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Es klang wie wenn Fin­ger­nä­gel krei­schend durch ei­ne Blech­schüs­sel krat­zen, und das Ge­räusch er­füll­te die Ka­bi­ne mit schril­len Har­mo­ni­en. Fain ver­zog das Ge­sicht.

Er blick­te zur Sei­te. Auch Skal­lon saß mit ver­zerr­tem Ge­sicht da, und Li­ni­en der An­span­nung schnit­ten sich durch sei­ne jun­gen Zü­ge.

Wenn das so wei­ter­ging …

Fain zün­de­te die Re­tros. Der plötz­li­che Stoß ließ sei­ne Zäh­ne auf­ein­an­der­schla­gen. Er spür­te den er­neu­ten An­prall der Brems­ver­zö­ge­rung. Die Ver­klei­dung, die die Na­se um­hüllt hat­te, war ab­ge­flo­gen. Ab­rupt en­de­te das krei­schen­de Heu­len. Ein jau­len­des Ge­räusch folg­te. Da geht die Au­ßen­hül­le hin, dach­te Fain.

„Was … was war das?“

„Es hat einen Par­ti­kel­strahl auf un­se­re Na­se ge­rich­tet. Hat sie ganz schön zu­ge­rich­tet. Ich ha­be die Re­tros ge­zün­det, um die Au­ßen­haut ab­zu­schüt­teln.“

„Komm­Zen hat doch ge­sagt, der Än­de­rung könn­te die­se Sub­sys­te­me nicht be­die­nen.“

„So ist es.“ Fain hör­te, wie die zwei­te Haut ab­schmor­te: ein brut­zeln­des Ge­räusch, wie Speck in der Pfan­ne. Es kam laut und deut­lich über die akus­ti­schen Ver­stär­ker her­ein. Die Akus­tik­sen­so­ren wa­ren das ver­läß­lichs­te Mit­tel zur Über­wa­chung des Ein­tauch­ma­nö­vers. Das Tem­po, in dem die Tur­bu­lenz­aus­gleichs-Trag­flä­chen ver­glüh­ten, wur­de von der er­for­der­li­chen Ge­schwin­dig­keit dik­tiert, nicht von der Si­cher­heil. Es war ein rau­her Ritt.

Das vi­brie­ren­de Brül­len in den Heck­sen­so­ren stieg an. Hö­her, hö­her – die zwei­te Haut war fast ver­brannt.

Fain zog ei­ne Gri­mas­se. Die Ein­tauch­hül­len schäl­ten sich ab; sie er­füll­ten den Him­mel rings­um mit me­tall­be­schich­te­tem Plasta­form, das Ra­dar und Exo­sens-De­tek­to­ren durch­ein­an­der­brach­te. Gul. Je­der Split­ter der Hül­le kom­pli­zier­te das Pro­blem für den Än­de­rung.

Sie wa­ren ver­flucht knapp da­vor ge­we­sen, den Än­de­rung oben im Or­bit zu er­wi­schen. Er hat­te nicht mit ih­nen ge­rech­net. Als Komm­Zen die Be­stä­ti­gung hat­te, daß die Än­der­lin­ge auf dem Weg zu die­ser spe­zi­el­len Welt wa­ren, wa­ren sie so­gleich von der Er­de ab­ge­flo­gen. Sie hat­ten kaum Zeit ge­nug ge­habt, Skal­lon auf­zu­stö­bern und rei­se­fer­tig zu ma­chen. Er war der Pla­ne­ten­spe­zia­list für die­sen Ein­satz, für den Fall, daß sie den Än­de­rung im Welt­raum ver­feh­len soll­ten.

Und das hat­ten sie, wenn auch nur knapp. Als sie aus dem Über­licht-Be­reich her­aus­ge­kom­men wa­ren, wa­ren sie fast in Schuß­wei­le ge­we­sen, und die Kap­sel des Än­der­lings war in die al­vea­ni­sche At­mo­sphä­re ein­ge­taucht. Jetzt muß­ten sie dem Ding nach dort un­ten fol­gen. Schnell, ge­schmei­dig, mas­sig ka­men sie her­ein und ver­such­ten, den Än­de­rung fest­zu­na­geln, ehe er lan­den konn­te.

Er war ir­gend­wo un­ter ih­nen, und sei­ne bal­lis­ti­schen Sys­te­me ver­such­ten, ih­re Kap­sel in dem Re­gen von Trüm­mern aus­zu­ma­chen. Er war schnell und schlau. Er hat­te sie mit die­sem lo­nen­strahl ge­fun­den und ih­ren Si­cher­heits­s­piel­raum er­heb­lich ver­klei­nert, in­dem er die schwe­re Schutz­hül­le zer­stört hat­te. Aber jetzt war es Zeit für ei­ne Ant­wort.

