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Skallon rannte durch die Straßen von Kalic, so schnell er es wagen konnte. Die sanfte Luft, schwer von Feuchtigkeit und dem treibenden, würzigen Rauch der Kochstellen, brannte in seiner Kehle. Vermummte Gestalten drehten sich nach ihm um, Leute schauten einander murmelnd an, aber er hetzte weiter. Er wußte, daß er ohnehin Interesse erregen würde, wenn er schneller als gewöhnlich ginge – also konnte er ebensogut gleich rennen und so vielleicht jeden Verdächtigen hinter sich lassen.
Er mußte Fain finden. Jetzt, da Scorpio tot war, befanden sie sich in einer verzweifelten Lage. Gemeinsam konnten sie den Änderung vielleicht noch rechtzeitig finden, aber einzeln würden sie ohne Zweifel sterben. Der Änderung hatte seine Karten auf den Tisch gelegt. Das Ding war weit gerissener, als Skallon es für möglich gehalten hatte. Wie konnte der Glaube an das Chaos einem Wesen solche Macht verleihen?
Schweiß rann ihm in die Augen. Vor sich erkannte er eine durchbrochene Mauer, elegant drapiert mit rotem Tuch. Die Halle der Tagras. In ihrem Schalten hockte eine Menschenmenge in der Hoffnung auf Hilfe oder Almosen. Jungen boten frische Beeren vom Lande feil. Eine Frau lehnte schluchzend an einer verfallenen Steinmauer. Dann bemerkte er noch etwas anderes.
Das Tosen drang aus den Fenstern der Halle heraus. Es klang wie die hohle Stimme eines Schmelzofens. Für einen langen Moment schien es, als wollte es nicht mehr aufhören, und Skallon, der im Vorhof der Halle zum Stehen kam, begriff plötzlich, daß er eine mit höchster Kapazität arbeitende Flammenwaffe hörte.
Blinzelnd und keuchend stand er da. Das große Portal öffnete sich langsam, und Fain kam heraus. Er schob einen Handstrahler in seinen Gürtel.
„Was … was hast du …“ begann Skallon.
„Ich habe ihn erwischt“, sagte Fain mit schwerer Zunge. Er versuchte, sich an Skallon vorbeizuschieben.
„Erwischt? Den Änderung? Wie denn?“
„Sieh’s dir an.“
Fain blieb keuchend stehen, während Skallon auf die hohe Tür zuging und sie mit der Schulter aufschob. Gestalten drängten sich am Rande des Vorhofes, tuschelten miteinander, aber niemand wagte näher zu kommen.
Skallon stand eine ganze Weile da und schaute sich in der Halle um. Sie war voller Blut, und in den Wänden waren tiefe Brandlöcher. Ruhig und mit klarem Kopf dachte er an den Aufruhr und an das, was er in seinem Drogenrausch getan hatte. Es war schlimm gewesen. Genau gesagt, es war ein destabilisierender Zwischenfall. Er brauchte keine soziometrische Studie von Kalic, um zu wissen, was die Anwesenheit von Erdlern, von getarnten Erdlern, hier bewirkt hatte.
Die Auswirkungen hätten sich jedoch dämpfen lassen. Mit behutsamen, sorgfältigen Justierungen hätte er den Riß, den er verursacht halle, beheben können.
Aber das hier …
Jetzt gab es keine Lösung mehr. Alvea würde in eine neue soziometrische Phase überkippen. Die Kasten würden vielleicht überleben, die groben Umrisse dessen, was einmal die alveanische Kultur gewesen war … aber die Vernichtung der gesamten Führung einer Kaste würde alles verändern. Die Erde konnte Alvea jetzt nicht mehr zurechtflicken.
Irgendwo in diesem Brei von aufgerissenen Leibern lag der Änderung. Fain hatte es geschafft, ja. Aber der Änderung hatte gewonnen. In Kalic würde eine rasende Wut entflammen, ein Chaos, das sich über das ganze Land verbreiten würde. Weder er noch Fain konnten jetzt noch etwas tun, um es aufzuhallen.
„Komm jetzt“, sagte Fain über Skallons Schulter. „Gehen wir zurück zum Hotel.“
„Nein“, erwiderte Skallon. Er wandte sich um, schob mit einem Achselzucken die Hand des Mannes von seiner Schulter und verschwand zwischen den wimmelnden, vermummten Menschen in den gähnenden Straßen von Kalic.
