2

Balance of Terror

Dass Kleinkinder Erwachsene beißen, redete Jim sich ein, kam jeden Tag vor. Und ein betrunkener Pantomime, der nach einem Mann von der Sicherheit schnappte, war nichts, worüber man sich aufregen musste. Es war nur ein dummer Zufall.

Und doch fing seine berühmte Nase an zu kribbeln.

Im ersten Kampfeinsatz hatte Jim gelernt, sich auf seine Sinne zu verlassen – als ihm bewusst geworden war, dass er, etwa eine halbe Minute bevor die Kacke anfing zu dampfen, immer wusste, dass sie gleich anfangen würde zu dampfen. Sein Sergeant hatte gemeint, dies erinnere ihn daran, dass Hunde immer spürten, wann ein Erdbeben im Anmarsch war.

Jim hatte sich diesen Ruf schon am Anfang des ersten Einsatzes erworben – während einer Patrouille mit seiner Gruppe. Sie waren über einen Trampelpfad marschiert, den die Einheimischen großspurig einen Weg nannten. Am Rand des Pfades stand ein verrosteter alter Kleinlaster, der den Eindruck erweckte, er hätte schon vor dem Einmarsch der Sowjets dort gestanden. Jims Gruppe war an einem Dutzend Tagen ein Dutzend Mal daran vorbeigegangen. Das Wrack war für sie zu einem Teil der Landschaft geworden.

Nur heute nicht. Als sie sich ihm näherten, wurde Jim bewusst, dass das Bild irgendwie nicht mehr stimmte. Er wusste zwar nicht genau, woran es lag, aber er spürte es so intensiv, dass er seinen ganzen Mut zusammennahm und es dem Captain erzählte, der die Patrouille anführte. Es überraschte ihn nicht, dass der Captain ihm befahl, in die Einzelheiten zu gehen.

»Die den Wagen umgebende Vegetation hat sich verändert«, sagte Jim und dachte schnell nach. »Ich glaube, hier dreht irgendjemand ein schmutziges Ding.«

Jim zufolge hätte es durchaus sein können. Vielleicht war dies das Detail, das sein stets wachsames Unterbewusstsein registrierte. Wichtiger war, dass seine Einheit den Laster weitläufig umging, und dass der Captain später Feuerwerker in Marsch setzte, die seine Motorhaube öffneten und darunter auf zwei frisch platzierte 105-mm-Artilleriegranaten stießen, die mit einem funkgesteuerten Detonator verbunden waren. Wer immer auch ausgewählt worden war, den Knopf zu drücken: Er hatte sich längst verzogen.

Deswegen wusste Jim, dass er einen sechsten Sinn für Gefahren hatte. In Kampfgebieten, in denen er die Gefahren verstand, leistete ihm dieser Sinn gute Dienste. Doch nun, an einem sonnigen Augusttag, stand er, während sein sechster Sinn um seine Beachtung buhlte, in einem Zwei-Sterne-Hotel und war von arglosen Zivilisten umgeben. Jim hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging.

Vielleicht ist mir nur langweilig, dachte er. Vielleicht bin ich diesen Scheißjob hier so leid, dass mein Unterbewusstsein versucht, irgendwas für mich zu fabrizieren, über das ich mir Sorgen machen kann.

Mit Sarahs Zettel zwischen Daumen und Zeigefinger schritt er durch den endlosen Gang, der die Empfangshalle mit dem Endeavour Room verband, dem Haupttagungssaal des Hotels. Rechter Hand reihten sich Toiletten und Vorratsräume aneinander. Die Türen an der linken Seite führten in kleinere Versammlungs- und Speiseräume. Vor den meisten Türen standen Staffeleien, die verkündeten, wo irgendwann am Nachmittag die Veranstaltungen »Wie man mit einem Transporter dem Tod ein Schnippchen schlägt« oder »Klingonen, Bynaren und Gorn: Au weia!« stattfanden.

