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A Private Little War

Gegen Ende des Winters 2009 war Jim Pike in Afghanistan.

Er war ein paar Wochen zuvor mit einer Einheit des US-Heeres dort eingetroffen, einer Kampfkompanie der 3. Brigade, 10. Gebirgsdivision. Es war kalt und windig, und das gebirgige Gelände kam ihm wie ein anderer Planet vor: eine nur aus steilen Hängen und 300-Meter-Abgründen bestehende Welt.

Jim war dreiundzwanzig Jahre alt, trug einen Kampfanzug und führte eine Gruppe durch ein abgelegenes Viertel von Asadabad, der Hauptstadt der Provinz Kunar. Kunar war ein Fliegenschiss und lag dicht an der pakistanischen Grenze.

In guten Zeiten lebten in der Stadt Schmuggler, die mit illegal gefälltem Holz, Drogen und allem anderen handelten. In schlechten Zeiten – momentan waren sie äußerst schlecht – wurde sie von Guerillas aller Art bewohnt, ob sie sich nun Taliban, al-Qaida oder Mudschaheddin nannten.

Asadabad, ein Irrgarten aus engen Gassen und von Mauern umgebenen Grundstücken, in der knapp die Hälfte der dreißigtausend Einwohner starken Provinz lebten, war ihre inoffizielle Hauptstadt. Die amerikanischen Soldaten nannten sie Arschabad.

Jim beobachtete seine sechs Mann starke Gruppe. Sie war die Vorhut eines drei Züge starken Einsatzkommandos, das von Stryker-Kampffahrzeugen und Apache-Helikoptern unterstützt wurde. Sie zogen durch eine staubige, holprige Straße, hielten ständig nach Heckenschützen Ausschau und gaben sich bei jedem Vorwärtsschritt gegenseitig Deckung. Ein alter Mann, der am Rinnstein saß und seinen zerlumpten erdfarbenen Tschapan wegen der Kälte eng um sich zog, schien den Vorbeimarsch kaum wahrzunehmen.

Vor der Tür eines von Wind und Wetter mitgenommenen Hauses hielten die Männer an. Da sie bei der Einsatzbesprechung die Aufnahmen einer Drohne gesehen hatten, wussten sie ziemlich genau, dass in dem Gebäude Waffen lagerten. Die auf den Fotos deutlich sichtbaren Kisten, die sich auf dem staubigen Hof des Gebäudes stapelten, hatten die richtige Form und Größe.

Der Soldat an der Spitze überprüfte die Haustür. Sie war verschlossen.

Als Jim gerade den Befehl zum Eintreten geben wollte, sah er aus den Augenwinkeln, dass der alte Mann mit dem Tschapan aufstand und in einer Gasse verschwand. In Afghanistan war es nie ein gutes Zeichen, wenn Menschen einfach so verschwanden: Es bedeutete, dass sie wussten, dass gleich etwas passieren würde. Und dass sie nicht in der Nähe sein wollten, wenn es passierte.

»Halt«, sagte Jim.

Doch seine Soldaten schienen ihn nicht zu hören. Sie sammelten sich vor der Haustür und machten sich bereit.

»Stehen bleiben!«, rief Jim.

Niemand hörte auf ihn. Ein Soldat trat die Tür ein und drang in die Finsternis vor. Zwei andere Männer folgten ihm.

Eine Explosion ließ die Straße erbeben. Der Türrahmen des Hauses spuckte Staub und Flammen aus. Die Erschütterung schleuderte einen Soldaten zurück auf die Straße. Er fiel zu Boden und verbarg das Gesicht in den Händen.

Die beiden anderen Männer kamen nicht mehr heraus.

Jim stürzte sich in das brennende Gebäude und versuchte die verschwundenen Soldaten in der beißenden Schwärze ausfindig zu machen. Er stolperte eine Ewigkeit herum und legte seinem Empfinden zufolge zahllose Kilometer zurück. Langsam dämmerte es ihm: Er konnte sich unmöglich noch immer in dem ausgebombten Häuschen am Stadtrand von Arschabad befinden.

Dann fand er seine Soldaten wieder.

