13

Strategem

Jim nahm den Hörer an sich.

»Wer ist da?«, fragte er.

»Hier ist Lieutenant Thellina, Steuerfrau der USS Stockard.«

»Rayna!«, rief Jim. »Alles in Ordnung?«

»Ich bin noch nicht gefressen worden, wenn du das meinst. Wie geht’s dir und der Prinzessin?«

»Du kannst uns sehen?«

»Kaum – bei all dem Zombieblut und Rotz, mit dem euer Aufzug verschmiert ist. Schau mal aus dem Fenster rechts von dir.«

Jim erspähte im siebenten Stock eine Reihe von Fenstern und suchte eins nach dem anderen ab. Hinter dem ersten waren Zombies. Hinter dem zweiten auch. Auch hinter dem dritten, vierten und fünften. Dann sah er zwei quicklebendige Trekkies, die aufgeregt winkten, um seine Aufmerksamkeit zu wecken.

»Ich sehe euch«, sagte Jim und winkte zurück. »Ist bei euch alles gesund?«

»Alle außer T’Poc. Sie ist tot, Jim. Eine Meute dieser … Geschöpfe … Es ging alles so schnell. Es war wie eine Stampede. Sie haben sie totgetrampelt. Matt hat alles gesehen. Er sagt, es war grässlich.«

»Bleibt bloß, wo ihr seid. Ich komme zu euch rüber.«

»Dann redest du lieber mit Gary. Er will gerade unsere Tür verbarrikadieren. Ich geb ihn dir.«

»Ich bin so schnell wie möglich da«, versprach Jim.

Kurz darauf hatte er Gary an der Strippe.

»Wo hast du die Prinzessin gefunden?«, fragte er.

Jim überhörte die Frage. »Ist euer Zimmer sicher?«

»Scheint so. Jetzt, wo wir hinter verschlossenen Türen sind, werden wir nicht unmittelbar bedroht. Das einzige Problem ist, dass wir nicht rauskönnen. Auf dem Gang wimmelt es praktisch von … von …«

»Wir haben beschlossen, den Schritt zu tun und sie Zombies zu nennen«, sagte Jim.

»Damit triffst du den Nagel auf den Kopf, Alter. Ich werde deine komischen Ahnungen nie wieder anzweifeln.«

»Ist sonst noch jemand bei euch?«

»Matt.«

»Im Ernst?«

»Yeah«, erwiderte Gary bedrückt. »Ob du’s glaubst oder nicht.«

»Wie habt ihr uns gefunden?«, fragte Jim.

»Rayna ist die Frau aufgefallen, die am Haupteingang stand, also habe ich versucht, sie anzurufen. Ich wählte gerade die Nummer der Rezeption, als wir dich da unten sahen. Was übrigens ganz schön tollkühn war. Wir knien alle nieder vor deinem gewaltigen und monumentalen Mumm.«

»Das ist vermutlich das vulgärste Kompliment, das ich je bekommen habe«, sagte Jim.

»Normalerweise kann ich noch viel schweinischer sein«, erwiderte Gary. »Aber dazu bin ich im Moment zu beschäftigt.«

»Ist es euch gelungen, die Außenwelt zu erreichen?«

»Ich hab’s versucht, aber bisher erfolglos. Das Fernsehen zeigt nur Schnee. Die Telefone sind im Eimer. Internet ist auch weg, was wirklich komisch ist. Es wurde doch ursprünglich dazu konstruiert, um die Kommunikation im Falle eines Atomkrieges aufrechtzuerhalten. Deswegen ist es sehr, sehr stabil. Um es kaltzumachen, müsste man schon jemanden auffahren, der schwer was auf dem Kasten hat und Kundendienst mit aller Gewalt ablehnt.«

»Vielleicht ist es im Arsch«, sagte Jim.

Einen Moment lang herrschte Stille in der Leitung.

»Was?«, sagte Gary schließlich. »Was meinst du damit?«

»Vielleicht existiert es nicht mehr. Vielleicht ist es irgendeinem katastrophalen weltweiten Ausfall erlegen.«

»O nein«, sagte Gary mit erstaunlich schriller Bestimmtheit. »Das ist nicht möglich. Irgendjemand hindert uns daran, ins Netz zu kommen, aber es ist noch da. Es wird immer da sein.«

Jim beschloss, die Klappe zu halten. Angesichts der Belastung, der Gary schon jetzt ausgesetzt war, konnte die Erkenntnis, dass das Internet für immer abgeschmiert war, ihn aus der Bahn werfen. Außerdem gab es im Moment wichtigere Dinge, um die man sich Sorgen machen musste.