Jim verharrte gerade lange genug, um sich ein riesiges Plakat anzusehen, das jemand an die Auditoriumstür geklebt hatte. Es verkündete, dass ein Harvard-Professor namens Eli Sandoval, ein anerkannter Exobiologe, der zu den führenden Autoritäten der Welt in Sachen Möglichkeiten außerirdischen Lebens zählte, am Samstagabend die Hauptrede hielt. Jim fragte sich, wie es den Organisatoren gelungen war, mitten im August diesen Mann von einer Eliteuniversität nach Houston zu locken.

Als er den Eingang des Endeavour Room erreichte, der gleich gegenüber der Anmeldung für die Con-Teilnehmer lag, war Sarahs Blut auf dem Zettel fast getrocknet. Es war nun 17:15 Uhr, und in weniger als einer Stunde war Jim mit seiner Schwester verabredet. Sie und ihre Freunde waren über hundertfünfzig Kilometer gefahren, um an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Sie wollten gegen 18:00 Uhr hier sein.

Jim zückte sein Handy und scrollte durch das Menü, bis er »Rayna« fand.

Das Mobiltelefon seiner Schwester klingelte viermal, dann nahm sie das Gespräch an.

»Rayna?«, sagte Jim.

»… blödes Telefon …«

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Jim.

Eine Weile hörte er nur Rauschen.

»Es geht«, sagte Rayna. »Der Verkehr ist die reinste Pest.«

»Ist was mit deinem Telefon?«, fragte Jim.

»…fonverbindung wird schlechter, je näher wir Houston kommen …«

Noch mehr Rauschen.

»Ich weiß nicht, ob diese Convention die ganze Mühe wert ist«, sagte Jim. »Vielleicht solltet ihr lieber einen Umweg machen und ans Meer fahren.«

Seine halb gerufene Botschaft kam an. Die Antwort war aber nur bruchstückhaft zu verstehen.

»… freu mich wirklich … größte Star Trek-Convention im Süden …«

Im Hintergrund hörte Jim eine Männerstimme. Sie verkündete, dass das Zimmer bereits bezahlt sei und man nichts zurückerstatten würde.

»Na schön«, rief Jim. »Dann bis später! Aber seid bitte vorsichtig. Und meldet euch, wenn ihr in der Nähe seid, dann komme ich euch entgegen. Mit was für ’nem Wagen kommt ihr denn?«

Jim glaubte Gelächter zu hören.

»Wirst du schon sehen«, sagte Rayna. »Glauben würdest du’s mir ohnehin n…«

Ihr letztes Wort wurde von einem Störgeräusch verschluckt, das wie ein Heulen klang.

Jim schaute auf sein Telefon, fluchte leise, klappte es zu und schob es in die Hosentasche. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein Gebrüll die Beachtung nahezu aller Menschen auf sich gezogen hatte, die an der Anmeldung standen.

»Ärger mit dem Kommunikator?«, fragte ein untersetzter Mann, der als Ferengi verkleidet war.

»Subraum-Interferenzen«, sagte Jim zu den etwa fünfzehn ihn angaffenden Trekkies. »In diesem Sektor sind sie immer besonders schlimm.«

Ein Tellarit und ein Romulaner nickten wissend.

Rayna ist zwanzig, dachte Jim. Sie ist ein erwachsener Mensch. Ich benehme mich ja schlimmer als ihr Vater.

Er wusste, dass er nichts dagegen machen konnte, denn er füllte diese Rolle nun mal aus, seit ihr Vater bei einem Unfall in einer Ölraffinerie ums Leben gekommen war. Auch heute noch war das geistige Bild, das Jim von seiner Schwester hatte, die unauslöschliche Aufnahme einer Zehnjährigen mit Tränen in den Augen, die zu verstehen versuchte, dass Papa nie mehr nach Hause kam und sie fortan nur noch mit einer Mama und einem Bruder auskommen musste.

Eigentlich hatte sie nicht mal das Glück gehabt. Ihre Mutter, schon vor dem Unfall eine starke Trinkerin, hatte sich danach entschlossen, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen. Sie war nicht gewalttätig oder laut gewesen. Sie war einfach … nichts mehr gewesen. Jeden Tag, wenn Jim vom Sport nach Hause kam, war Rayna an seiner Seite gewesen, denn nach der Schule hatte sie nichts anderes zu tun gehabt, als auf der Tribüne zu sitzen und ihre Hausaufgaben zu machen. Mama saß derweil auf dem Sofa, trank Wein und schaute sich Jerry Springers Randale-Show an.