Fain ak­ti­vier­te die Sys­te­me der An­griffs­waf­fen. Mit ei­nem drei­fa­chen Dopp­ler­ef­fekt zeig­te der Bild­schirm einen Schnee­sturm von Bil­dern in der fins­te­ren, frem­den At­mo­sphä­re un­ter ih­nen – trei­ben­de Flo­cken der ab­ge­blät­ter­ten Ein­tauch­hül­len, Phan­tom­trüm­mer. seit­wärts ja­gen­de Eva­si­ons­ge­schos­se, leuch­tend und ir­re­füh­rend. Ei­nes da­von war der Än­de­rung.

Fain mach­te sein Ge­schütz scharf. Er wähl­te ein Ziel in der Mit­te des me­tal­li­schen Schnee­sturms. Die Mög­lich­kei­ten des Ra­dars wa­ren be­grenzt. Dar­über hin­aus war man auf ge­schick­tes Ra­ten an­ge­wie­sen. Er drück­te auf den Aus­lö­ser.

Zunk. „He!“ schrie Skal­lon. „Das klang wie ein …“

„War es auch.“

„Hör mal, die Ver­wen­dung von Waf­fen der Klas­se IV im Ho­heits­raum von Al­vea …“

„Ich weiß, ich weiß. Hat Komm­Zen ver­bo­ten. Aber die sind jetzt nicht hier, und wir schon. Und das Ding da un­ten hat einen Io­nen­blitz auf uns los­ge­las­sen.“

„Das gel­allt mir nicht. Die Ein­ge­bo­re­nen wer­den es se­hen und …“

„… und wahr­schein­lich igno­rie­ren. Paß lie­ber auf.“

Das Ge­schoß spie Plas­ma nach hin­ten und mach­te ein rotes Bild auf den Exo­sens-Schir­men. Es be­weg­te sich rasch auf sein Ziel zu. Die Schnee­flo­cken­bil­der trie­ben nach rechts …

Die A-Ex­plo­si­on blüh­te auf, strah­lend und heiß.

„Je­sus!“ rief Skal­lon. „Wie groß war der Spreng­kopf?“

„Zehn Ki­lo­ton­nen. Im­plo­si­ons­ge­zün­det.“

Ei­ne io­ni­sier­te Wol­ke brei­te­te sich aus und ver­wisch­te die drei­fach ge­dopp­ler­ten Schnee­flo­cken zu blau­em Dunst. Fain wand­te den Blick von dem viel­far­bi­gen Spek­ta­kel ab und hoff­te, dies sei das En­de. Ein sau­be­rer, chir­ur­gi­scher Ein­griff, das war es, was er woll­te. Da­nach könn­ten sie lan­den, das Mut­ter­schiff im Or­bit ru­fen und auf dem Trans­licht-Trä­ger von hier ver­schwin­den.

Er sah zu, wie die Ato­m­ex­plo­si­on auf­quoll. Im Zen­trum zeig­ten sich ro­te Strah­len, ein Hin­weis auf Ge­gen­stän­de, die der Feu­er­sturm er­faßt hat­te. In die­sem Be­reich ver­schmol­zen sie zu ei­nem stump­fen Ball wie in ei­nem Freu­den­feu­er. Fain dach­te an Flam­men, an Bren­nen und plötz­lich an einen Mann, der her­an­ge­stürzt kam, und an sei­nen Klei­dern zuck­ten oran­ge­far­be­ne, zün­geln­de, fres­sen­de Flam­men. Der Mann schrie. Er brüll­te et­was, aber Fain ver­stand es nicht, denn das hoh­le To­sen der Flam­men über­tön­te al­les, und die Flam­men fra­ßen sich wei­ter, sie fra­ßen und ver­seng­ten und schwärz­ten al­les … die Flam­men … die Flam­men …

Er schüt­tel­te den Kopf. Nein.

Das Bild ver­blaß­te. Er muß­te sich auf den Schirm kon­zen­trie­ren. Er späh­te tief in die Wol­ke hin­ein und such­te nach den ver­rä­te­rischen Io­ni­sa­ti­onss­pu­ren schwe­rer Me­tal­le. Sie wür­den ihm zei­gen, wo die Kap­sel ver­dampft war, wo sie auf­ge­bro­chen war und den Än­de­rung zer­quetscht hat­te wie ein Ei.

Aber er fand nichts. Das Ge­schoß hat­te nicht ge­trof­fen.

„Schei­ße!“ bell­te Fain und schlug ge­gen die Kon­so­le. Jetzt wür­de die Trüm­mer­wol­ke sel­ber den Än­de­rung ge­gen wei­te­re Schüs­se ab­schir­men. Sie wür­den ihm nach un­ten fol­gen müs­sen.

