20

The Changeling

Matt, alle viere von sich gestreckt, lag auf dem Hotelbett reglos in der Dunkelheit. Als er sich hingelegt hatte, war er so erschöpft gewesen, dass er sich nicht damit aufhalten konnte, die Tagesdecke abzuziehen.

Es kam ihm so vor, als läge er schon seit Tagen hier herum. Er war müde, schlief aber nie. Keine Sekunde. Stattdessen lauschte er den Geräuschen hinter der Tür. Es fiel ihm bemerkenswert leicht. Sein Gehör war auf übermenschliche Weise verbessert. Als Rayna Gary fragte, ob in der Minibar noch Wasserflaschen seien, verstand er jedes Wort. Er hörte auch, dass draußen auf dem Gang irgendein Krach war.

Und gerade eben, als Jim über das Walkie-Talkie verkündet hatte, dass er an der Feuertür im siebenten Stock stünde und auf den richtigen Moment wartete, um zu Matts Suite zu eilen, hatte er auch das gehört.

Diese Nachricht machte Matt sehr, sehr wütend.

Ich führe ein straffes Kommando, dachte er. Ich lasse nicht zu, dass irgendein kleingeistiger Menschling meine Autorität untergräbt.

Er setzte sich leise und schwang die Beine über die Bettkante. Er schaute sich um. Seine Augen waren so scharf, dass der pechschwarze Raum ihm überhaupt nicht mehr dunkel erschien. Seine empfindlichen Augen nahmen jede Kleinigkeit wahr.

Vielleicht waren sie sogar eine Spur zu empfindlich. Der schmale Lichtstreifen unter der Tür tat ihm sogar weh.

Matt griff zum Nachtschränkchen hinüber, auf dem seine treue Sonnenbrille lag. Er setzte sie auf.

So war es besser. Viel besser.

Er fühlte sich wie ein neuer Mensch.

Schmerz und Angst hatten seinen Rückzug in Finsternis und Stille erzwungen. Raynas und Garys gnadenlos lautes Gequassel war ihm schwer auf die Nerven gegangen. Und auch die irrsinnig hellen Lampen in der Suite. Er hatte einfach einen ruhigen, dunklen Ort aufsuchen müssen, um wieder zu sich zu finden. Um über das nachzudenken, was mit ihm los war.

Kurz nach dem Betreten der Suite hatte es begonnen. Er, Rayna und Gary waren nach der Flucht vor den Untoten hier eingetroffen. Einer hatte ihn angegriffen. Matt hatte ihm instinktiv aufs Maul gehauen und ihn zu Boden geschlagen. Dann war er ihm auf den Kopf gesprungen.

Er war weiter durch den Gang gerannt und über T’Poc hinweggesprungen. Sie war gestürzt. Ein untotes Ding hatte sich auf sie geworfen. Es hatte sie beißen wollen. Das war nicht sein Problem. Wie er Gary schon an diesem Morgen erläutert hatte, sollte der Mensch sich in den Rhythmus der Natur nicht einmischen.

Hinter verschlossenen Türen war man sicher. Doch aus irgendeinem Grund schwitzte Matt weiterhin. Er musste sich schütteln. Seine Glieder taten weh.

Und was noch schlimmer war: Er spürte, dass sich in seiner Psyche etwas regte. Als würde in seinem Verstand ein Anhalter mitfahren.

Matt ging ins Bad und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Er bemühte sich, ruhiger zu werden. Dann fiel ihm eine kleine, kaum sichtbare Schramme an einem Knöchel auf. Die war, vermutete er, entstanden, als er dem Zombie aufs Maul gehauen hatte.

Matt hatte genug Filme gesehen, um zu wissen, was daraus entstehen konnte. Es hatte ihn noch nervöser gemacht. Schließlich war er im Schlafzimmer verschwunden, hatte die Tür abgeschlossen und sich von den anderen isoliert.

So, wie das Drängen in seinem Kopf es ihm aufgetragen hatte.

Zuerst hatte er Angst gehabt. Er hatte zitternd in der Dunkelheit gelegen, die Kleider schweißnass. Er konnte die Augen nicht schließen, aus Angst, er könnte als Zombie wieder erwachen. Doch langsam war die Furcht gewichen. Das Unbehagen hatte schrittweise nachgelassen.

Langsam wurde sein Verstand leistungsfähiger. Und je mehr seine Stärke wuchs, umso größere Wunder wirkten er.

Seine Augen und Ohren waren verbessert, seine Muskulatur gestärkt. Sein Hirn arbeitete schneller. Jeglicher Stress und alle Unsicherheit schwanden.

Das ist ja viel besser als Xanax, dachte Matt.

Das einzige Thema, das ihn am meisten nervte, war Jim Pikes bevorstehende Ankunft. Dies und die deutliche Freude, die seine überlebende Crew, Gary und Rayna, angesichts dieser Aussicht zeigten.

Das ist ja Verrat wie aus dem Lehrbuch, dachte er.

Matt kannte ihre Pläne. Er wusste, dass irgendwo über ihnen irgendein Halbstarker dazu beitrug, die Zombies abzulenken. Dass sie herausgefunden hatten, welche Auswirkung ein Taser auf die Untoten hatte. Er wusste sogar, dass sie der verletzten T’Poc im Treppenhaus begegnet waren und über seinen Anteil an ihrer prekären Lage informiert waren.

Letztere Information machte Matt nachdenklich. Wieso wusste er das überhaupt? Doch ja, das Wissen war in ihm, irgendwo in seiner Großhirnrinde, wie irgendein willkürliches Wissen, auf das er beim Surfen im Netz gestoßen war. Wo hab ich das nochmal gelesen? Woher weiß ich das?

Auch wusste er irgendwie, dass Jim stinkwütend war. Dass er Matts Kopf auf eine Lanze gespießt sehen wollte.

Der Gedanke ließ ihn lächeln.

Matt stand auf und ging zur Schlafzimmertür. Aufgrund der zu ihm hereindringenden Geräusche wusste er genau, wo seine Gefährten standen. Rayna war an der Tür. Sie wartete darauf, ihren Bruder hereinzulassen. Gary befand sich gleich hinter ihr und wiegte sich aufgeregt von einer Seite zur anderen. Das leise Reiben seiner Halbschuhe erzeugte einen Ton, der für menschliche Ohren unhörbar, doch für Matt so deutlich wie ein Glöckchen war.

Sie begingen den niederträchtigsten Verrat überhaupt. Sie ließen hinter dem Rücken ihres kommandierenden Offiziers Besucher an Bord. Besucher, die nur eins planten: ihm Übles anzutun.

Matts Hand legte sich auf den Türknauf. Sein Körper spannte sich. Gleich würde es losgehen.

Zeit für die große Kampfszene, dachte er.

Er öffnete die Schlafzimmertür und trat ins Licht hinaus.