Die Vermissten waren die Gefreiten Eric Willman und Lou Jones. Beide waren neu in der Dritten. Beide waren voller Blut, ihre Kampfanzüge nur noch geschwärzte Fetzen. Doch beide waren noch auf den Beinen und standen völlig gelassen vor ihm.

»Warum habt ihr nicht auf mich gehört?«, fragte Jim.

»Konnten wir nicht«, sagte Lou. »Du warst doch nicht bei uns.«

Nun erst wurde Jim bewusst, dass die beiden tot waren. Und doch standen sie da und bedachten ihn mit Blicken, die Löcher in einen Stein hätten brennen können.

»Du trägst die Verantwortung für uns«, sagte Eric.

»Wo warst du?«, fragten beide.

Jim wollte antworten, bekam aber kein Wort heraus.

»Wo warst du?«, fragten sie noch einmal.

Auch diesmal bemühte Jim sich, etwas zu sagen.

»Wach auf«, sagte jemand.

Die Finsternis erhellte sich. Die Gesichter der toten Soldaten verblassten. Ein neues, kaum weniger beharrliches Organ ersetzte ihre Stimmen.

»Wach auf!«, schrie es. »Irgendwelche Rotzlöffel machen Probleme mit ’nem Phaser!«

Jim zuckte hoch. Die auf seinem Schoß liegende Zeitung fiel zu Boden. Er rieb sich über die Stirn und schaute sich um. Afghanistan war weg. Auch das Jahr 2009. Stattdessen saß er in einem dicken Polstersessel in der Empfangshalle des Botany Bay Hotels im Zentrum von Houston. Es war Freitag, am späten Nachmittag.

Und er war während der Arbeitszeit eingeschlafen.

Die Frau, der die Stimme gehörte, stand vor ihm. Ihre Stirn war missbilligend gerunzelt.

»Hey, Janice«, grunzte Jim. »Wie geht’s denn so?«

»Du hast Glück, dass der Direktor einen Narren an dir gefressen hat«, erwiderte Janice Bohica. Sie berührte ihre Schläfen kurz mit den Fingern, als müsse sie einen pulsierenden Kopfschmerz besänftigen. »Warum das so ist, weiß ich nicht. Du bist nämlich der Allerletzte, dem ich Verantwortung übertragen würde.«

Jim hörte ihre Predigt nicht zum ersten Mal. Er mutmaßte, dass Janice sie während ihrer siebzehnjährigen Tätigkeit als Geschäftsführerin des Hotels schon einer langen Reihe von Untergebenen vor den Kopf geknallt hatte.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte er.

»Wie wär’s, wenn du dich zusammenreißt und dich wie ein Erwachsener benimmst? Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Wir sind heute ein wenig knapp an Personal.«

Jim schaute sich in der Empfangshalle um. Für einen Freitagnachmittag war sie ungewöhnlich still. »Sieht aus, als wäre alles unter Kontrolle«, sagte er. »Abgesehen von den zwei- bis dreihundert Trekkies ist ja hier nicht viel los.«

»Wir haben genau 262 Convention-Besucher registriert«, sagte Janice. »Aber wir rechnen damit, dass mindestens noch dreitausend als Tagesgäste hier reinschneien. Diese Leute können ungemein wartungsintensiv werden. Du wirst das ganze Wochenende auf den Beinen sein.«

Jim richtete sich im Sessel auf und gähnte.

»Was hast du da eben über einen Typen mit ’nem Taser gesagt?«

»Phaser«, korrigierte Janice ihn. »Das ist eine tragbare Strahlenkanone aus der Fernsehserie Star Trek. Im zweiten Stock läuft jemand mit so einem Ding herum und zielt damit auf Menschen. Er macht den Leuten Angst.«

»Wo ist denn unser Sicherheitschef?«

»Dexter ist beschäftigt. Jemand aus dem siebenten Stock hat einen betrunkenen Pantomimen gemeldet. Der Typ hat wirklich jemanden angegriffen.«

»Ein betrunkener Pantomime?«, fragte Jim.

