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The Cage

Währenddessen lag Prinzessin Leia Organa in einer der höheren Etagen des Hotels auf einem riesigen Bett und war mit Handschellen ans Kopfteil gefesselt.

Der Mann, der den Schlüssel zu ihrer Freiheit besaß, hörte auf den Namen Donnie Trill. Er war Internet-Unternehmer von eigenen Gnaden, Videoproduzent und kam dem am nächsten, was sie einen Vertrauten nennen können. Die beiden kannten sich nun seit einem Jahr. Immer wenn Trill eine Frau für eins seiner durchgeknallten Internet-Videoprojekte brauchte und gerade Bargeld hatte, rief er Leia an.

Im Moment schaute sie Donnie zu, der an seiner Digitalkamera herummachte. Er trug eine schlecht sitzende goldene Kluft aus der klassischen Star Trek-Serie, die sich zudem unvorteilhaft über seiner Wampe spannte.

Doch das machte Leia keine Sorgen. Sie grübelte über die viel wichtigere Frage nach, wieso ihr Leben sie an diese Kreuzung geführt hatte. Wie war ein absolut normaler – nun ja, relativ normaler – Mensch wie sie dazu gekommen, sich für so absolut perversen Kram herzugeben?

In letzter Zeit dachte sie oft über diese Frage nach.

»Sag mir nochmal, um was es geht«, bat sie.

»Um eine Fan-Site.« Donnie machte sich nicht die Mühe, die Kamera sinken zu lassen. »Für Leute, die auf den Star Wars-Kosmos runterschauen. Eigentlich ist sie für Trekkies gedacht, die über Star Wars die Nase rümpfen.«

»Gibt’s davon viele?«

»Etwa fünfzigtausend zahlende Abonnenten.«

»Gütiger Gott.«

»Weißt du, was wirklich beeindruckend ist? Der Kreativ-Direktor des Ladens blecht bar und im Voraus. Ich schicke ihm heute Abend das Video, und es geht sofort auf Sendung.«

»Was muss ich denn machen?«

»Einfach nur rumliegen. Du bist ein Star Wars-Groupie und hast dich als Prinzessin Leia verkleidet. Ich bin ein besessener Star Trek-Fan und hab dich entführt und mit Handschellen ans Bett gefesselt. Und dann …«

»Bloß nichts Sexuelles.«

»Hast du denn vergessen, mit wem du zusammen bist, Schätzchen?«, sagte Donnie. »Ich bin schwuler als George Takei. Ich steh nur hier rum und werf dir an den Kopf, dass das Star Wars-Universum einen Scheiß wert und Star Trek ihm in jeder erdenklichen Weise überlegen ist.«

»Und was dann?«

»Dann explodiert der Todesstern, und die Basis der Rebellen ist gerettet. Was glaubst du wohl? Ich schalte die Kamera aus, schließ deine Handschellen auf, geb dir tausend Kröten und wir sind fertig.«

Leia rollte seufzend die Augen.

»Wie lange wird es dauern?«

»Vielleicht ’ne Viertelstunde. Der Typ hat mir ein Drehbuch gegeben. Du hast keinen Text. Du schaust nur verärgert drein. Ungefähr so wie jetzt.«

»Na, dann beeil dich mal. Nach dem Job hier hab ich nämlich noch einen anderen.«

»Als Blickfang an ’nem Verkaufsstand?«

»Was sonst? Da trag ich ein absolut lächerliches Kostüm – einen silberblauen Badeanzug – und muss einen Speer in der Hand halten. Ich spiele die Shahna aus Meister der Sklaven

»Keine Ahnung, um was es da geht.«

»Ist ’ne klassische Episode aus der zweiten Staffel. Kirk, Chekov und Uhura werden von körperlosen Gehirnen gefangen und als Gladiatoren eingesetzt …«

»Trägst du ’ne Perücke?«

»Eine hübsche«, erwiderte Leia. »Platinblond. Ich seh aus wie Lady Gaga.«

»Das wird den Fanbubis gefallen. Vielleicht lernst du an diesem Wochenende sogar jemanden kennen.«

»Ich bin nur wegen der Kohle hier«, versicherte ihm die Prinzessin.

Sie hatte sich nie dafür interessiert und auch nicht den Ehrgeiz, auf Conventions den Blickfang abzugeben. Außerdem hatte sie bei einer gesunden Größe von einem Meter fünfundachtzig auch nicht gerade das Maß für Kleider von der Stange. Doch auf kleineren Veranstaltungen wie der Golf-Con war sie unweigerlich die Ballschönheit Nr. 1. Und wenn die Fanbubis erkannten, dass sie sich tatsächlich für Science Fiction interessierte und jede Menge Dialoge aus Deep Space Nine zitieren konnte, wollten sie auch immer mit ihr zusammen auf einem Foto sein.

Normalerweise trat sie dreimal im Monat auf. Jeden Zehner, den sie so verdiente, brachte sie sofort auf die Bank.

Leia holte tief Luft und schloss die Augen. Okay, dachte sie. Die Rolle. Schlüpf in deine Rolle. Wenn ich das Wochenende als Bikini-Augenschmaus für geile Fans verbringen muss, darf niemand wissen, wer ich bin. Solange ich dieses Zeug trage, bin ich Prinzessin Leia.

