7

 

Er er­wach­te, und der schwe­re, dump­fe Ge­ruch von Jo­a­nes Haar er­füll­te sei­ne Na­se. Er roll­te zur Sei­te und setz­te sich auf. Er fühl­te sich völ­lig aus­ge­ruht, ob­wohl ein Blick auf sei­ne Arm­band­uhr ihm sag­te, daß sie das Com­mu­nal vor we­ni­ger als ei­ner Erd­stun­de ver­las­sen hat­ten. Sei­ne Be­we­gung rief in ei­ner Ecke des Raum­es ein trap­peln­des Ge­ra­schel her­vor. Skal­lon er­blick­te zwei klei­ne, vier­bei­ni­ge Tie­re, die plötz­lich ver­harr­ten und ihn ih­rer­seits be­äug­ten. Ih­re di­cken, flei­schi­gen Schwän­ze zuck­ten hin und her. Ih­re bos­haf­ten, klei­nen Frett­chen­au­gen sa­hen blit­zend zu ihm her­auf. Sie äh­nel­ten Rat­ten, wa­ren al­ler­dings grö­ßer. Er frag­te sich, ob die Bies­ter ihn an­fal­len wür­den, doch dann be­zwei­fel­te er es. Falls sie nicht durch Krank­heit oder Hun­ger von Sin­nen wa­ren, wür­de es rei­ner Selbst­mord sein, wenn sie sich an einen Men­schen wag­ten. Sei­ne Über­le­gun­gen fan­den einen Au­gen­blick spä­ter ih­re Be­stä­ti­gung, als die bei­den zu­sam­men­zuck­ten, einen Blick zur Sei­te war­fen und mit blitz­schnel­len Be­we­gun­gen in ei­nem Loch in der Wand ver­schwan­den, das aus­sah, als sei es für sie viel zu klein.

„Hmmmm?“ Jo­a­nes Li­der flat­ter­ten, und dann war sie wach.

„Ich muß ge­hen.“

„Mmmm. Wo­hin?“

„Den Än­de­rung auf­stö­bern.“

„Oh.“

Die Nach­mit­tags­son­ne, die durch die dick ver­glas­ten Fens­ter her­ein­ström­te, ließ Jo­a­ne selt­sam leicht und luf­tig er­schei­nen, und ih­re Haut schim­mer­te wie ei­ne Per­le. Sie hat­te die glei­che an­ony­me Far­be wie Skal­lon und Fain, wie ei­gent­lich je­der auf der Er­de nach den Jahr­hun­der­ten von ho­mo­ge­ni­sie­ren­den Quer­strö­mun­gen in den Kul­tu­ren der Men­schen. Die Gom­mer­set-Gläu­bi­gen, die Al­vea ko­lo­ni­siert hat­ten, stamm­ten haupt­säch­lich aus Afri­ka. Skal­lon hat­te auf der Stra­ße ein paar dunk­le­re Leu­te ge­se­hen, aber selbst in die­sem re­la­tiv un­be­deu­ten­den, iso­lier­ten Win­kel des Ko­ope­ra­ti­ven Im­pe­ri­ums hat­ten sich die Ras­sen im Lau­fe der Zeit mit­ein­an­der ver­mischt. Jo­a­nes schwar­zes Haar ent­sprach nicht dem Stan­dard; als sie sich seuf­zend rä­kel­te, sah man schat­ten­haf­te, bräun­li­che Sträh­nen dar­in.

„Es ist sehr schnell ge­kom­men, nicht wahr?“ sag­te Skal­lon.

„Beim nächs­ten Mal kön­nen wir uns mehr Zeit neh­men.“

„Nein, ich mei­ne … wir ha­ben uns erst ges­tern ken­nen­ge­lernt.“

„Oh. Nun, ich ha­be ein deut­li­ches Zei­chen ge­ge­ben.“

„Beim Mit­tages­sen?“

„Heu­te mor­gen.“

„Ach so. Als du mir das Früh­stück ser­vier­test.“

„Ja. Du kennst Al­vea.“

„Du wuß­test al­so, daß ich es rich­tig ver­ste­hen wür­de.“

„Selbst­ver­ständ­lich.“ Wie­der lag die­se ru­hi­ge Ge­wiß­heit in ih­rer Stim­me, die Skal­lon schon am ers­ten Abend im Tem­pel ge­spürt hat­te. Sie lä­chel­te.

