16

Amok Time

Jim ging leise die Treppe hinunter. Auf der unteren Hälfte, vor dem Absatz zur siebenten Etage, hockte er sich hin und lugte übers Geländer. Bei dem, was er dort sah, stülpte sich sein Magen um.

Die schrottreifen Genossen unter ihm warteten nicht mehr auf ihre Verwandlung: Sie war schon abgeschlossen. Jim zählte sechs Personen, die in einem Halbkreis hockten. Sie waren in bunte außerirdische Kostüme gekleidet und beugten sich über eine reglose Gestalt in einer blauen Uniform der klassischen Star Trek-Serie.

Die drei Zombies ganz vorn, Frauen in glänzenden Kleidern und hüfthohen Silberstiefeln, hockten nahe am Kopf der Leiche. Was machen die da?, fragte sich Jim. Gleich darauf wünschte er sich, er könnte die Frage rückgängig machen: Die drei Frauen standen wankend auf und jede versuchte, den beiden anderen das blutige Hirn des Toten zu entreißen. Jim wusste nicht, ob die Woge des Grauens, die durch seinen Magen fuhr, von dem grässlichen Anblick hervorgerufen wurde oder von der Übelkeit erzeugenden Erkenntnis, dass die Täter so gekleidet waren wie die Organdiebe aus Spock’s Brain (Spocks Gehirn) und ihre zombiefizierten Überreste das Rollenspiel um eine Winzigkeit übertrieben.

Jim wusste, dass er sie einfach umlegen sollte. Am besten würde er von hier oben, wo sie ihn nicht erreichen konnten, sie wie ein Exekutionskommando über den Haufen knallen. Es war ein vernünftiger Plan mit geringem Risiko.

Doch als er dann zwei untote Schreckgestalten das Hemd des Pseudovulkaniers zerfetzen und sich um meterlange Därme streiten sah, spürte er, dass die Vernunft zurücktrat und seiner Wut den Vortritt ließ. Der Taser war für diese Ungeheuer viel zu human. Sie sollten leiden.

Eins der Geschöpfe – es stellte wohl einen reptilischen Krieger dar – wandte ihm den Rücken zu. Auf seinem Rücken war etwas festgeschnallt, das wie eine aus Edelstahl bestehende Art-déco-Kampfaxt mit einer scharfen Spitze aussah. Im Gegensatz zu den glatten Klingen, die Martock anbot, wirkte dieses Ding rasiermesserscharf und stand somit im Widerspruch zur Hausordnung.

Ein neuer, weitaus unvernünftigerer Plan nahm in Jims Hirn Gestalt an. Er wusste, dass er mit dieser Waffe in sehr kurzer Zeit jede Menge Schaden anrichten konnte. Dann sparte er einen Haufen Taserpfeile. Diese Strategie kam ihm völlig vernünftig vor – jedenfalls so vernünftig, wie es möglich war, wenn einem der eigene Herzschlag in den Ohren dröhnte.

Und außerdem war niemand da – weder Rayna noch Leia –, der ihn davon hätte abbringen können.

Jim stand auf, überwand schnell und lautlos die letzten Stufen, überquerte den Absatz zur Szene des Gemetzels und riss dem Zombie die Waffe vom Rücken. Das Reptil wandte sich um. Sein drittes Auge fixierte das, was es als Letztes sah: Jim, der die Klinge auf den Schädel seines Wirtskörpers krachen ließ und ihn wie eine Melone spaltete.

Einer weniger.

Die restlichen Zombies, die seine Gegenwart nun endlich wahrnahmen, ächzten und wankten herum, um sich ihm zu stellen. Jim gab ihnen keine Zeit, sich zu orientieren. Er riss die Axt aus dem Schädel ihres früheren Besitzers und verwendete sie dazu, einem dicken Ferengi die Beine unter dem Hintern wegzuschlagen. Die Axt amputierte das rechte Bein des Zombies genau unter dem Knie. Das Ungeheuer fiel mit dem Gesicht nach vorn auf den Beton. Zwar bewegte es sich noch, aber es war erstmal ausgeschaltet.

Noch einer weniger.

Das Zombie-Trio in den glänzenden Kleidchen fummelte an dem Hirn des Vulkaniers herum und ließ es schließlich fallen. Es fiel feucht klatschend auf den Boden. Jim konnte nichts dagegen unternehmen, dass ein kurzes hysterisches Lachen über seine Lippen kam.

