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Blood Fever

Als die Sonne über den Horizont gestiegen war, befand sich die Stockard im tiefsten Westtexas und war allgemein in Richtung San Antonio unterwegs. Rayna saß noch am Steuer. Jim stand neben ihr. Leia machte den Beifahrer.

Je mehr Kilometer sie zurücklegten, umso stiller und mutloser wurde sie.

Sandoval saß in der Kochnische des Wohnmobils und mampfte einen Apfel.

Rayna warf einen Blick auf ihr Handy. Es lag auf dem Armaturenbrett. Sie nahm es an sich und überprüfte es, wie seit dem Beginn der Fahrt, alle fünf Minuten.

»Ich hab ein Signal!«, sagte sie.

»Ruf jemanden an«, sagte Jim. »Egal wo!«

Rayna gab die Nummer ihrer Zimmergenossin am College ein und versuchte in einem Drei-Minuten-Gespräch zu erklären, dass sie gerade eine Zombie-Apokalypse überlebt hatte. Anhand ihrer Ausdruckweise erkannte Jim, dass die Zimmergenossin ihr kein Wort glaubte.

»Dem Rest des Landes geht’s gut«, sagte Rayna nach dem Ende des Gesprächs. »Man evakuiert Südosttexas, und die ganze Welt glotzt CNN, aber im Moment ist nur von einem gewaltigen Industrieunfall die Rede. Man hat im halben Staat Straßensperren errichtet. Vor Columbus müssten wir die erste erreichen.«

Leia zuckte vor Schmerzen. Jim berührte ihre Schulter. Bei Straßensperren gab es auch Polizisten. Nationalgarde. Sie würden nach infizierten Zivilisten Ausschau halten. Das Blut an Leias Hals war da wenig hilfreich.

»Vielleicht sollten wir für ein paar Minuten anhalten«, sagte Leia. »Die Fahrerei macht mich allmählich nervös.«

»Ich such uns ’ne ruhige Ecke«, sagte Rayna.

»Ich spüre, dass es losgeht«, sagte Leia zu Jim.

»Kämpfen Sie dagegen an«, sagte Sandoval. »Entschlossener Widerstand hemmt den Vormarsch der Invasoren. Ahnungslose Opfer, die sich nicht wehren, geben meist nach zwei bis drei Stunden klein bei. Wer weiß, was mit ihm los ist, erträgt es viel länger. Der Rekord liegt, glaube ich, bei fünfzehn Stunden und sechsundzwanzig Minuten.«

»Halten Sie die Klappe«, sagte Leia.

»Wollte ja nur meine fachmännische Meinung äußern.«

»Ich muss ein bisschen allein sein«, sagte Leia.

»Das Wohnmobil hat ein Schlafzimmer«, sagte Rayna.

»Perfekt.«

Leia stand auf und ging in den hinteren Teil des Fahrzeugs. Dann blieb sie stehen und drehte sich um.

»Kommst du mit?«, sagte sie zu Jim.

»Ich dachte, du wolltest …«

»Allein sein. Mit dir. Nun komm schon.«

Jim und Leia begaben sich in Matts Schlafraum und machten die Tür zu.

»O mein Gott«, sagte Leia, als sie die Umgebung in Augenschein nahm. »Der hatte ja wohl echt einen Schaden.«

Das Dekor im anderen Teil des Wohnmobils war ziemlich normal gehalten. Doch hier hatte Matt sich hundertprozentig dem Fan-Fetischismus ergeben: Die Tagesdecke auf dem Bett zeigte das Wappen der Föderation der Vereinten Planeten. Die Kopfkissen waren in abgewetzte Star Trek-Bezüge gehüllt. Über allem hingen üppig gerahmte Ölschinken von Lieutenant Uhura, Schwester Christine Chapel und Yeoman Janice Rand – alle räkelten sich pudelnackt auf Betten mit vier Pfosten.

»Auf eBay wird man diesen Typen echt vermissen«, sagte Jim.

»Ein Hugh Hefner des vierundzwanzigsten Jahrhunderts.« Leia deutete auf eine gut bestückte Bar voller Maker’s Mark- und Bacardi-151-Flaschen. Am anderen Ende öffnete sie einen Humidor: Jim sah, dass er mit Zigarren gefüllt war. »Wenn mir nach einer Feier zumute wäre, könnten wir hier eine tolle Party abziehen.«

Stattdessen setzte sie sich auf die Bettkante, schaute zu Jim hoch und klopfte auf den Platz neben sich.