Skallon merkte, daß er ziellos umherwanderte. Er ließ sich durch die weitverzweigten Außenbezirke von Kalic treiben. Grunzend erklomm er einen Hügel und fiel schmerzhaft aufs Knie. Von dem abschüssigen Hang aus konnte man den Stadtrand sehen. Bilder glitten wahllos durch seine Gedanken. Joane, Fain, die verschwommenen, flackernden Gesichter einer Reihe von Alveanern, der Aufruhr, ein heißer, spröder Hauch von Weihrauch und Öl, ein mattes, rubinrotes Licht. Seine Gedanken wirbelten in ihrem Vakuum.
Er hörte ein fernes Stampfen. Er hastete den Berg hinauf und fand eine Frau, die auf einem Bett lag. Es war ein Messingbett, und Laken, Bezüge und Decken waren sorgfältig geglättet und festgestopft. Die Frau lag da und schaute zum Himmel. Neben ihr sah er ein kleines Mädchen, dessen Augen das helle Blau des Himmels spiegelten. Keine der beiden bewegte sich oder nahm Notiz von seinen knirschenden Schritten. Sie wirkten, als ob sie ganz ruhig warteten. Er sah, wie sie atmeten, in langen, flachen Zügen.
Plötzlich erhob sich am Rande des Abhangs ein Junge aus dem Boden.
„Woher kommst du?“ Skallons Stimme klang heiser.
„Aus der Erde“, antwortete der Junge, glücklich über sein Geheimnis.
„Das habe ich gesehen.“
„Meine Mutter und meine Schwester warten darauf, daß wir den ersten Raum ausgraben.“
Der Junge trat einen Schritt zurück, Steine fielen von ihm ab, und er zeigte ihm die Kante eines Loches. Es war eine Höhle. Aus ihrem Innern drang das Stampfen, das Skallon gehört hatte.
Ein Mann kam herausgekrochen. Er zog einen mit Erde und Steinen gefüllten Eimer hinter sich her. Der Mann sah Skallon wortlos an. „Unser Heim“, sagte der Junge stolz.
„Aber … warum eine Höhle graben? Die Seuchen … es gibt viele verlassene Häuser in der Stadt. Ihr könntet …“
„Sie sind verseucht.“
„Das macht doch nichts. Wenige dieser Krankheiten sind ansteckend.“
„Ach“, sagte der Mann verächtlich.
„Nein, wirklich.“
„Wer könnte da sicher sein?“ fragte der Mann mit schneidender Stimme. Er funkelte Skallon wütend an. Verlegen wich Skallon einen Schritt zurück.
„Nicht völlig sicher natürlich, nein. Aber es sind doch zweifellos zum größten Teil genetische Defekte …“
„Wir leben hier. Halten uns fern von den Häusern der Toten.“
Der Junge nickte. „So wie es die Alten taten. Vor alldem“, sagte er mit seiner hellen Stimme. „Unter der Erde. Geschützt.“
Skallon sah wie betäubt zu. Der Mann zog den Eimer mit seinen knotigen Armen heraus und kippte das Gestein den Abhang hinunter. Ein brauner Streifen zog sich den Hang hinab.
„Einen Raum. Und dann noch einen.“
Skallon sah, daß der Mann keine Beine hatte. Es waren nur Stümpfe. Eine Amputation, um eine Krankheit aufzuhalten.
Der Mann kroch zurück in die Mündung der Höhle, und der Junge folgte ihm. Skallon beobachtete die Frau und das Mädchen. Eine stumme, erschöpfte Geduld, älter als die Jahrhunderte.
Es begann zu regnen; das erste Mal, daß Skallon auf Alvea Regen sah. Die Gestalten auf dem Bett blieben regungslos liegen und ließen den Regen wie ein weiches, dauerhaftes Laken auf sich herabfallen. Das Stampfen unter der Erde begann wieder.
Jetzt, da der Änderung nicht mehr da war, gestattete Skallon seinen Gedanken, seine Bilder noch einmal heraufzubeschwören. Seine raschelnden, knirschenden Bewegungen. Das Stöhnen, als sein Fleisch sich verschob und verformte. Sein furchtbares, wissendes Lächeln. Skallons Lächeln.
Das Wesen war tödlich und angsteinflößend, und zwar weit mehr als er befurchtet hatte. Aber es war auch faszinierend. Eine Sekunde lang hatte Skallon einen Schimmer dessen gesehen, was das Ding fühlte, er hatte gespürt, wie es die Welt sah.
Stirnrunzelnd ging er weiter und versuchte, sich an die zarten Impressionen zu erinnern. Was er von dem Änderung empfangen hatte, waren nicht Ideen, sondern Gefühle, Empfindungen, Emotionen. Etwas vom Tanzen, vom leicht Dahinleben, vom Gleiten durch die Zeit wie ein Schiff auf ruhiger See. Und von der Unsterblichkeit. Daß Gommerset am Ende doch etwas bedeutete. Es gab eine entfernte Verwandtschaft zwischen dem Änderung und Alvea, dessen war er sich sicher.
