?«

Die Tür der Stockard schwang erneut auf. Ein Mann von Mitte zwanzig trat ins Freie. Er trug einen goldenen Overall mit einer dazu passenden Jacke. Außerdem eine Pilotenbrille, eine sehr große, wie Tom Cruise seinerzeit in Top Gun.

»He, Lieutenant Feger«, rief er. »Wohin sind Sie denn verduftet?«

Jim schaute zu, als Mr. Sonnenbrille den linken Arm um den Hals seiner Schwester schlang. Es sah weniger nach einer Umarmung als nach einem Schwitzkasten aus. Er fragte sich kurz, ob der Jüngling ihr gleich eine Kopfnuss geben würde.

»Verbieg meine Fühler nicht«, bat Rayna.

Jim spürte, dass sich seine Nackenpartie und seine Schultern versteiften. Er war diesem Typen gerade erst begegnet, und schon hasste er ihn wie die Pest.

»Matt, das ist mein Bruder Jim«, sagte Rayna.

»Matthew Stockard«, sagte der Typ. »Oder für die Dauer dieser Soiree: Commodore Stockard. Kommandant der USS Stockard.«

»Matt hat mir gezeigt, wie man das Ding fährt«, flötete Rayna.

»Anfangs hab ich bezweifelt, dass sie mit so ’nem riesigen Otto umgehen kann«, sagte Matt. »Aber sie ist ein Naturtalent. Mit Begeisterung bei der Sache.«

Jim kam in den Sinn, dass er kein Problem damit haben würde, Commodore Arschloch ungespitzt in den Garagenboden zu rammen. Die Möglichkeiten dazu hatte er, und das Motiv hatte Matt ihm auch gerade geliefert.

Rayna spürte seine miese Laune. »Matt will damit sagen, dass ich den größten Teil der Strecke gefahren bin«, sagte sie besänftigend. »So schwierig ist es nun auch nicht.«

»Das glaube ich auch«, sagte Jim. »Was machst du denn so beruflich, Matt?«

»Du musst Commodore sagen.«

»Von mir aus. Welchem Beruf gehst du gerade nach?«

Rayna runzelte die Stirn. »Während so ’ner Veranstaltung zeugt es nicht von einer guten Kinderstube, die Leute zu zwingen, über ihr weltliches Leben zu plaudern, Jim«, sagte sie. »Wenn sie freiwillig etwas über sich preisgeben wollen, schön. Aber sonst …«

»Ich bin Softwareentwickler bei Racker Entertainment«, sagte Matt. »Hab an ’n paar Spielen mitgearbeitet, die du vielleicht kennst. Kennste SuperMaul?«

Tatsächlich. Jim kannte es. Er hatte es sogar schon mehrmals gespielt. Es ging um ein postapokalyptisches Einkaufszentrum, das vor Mutanten wimmelte. Man musste von einem Lädchen zum anderen gehen, Dinge einkaufen und mit einer Wumme alle Bösen umnieten. Es war nicht unbedingt ein Spiel für Doofe. Leute umzunieten, während man ein Einkaufswägelchen vor sich her schob, erforderte eine Menge Konzentration.

»Tut mir leid«, log Jim. »Das sagt mir nichts.«

Auf Matts Miene breitete sich Enttäuschung aus.

»Dein Pech«, sagte er. »Letztes Jahr wurde es nämlich zur Nummer eins in der Kategorie Ballerspiel gewählt.«

Matt bastelte aus seinen Fingern eine Schusswaffe und richtete sie auf Jims Brustkorb.

»Ka-puff!«, sagte er. »Ka-puff! Ka-puff!«

Dann hob er die Finger an seinen Mund, blies den nur in seiner Fantasie existierenden Rauch beiseite und tat so, als würde er die Waffe in ein Holster schieben.

Jim überlegte, was er dazu sagen sollte. Seine Rettung kam, als ein weiterer Passagier Matts den Bus verließ. Sie war in Raynas Alter, schwarzhaarig und trug eine klobige rechteckige Brille. Ihre Uniform bestand aus einem Büstenhalter und einem Minirock. Dazu war sie mit spitzen künstlichen Ohren und einem Dolch bekleidet, der in einer Scheide an ihrer rechten Hüfte hing.