„Es war wun­der­schön.“

„Das war es.“ Sie beug­te sich her­über und küß­te ihn. Ih­re Brüs­te pen­del­ten leicht. „Du bist ein gu­ter Mann. Das wuß­te ich, als wir das ers­te Mal mit­ein­an­der spra­chen.“

„Ich hof­fe, ich ha­be nicht … weißt du, ich bin nicht voll­stän­dig ver­traut mit eu­ren Sit­ten … ich ha­be ein­fach …“

„Du machst dir Sor­gen um Kish.“

„Ja.“

„Was er sa­gen wird. Falls er es er­fahrt. Wie wir so et­was ma­chen.“

„Ja. Al­les das.“

„Du brauchst dir kei­ne Sor­gen um Kish zu ma­chen.“

Skal­lon dach­te, daß sie zwei­fel­los recht hat­te. Er wür­de noch ein paar Ta­ge hier sein, viel­leicht ein we­nig län­ger. Kein Grund, sich knie­tief in al­vea­ni­sche Ver­stri­ckun­gen ein­zu­las­sen. Da­zu be­stand ab­so­lut kein An­laß.

„Du bist ein Lö­we auf ei­nem Bau­ern­hof.“ Sie küß­te ihn noch ein­mal.

Skal­lon lä­chel­te. „Mag sein. Auf je­den Fall riecht es hier wie auf ei­nem Bau­ern­hof.“

„Ich wer­de dir von Kish er­zäh­len.“

Und wäh­rend sie er­zähl­te, zog er sich an.

 

Fain ging auf ei­ner Sei­ten­ve­ran­da des Ho­tels auf und ab, als Skal­lon ihn fand.

„Wo warst du?“

„Ich ha­be mich aus­ge­ruht.“

„Aber nicht in dei­nem Zim­mer.“

„Nein.“ Skal­lon äu­ßer­te sich nicht wei­ter, und Fain frag­te nicht. Da­non kam auf die Ve­ran­da ge­schlen­dert. Sei­ne Fü­ße wir­bel­ten klei­ne Staub­wol­ken auf, und er kau­te am Sten­gel ei­ner pur­pur­ro­ten Pflan­ze. Skal­lon er­kann­te sie als ge­koch­tes Quan­ti­ma­kas. „Okay, da ist Da­non. Ge­hen wir.“

„Du bist aber ganz schön mun­ter heu­te, Skal­lon“, sag­te Fain, und es klang un­er­war­tet bit­ter.

Skal­lon igno­rier­te sei­nen Ton. „Stimmt was nicht?“

„Wir brau­chen Scor­pio, um den Än­de­rung in ei­ner Men­schen­men­ge aus­fin­dig zu ma­chen. Un­se­re Dia­gno­se­ge­rä­te al­lein sind völ­lig nutz­los.“

„Ja, si­cher.“

„Und Scor­pio ist krank.“

Fain trat ge­gen das Ge­län­der. Das Holz riß und split­ter­te, und man sah einen ver­mo­der­ten Strei­fen, der sich wie ein brau­ner Fa­den durch den gan­zen Bal­ken zog.

„Was?“ Er sah Da­non an, aber der zuck­te die Ach­seln – ei­ne uni­ver­sel­le Ges­te. „Was hat er denn?“

„Er hat die­sen Scheiß­fraß nicht ver­tra­gen. Das fau­le Fleisch hat ihm ge­schmeckt, und er hat es ver­schlun­gen. Und jetzt hat er sich über und über mit dem Zeug voll­ge­schis­sen.“

„Oh. Hast du schon ir­gend­was aus der No­tapo­the­ke ver­sucht? Wir ha­ben je­de Men­ge Bio­re­ak­tan­ten. Die sind zwar für Men­schen, aber ein paar da­von …“

