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By Inferno’s Light

Einige Minuten später standen Jim und seine Gefährten auf dem Balkon der Ecksuite und schauten zum ersten Mal ins Stadtzentrum von Houston hinab.

»Wir sitzen tief in der Scheiße«, sagte Gary. »So tief wie der Marianengraben.«

»Wir können hier nicht weg«, sagte Rayna. »Wo sollten wir auch hingehen?«

Der Balkon gestattete ihnen einen Ausblick auf die das Hotel umgebenden gläsernen Wolkenkratzer. In einigen waren die Lichter erloschen, in anderen brannten sie noch. In ihrem Inneren konnte man in tristen Großraumbüros apathisch herumwandernde Zombies sehen. In einem Konferenzzimmer nagte eine Meute von Untoten an einer auf einem ovalen Konferenztisch ausgebreiteten Leiche. Ein Stück die Straße hinab stand das Doubletree Hotel in hellen Flammen. Die oberen Etagen waren in Rauch und Feuer gehüllt. Niemand bekämpfte die Feuersbrunst.

»Es ist wirklich die Apokalypse«, sagte Leia.

»Es könnte schlimmer sein.« Jim deutete nach Osten, vorbei an dem stillen dunklen Gewässer, das unter dem Namen Houston Ship Channel bekannt war. Der Horizont leuchtete in dem flammenden Inferno so hell wie in der Morgendämmerung. »Das ist der Bayton-Komplex – eine der größten petrochemischen Raffinerien der Welt. Da produziert man täglich eine halbe Million Barrel Öl.«

Der Geruch brennenden Benzins hing schwer in der Luft.

»Ich glaub nicht, dass die ihr Pensum heute schaffen«, sagte Gary.

»Das Feuer ist auf der anderen Seite des San Jacinto River«, sagte Jim. »Was diese Seuche auch ist, sie breitet sich aus. Vielleicht ist sie schon überall.«

»Es ist unglaublich«, sagte Rayna. »Schaut mal da!«

Sie deutete auf einen schnittig wirkenden grauen Straßenbahnwagen, der zum METROrail-System der Stadt gehörte. Er lag auf der Seite. Sämtliche nach oben weisenden Fenster waren eingeschlagen. Der Wagen war mindestens dreißig Meter lang und musste mehrere Tonnen wiegen. Und doch war es den Kreaturen gelungen, ihn aus den Schienen zu heben und umzuwerfen.

»Die Kraft der Masse«, sagte Jim. »Als Einzelwesen ist kein Zombie besonders stark. Aber sie scheinen zu begreifen, dass sie als Team arbeiten können. Wie Soldatenameisen. Sie können ihre Gedanken vernetzen und einen koordinierten Angriff planen.«

Was für uns nur Böses ahnen lässt, hätte er gern hinzugefügt, doch nun fiel sein Blick auf einen jungen Mann, der in einem nahen Bürogebäude aus einem Fenster schaute. Er trug Khakihosen und ein kurzärmeliges blaues Polohemd. Heute Morgen war er vielleicht noch Büropraktikant gewesen.

Nun fehlten ihm die linke Hand und ein beträchtlicher Teil seines Gesichts. Jetzt war er ein Zombie. Ein Zombie, auf dessen rechter Wange ein drittes Auge wucherte.

Und das Auge, fiel Jim nun auf, schaute ihn an.

Die Kreatur klopfte an das vom Boden bis zur Decke reichende Bürofenster. Kurz darauf gesellten sich drei weitere Untote zu ihr, die alle sofort losstöhnten und klopften.

Jim deutete auf sie.

»Passt mal auf«, sagte er.

Kurz darauf gab die misshandelte Scheibe nach. Sie fiel auf die Straße hinunter und zerschellte. Ihr folgte sogleich der Zombie-Praktikant im blauen Polohemd: Heftigst entzückt vom Anblick der Überlebenden im Botany-Bay-Hotel trat er stumpfsinnig ins Nichts hinaus.

Auch die restlichen Zombies stürzten sich in die Leere. Schließlich torkelte ein weiterer Untoter ans Fenster, erspähte Jim, stöhnte herum und stürzte ab.

»Wir gehen lieber rein«, sagte Jim. »Wir ziehen zu viel Beachtung auf uns.«

»Im Ernst?«, sagte Gary. »Ich könnte die ganze Nacht zusehen, wie diese Säcke über die Planke gehen.«

Jim deutete auf ein anderes Gebäude. Auf drei Etagen wurden sie von Zombies angestarrt. Hier und da, an diesem oder jenem Ort, wurden die Kreaturen sich ihrer Gegenwart bewusst. Jim fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis jeder Fleischfresser in der Stadt sie aus seinem roten Auge anstarrte.

»Warum glotzen die uns alle an?«, fragte Willy.

»Ist es denn nicht offensichtlich?«, sagte Jim. »Wir sind als Einzige noch übrig. Jetzt teilen sie diese Erkenntnis allen anderen mit.«

»Ich hab genug gesehen«, sagte Gary. »Gehen wir rein.«

Sie kehrten in das kühle, stille Refugium im siebenten Stock des Botany Bay zurück.

»Wie ist die Aussicht?«, fragte Dr. Sandoval.

Die Ereignisse der letzten sechs Stunden hatten ihn körperlich unversehrt gelassen. Seine Raumflottenuniform war noch immer makellos. Und er war noch immer das absolute Ebenbild des Voyager-Schiffsarztes.

»Hab schon schönere Dinge gesehen«, sagte Jim. »Wie lange dauert das jetzt schon?«

»Ich habe schon tagsüber gespürt, dass irgendetwas im Schwange ist. Aber die Dimensionen und die Art der Krise sind mir erst heute Abend bewusst geworden. Nach Sonnenuntergang konnten die Verwandelten problemlos rausgehen. Sie haben sich auf alle Lebewesen gestürzt, die ihnen begegnet sind.«

»Uns ist aufgefallen, dass sie die Dunkelheit lieber mögen«, sagte Leia.

»Ich würde zwar nicht sagen, dass sie sie mögen, aber im Dunkeln fühlen sie sich sichtlich wohler«, sagte Sandoval. »Den primitiven parasitären Augen fehlt die Retina, die den Lichteinfall reguliert.«

Jim und die anderen schauten ihn an.

»Woher wissen Sie das?«, fragte Gary.

»Ich bin Exobiologe. Ich arbeite für die Abteilung Sonderprojekte der Defense Advance Research Projects Agency. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium.«

»Richtig«, sagte Rayna, »aber Sie klingen, als hätten Sie schon mal eins dieser Dinger seziert.«

»Ich habe diese Geschöpfe fast ein Jahrzehnt studiert. Eigentlich sollte ich auf dieser Convention einen Vortrag über ihre Augenanpassung halten.«

»Sie wollten der Welt auf der Convention von den Dingern erzählen?«, sagte Jim.

»Nein. Ich wollte vor den Trekkies eine Standardrede über das Thema halten, ob die Lebensformen des Star Trek-Universums überhaupt lebensfähig sind. Über meine Forschungsergebnisse hätte ich natürlich auf der echten Convention berichtet.«

»Auf der echten Convention?«, sagte Rayna.

»Genau.« Sandoval nickte. »Auf der viel kleineren, höchst geheimen Versammlung, für die das Star Trek-Wochenende nur die Tarnung darstellt.«

Sandoval musterte die verdutzten Mienen der vor ihm stehenden Menschen. Dann stieß er einen Seufzer aus.

»Ist wohl besser, wenn ich ganz vorn anfange«, meinte er.