Sie war, als Jim in Afghanistan gewesen war, an einem Herzinfarkt gestorben. Auch dies, sagte sich Jim, ist wieder ein Beispiel dafür, dass ich nicht da war, als man mich wirklich gebraucht hätte. Sein Schwesterchen hatte die Urne ausgesucht, die Bestattung organisiert und sogar vor den wenigen Trauergästen eine Rede gehalten.

Jim war zwei Monate später vom Militär zurückgekehrt. Seine gesamte Beziehung zu seiner Schwester hatte sich verändert. Während er das Leben eines verängstigten Kindes führte, das sich verlaufen hatte, schmiss Rayna den Laden. Sie war College-Frischling, wollte aber einen Abschluss als Psychologin machen. Sie führte ein Leben. Sie hatte Freunde – auch wenn einige ihrer Freunde SF-Spinner waren. Sie hatte eine Zukunft.

Jim hatte es inzwischen zu einer bombigen Anstellung als Page gebracht. Sein einziges »Ziel« war, nie wieder eine Stellung zu erreichen, in der andere von ihm abhängig waren. Weil er wusste, dass er versagen würde. Weil er bei Rayna versagt hatte. Und in Afghanistan.

»Entschuldigen Sie«, wurde seine Träumerei von einer Stimme unterbrochen. »Gehören Sie zum Hotel?«

Jim vergaß seinen Bammel. Vor ihm stand ein gepflegter Mann in den mittleren Jahren. Sein Haar war schütter. Er trug eine makellos geschnittene Voyager-Sanitätsuniform und sah dem holographischen Arzt der Serie verblüffend ähnlich. Jim erkannte in dem Gast sofort den Hauptredner der Convention, den Exobiologen der Universität Harvard.

»Wie kann ich Ihnen helfen, Dr. Sandoval?«

Der Gelehrte zuckte zusammen. »Sie kennen mich?«

»Ich habe gerade das Plakat gesehen, das Ihren Vortrag ankündigt«, erläuterte Jim. »Ist ganz schön heldenhaft von Ihnen, für eine Trekkie-Horde so eine lange Reise zu machen.«

»Ach, das macht mir überhaupt nichts aus«, sagte Sandoval sichtlich erleichtert. »Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil meines Jobs. Und gerade diese Convention möchte ich um keinen Preis missen.«

»Sie waren früher schon mal hier?« Jim empfand eine leichte Überraschung. Es gab ja viele Treffen von Science-Fiction-Fans, die größer waren als das in Houston, und im August hier zu sein, war kaum erstrebenswert.

»Ich komme jedes Jahr«, erwiderte Sandoval. »Houston ist ein toller Ort, um … Neuigkeiten über meine Arbeit zu verbreiten.«

»Gibt’s denn irgendwelche größeren Durchbrüche in der Exobiologie?«, fragte Jim.

»Das könnte man sagen«, erwiderte Sandoval lächelnd. »Aber wenn Sie mehr erfahren wollen, müssen Sie schon bis morgen warten. Wenn Sie mir inzwischen sagen könnten, wo ich hier den Raum für kleine Exobiologen finde, wäre ich Ihnen sehr verbunden.«

Jim wies dem Gelehrten den Weg durch den Korridor, dann machte er sich zum Endeavour Room auf. Bald fand er sich in einem riesigen außerirdischen Flohmarkt wieder. Das erste Viertel des Ausstellungsraums war von Händlern belegt. Hier standen zwei bis drei Meter lange Tischreihen, die durch Zwischenwände unterteilt waren. Etwa hundert Händler waren anwesend – sie sorgten für die typische Atmosphäre einer Messe.

Weniger typisch war freilich das Zeug, das sie zum Verkauf anboten. Als Jim tiefer in die Tagungsräumlichkeiten vordrang, sah er Stände, an denen man alles erstehen konnte, von Wackel-Spocks und Kirk-Nussknackern bis zu Kaffeetassen mit »Raumflotten-Akademie«-Aufdruck. Er sah Fläschchen mit Pon-Farr-Parfüm für Frauen, eine USB-Webcam in der Form der USS Enterprise – und sogar den Nachbau des Kommandantensessels im Maßstab 1:1.

