30 | Mann ohne Glas

Mein Gott, ist das ein guter Wein! Ich habe ihn so bitter nötig, daß ich fast das halbe Glas in einem Zug austrinke, bevor ich es neben mich auf die Theke stelle. Oskar lächelt mir zu. Wie ich schon sagte, wären bloß alle …

Jetzt schaue ich hinüber an den Tisch, wo noch immer der Band mit Gedichten W. H. Audens liegt. Das ist gut so. Nicht gut ist, daß Lorenz Mohn…

Ich reiße meinen Kopf mit einer Heftigkeit herum, als wollte ich mich solcherart köpfen. Jetzt sehe ich ihn. Er ist auf dem Weg zu Claire. Ein paar Schritte vor ihm der Killer, welcher soeben seine Waffe anhebt und die Verbindungstüre zur Seite schiebt.

Wie gern würde ich wieder nach dem Wein greifen! Es gibt zwar auch Wein auf X, doch ist seine Wirkung dort bei weitem nicht so erfreulich. Er tröstet nicht, läßt nicht vergessen, macht nur ein wenig blöd. Doch der Wein hier auf der Erde… Wie schön es wäre, so lange zu trinken, bis das alles vorbei ist. Die Dinge vertrinken, wie man die Dinge verschläft. Aber leider ist jetzt weder schlafen noch trinken angesagt. Ich setze mich, so rasch es geht, in Bewegung, ich muß diesen Strickwarenmenschen davon abhalten, uns alle unglücklich zu machen.

Ich höre einen Schrei. Offensichtlich hat jemand soeben bemerkt, daß ein Mann mit einer Waffe im Türrahmen steht und dem Abend eine unerwartete Wende gibt.

Dann fällt der erste Schuß. Ich erreiche Lorenz Mohn nicht mehr.

Es heißt bei den Menschen doch immer: Alles wird gut. Das ist wohl ihre Art, dem Leben Adieu zu sagen und sich auf den Tod zu freuen.