»Ihr steht auf Hirn?«, schrie er und schwang die Axt. Ein einzelner Hieb befreite einen Zombie von seinem Kopf. »Wer möchte noch ’ne Portion?« Er holte weit aus, schlug zu und enthauptete den nächsten. Der dritte Zombie schaute verdattert auf die beiden am Boden liegenden Häupter, deren Leiber ihnen gleich darauf folgten. Dann schaute er – sie – Jim an. Ihre toten Augen waren von pechschwarzen Lidschatten verkrustet, wie in den 1960er Jahren üblich.

Jim schluckte sein Ekelgefühl erneut herunter und holte erneut weit aus. Schließlich lagen drei erschlaffte Leichen auf einem Haufen. Hattrick, dachte er und spürte, dass ein Grinsen sein Gesicht verzog.

Er atmete schwer. Seine Arme schmerzten von der Anstrengung. Und er hatte noch immer einen Zombie vor sich, der ihm den Rücken zuwandte. Es schien ein Mann in den mittleren Jahren mit schulterlangem grauem Haar zu sein. Sein Kostüm schien aus Lumpen zusammengenäht. An der linken Hand trug er einen Handschuh, der Jim vage bekannt vorkam.

»Wen stellst du dar, verdammt nochmal?«, fragte Jim. Er packte das Geschöpf an der Schulter und wirbelte es herum.

Der Zombie taumelte stöhnend auf ihn zu.

Jims Miene hellte sich auf. Es fiel ihm ein.

»Khan!«, rief er und deutete mit der Axt auf das untote Grauen. »Khaaannn!«

Er hob die Waffe um zuzuschlagen. Plötzlich verharrte der Zombie, zuckte wie eine Marionette, erschlaffte und fiel zu Boden. Hinter ihm stand Leia mit dem Taser in der Hand. Die dünnen Drähte, die 50 000 Volt in den Nacken des Zombies geleitet hatten, zogen sich in die Waffe zurück.

»Danke«, sagte Jim. »Wie lange stehst du schon da?«

»Lange genug, um zu erkennen, was für ein Idiot du bist«, sagte Leia. »Hast du eigentlich noch alle Tassen im Schrank? Mit ’nem Taser wäre das doch alles viel einfacher gewesen!«

»So war es aber befriedigender«, sagte Jim. Er atmete noch immer schwer.

»Außerdem war es latent selbstmörderisch«, sagte Leia. »Komm her.«

Jim ließ die bluttriefende Axt fallen und begab sich zur Prinzessin, die an der Treppe stand.

Leia ging langsam um ihn herum und begutachtete ihn von allen Seiten. Schließlich nahm sie seine Hand. Sie untersuchte sorgfältig jeden Finger, fuhr dann mit den eigenen sanft über seine Handfläche und hielt nach kleinsten Verletzungen Ausschau. Sie fand keine. Schließlich schaute sie auf und stellte fest, dass Jim sie nicht aus den Augen gelassen hatte.

»Du bist unverletzt«, sagte sie, ohne seinem Blick auszuweichen.

»In Wahrheit wolltest du mich doch nur betatschen«, sagte Jim lächelnd.

»Komm mir bloß nicht neunmalklug. Du hast dich idiotisch verhalten. Und du hast nicht nur dein Leben aufs Spiel gesetzt. Ein Biss, und wir hätten dich verloren. Deine Schwester und ich. Daran solltest du immer denken, bevor du den Helden spielst.«

»Heldentum hatte damit nichts zu tun«, sagte Jim mürrisch.

Hinter ihm ertönte ein Stöhnen. Er wandte sich um. Der einbeinige Ferengi, der noch immer bäuchlings auf dem Beton lag, kroch langsam auf sie zu.

»Entschuldige«, sagte Jim.

Er hob die Waffe auf, ging zu der Kreatur hinüber und hieb die Axtschneide in ihr drittes Auge. Dann schulterte er die Axt und kehrte zu Leia zurück.

»Ich bin kein Held«, sagte er. »Ich hab nur zeitweilig den Verstand verloren. Weil … Tja, ich hab gesehen, dass Mr. Spock seines Verstandes verlustig gegangen ist.«

Er deutete auf die halb aufgefressene Leiche am Treppenabsatz.

Nun erst fiel ihm auf, was Leia längst erkannt hatte. Ihre linke Hand krallte sich so fest um das Geländer, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

»Er hat sich bewegt«, sagte sie leise. »Es war nur ein Zucken. Ich habe es gesehen.«

Jim ging langsam zu dem hirnlosen Leichnam zurück. Er lag inmitten einer breiigen Masse aus Blut und Gedärmen. Der ganze Bauch war aufgerissen. Überall waren blaue und rosa Organfetzen verstreut. Was vom Kopf noch übrig war, wollte er sich nicht näher anschauen.