Perfekt für die Dumpfbacke, die alles hat, außer Umgang mit dem wirklichen Leben, dachte Jim im Vorübergehen.

Vor einigen Verkaufsständen – nicht alle waren geöffnet – standen schon einige Leute herum. Die Veranstaltung hatte offiziell um 12:00 Uhr begonnen, doch wie die meisten Tagungen dieser Art würde sie erst am Wochenende ihren Höhepunkt erreichen. Bei den Leuten, die jetzt schon da waren, handelte es sich um die Härtesten der Harten und Umtriebigsten der Umtriebigen. Jim erspähte einen Mann, der schon über seine besten Jahre hinaus und wie ein Talosianer gekleidet war. Dann sah er einen vagabundierender Knirps, der den Barlok aus »Pokerspiele« gab.

Egal wie die Leute kostümiert waren: Jim identifizierte sie schnell und mühelos. Das heißt, bis er den Weg eines Wesens kreuzte, das eine rosa Latzhose und eine Werwolfmaske trug.

Das Kostüm war so absurd, dass Jim sich fragte, ob der Kostümierte überhaupt wusste, wo er hier war: Der Typ sah aus wie ein Charakter aus einem abgefahrenen japanischen Videospiel.

Dem Werwolf fiel auf, dass Jim ihn begutachtete.

»Na los«, sagte er. »Dreimal darfste raten.«

Plötzlich machte es Klick.

»Du bist ein Kzinti aus der Zeichentrickserie.«

»Verdammt!«, rief der Mann. »Du bist der Erste, der draufgekommen ist!«

»Es ist zwar ’n tolles Kostüm«, sagte Jim, »aber die Zeichentrickserie gehört ja wohl nicht zum offiziellen Star Trek-Universum.«

»Darüber kann man wirklich streiten. Wenn man davon ausgeht, dass die Zeichentrickfilme kein offizieller Bestandteil des Universums sind, wie erklärst du dann Kirks zweiten Vornamen Tiberius? Der wurde nämlich zuerst in einer Zeichentrick-Episode erwähnt.«

Jim verspürte ein überraschend starkes Verlangen, dem Mann zu antworten. Früher hatte er sich in einer Vielzahl von Internet-Chatrooms herumgetrieben, um sich kundig zu machen, ob die obskure Zeichentrickserie, die von 1973 bis 1974 – eineinhalb Jahrzehnte vor seiner Geburt – auf NBC gelaufen war, ein vollwertiger Bestandteil des Star Trek-Universums war. Er wusste sogar, dass die wolfsähnlichen Kzinti rosa Uniformen getragen hatten, weil der Regisseur dieser Episode farbenblind gewesen war und nicht erkannt hatte, wie absurd sie darin wirkten.

In seiner Jugend hätte Jim Stunden damit zugebracht, die Feinheiten der inneren Logik der Serie mit einem Rosa tragenden Mann zu diskutieren. Doch das war vor seiner Militärzeit gewesen; vor Afghanistan; bevor er die wahre Welt ausprobiert hatte. Die wahre Welt, die seine Leidenschaft für die Fernsehserie ausgelöscht hatte.

»Ein sehr interessanter Standpunkt«, sagte Jim höflich zu dem Pseudo-Kzinti. »Ich hoffe, du hast Spaß auf der Veranstaltung.«

Der Händlerbereich lag fast hinter ihm, als ein Stand seine Aufmerksamkeit erregte. Er war voller tödlich wirkender zweischneidiger Waffen von fremdartigem Äußeren. Hinter dem Klapptisch ragte ein bedrohlicher Anblick auf – ein riesiger, finster dreinblickender Klotz von einem Mann in einer hundertprozentigen Klingonenmaske. Zu seinem Aufzug gehörten ein gewaltiger Schädelkamm und schulterlanges, rötlich schwarzes geflochtenes Haar, das wie eine Mähne über seine dunkle Haut fiel. Jeder Quadratzentimeter seines wie gemeißelt wirkenden, zwei Meter großen Körpers war in makellos geschnittenes Leder und einen Metallpanzer verpackt.