„Ich ha­be ihm drei ge­ge­ben. Oh­ne Er­folg.“

„Na ja, sie brau­chen Zeit. Das Sys­tem …“

„Wir ha­ben aber kei­ne Zeit. Dort drau­ßen ist der ver­damm­te Än­de­rung, und wir sit­zen hier fest in die­ser Wan­zen­bu­de von Ho­tel. Siehst du …“ Mit ei­ner wei­ten Ge­bär­de um­faß­te er die holp­ri­ge, von un­gleich­mä­ßi­gen Häu­sern be­stan­de­ne Stra­ße zu bei­den Sei­ten des Ho­tels. Die Häu­ser wirk­ten zu­sam­men­ge­drängt und schie­nen nur aus son­der­ba­ren Ecken und falsch ein­ge­paß­ten Wän­den zu be­ste­hen. Ein paar Ki­lo­me­ter weit ent­fernt rag­ten die Tür­me der Stadt­mit­te von Ka­lic em­por. Sie wa­ren ge­ra­de und auf­recht – mas­si­ve Fels­blö­cke. Es war of­fen­sicht­lich, daß sie be­deu­ten­der wa­ren als die­se schä­bi­ge Stra­ße. Der höchs­te ge­hör­te zur Großen Hal­le. „Es ist da drau­ßen. Ver­mut­lich hat es in­zwi­schen schon den gan­zen, gott­ver­damm­ten Misch­lings­pla­ne­ten in der Hand. Und wir …“

„Dann ge­hen wir oh­ne den Hund.“

Fain sah ihn aus­drucks­los an. „Un­mög­lich.“

„Wir kön­nen zu­min­dest ein paar Ver­däch­ti­ge iden­ti­fi­zie­ren, und Scor­pio kann dann den Rich­ti­gen fest­na­geln. Oder wir be­nut­zen die In­stru­men­te.“

„Das ge­fällt mir nicht“, sag­te Fain. Geis­tes­ab­we­send trat er wie­der ge­gen das Ve­ran­da­ge­län­der und tau­mel­te in sei­ner schwe­ren Dou­bluth-Ver­klei­dung einen Schritt zu­rück. „Zu ris­kant.“ Aber man sah, daß er dar­über nach­dach­te.

„Wir müs­sen bald ge­hen“, gab Da­non zu be­den­ken. „Die Ver­samm­lung wird …“

„Wirk­lich, ich fin­de, es ist zu ris­kant“, sag­te Fain ab­rupt, oh­ne auf Da­non zu ach­ten. „Der Än­de­rung hat Ver­til. Du weißt, was das be­deu­tet? Wir ha­ben je­den Vor­teil ver­lo­ren, den wir hat­ten, und jetzt auch noch Scor­pio.“

„Die In­stru­men­te …“

„Scheiß auf die In­stru­men­te! Dau­ert viel zu lan­ge, die auf­zu­bau­en. Und al­les mög­li­che kann sie durch­ein­an­der­brin­gen, so­gar Koch­dunst. Bis du al­les zu­sam­men­ge­stöp­selt hast, ist ein Än­de­rung schon über al­le Ber­ge.“

„Nicht wenn ei­ner von uns ihm ei­ne Waf­fe an den Kopf hält.“

„Wenn er das ge­stat­tet, meinst du wohl. Er hat Ver­til, er­in­nerst du dich? Er kann Al­vea­ner ge­gen uns ein­set­zen. Zum Teu­fel, es ist so­gar noch schlim­mer. Er kann einen Al­vea­ner un­ter Ver­til aus­hor­chen und da­mit al­le In­for­ma­tio­nen be­kom­men, die er braucht – und dann nimmt er sei­ne Stel­le ein. Das ein­zi­ge Pro­blem, das die Än­der­lin­ge auf der Er­de hat­ten, war, daß sie nicht wuß­ten, was ih­re an­ge­nom­me­nen Iden­ti­tä­ten zu tun hat­ten, wie sie sich be­neh­men muß­ten.“

„Zu­ge­ge­ben, es ist schwie­rig. Aber wir müs­sen es ma­chen.“

„Ja“, sag­te Fain ver­dros­sen. Er wand­te sich um und blick­te in Rich­tung Stadt­zen­trum.