»Das ist meine Freundin T’Poc, Jim«, sagte Rayna. »T’Poc, das ist Jim.«

»Hey«, sagte T’Poc.

Jim heyte zurück.

»T’Poc ist ein vulkanischer Offizier auf der USS Enterprise, die in einem Spiegeluniversum existiert und von einem barbarischen terranischen Imperium beherrscht wird«, sagte Rayna. »Du weißt schon, das Universum, in dem die Guten die Bösen und die Bösen die Guten sind. Und in dem Spock ein Spitzbärtchen trägt.«

»Yeah«, sagte Matt. »Mach sie blau, dann zeigt sie dir auch ihr Spitzbärtchen.«

»Wenn er Glück hat.« T’Poc grinste.

»Das klingt ja … toll«, sagte Jim fahrig. »Was machst du im wirklichen Le…?«

Rayna warf ihm einen Blick zu.

»Ich meine, was machst du an Bord der absolut bösen Spiegel-Enterprise?«

»Ich bin der persönliche Yeoman des kommandierenden Offiziers«, sagte T’Poc. »Ich assistiere ihm bei seinem amoralischen und selbstsüchtigen Versuch, sich an die Spitze des Kommandos zu morden. Es entspricht ungefähr dem Job meines Gegenstücks in diesem Universum.«

»Was ist das für ein Job?«

»Sie ist meine Assistentin«, sagte Matt. »Sie notiert den ganzen Kram, den ich vergesse, weil ich so beschäftigt bin.«

»Wo wir gerade beim Thema sind«, sagte T’Poc. »Du musst Gary noch aus dem Schiff holen. Er verpestet sonst noch den ganzen Laden.«

Matt seufzte, dann klopfte er an den Bus.

»Hey, Horta«, schrie er. »Schieb deinen pickligen Arsch hier raus! Aber ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf! Bevor Racker Entertainment beschließt, dich zu ersetzen!«

»Komme schon!«, rief eine Stimme im Bus.

Die Tür ging erneut auf, und ein sehr übergewichtiger junger Mann trat ins Freie hinaus. Im Gegensatz zu den anderen, die von Kopf bis Fuß kostümiert waren, trug er zerfranste Jeans, verblasste gelbe Chuck-Taylor-Turnschuhe und ein fadenscheiniges Shirt mit dem Aufdruck »Ich habe einen Bird of Prey geklaut, Spock zu neuem Leben erweckt und den Planeten gerettet, und was hab ich dafür gekriegt? Nur dieses lausige T-Shirt!«

Außerdem stank er nach Verwesung und war mit abscheulich schwarzem Schleim beschmiert.

»Darf ich vorstellen?«, sagte Matt. »Gary Severin, mein Haus-Horta. Du weißt doch, was ein Horta ist?«

»Nicht die Bohne«, log Jim auch dieses Mal. Natürlich wusste er alles über die klumpigen, auf Silizium basierenden, säurespuckenden, unterirdisch lebenden Ungeheuer, die zum ersten Mal in der klassischen Trek-Episode Horta rettet ihre Kinder aufgetreten waren. Aber er spielte den Blöden, um Matt zu zwingen, sich länger als eine Minute darüber auszulassen.

»Ich nenne Gary Horta, weil auch er groß und klumpig ist«, schloss Matt für den Fall, dass der Vergleich nicht klar herüberkam.

»Außerdem leide ich an Säurerückfluss«, sagte Gary verzweifelt.

Jim runzelte die Stirn. »Bist du deswegen mit dem Schleim bedeckt?«

Matt trat zu Jim und legte einen Arm um seine Schulter. Dort ließ er ihn auch, als wären sie alte Freunde. »Gary hatte vor einigen Kilometern eine schicksalhafte Begegnung mit einer verwirrten Berufsmutti … oder so.«

»Oder so?«, fragte Jim.

»Er kann es dir erzählen. Offen gesagt, garantiere ich dir, dass er dir alles erzählt, weil er seit dem Augenblick, in dem es zu dieser Begegnung kam, keine gottverdammte Minute die Klappe gehalten hat. Aber im Moment ist das alles nicht so wichtig. Jetzt müssen wir unsere Zimmer finden und uns umziehen, weil das Klingonenfest gleich anfängt … Wann genau, T’Poc?«

»Um 19:00 Uhr im Gweagal-Saal«, sagte die Vulkanierin leidenschaftslos.