Jim trat an den Stand heran und untersuchte einen äußerst schweren exotisch aussehenden Dolch. Auf dem Griff war ein Knopf. Als er ihn drückte, sprangen zwei kleinere gefederte Klingen daraus hervor.

»Das ist ein D’k tahg«, dröhnte der Klingone. »Es ist beste Handarbeit. Ein Krieger wie du könnte damit eine Menge Hu’q erlegen.«

Jims Blick fiel auf die Klinge. Er sah auf den ersten Blick, dass die Schneide stumpf war.

»Geschliffene Waffen habt ihr aber nicht, oder?«, fragte er.

Der bärbeißige Ton des Klingonen wurde etwas sanfter.

»Du gehörst zum Hotel?«, fragte er.

»Yeah.«

»Keine Sorge«, sagte der Klingone. »An meinem Stand ist nichts geschliffen. Ich habe zwar auch ein paar scharfe Klingen mitgebracht, aber die sind in meinem Zimmer unter Verschluss.«

Jim bedankte sich für die Kooperation. Zu den größten Gefahren von Science-Fiction-Conventions gehörten scharfe Klingen in Ausstellungsräumen. Die meisten Besucher brachten sie natürlich nicht in der Absicht mit, jemanden zu verletzen: Sie wollten ihrem Aufzug nur etwas mehr Echtheit verleihen. Doch wenn die Besucherzahlen unerwartet hochschnellten und die Gäste alle Gänge verstopften, konnten angespitzte Klingen zu einer echten Belastung werden. Man brauchte nur einen Menschen, der sich vordrängelte, um einen Blick auf Patrick Stewart zu werfen, dann war das Ergebnis eine durchbohrte Lunge.

»Das ist ja ein außerordentliches Sortiment«, sagte Jim. »Schmiedest du die Dinger alle selbst?«

Der Klingone lächelte und enthüllte einen Mund voller angespitzter Zähne. Sie waren natürlich nicht echt. Zumindest nahm Jim an, dass sie nicht echt waren.

»Ich bin Martock, Waffenbauexperte und Zweiter Offizier auf dem Bird of Prey Plank’Nar.«

»Nee, echt«, sagte Jim. »Sprich Englisch.«

»Mir gehört ’n Metallbetrieb in Atlanta«, sagte Martock. »Das Zeug hier mach ich nur so nebenbei. Lohnt sich aber sehr. Ich mach auch beim Herrn der Ringe, bei Xena und beim Highlander mit. Eigentlich überall. Wenn du einen Film siehst und dir irgendwas gefällt, was drin vorkommt, kann ich dir ’ne Kopie davon machen.«

Jim begutachtete die ausgestellten Waffen. Er sah Dolche unterschiedlicher Länge, die ausnahmslos verdrehte, übel aussehende Klingen aufwiesen. Er fand auch mehrere lange halbmondförmige Gerätschaften mit drei in Leder gefassten Griffen an der einen und vier Schwertspitzen und einer meterlangen Schneide an der anderen Seite.

»Hübsche Bat’leths«, sagte er. »Sehen sehr echt aus.«

»Im ganzen Reich findet man keine besseren Ehrensäbel.«

»Tja, dann wünsch ich dir viel Umsatz. Viele Besucher sind ja noch nicht hier.«

»Manchmal ist am ersten Tag wenig los«, sagte Martock. »Und der Typ da ist auch nicht gerade hilfreich.«

Er deutete auf die Bühne, die man im Saal aufgebaut hatte. Martocks Verkaufsstand befand sich in der letzten Reihe des Händlergebiets, deswegen blickte er genau auf die Darbietung des heutigen Tages. Jim und der Klingone erspähten einen dicken, graugrün geschminkten Mann mit einer pechschwarzen Rockabilly-Frisur. Er trug einen Overall und ging gerade auf die Bühne.