»Ein Mann in einem Trikot und mit angemaltem Gesicht. Er hat auch versucht, Dexter anzuspringen. Aber Dexter hat ihm eins mit dem Schlagstock verpasst. Er hat ihm Handschellen angelegt und ihn nach unten gebracht. Er wartet auf die Bullen.«

»Mist«, sagte Jim. »Dann muss er ja stundenlang Formulare ausfüllen.«

»Genau«, sagte Janice. »Deswegen musst du dir den Phaser-Bubi vornehmen.«

»Du kannst dich auf mich verlassen.«

»Das habe ich schon mal gehört«, sagte Janice. »Na ja, ich weiß, dass du’s nicht ernst meinst. Dein Lebensziel ist doch das Vermeiden von Verlässlichkeit.«

Jim spürte, dass sein Unbehagen zunahm. Janice war zickig. Sie war dienstbeflissen. Was ihn jedoch am meisten ärgerte: Sie hatte ihn in eine Schublade gesteckt.

»Hör mal«, sagte er. »Lassen wir die Psychotherapie für heute, ja? Ich weiß schon, dass ich dir permanent auf den Senkel gehe. Warum vergeudest du nur deine Zeit damit, eine Liste meiner Unzulänglichkeiten anzulegen?«

Janice musterte ihn von oben bis unten.

»Weil du mehr sein könntest als das, was du bist«, sagte sie und deutete auf seine Hoteluniform. »Außerdem steht dir das Zeug gar nicht.«

Jim empfand das starke Verlangen nach einem Themenwechsel. Er ging in die Hocke und legte die Zeitung zusammen – es war die Morgenausgabe des Houston Chronicle. Bevor er sie ordentlich auf den Tisch neben dem Sessel legte, überflog er kurz die Schlagzeile: JOHNSON-RAUMFAHRTZENTRUM GESCHLOSSEN.

»Ein Gasleck hat eine Explosion verursacht«, erklärte Janice. »Nur Bergungstruppen kommen durch die Absperrung. Das ganze Gelände wird mit Pinzetten abgesucht.«

»Klingt so, als hättest du den Artikel eingehend studiert.«

»Aktuelle Ereignisse sind wichtig, Jim. Besonders aktuelle Ereignisse, die sich gerade mal zwanzig Kilometer von uns entfernt abspielen. Und jetzt geh bitte rauf und schnapp dir den Bengel mit dem Phaser.«

Janice wandte sich abrupt um und kehrte an die Rezeption zurück.

Jim stand auf und fuhr mit den Händen über sein kurzes kastanienbraunes Haar. Es war kaum länger als der Stoppelkopf, der ihn beim Militär geziert hatte. Doch seine Hoteluniform war radikal anders. Statt Wüstentarnanzug, Helm und Brustpanzer trug er schwarze Stiefel, schwarze Hosen und einen weißen Pulli mit Schildkrötenkragen unter einem zweireihigen roten Jackett. Für Houston im August war die Uniform zwar nicht gerade die beste Wahl, doch im Inneren des hermetisch abgeschlossenen Hotels, wo ein hyperaktives Klimakontrollsystem alles bis auf frische zwanzig Grad herunterkühlte, war sie erträglich.

Überhaupt war es hier erträglicher als dort, wo er zuvor gewesen war.

Jim durchquerte rasch das von der Sonne beschienene siebzehn Etagen hohe Atrium. Die seitlichen und rückwärtigen Wände wiesen Hotelzimmerfenster auf. In der nach Norden weisenden Wand befand sich der Haupteingang – eine ganze Batterie von Glastüren. Gleich gegenüber war die Rezeption – ein langer schwarzer Marmortresen, an dem man sich anmelden konnte.

Gleich hinter dem Empfang gab es vier gläserne Aufzüge. Jim drückte einen Knopf und zog ein Walkie-Talkie aus der Innentasche seiner Weste. Jemand hatte es mit einem Filzstift auf der Rückseite beschriftet: Eigentum von BBH&CC.

»Hey, Dexter, bist du da?«, fragte er.