»Wir werden zehn Minuten früher dort sein«, entschied Matt. »Dann können wir uns einen Tisch aussuchen, der für uns fünf groß genug ist.«

Jim rechnete nach, dann schaute er seine Schwester an, die allem Anschein nach auf dem Garagenboden etwas gesichtet hatte, das ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. »Du hast gesagt, dass wir uns um 19:00 Uhr zum Essen treffen«, erinnerte er sie. »War das dein Plan?«

»Ich bin das ganze Wochenende ausgebucht«, sagte Rayna entschuldigend. »Aber ich möchte wirklich mit dir zusammen sein.«

»Vertrau mir; es wird dir gefallen«, sagte Matt. »Es steht eine Bat’leth-Vorführung an, außerdem gibt’s Fässer voller Blutwein, und so viel Gagh, wie du essen kannst.«

»Ich möchte euch eure Trek-Begeisterung nicht verderben«, sagte Jim. »Geht ihr eurer Gagh essen und vergnügt euch.«

»Bitte, so komm doch mit«, sagte Rayna. »Tu’s für mich …«

»Also eigentlich …«

»Hab ich schon erwähnt, dass Matt mich in den letzten drei Stunden fortwährend gehauen hat?«

»Ich werde da sein«, sagte Jim. Er zog drei Zimmerschlüsselkarten aus der Tasche und gab je eine an Matt, Rayna und T’Poc weiter. »Ihr seid alle angemeldet«, erläuterte er. »Nehmt einfach den Aufzug da drüben. Gary und ich nehmen den Frachtaufzug da hinten, dann verschreckt er die zahlenden Gäste nicht.«

»Wo ist denn hier ein Aufzug?«, fragte Matt und schaute sich um. »Ich sehe keinen.«

»Nimm die Sonnenbrille ab«, sagte T’Poc.

Matt nahm sie sehr zögerlich von der Nase.

»Ah, Ziel erkannt«, sagte er. »Bis später, Jim, Raynas Bruder. Und hier ist ein Beitrag zu deinem Schulgeld.«

Er stopfte eine Zehn-Dollar-Note in die Brusttasche von Jims Jackett.

Jim verspürte einen Anflug echten Zorns. Er wollte Matt gerade sagen, wohin er sich sein Geld schieben konnte, als sein Blick erneut auf seine Schwester fiel. Er gab sein Vorhaben auf. Stattdessen zog er Garys Matchbeutel aus dem Bus und führte den jungen Mann durch die matt erhellte Garage zu den Frachtaufzügen.

»He, Oscar«, sagte er in sein Funkgerät. »Ich hab meine Schwester und ihre Freunde gefunden. Danke, dass du mir gesagt hast, dass sie kommen.«

»Kann gerade nicht reden, Alter«, ertönte die von Rauschen erfüllte Antwort. »Da draußen sind ein paar Holzköpfe, die Ärger machen. Stehen auf der Straße. Treten gegen Autos. Ich schätze, es sind besoffene Studenten.«

»Brauchst du Hilfe?«, fragte Jim.

»Vergnüg dich mit deiner Schwester«, erwiderte Oscar. »Ich hab die Lage unter Kontrolle.«

Jim schaltete das Funkgerät aus und wandte sich Gary zu. »Nicht, dass du mich falsch verstehst«, sagte er, »aber ist dein Kumpel Matt wirklich so ein Arschloch, wie es den Anschein hat?«

»Ach, das war noch gar nichts«, sagte Gary. »Wenn er sich erstmal auf dem Klingonenfest niedergelassen und ein paar Gläser getrunken hat, geht sein Deppenwahn erst richtig los. Dann dreht er voll auf, bis Warp 9 ,95.«

Jim vermutete, dass dies schlecht war. Sehr schlecht.

Den Rest des Weges zum Aufzug legten die beiden schweigend zurück. Jim grübelte darüber nach, ob die Chance, dass Matt das Botany Bay nicht mehr lebend verließ, sehr hoch war. Sehr, sehr hoch.