»Ach, Kacke.« Martock wich instinktiv einen Schritt zurück. »Es geht schon wieder los.«

Jim grinste. »Ich dachte, Klingonen zeigen es nicht, wenn sie Angst haben.«

»Wer sich den Typen anhören muss, kann gar nicht anders. Das macht er jetzt schon zum dritten Mal.«

»Meine Damen und Herren, verehrte Sonstige, begrüßen Sie Elvis Borgsley!«

»Wirklich?«, sagte Jim. »Meinen die das im Ernst?«

»Er soll Elvis Presley sein, den das Borgkollektiv assimiliert hat«, sagte Martock. »Ich würde ihn gern vom Kofferraum meines Wagens assimilieren lassen. Jedenfalls bis zum Ende dieser Veranstaltung.«

Borgsley trat mit abgehackt und mechanisch wirkenden Bewegungen ans Mikrofon und stimmte eine von schrägen Tönen wimmelnde Ballade mit dem Titel »Bist du heute Nacht vom Kollektiv isoliert?« an.

»Warum lassen die den auf die Menschheit los?«, fragte Jim.

»Weil sie keinen anderen haben.« Borgsleys Gesang schien Martock Schmerzen zu bereiten. »Eigentlich sollte heute eine Trek-Metal-Band namens Warp Core Breach auftreten, aber die hat sich verspätet.«

»Was für ’ne Scheiße«, sagte Jim.

Er wollte gerade weitergehen, als ihm im hinteren Teil von Martocks Stand ein Feldbett auffiel. Jemand lag auf dem Feldbett, doch er konnte nur ein Paar Damensportschuhe erkennen. Sie lugten unter einer Wolldecke hervor.

»Deine Freundin?«, fragte Jim und deutete auf das Feldbett.

»Meine Geschäftspartnerin Karen«, erklärte Martock. »Sie schneidert Maßuniformen – für Klingonen, Cardassianer und jede Raumflotten-Generation. Sie hat echt was drauf.«

»Geht’s ihr gut?«

»Sie hat nur ’n Kater. War gestern Abend auf Achse. Als sie heute Morgen reinkrabbelte, hat sie gesagt, dass sie sich beschissen fühlt und sich nur aufs Ohr hauen will. Wenn ich nur dran denke, wie viele potenzielle Kunden sie inzwischen verpasst hat, könnte ich die Krise kriegen.«

»Vielleicht hat sie sich was eingefangen«, sagte Jim. »Ich weiß, dass hier irgendwas rumgeht.«

»Vielleicht hat sie auch was von dem grässlichen Büfett da drüben gegessen.« Martock deutete auf die andere Seite des Saales. »Das steht schon den ganzen Tag da rum, ohne dass sich auch nur irgendeine Nase darum kümmert.«

Jim dachte urplötzlich an Rodriguez und den Zettel, den er in der Hand hielt.

»Ich kümmere mich drum«, sagte er. »Viel Vergnügen noch mit Mr. Borgsley.«

Martock winkte ihm wenig begeistert hinterher.

Jim ging zum Büfett hinüber und erspähte den typischen Frühstückskram: Bagels, Würstchen, Eier, Milch- und Safttüten. Dabei war die Frühstückszeit nicht nur schon, sondern längst vorbei. Die Butterportionen schwammen in einer Wanne voll lauwarmem Wasser, das früher mal Eis gewesen war. Die Kerze unter der Würstchen-Warmhalteplatte war erloschen.

Jim schaute sich überall im Raum um, doch Rodriguez und seine Helfer waren nirgendwo zu sehen. Im ganzen Saal befand sich nicht ein Angestellter. Jim zückte sein Walkie-Talkie.

»Rodriguez«, rief er. »Bist du hier?«

Keine Antwort. Jim ging durch die nächste Tür und kam in einen Servicebereich. Er fand Regale voller Tischdecken, Bestecke, Warmhalteplatten und Servietten. Alle lagen da, wo sie liegen sollten. In den Tiefen des Lagerraums stieß er auf Kisten voller Wasserflaschen, Limonade und Konserven – es waren die kleinen Nahrungsmittelportionen, die das Botany Bay immer auf Vorrat hatte und in einer Vielzahl von Küchen, Kühlschränken und Speisekammern aufbewahrte.

Aber auch hier stieß er nicht auf Personal.