»Ich bin in meinem Büro«, kam die Antwort. »Leiste gerade Erste Hilfe.«

»Wem?«

»Mir selbst. Dieser schwachmatische Hundesohn hat mich in den Arm gebissen.«

»Im Ernst? Ein Pantomime hat dich gebissen?«

»Das ist überhaupt nicht witzig, Pike. Ich blute. Ich hab gerade drei Liter Wasserstoff auf die Wunde gekippt.«

Jim war verlockt, Dexter zu sagen, dass er schon schlimmere Wunden gesehen hatte. Aber so etwas einem Zivilisten zu erklären, brachte nichts. »Ich schnapp mir jetzt den Burschen mit dem Phaser«, sagte er. »Möchtest du, dass ich ihn in dein Büro bringe?«

»Auf keinen Fall«, sagte Dexter. »Bring mir nur sein Spielzeug. Ich möchte die Bullen nicht nochmal anrufen. Die haben schon ’ne Ewigkeit gebraucht, um Marcel Marceau abzuholen.«

Der Aufzug ganz rechts verkündete mit einem Ping, dass er angekommen war. Die Tür ging auf. Jim trat hinein. »Ich bin unterwegs«, sagte er als die Tür sich schloss. »Wir sehen uns in ein paar Minuten.«

Er ließ das Walkie-Talkie in sein Jackett gleiten und drückte den Knopf für den zweiten Stock. Das Audiosystem des Hotels spielte eine verkratzte Aufnahme von William Shatner, der »Lucy in the Sky with Diamonds« sang. Die Organisatoren der Convention hatten eine komplette Liste aller Lieder abgeliefert, die die Trekkies an diesem Wochenende hören sollten, darunter Popsongs von Leonard Nimoy, Filmmusik von Jerry Goldsmith und dazwischen auch mal das Trällern von Buckelwalen. Jim vermutete, dass Letzteres eine Hommage an Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart war. Aber im Grunde vermutete dies jeder.

Kurz darauf öffnete sich die Aufzugtür wieder und enthüllte einen wild dreinblickenden Teenager in einem T-Shirt mit dem Aufdruck »Es kann nur einen Kirk geben«. Er richtete seinen Kunststoffphaser auf Jim und drückte ab. Das Spielzeug spuckte hellrotes Licht aus.

»Toh-pah!«, schrie der Junge.

Jims Arm zuckte vor und erwischte Mr. Phasers Handgelenk. Dann riss er ihn in den Aufzug hinein und schob ihn an die Wand. Seine Bewegungen waren rein reflexiv. Er brauchte nicht einmal darüber nachzudenken.

»Man richtet keine Waffen auf Menschen«, sagte er. »Der Letzte, der das gemacht hat, wurde in ’nem Leichensack weggetragen.«

Starr vor Schreck ließ der Junge das Spielzeug sinken.

Jim griff danach, um es an sich zu nehmen. Er schämte sich für seine Überreaktion. Es war ja nicht so, dass dieses Zweitsemester für jemanden eine Bedrohung darstellte. Dem Bürschchen fehlte nur etwas Disziplin.

»Ich schlage vor, du gehst jetzt in dein Zimmer«, fuhr Jim fort. »Schau dir das Fernsehprogramm an oder mach irgendwas anderes.«

»Der Fernseher ist im Eimer.«

Wunderbar, dachte Jim. Noch ein Problem.

Er fragte den Jungen nach seiner Zimmernummer, dann versuchte er, das Problem zu klären. »Ist der Apparat wirklich kaputt? Oder zeigt er nur ein unscharfes Bild?«

»Da schneit es nur«, erklärte der Junge.

Jim versprach, bis zum Ende des Tages einen Haustechniker vorbeizuschicken. »Wenn die Convention zu Ende ist, kannst du deine Kanone abholen. Frag nach dem Ding, wenn du abreist.«

Eine Minute später war er wieder in der Empfangshalle. Als er aus dem Aufzug trat, stand dort eine hübsche junge Frau. Angesichts ihres marineblauen Aufzugs und ihrer Reisetasche nahm er an, dass sie sich auf einer Geschäftsreise befand.

Die Frau schenkte ihm ein Lächeln. »Hübsches Kostüm.«

Jims Blick fiel auf sein rotes Hoteljackett und den Spielzeugphaser, und er begriff, dass sie ihn für einen Trekkie hielt. »Ich bin kein Trekkie«, erklärte er verlegen. »Ich arbeite hier.«

Die Frau trat in den Aufzug. »Dann sollten Sie sich für die Strahlenkanone ein Holster besorgen.«

Jim wollte weiteren Protest äußern, doch es war zu spät. Die Tür hatte sich schon geschlossen.

Es wird also mal wieder so ein Wochenende, dachte er.