Fünf Minuten zuvor hatte Jims »Plan« darin bestanden, sich eine Knarre in den Mund zu schieben und sich den Untoten zu ergeben. Doch nun, da Rayna in Sicherheit war, fingen die Rädchen in seinem Hirn wieder an sich zu drehen.

»Ihr seid doch in Matts Suite, nicht wahr?«, fragte Jim. »Zimmer 754?«

»Man kann es nicht verpassen«, sagte Gary. »Es ist der Raum, vor dem all die Zombies stehen.«

»Klopfen sie an eure Tür?«

»Eigentlich nicht. Sie gehen nur im Gang auf und ab. Könnte sein, dass sie unsere Nähe irgendwie spüren, aber nicht wissen, wo sie uns suchen sollen.«

»Gut«, sagte Jim. »Dann baut keine Barrikaden auf, weil ich bei euch reinmuss. Wenn ihr ein Klopfen hört, schaut durch den Spion und versichert euch, dass wir es sind. Dann lasst uns rein.«

»Hm«, machte Gary skeptisch. »Und wann ungefähr wird es dazu kommen?«

»Wir wollen die Sache sofort in Angriff nehmen«, sagte Jim und drückte Knöpfe auf der Aufzugschalttafel. »Wenn alles gutgeht, erwartet uns in zwanzig Minuten. Wenn es nicht gutgeht … sorgt dafür, dass jemand an der Tür steht, wenn wir kommen.«

»Das macht Rayna«, sagte Gary.

»Eine gute Wahl«, erwiderte Jim. »Habt ihr irgendwelche Waffen?«

»Noch nicht, aber ich habe die Walkie-Talkies aus der Stockard.«

»Das ist ja noch besser.« Jim instruierte Gary, wie man die Hotelfrequenz benutzte. »Versuch mal, mich zu erreichen.«

Das fast vergessene Walkie-Talkie in Jims Jackentasche piepste. Er zog es heraus und schaltete es ein.

»Leiche Zwei, hier ist Leiche Eins«, sagte Gary. »Bitte melden.«

»Ausgezeichnet.« Jim hängte das Telefon ein. »Jetzt können wir uns jederzeit verständigen. Aber im Moment ist es besser, wenn du keinen Versuch machst, uns zu kontaktieren. Könnte ja sein, dass wir gerade hinter ein paar Zombies stehen. Da brauchen wir keine Überraschungen. Wir melden uns, sobald wir können. Alles klar?«

»Verstanden«, erwiderte Gary. »Ach, Moment: Matt möchte dir noch was sagen. Einen Augenblick.«

Bevor Jim antworten konnte, wurde das Walkie-Talkie weitergegeben.

»He, Jim, Raynas Bruder«, sagte Matt. »Dieser Scheiß erinnert mich an Resident Evil, falls du verstehst, was ich meine.«

»Das ist hier kein Spiel«, sagte Jim. »Eure Freundin T’Poc ist tot.«

»Ich hab alles getan, um dem Mädchen zu helfen«, sagte Matt. »Aber wenn einem ein Dutzend feindlicher Krieger gegenübersteht, hat man nicht viele Möglichkeiten. Du weißt ja, wie das ist.«

Jim ließ die Bemerkung an sich abperlen. Er war sich ziemlich sicher, dass Matt außerhalb eines Konsolenspiels noch nie vor einem Gegner gestanden hatte. Aber ihn jetzt herauszufordern, brachte ihnen auch nichts.

»Willst du mir noch irgendwas Wichtiges sagen?«

»Nur, dass wir hier drin alles gesichert haben. Deine Schwester ist in guten Händen. In wirklich guten Händen.«

Jim spürte, dass seine Nackenmuskeln sich spannten.