»Viele dieser Typen haben echt Kohle«, merkte Donnie an. »Wenn man die Uniformen und aufgeklebten Ohren übersieht, könnte man sich vielleicht ’ne gute Partie an Land ziehen.«

»Lassen Sie nur die Kamera laufen, Doktor.«

»Möchtest du keinen Freund haben?«

»Ich möchte nicht darüber reden.« Sie zappelte auf dem Bett hin und her. Die Handschellen schnitten unbehaglich in das zarte Fleisch ihrer Gelenke. »Der einzige Mensch, von dem ich gern abhängig sein möchte, bin ich selbst.«

»Brrr, du bist heute Abend aber frigide.« Donnie grinste. »Aber ich sag dir was: Heute Abend setzen wir uns mal an die Hotelbar, heben einen und besprechen ein paar von deinen Problemen.«

Er schaltete sein Handy aus und legte es zusammen mit dem Handschellenschlüssel auf das Nachtschränkchen. Dann montierte er die Kamera auf ein Stativ, schaltete das winzige Zusatzlicht ein und warf einen letzten Blick auf den Vorschaumonitor.

»Sobald ich einschalte, sieht man ein paar Sekunden lang, dass du an den Handschellen zerrst. Dann komme ich rein und lese das Drehbuch vor.«

»Wirst du nur da stehen und ablesen?«

»In dem Vertrag steht nirgendwo, dass ich den Text auswendig lernen soll. Außerdem schaut mich ohnehin niemand an. Ich könnte mit einem tollwütigen Waschbär raufen, ohne dass es jemand bemerkt.«

Donnie blätterte sich durch mehrere Seiten des einzeilig getippten Drehbuches. Dann räusperte er sich.

»Und was ist mit Jar Jar Binks?«, fragte er in einem theatralischen Tonfall. »Die Leute sagen, er ist ein plapperndes Happy-Meal-Spielzeug auf zwei Beinen. Aber weißt du was? Für Happy-Meal-Spielzeuge ist das eine Beleidigung! Weil sie nämlich viel unterhaltsamer sind als er!«

»Redest du nur so einen Stuss?«

»Sozusagen. Der Typ sagt, ich soll so klingen als wenn ich einen an der Klatsche hätte.«

»Dein Zorn ist nicht zu überhören. Ja, lass es uns so machen.«

Als Donnie die Kamera einschaltete, bumste oberhalb von Leias Kopf etwas gegen die Wand.

»Was war das?«, fragte sie.

»Die Gäste nebenan schieben wohl ’ne Nummer«, sagte Donnie. »Ausgerechnet jetzt! Sie machen uns die Aufnahme kaputt.«

Ein Stöhnen drang durch die Mauer.

»Wir können nicht warten, bis sie fertig sind«, sagte Leia. »Ich muss bald wieder weg …«

»Ich weiß, ich weiß«, sagte Donnie.

Es bumste erneut, dann ertönte ein schriller kurzer Schrei.

»Sag ihnen, sie sollen die Klappe halten«, sagte Leia.

Donnie schaltete die Kamera und das Lämpchen aus, dann begab er sich zur Tür.

»He, das war nur ’n Scherz«, sagte Leia. »Wag es bloß nicht, mich hier so liegen zu lassen!«

»Reg dich nicht auf«, sagte Donnie. »Es dauert nur ’ne Sekunde.«

Er öffnete die Tür und ging in den Hotelkorridor hinaus. Er zog die Tür zwar hinter sich zu, ließ sie aber nicht ins Schloss fallen. Sie fiel nur gegen den Rahmen und ging wieder einige Zentimeter auf.

Leia prüfte die Handschellen. Sie wollte wissen, ob man sie abstreifen konnte, aber Donnie hatte sie eng angelegt.

Danke, Kumpel, dachte sie.

Einige Sekunden vergingen. Dann noch ein paar. Leias Blick fiel auf den Schlüssel auf dem Nachtschränkchen. Er war etwa vierzig Zentimeter von ihrer rechten Hand entfernt – hätte aber auch einen Kilometer weg sein können.

»Donnie?«, rief sie.

Keine Antwort.

Aus den Sekunden wurden Minuten.

Leia überlegte, ob sie Donnie noch einmal rufen sollte, doch die lauten Geräusche aus dem Nebenzimmer sagten ihr, dass es besser war, dies nicht zu tun. Wieder wurde gestöhnt – aber es war kein Gestöhn jener Art, wie man es unter solchen Umständen erwartete. Die Stimmen transportierten keine Wollust. Sie klangen eher, als gehörten sie jemandem, der im Sterben lag – oder noch schlimmer dran war.

Besonders verwirrend war, dass die Stimmen sich nun in den Hotelkorridor zu begeben schienen. In jenen Bereich, in dem sich ihre einen Spaltbreit offene Zimmertür befand.

Leia wusste zwar nicht, was draußen los war, aber eins wusste sie genau: Sie wollte nicht daran teilnehmen.

Sie rührte sich nicht. Um ihre Atmung zu beruhigen, griff sie auf eine Yogatechnik zurück. Sie hoffte, dass Donnie zu ihr zurückkam, doch schrittweise wurde ihr klar, dass es nicht mehr dazu kommen würde – aus ihr noch unbekannten Gründen.

In dieser Hinsicht, dachte sie, habe ich ein sehr ungutes Gefühl.