»Bist du sicher?«, fragte er.

Genau in diesem Moment zuckte das rechte Bein der Leiche. Kurz darauf tat der linke Arm das Gleiche.

»Es ist unmöglich«, sagte Leia. Sie trat vorsichtig neben Jim.

»Schau mal.« Jim streckte den Arm aus.

Ein kleines weißes Klümpchen spross genau unter dem unverhüllten linken Schlüsselbein der Leiche. Es wuchs mit beeindruckender Geschwindigkeit. Und außerdem wuchsen aus ihm lange weiße spaghettidünne Tentakel hervor, die sich durch die Leiche schlängelten. Einige der Tentakel ringelten sich um die Wirbelsäule. Andere rasten an den kaputten Gliedmaßen entlang. Ein ganzes Tentakelbündel bahnte sich einen Weg durch den Hals und fing an, Fetzen des Schädels einzusammeln.

»Ich glaube, mir wird übel«, sagte Leia.

Jim antwortete nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, der Verwandlung einer menschlichen Leiche in einen Zombie zuzusehen.

Die Geschwulst dehnte sich zur Größe einer Apfelsine aus, dann hielt sie inne. Auf seiner Oberfläche bildete sich eine horizontale Falte. Kurz darauf brach die Falte auf und enthüllte ein wütend blickendes rotes Auge.

»Etwas hat die Leiche übernommen«, sagte Jim. »Aber gleich wird es eine Überraschung erleben.«

Der Eindringling versuchte, die Glieder des neu geborenen Zombies zu bewegen. Leia und Jim schauten zu. Zuerst fing der eine, dann der andere Arm an zu beben. Doch mehr bekam der Parasit nicht hin. Zu viele Muskeln und Sehnen fehlten, um echte Bewegungen hinzukriegen. Der ernstlich beschädigte Leib war seinem neuen Besitzer nicht von Nutzen.

Jim hockte sich neben die Leiche und begutachtete das Auge.

»Schätze, du führst ’n Scheißleben, was, Zucki?«, sagte er.

Das Auge stierte ihn an. Jim fragte sich, woher es kam. Ob es aufgrund seiner misslichen Lage Bosheit oder Furcht und Wut empfand. Oder überhaupt etwas.

Er beugte sich vor, um es besser zu sehen.

Dann noch etwas näher.

Er spürte ein fast urtümliches Drängen. Es kam aus den tiefsten Tiefen seines Unterbewusstseins und sagte ihm, er solle das Ding anfassen.

Leia krallte sich in sein Jackett und zog ihn zurück.

»Was machst du da, verdammt?«, schrie sie. »Du bist ja fast in das Ding reingekrochen!«

Jim schüttelte den Kopf, damit sein Geist sich klärte.

»Das war knapp«, sagte er nickend. »Schau denen bloß nicht zu lange ins Auge. Die können in deinen Kopf reinkriechen. Das ist möglicherweise auch Janice passiert. Sie haben an ihrem Hirn rumgeschraubt und sie dazu gebracht, die Tür aufzumachen.«

»Mach es kalt«, sagte Leia.

»Aber schnellstens.« Jim zog die chemische Keule aus Leias Gürtel.

»Was hast du denn jetzt wieder vor?«, fragte sie.

»Ich will was ausprobieren.«

Jim richtete die Keule auf das Auge und feuerte einen Strahl ätzender Flüssigkeit ab. Die Reaktion fiel so aus wie erhofft: Die Leiche, die von der Kreatur kontrolliert wurde, zuckte wie verrückt – genauso, wie ein Mensch, der sich vor Schmerzen wand.

»Mach ein Ende«, sagte Leia.

»Warum so eilig?«, fragte Jim. »Bist du bei der Caritas?«

»Auf uns wartet Arbeit. Hast du T’Poc vergessen? Sie ist noch da oben.«

»Ich weiß«, sagte Jim. »Glaub mir, ich weiß es.«

Er stand auf, schob die chemische Keule in Leias Gurt zurück und hob die Axt.

Er wollte sie gerade einsetzen, als die Prinzessin ihm die Waffe abnahm. Sie beugte sich über den Leichnam und stach ihm das Auge selbst aus.

»Das zum Thema Caritas.«

Sie begutachtete die Masse des biologischen Wracks, das einst ein Mensch gewesen war. Jim streckte schweigend die Hand aus, um die Axt in Empfang zu nehmen. Leia hob sie erneut und drosch mit einem kehligen Knurren noch dreimal auf die Monstrosität ein.

»Und bleib bloß liegen!«, fauchte sie das Ding an.

Dann erst gab sie Jim die Waffe zurück.