Gleichviel – das Wesen, so menschenähnlich in vieler Hinsicht, und doch so fundamental anders, hatte versucht, die alte Kultur von Alvea zu zerstören. Er harte Alvea zerstört. Es war ein abstoßendes und dennoch faszinierendes Ding, dieser Änderung. Skallon schauderte. Vielleicht konnte er Fain keinen wirklichen Vorwurf machen, weil dieser ihn gelötet hatte. Die ganze Zeit über war Danon der Änderung gewesen. Das Ding hatte in ihm gesteckt, voller Hohn. Auf dem Platz, bei den langen Versammlungen, während der Verfolgungsjagd durch die Straßen von Kalic. Immer lachend. Immer da. Und am Ende, noch im Tode, hatte er gesiegt.
Der Änderung war nicht tot.
Joseph Fain saß auf dem Bett in seiner Kammer im Hotel und starrte auf den dunklen Flecken am Boden neben seinem Fuß, während der Lärm des Chaos von der Straße heraufwogte. Soeben hatte er einen Käfer mit dem Stiefel zerquetscht, und zum zweiten Mal in seinem Leben verstand er alles.
Der Änderung war nicht unter denen gewesen, die in der Halle gestorben waren. Dessen war er so sicher, wie er jemals einer Sache sicher gewesen war.
Um etwas zu töten, mußte man es kennen. Der Änderung kannte Fain. Und aus dieser Kenntnis heraus hätte er es niemals zugelassen, daß er sich ihm unbemerkt näherte.
Fain begriff, was der Änderung beabsichtigt hatte. Er hatte die Existenz von Fains kühlem Mittelpunkt gespürt, instinktiv hatte er die Quelle seiner Kraft erfaßt, und er hatte sich darangemacht, diesen Kern zu zerstören.
Dies hatte das Ende sein sollen: Die Erkenntnis, daß er eine Versammlung von Unschuldigen niedergemetztelt hatte, sollte ihn in den Abgrund stoßen.
Fain lächelte gepreßt. Ein toter Käfer hatte ihn gerettet. Er fühlte nichts – nur noch absoluten, totalen, überwältigenden Frieden. Kein Bedauern. Keine Scham. Keine Schuld.
Der Änderung war allzu erfolgreich gewesen. Indem er den kühlen Kern in seinem Innern ausgelöscht hatte, hatte er das Wissen freigesetzt, das ihn befreite, das jede Sorge um Leben und Tod absurd und sinnlos machte.
Jetzt endlich verstand Fain den Änderung wirklich.
Und er konnte ihn töten.
Wenn er ihn fände.
Und er wußte, das würde bald sein.
Mit leichtem Kopf und unbestimmten Gedanken ließ Skallon sich durch die verstopften Straßen von Kalic treiben. Der Mißklang, den er vorausgeahnt hatte, erhob sich jetzt überall wie eine Antwort auf ein unhörbares Pulsieren. Banden von kleinen Jungen bekämpften einander mit Knüppeln und Lehmklumpen. Männer rannten in atemloser Hektik irgendwelchen Besorgungen nach. Karren schoben sich durch die staubigen Straßen, hoch beladen mit ärmlichem Hausrat, und ihre Besitzer waren bemüht, die Stadt noch vor Einbruch der Nacht zu verlassen. Die Stadt grollte leise, zweifelnd und verwirrt.
Durch Nebenstraßen erreichte er das Hotel, neugierigen Blicken aus dem Weg gehend. Er hatte Fain einiges zu sagen, aber das konnte warten. Er brauchte Ruhe und Zeit zum Nachdenken. Er schlüpfte durch den Hintereingang und schlich durch den trüben Gang zu seinem Zimmer.
Joane lag auf dem Bett. „Du bist in Sicherheit!“
Skallon nickte. „Fain … er ist zurückgekommen … er sagt, das Ding ist tot.“
„Die Rache für das Tier, für den Hund. Und für Danon“, sagte sie einfach.
„Ja, vermutlich.“
Sie saßen eine Weile auf dem Bett, ohne sich zu berühren.
Skallon fragte sich, wie sich bei Alveanern Trauer äußern mochte. Soweit er es in dem schwachen Licht erkennen konnte, zogen sich keine Tränenspuren durch Joanes Gesicht. Sie saß da, faltete müßig die Hände ineinander und löste sie wieder. Es war ganz still zwischen ihnen.