„Ich ha­be die Brems­fall­schir­me fer­tig“, sag­te Skal­lon sanft.

„Okay.“ Fain ver­zog das Ge­sicht, wü­tend über sich selbst. Mit ei­nem ras­seln­den Knall öff­ne­te sich der ers­te Fall­schirm. Fains Rück­grat wur­de von sei­nem drei­fa­chen Ge­wicht zu­sam­men­ge­staucht. Sein Alem ging stoß­wei­se. Ir­gend­wo krach­te ein un­ge­si­cher­ter Ge­gen­stand an ein Schott. Die Luft in der Kap­sel be­kam einen bei­ßen­den Ge­schmack.

Er warf einen Blick nach hin­ten, um zu se­hen, wie es Scor­pio ging. Der Neo­hund war fest an­ge­schnallt. Die Brems­ver­zö­ge­rung ließ sei­ne Au­gen gla­sig er­schei­nen, und sei­ne Zun­ge hing ihm aus dem Maul. „Al­les in Ord­nung, mein Jun­ge?“

„In. Or’nung. Sehr. Schuär.“ Be­stimm­te Lau­te konn­te er in die­ser Brems­ver­zö­ge­rung nicht her­vor­brin­gen, aber Fain war an Scor­pi­os Ak­zent ge­wöhnt. Sie hat­ten schon frü­her zu­sam­men­ge­ar­bei­tet. Vor fünf Jah­ren hat­ten sie auf Re­vo­li­um, ei­ner gott­ver­las­se­nen Was­ser­welt, einen Än­de­rung ge­fan­gen. Auf ei­ner sei­ner letz­ten Missio­nen hat­te Fain ver­sagt, nur weil er kei­nen Neo­hund bei sich ge­habt hat­te, und er woll­te ver­flucht sein, wenn er das noch ein­mal zu­las­sen wür­de. Die­ser Auf­trag hier müß­te oh­ne­hin ein­fa­cher sein als die Sa­che auf Re­vo­li­um. Es war leich­ter, einen Än­de­rung zu lö­ten als ihn zu fan­gen. Ein Än­de­rung konn­te einen wirk­lich zum Nar­ren ma­chen, wenn man all­zu lis­ten­reich he­r­an­ging. Ei­ne schnel­le Ver­nich­tung da­ge­gen war ei­ne sau­be­re Sa­che und au­ßer­dem gründ­li­cher.

„Scheint ziem­lich haa­rig zu wer­den“, mein­te Skal­lon.

„Wenn wir un­ten sind, pa­cken wir ihn.“

Fain spür­te, wie der Fall­schirm ab­riß. Ein zwei­ter sprang her­aus, und ei­ne neue Brems­kraft­wo­ge brach über sie her­ein. We­nigs­tens war der Atom­spreng­kopf nicht völ­lig ver­schwen­det ge­we­sen. Der Än­de­rung be­fand sich jetzt un­ter der Ex­plo­si­ons­stel­le, und so konn­ten sei­ne auf­wärts ge­rich­te­ten Sen­so­ren sie im Him­mel nicht aus­fin­dig ma­chen. Sie konn­ten si­cher zu Bo­den glei­ten. Den­noch …

Fain feu­er­te ein zwei­tes Ge­schoß ab. „He!“ rief Skal­lon. „Was …“

„Zur Si­cher­heit.“

„Aber das geht knapp hun­dert Ki­lo­me­ter vor Ka­lic hoch!“

„Und das ist der Ort, den der Än­de­rung zu er­rei­chen ver­sucht, nach al­lem, was die Plan­theo­re­ti­ker sa­gen, oder nicht?“

„Aber die­se Re­gi­on ist dicht be­sie­delt. Sie wer­den es se­hen. Ei­ne Bom­be be­mer­ken sie viel­leicht nicht, aber zwei … Sieh mal, Ka­lic ist die Haupt­stadt und …“

„Weiß ich al­les.“ Fain wuß­te es nicht – Skal­lon war der Ex­per­te für Al­vea –, aber er war nicht in der Stim­mung für ei­ne Geo­gra­phielek­ti­on. „Laß es gut sein, ja?“

„Aber du ris­kierst …“

„Schon pas­siert. Ver­giß es.“ Fain haß­te nutz­lo­ses Ge­re­de. Er star­te­te ein Such­pro­gramm mit den Sen­sor­emp­fän­gern, um die Ge­gend ein­zu­gren­zen, in der der Än­de­rung lan­den konn­te. Am Bo­den muß­ten sie den Än­de­rung er­wi­schen, und sie muß­ten ihn schnell er­wi­schen, be­vor das Ding ent­kom­men konn­te. Ein haa­ri­ges Pro­blem, ge­wiß. Aber er wuß­te, wie man es mach­te.