»Darüber reden wir, wenn wir bei euch sind«, sagte er. »Und macht es euch nicht zu bequem. Wir werden nicht dort bleiben.«

»Steht wo geschrieben? In der Minibar ist für mehrere Tage genug zum Knabbern und Schickern. Bis dahin werden die Nationalgarde, die Marineinfanterie, die Texas Rangers oder wer auch sonst für das Niederknüppeln aufständischer Zombies zuständig ist, den Laden hier doch ausgeräuchert haben. Bis dahin können wir ’ne ruhige Kugel schieben und Party machen.«

Leia warf Jim einen schnellen Blick zu. »Party?«, hauchte sie.

»Ich glaube nicht, dass wir uns darauf verlassen können, dass andere Leute hier auftauchen, um uns zu helfen«, erwiderte Jim. »Falls überhaupt Hilfe unterwegs ist, wird sie sich vorrangig um Krankenhäuser, Schulen und Regierungsgebäude kümmern, aber nicht um das Botany Bay …«

»Verzeihung, Alter, aber das ist meine Mannschaft, und meine Entscheidung steht fest: Solange ihr meine Befehle respektiert, seid ihr zu einem Besuch an Bord willkommen. Und diese Befehle besagen: Wir geben die Untertassensektion auf, fahren die Schutzschirme bis zum Maximum hoch und warten auf Hilfe. Jetzt kannst du mit Horta reden.«

Das Walkie-Talkie wechselte wieder in andere Hände, und Gary war erneut dran.

»Du musst uns hier rausholen«, flüsterte er. »Ich glaube, Matt hat Schwierigkeiten.«

»Welche Art von Schwierigkeiten?«

»Er benimmt sich so komisch. Ich weiß nicht genau, ob ich es erklären kann, aber … als T’Poc umfiel, ist er kaum zusammengezuckt. Ich weiß nicht mal, ob er ihren Tod richtig zur Kenntnis genommen hat. Er kommt mir fast so vor, als würde er eine Runde Shopping Maul spielen.«

»Behalt ihn im Auge«, sagte Jim. »Achte auf verdächtiges Verhalten. Und schnapp dir die Kugelschreiber vom Hotelschreibtisch. Wenn es hart auf hart geht, kann man sie auch als Waffe einsetzen. Gegen Augäpfel. Gegen Kehlköpfe. Gegen alles, was weich und fleischig ist.«

»Hör auf, ich krieg die Krise«, sagte Gary.

»Wir wärmen uns erst auf«, sagte Jim. »Bis später.«

Er schaltete das Walkie-Talkie aus und drückte den Aufzugknopf für den elften Stock.

»Was ist im elften?«, fragte Leia.

»Wissen Sie noch, dass ich gesagt habe, dass das Hotel nicht überbelegt ist? Das hat mich nachdenklich gemacht. Die Gemeinschaftsräumlichkeiten im elften Stock werden gerade neu gestrichen. Was bedeutet, dass es da nicht angenehm riecht. Also hätten wir dort oben nur im schlimmsten Notfall jemanden untergebracht. Aber weil wir ohnehin ein flaues Wochenende haben, war es nicht nötig. Ich glaube, die Etage ist leer. Wir können bis ans Ende des Ganges gehen und von dort aus über eine Feuertreppe zur siebenten Etage runterklettern.«

»Angenommen, diese Dinger hängen auch auf der Feuertreppe rum?«

»Ein Problem nach dem anderen.« Jim zuckte die Achseln. »Wir machen die Zombies kalt, wenn es nicht anders geht, aber sonst sollten wir versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Wir bleiben in Bewegung und verhalten uns leise. Die Munition, die ich habe, muss uns vielleicht lange Zeit reichen, deswegen möchte ich keine Kugel vergeuden. Wenn es nötig wird, da und dort jemanden umzulegen, nehmen Sie den Taser. Die Glock macht mehr Lärm, also zieh ich sie nur raus, wenn wir echt mit dem Arsch an der Wand stehen. Okay?«

»Sie klingen, als hätten Sie das alles schon mal gemacht«, sagte Leia.

»Nicht genau das Gleiche«, sagte Jim. »Aber nach zwei Afghanistan-Tourneen bin ich ganz gut darin, an dunklen und gefährlichen Orten rumzuschleichen.«

Der Aufzug erreichte den elften Stock. Jim und Leia zückten ihre Taser, traten an die Rückwand der Liftkabine und bauten sich nebeneinander auf. Jim drückte den Knopf, der die Tür öffnete.

»Na schön«, sagte er. »Dann beginnen wir mal mit der Party.«