„Fain … er sagt, er mußte viele töten …“ Joane schien nach irgend etwas zu suchen, was sie sagen konnte. Smalltalk. Fain würde das hassen.
Skallon nickte. „Was hat er dir erzählt? Hat er gesagt, es sei sein Job? Er habe es nicht gern getan, aber er habe es tun müssen?“
„Er … so etwas Ähnliches.“
Skallon verspürte eine überwältigende Mattigkeit. „Ja. So ist es.“
„Ihr … ihr werdet jetzt fortgehen?“
„Fain hat wahrscheinlich schon den Orbiter gerufen.“
„Morgen also?“
„Nein. Nicht morgen. Überhaupt nicht. Ich gehe nicht zurück.“
Ihre Augen weiteten sich. „Warum nicht?“
„Wenn ich zurückginge, würde man mich irgendwo in eine Unterkunft stecken. Man würde mich für einen neuen Planeten trainieren und mich mit seiner Kultur vollstopfen. Das will ich nicht. Ich kenne Alvea. Zum Teufel, ich kenne es wahrscheinlich besser als die Erde. Von der Erde bekommt man heutzutage nicht mehr viel zu sehen. Lauter Farmland und Reservationen. Man kann sich kaum noch bewegen.“
„Aber hierbleiben … nach allem, was du mir gesagt hast …“
„Habe ich es dir erzählt? Ja, wahrscheinlich. Erdler haben hier keine normale Lebenserwartung. Das unterscheidet dich von mir. Deine Gene sind zurechtgestutzt.“
„Du wirst sterben?“
„Nicht sofort. Ich werde mich nur nicht ganz erholen, falls ich einmal krank werde. Irgendeine verfluchte Adaptionslücke wird mich langsam auffressen.“
„Wie … furchtbar.“
Skallon lächelte schmal. „Jemand muß versuchen, zu reparieren, was wir hier angerichtet haben. Und dann ist da noch diese Gommerset-Geschichte, der ich gern auf den Grund gehen möchte.“
Joane runzelte die Stirn. „Du warst nicht verantwortlich für den … dafür, daß so viele umgekommen sind.“
„Ich war ein Narr. Der Änderung hat mit uns gespielt wie mit Marionetten. Wir wußten nie, was vor sich ging. Ich hätte sehen müssen …“
„Aber der Tod dieser Leute kam aus der … der Unordnung.“
„Nein, es war meine Schuld. Und Fains“, fügte er scharf hinzu.
„Wenn etwas Böses geschieht, dann ist es ein Ausdruck des ganzen Universums. Und ebenso ist es, wenn etwas Gutes geschieht. Beides entspringt aus dem willkürlichen Wirken des … des Ganzen.“
„Wie kannst du an Gommerset glauben, wenn du … Na ja, vielleicht steckt in Alvea mehr, als ich dachte.“
„Was du für das Gute und das Böse hältst, sind nicht deine Ideen. Sie sind, was sie sind.“
„Und?“ sagte Skallon nachdenklich.
„Du solltest dich ihnen fügen. Versuche nicht, sie irgendwie zu ändern.“
„Alles, was du sagst, macht mich nur noch sicherer, daß ich das Richtige tue. Ich will Alvea kennen. Ich will wirklich verstehen, was du sagst. Begreifst du das, Joane?“
Er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen. Draußen sank die Dämmerung herab, und im Zimmer war es dunkel geworden. Skallon war müde, seine Gelenke schmerzten, und seine Kehle war eng und trocken.