Jim ging zu einer Außentür, durch die das Hotel Lieferungen entgegennahm. Sie öffnete sich auf einen Zufahrtsweg, kaum mehr als eine breite Gasse, zwischen dem Hotel und einem Bürogebäude.

Jim schob die schwere Eisentür auf und wurde mit einem Ansturm hellen texanischen Sonnenscheins belohnt. Die Luftfeuchtigkeit war erdrückend. Er fing auf der Stelle an zu schwitzen.

Und fast gleichzeitig fiel sein Blick auf Rodriguez, der mit einer Colaflasche in der Hand an der Wand lehnte.

»Was machst du hier?«, fragte Jim. »Da wartet ’n Frühstücksbuffet auf dich, auf dem schon grüner Schleim wächst.«

»Ich bin den ganzen Tag rumgerannt«, entgegnete Rodriguez. »Ich gönn mir gerade mal fünf Minuten, um wieder zu Atem zu kommen. Ich würd’s für viel entspannender halten, wenn mich mal niemand beobachtet.«

»Tut mir leid«, sagte Jim. »Sarah hat mich geschickt.«

»Dich meine ich nicht. Ich meine die da.«

Rodriguez deutete auf das andere Ende der Gasse, die neben dem offiziellen Eingang des Botany Bay in die Hauptstraße mündete. Außer einigen Müllcontainern konnte Jim nichts erkennen. Doch je länger er hinüberschaute, umso überzeugter wurde er, dass sich dort im Dunkeln Menschen aufhielten. Eine ganze Reihe sogar. Und sie schauten ihn an.

»Wer sind die?«, fragte er.

»Obdachlose. ’n paar von denen sind immer da. Ist ja an heißen Tagen ’n schönes schattiges Fleckchen. Aber aus irgendeinem Grund gaffen sie mich ständig an.«

»Ein Grund mehr, sich wieder an die Arbeit zu machen.« Jim gab Rodriguez Sarahs Zettel. »Du sollst die Bäckerei anrufen. Es geht um irgendeine …«

»Die D7-Schlachtkreuzertorte.« Rodriguez nickte. »Ich kümmere mich drum.«

Jim schaute ihm nach, als er ins Gebäude zurückkehrte, dann folgte er ihm. Bevor er wieder in den Lagerraum ging, warf er noch einen letzten Blick in die Gasse.

Die Leute im Dunkeln gafften noch immer.

Es war komisch. Aber was besagte das schon? Dass Dexter und Sarah gebissen worden waren, war auch komisch, aber … Na, wenn schon.

Jim ging ins Haus zurück und machte die Tür hinter sich zu.

Wir sind hier nicht in Afghanistan, dachte er und wiederholte damit sein persönliches Mantra. Ich bin nicht für den trivialen Scheiß verantwortlich, der sich in diesem dämlichen Hotel abspielt. Und außerdem spielt nichts davon eine Rolle. Amen und aus.

In diesem Augenblick piepste sein Walkie-Talkie. Jim nahm es aus der Tasche und schaltete es ein.

»Yeah?«, sagte er.

»Deine Schwester hat gerade angerufen.« Die Stimme gehörte Oscar, dem Sicherheitsmann, der die Kontrollbude in der Hotelgarage bemannte. »Sie ist in fünf Minuten hier. Ihre Freunde haben einen Platz in unserem Parkhaus reserviert.«

»Verdammt«, sagte Jim.

»Du mich auch. Kommst du runter?«

»Aber sofort. Wo muss ich hin?«

»K-7.«

»Das ist doch ’n Busparkplatz!«

»Was wohl bedeutet, dass sie mit einem Bus kommen. Aber ich habe absolut nichts dagegen, wenn du deinen faulen Arsch hier runterhievst, um es dir selbst anzuschauen.«

Jim steckte das Walkie-Talkie ein. Dann schob er alle noch vorhandenen Sorgen über Probleme, die mit dem Hotel zu tun hatten, ein für alle Mal beiseite. Jetzt musste er sich um Familienangelegenheiten kümmern. Um Dinge, die wirklich wichtig waren.

Es war an der Zeit, Rayna abzuholen.