An der Rezeption begegnete ihm ein Angehöriger der Haustechnik. Er stand auf einer Leiter und bemühte sich, über der Rezeption ein Spruchband mit dem Text »Willkommen bei der 5. Golf-Convention« aufzuhängen. Jim trat hinter den Tresen und schritt durch eine Tür. Er kam an einigen Kabuffs vorbei und erreichte schließlich ein Büro mit richtigen Wänden. Auf der Tür stand »Sicherheitschef«. Jim klopfte mit dem Phasergriff an.

»Herein«, rief eine Stimme auf der anderen Seite.

Jim betrat Dexter Remnicks Büro und warf die Spielzeugwaffe in einen großen Karton mit Fundsachen. Dexters drei Zentner Lebendgewicht waren hinter einem Metallschreibtisch eingeklemmt, dessen Platte mit allerlei Gegenständen eines Erste-Hilfe-Koffers bedeckt war. Eine blütenweiße Bandage zierte seinen linken Unterarm.

»Na, so was«, sagte Dexter. »Der Assistent des Uniform tragenden Managements gibt uns die Ehre! Wie war dein Nickerchen?«

»Sehr erfrischend«, sagte Jim. »Danke, dass du mir Janice auf den Hals gehetzt hast.«

»Es war mir eine Freude. Und wie bekommt dir die Beförderung?«

Jim nahm grimmig lächelnd Platz. Er hatte den größten Teil seiner sechs Monate im Botany Bay in den Niederungen des Pagenstandes verbracht. Seine »Beförderung« – Dexter und er zogen sich fast täglich an diesem Witz hoch – hatte sich ganz überraschend ergeben: Der Direktor hatte ihn eines Tages in sein Büro gebeten und geäußert, er hätte viel Gutes über seinen »Führungsstil« und seine Fähigkeit gehört, dem Rest der uniformierten Mannschaft »Auftrieb zu geben«.

Dexter hatte zutreffend gemutmaßt, dass viel von Jims »Führungsstil« aus der Tatsache erwuchs, dass er fast einen Meter neunzig groß war, zwei Zentner wog und Muskeln hatte. Was natürlich zu ausgezeichneten Resultaten führte, wenn er jemanden bat, ihm einen Gefallen zu tun. Wie damals, als er Ted, den Poolreiniger, gewarnt hatte, beim Reinigen der Filter die weiblichen Gäste anzulechzen. Seit dieser Begegnung ging Ted seiner Arbeit viel motivierter nach.

»Hättest du ihn noch ein bisschen mehr motiviert, hätte er sich nass gemacht«, hatte Dexter damals gejuxt.

»Wann werden diese Leute endlich begreifen, dass ich meinen Job nur angenommen habe, damit ich keine Verantwortung mehr tragen muss?«, sagte Jim.

»Du und ich, wir beide, Kumpel«, sagte Dexter. »Ich habe damit heute null Glück. Eigentlich hätte Kevin mir den Rücken decken sollen, als ich mir den verfluchten Pantomimen vornahm, aber er sitzt krank zu Hause. Im Moment bin ich das einzige Gesetz westlich des Pecos’.«

»Zum Glück sind wir nicht voll belegt«, meinte Jim.

»Danken wir Gott dafür. Wenn dieser Laden voll wäre, wären wir in den Hintern gekniffen. Jeder, der heute angerufen hat, hat sich krankgemeldet.«

Dexter musterte seine Bandage mit finsterer Miene. Der Mull wurde langsam rosa.

»Lass das lieber untersuchen«, sagte Jim. »Es blutet viel zu lange.«

»Ich kümmere mich nach der Arbeit drum«, sagte Dexter. »Im Moment ist es hier zu hektisch. Ich kann mich nicht verdrücken.«

»Hektisch, hm? Dann schalte ich wohl besser in den Notfallmodus um.«

»Wie sieht der aus?«

Jim stand auf und wandte sich zum Gehen. »Der sieht so aus, dass ich mein Walkie-Talkie die Feuertreppe runterwerfe und mich im Lastenaufzug verstecke.«

»Klingt nach einem Plan. Und grüß Sarah von mir.«

»Was meinst du damit?«, fragte Jim.