„Ich weiß nicht … Willst du …?“ Sie ließ sich zurücksinken, reckte die Hüften hoch und zog den Saum ihres langen Kleides zurück. „Ich werde dich aufnehmen.“
„Aber … nein, nein, ich … bin müde.“ Skallon war bestürzt über ihre Direktheit. Noch während er sprach, sah er, wie ihre schattendunklen, fleischigen Schenkel sich teilten, und er dachte an die Erleichterung, die er dort finden würde. Aber nein, er war eigentlich nicht in der richtigen Stimmung. „Ich glaube, ich werde mich ausruhen. Später vielleicht.“
Sie nickte und erhob sich mit ruckhaften Bewegungen. „Ich werde zurückkommen.“
Als Skallon sich zurücklehnte und die Stiefel von den Füßen zog, dachte er an sie und versuchte, ihre Stimmung in den letzten paar Minuten zu interpretieren. Sie war anders, verändert, eine Frau mit tiefen, wandelvollen Strömungen, eine Frau, die ebenso komplex war wie Alvea, auf eine Weise, wie die Erde es für ihn niemals sein würde. Die Erde, auf der alles geplant und kontrolliert war, hatte ihr Bild in Jahrhunderten kaum noch verändert, und sie würde für alle Zeit so bleiben. Die Erde – ein Netz, dessen Knoten die Menschen waren, die wohlgeordnet und bekannt in einer Schachtel lebten, genau begrenzt in dem, was sie tun und wissen und lieben konnten. Niemand blutete auf der Erde, und niemand starb. Eines Tages war man da, und am nächsten nicht mehr – zip, und das war alles. Niemand grub sich schutzsuchend in die Erde – zum Teufel, sie lebten ja schon unterirdisch, und die gesamte Oberfläche war für Pflanzungen und Schutzgebiete reserviert –, niemand hatte Seuchen oder einen langsam schleichenden Tod zu fürchten, niemand lebte wirklich, nicht so wie die Alveaner lebten. Es waren die Leute auf dem Hügel, denen Skallon helfen, die er kennenlernen wollte. In dem Chaos, das jetzt kommen sollte, würden sie hilflos treiben, wenn sie den Halt der Kasten nicht mehr hätten, sie würden wie kleine Vögel vor dem aufziehenden Sturm zu Boden stürzen. Er mußte ihnen helfen.
Das Gesicht in das zerknüllte Kissen gepreßt, fiel er in einen unruhigen Schlaf.
Er erwachte mit sandigen Augen und ausgedörrter Kehle. Aber mehr als nach Wasser oder Ruhe verlangte es ihn nach Joane. Er mußte reden über das, was jetzt kommen würde. Er würde es Fain sagen müssen. Wahrscheinlich würden sie Kalic verlassen müssen, er und Joane. Ganz gewiß würde sie nicht mehr bei Kish bleiben können – sie hatten nichts miteinander gemein. Sie würden auf dem Lande Schutz suchen. Ein ganz neues Leben mußte beginnen.
Er stolperte zur Küche hinunter, und seine Doubluth-Gewänder verfingen sich an den Wänden der Korridore. Joane war nicht da. Kish war damit beschäftigt, Gemüse zu putzen. Er sah auf, nickte und widmete sich wieder seiner Arbeit. Offensichtlich wollte er sich nicht unterhalten.
Skallon wanderte durch die unteren Räume des Hotels und suchte nach Joane. Das Hotel war wie ausgestorben. Draußen in der Maraban Lane wimmelte und lärmte der Verkehr. Menschen hasteten ziellos hin und her, sie schleppten Taschen und Pakete, und ihre Gesichter waren gespannt und Feindselig. Eine vorüberziehende Gruppe von Frauen begann einen hoffnungsvollen Gesang, aber schon bald gerieten sie aus dem Takt, und der Gesang versickerte. Der von vielen Füßen aufgewirbelte Staub hing schwer in der Luft.
Skallon wandte sich von den beschlagenen Fenstern ab. Also gut, er würde zu Fain gehen. Er mußte sich diesem Augenblick stellen.
Auf sein Klopfen folgte eine Pause, ein Schweigen, das von innen herausdrang. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Fain stand seitlich dahinter, den Rücken gegen die Wand gepreßt und den Hitzestrahler auf die Türöffnung gerichtet.
Skallon runzelte die Stirn. „Was machst …“
Dann sah er die Gestalt auf dem Bett.
Joane.
Etwas Braunes rann über ihre Schenkel und drang durch den Stoff ihres Kleides.
Die Augen verdreht, weiß.
Ein qualmendes Loch in ihrem Bauch, das sich jetzt langsam mit Rot füllte.
Hölzern drehte Skallon sich um. „Du …“
Er schlug nach Fain. Mit der Handkante hieb er nach dem Arm, der die Waffe hielt. Fain wandte sich um. Der Schlag ging ins Leere, und Skallon verlor das Gleichgewicht. Er taumelte gegen die Wand, stieß sich ab und zog das Knie hoch, um nach Fain zu treten. Fain wich tänzelnd zurück.
„Du … Mörder … wahnsinnig …“ stieß Skallon mit-zusammengebissenen Zähnen hervor. Er fand sein Gleichgewicht wieder und suchte nach einer Öffnung in Fains Deckung.
Er warf sich vorwärts. Fain trat beiseite. Skallon stolperte über Fains ausgestreckten Stiefel, und Fain schlug ihn sauber auf den Hinterkopf. Skallon stürzte zu Boden, und die Welt wurde dunkel, dunkel und gesprenkelt mit summenden weißen Flecken. „Warum … ich …“, begann er.
„Ich habe nicht Joane getötet“, sagte Fain keuchend. „Das ist der Änderung.“