»Wie geht es dir?«, fragte er und setzte sich.

»Als wenn ich gleich einschlafen würde. Aber ich werde nicht einschlafen, weil sie das nämlich wollen. Weil es dann leichter für sie wäre.«

»Ach, könnte ich doch nur was tun«, sagte Jim.

»Du tust doch was. Unterhalte dich mit mir.«

»Wir hätten uns eher begegnen sollen.«

»Ja. Aber so viel eher nun auch wieder nicht. Früher an der Highschool hatte ich einfach zu viele Probleme. Und dann den Scheiß mit meinen Eltern. Das hätte dich alles nicht beeindruckt.«

»Da hättest du mich erstmal sehen sollen«, sagte Jim. »Ich hab achtzig Kilo gewogen und bestand nur aus Akne, Goldkettchen und ausgebeulten Jeans. Ich hab ständig die Arme geschwenkt und jeden ›He, Alter‹ genannt.«

»Ein Hip-Hop-Hillbilly«, sagte Leia.

»Und nur Science Fiction im Kopf«, sagte Jim. »Wir hätten ein scharfes Paar abgegeben.«

Er schlang einen Arm um ihre Taille.

»Danke, dass du zu mir hältst«, hauchte Leia.

»Natürlich halte ich zu dir«, sagte Jim. »Wir kriegen dich schon wieder hin. Wir haben den besten Exobiologen der Universität Harvard an Bord, und was mich angeht, so habe ich viel mehr auf dem Kasten, als man auf den ersten Blick glaubt.«

»Denk immer wie ein Trekkie«, sagte Leia.

»Sowieso.«

»Aber du weißt natürlich, dass ich sterben werde.«

Ihre Offenheit ließ Jim zusammenzucken.

»Ich meine es ernst, Jim. Ich kann es in mir spüren. Ich kann sie nicht mehr lange aufhalten. Wenn Rayna eine Stelle findet, dann haltet an …«

»Nein …«

»Ich verlasse das Schiff und komme nicht mehr zurück. Verstehst du?«

»Kein bisschen. Ich lass dich doch nicht allein an einem Highway stehen.«

»Richtig«, sagte Leia. »Wenn du gehst, möchte ich gar nicht mehr stehen.«

Jim verstand sofort, was sie meinte.

»Das kann ich nicht«, sagte er.

»Du musst. Ich möchte keins von diesen Dingern werden, Jim. Es tut mir wirklich leid, dass du es tun musst, aber du bist nun mal der Captain. Du hast keine Wahl.«

»Ich muss dich retten«, sagte er.

»Das hast du schon. Ohne dich läge ich noch in dem Hotelzimmer und würde auf den Tod warten. Wahrscheinlich wäre ich längst tot. Das hast du mir erspart. Du hast mir ein paar Stunden Hoffnung geschenkt. Ich beschwere mich nicht.«

Jim zog sie in seine Arme. Er wollte sie küssen, doch sie wich zurück.

»Tu’s nicht«, sagte sie. »Es ist das Risiko sich anzustecken nicht wert.«

Jim war anderer Meinung. Er wollte ihr sagen, dass ein Kuss von ihr das Wertvollste war, das er sich vorstellen konnte. Doch genau in diesem Moment legte das Wohnmobil sich in die Kurve, verlangsamte und hielt an. Der Motor wurde ausgeschaltet. Kurz darauf hörten sie, dass die Tür aufging und Rayna und Sandoval ausstiegen.

»Hier ist die Fahrt für mich zu Ende«, sagte Leia.

Plötzlich huschte ein überraschter und unerträglich schmerzhafter Ausdruck über ihr Gesicht.

»Was ist?«, fragte Jim.

»Nein …« Leia ächzte. Sie drückte beide Hände gegen ihre Schläfen.

»Sag’s mir …«

»Die Außerirdischen. Ich konnte sie gerade … Ich konnte sie hören. Nicht die, die in mir sind, sondern … andere.«

»Was soll das heißen? Wir sind weit weg von Houston.«

Leia verzog vor Schmerz das Gesicht. »Wir sind weit weg von Houston, aber … der Verbund … ist uns gefolgt.«

»Das ist unmöglich«, sagte Jim. »Der Highway war doch völlig leer. Niemand ist uns gefolgt. Und Matt ist tot.«

»Matt war nicht der Einzige«, sagte Leia. Sie riss die Augen weit auf. »Da ist … noch einer.«