»Hältst du mich für blöd? Immer wenn du mich besuchst, findest du einen Grund, dem Kabuff der Neuen einen Besuch abzustatten. Du machst das sicher instinktiv. So wie die Sperlinge, die jedes Jahr nach Caracas fliegen.«

»Es sind Schwalben, und sie fliegen nach Capistrano«, sagte Jim. »Ich verstehe trotzdem, was du meinst. Ich sag ihr, dass ich sie von dir grüßen soll.«

»Und halt dir den Rücken frei«, sagte Dexter. »Der Pantomime könnte ja auch Freunde haben.«

»Dass Pantomimen Freunde haben, kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Jim und ging zur Tür hinaus.

Er fand Sarah Cornell, die kürzlich eingestellte fünfundzwanzig Jahre alte Assistentin des Versorgungskoordinators in ihrem Kabuff.

»Hey«, sagte er. »Was macht die Lebensmittelbranche?«

Sarah blickte von ihrem Schreibtisch auf. Sie sah müde aus.

»Ich brauche dreißig Pfund essbare Geleewürmer für ein Bankett. Sie sollen Bestandteil eines außerirdischen Buffets sein. Sie heißen Guhg.«

»Du meinst Gagh«, korrigierte Jim. »Das ist so ’ne Wurmart, die die Klingonen gern essen.«

»Von mir aus, du Spinner«, sagte Sarah. »Ich fahre in irgendeinen Supermarkt und kaufe welche.«

»Draußen hat es bestimmt fünfundvierzig Grad.«

»Ist mir egal. Weder Regen noch Schnee noch extreme Hitze werden mich davon abhalten, eine Dose Pseudowürmer zu besorgen, an der unsere SF-Spinner sich laben können. Anschließend pirsche ich früh nach Hause. Ich muss endlich diesen verdammten BH ausziehen.«

»Dabei kann ich helfen«, sagte Jim. »Dafür bin ich so ’ne Art Experte.«

»Nein, ernsthaft. Schau dir das mal an.«

Sarah zog den Kragen ihrer blauen Seidenbluse zur Seite und enthüllte ihre bloße rechte Schulter. Genau unter ihrem Schlüsselbein war eine violette Prellung von der Größe einer Zitrone zu sehen.

»Juckt wie verrückt«, sagte sie.

»Du solltest mal zum Arzt gehen«, sagte Jim.

»Wenn ich eine Krankenversicherung hätte, wäre ich da längst gewesen. Aber unsere Firma hat für Neueinstellungen eine dreimonatige Bewährungszeit verfügt.« Sarah zog ihre Handtasche unter dem Tisch hervor und stand auf. »Kannst du mir einen Gefallen tun?«

»Klar.«

»Rodriguez baut im Ausstellungssaal ein Buffet fürs Abendessen auf. Wir warten auf einen großen Kuchen … Er ist geformt wie ein … ein …«

Sie riss einen an ihrem Monitor haftenden Zettel ab.

»… wie ein klingonischer Schlachtkreuzer der Klasse D7. Leider geht in der Bäckerei niemand ans Telefon. Kannst du Rodriguez die Telefonnummer der Bäckerei geben?«

Sarah reichte ihm den Zettel, und Jim bemerkte, dass ihr rechter Zeigefinger mit einem Pflaster umwickelt war.

»Der Vierjährige meiner Nachbarin hat mich gebissen«, erklärte sie.

»Im Ernst?«, fragte Jim. »Dexter hat mir gerade erzählt …«

»Ich konnte es auch nicht fassen«, fuhr Sarah fort. »Der kleine Satansbraten hat sich an mich rangeschlichen als ich zu meinem Wagen ging. Ich hab echt gedacht, er will ihn mir abbeißen.«

Sie zeigte Jim die Wunde – nur ein paar blutige, babyzahngroße Vertiefungen. Als er sie begutachtete, fingen sie an zu bluten. Sara wischte die Wunde mit einem Taschentuch ab und warf es in ihren Papierkorb. Er war schon halb voll mit anderen blutigen Tüchern.

»Ich werd schon nicht daran sterben«, versicherte sie ihm. »Treib nur Rodriguez auf, ja?«

Sarah verließ ihr Kabuff und verschwand. Jim schaute hinter ihr her.

Dann fiel sein Blick auf den Zettel. Er war voller frischer hellroter Blutflecken.