Fains Aus­bruch hat­te Skal­lon tiefer er­schüt­tert als er zei­gen woll­te. Wahr­schein­lich war es die Er­kran­kung des Hun­des; ganz gleich, je­den­falls war Fain et­was un­ter die Haut ge­drun­gen. Zum ers­ten Mal be­griff Skal­lon, wie hoff­nungs­los un­ter­le­gen sie bei die­ser Ope­ra­ti­on wa­ren. Zwei Män­ner, die of­fen­sicht­lich nicht da­für ge­eig­net wa­ren zu­sam­men­zu­ar­bei­ten, ge­gen einen Än­de­rung. Die Er­de muß­te ver­rückt ge­we­sen sein, ein sol­ches Ma­nö­ver zu ver­su­chen. Skal­lon wuß­te, daß es ein ver­zwei­fel­ter Ver­such war; wahr­schein­lich wür­den sie ver­sa­gen und wie­der ab­ge­holt wer­den, aber trotz­dem – so schlecht hat­te es bei ih­rer Lan­dung noch nicht aus­ge­se­hen.

ver­sa­gen und wie­der ab­ge­holt wei­den … Plötz­lich kam Skal­lon ein Ge­dan­ke: Wenn sie den Än­de­rung nicht recht­zei­tig zur Stre­cke brach­ten und wenn Al­vea sich in trä­ges Cha­os auf­lös­te, dann wür­de die Er­de viel­leicht ih­re Ver­lus­te mög­lichst ge­ring zu hal­ten ver­su­chen und sich nicht mehr die Mü­he ma­chen, sie noch ab­zu­ho­len. Wes­halb soll­te man einen teu­ren Über­licht-Kreu­zer für zwei Ver­sa­ger ver­schwen­den?

Aber wenn er und Fain hier fest­sä­ßen, wür­den sie ster­ben. Sie wa­ren nicht für Al­vea ad­ap­tiert. Es gab kom­pli­zier­te bio­lo­gi­sche Jus­tie­run­gen, die ih­nen fehl­ten, und hin­zu kam na­tür­lich die er­höh­te ul­tra­vio­let­te Strah­lung. Ein paar Jah­re, und sie wür­den krank wer­den. Wenn sie nicht vor­her schon von Erd­geg­nern nie­der­ge­sto­chen wor­den wä­ren. Und …

Fain wir­bel­te her­um. „Wir ge­hen. Wir müs­sen es ver­su­chen.“ Ir­gend et­was war in sei­ne Stim­me zu­rück­ge­kehrt. Sie hal­te den schar­fen Klang der Au­to­ri­tät wie­der­ge­won­nen.

„Groß­ar­tig.“ Skal­lon wink­te Da­non. Sie ver­lie­ßen das Ho­tel rasch durch einen Sei­ten­aus­gang.

Skal­lon warf einen Blick zu­rück; er hoff­te, er könn­te Jo­a­ne zum Ab­schied zu­win­ken, aber in kei­nem der Fens­ter ent­deck­te er ein ver­trau­tes Ge­sicht. Er hät­te sich gern län­ger mit ihr un­ter­hal­ten. Sie hat­te sich als ziem­lich sen­si­bel er­wie­sen, in­dem sie ihm das Früh­stück ser­viert hat­te. Auf der Er­de hät­te ein Mäd­chen ihm einen Klaps ge­ge­ben, ihn an­ge­faßt, viel­leicht noch ei­ne Ein­la­dung und ih­re Prit­schen­num­mer ge­mur­melt. In der nächs­ten Pau­se hät­ten sie sich dann ge­trof­fen und wort­los aus­ge­zo­gen, und dann hät­te sie sich zu grun­zen­der Er­fül­lung ge­schau­kelt und ihn da­bei als nütz­li­chen flei­schi­gen Ramm­bock be­nutzt. Da­nach hät­ten sie un­per­sön­lich mit­ein­an­der ge­plau­dert und viel­leicht ver­ein­bart, sich noch ein­mal zu tref­fen und zu be­sprin­gen, aber wahr­schein­lich hät­ten sie kei­nen wei­te­ren Blick für­ein­an­der ver­schwen­det, wenn sie sich im Gang be­geg­net wä­ren. Aber hier­auf Al­vea, da ser­vier­te ei­ne Frau ei­nem ei­ne Mahl­zeit, und das be­deu­te­te nichts und al­les. Auf Al­vea wa­ren Män­ner und Frau­en noch kei­ne hoch­zi­vi­li­sier­ten, neu­ro­se­frei­en Tie­re. Noch ein­mal dach­te er sehn­suchts­voll an Jo­a­nes zar­te Be­rüh­rung. Un­glaub­lich, daß ihm schon so­viel pas­siert war, daß ei­ne gan­ze neue Welt of­fen vor ihm lag, nach nur zwei Ta­gen. Er er­in­ner­te sich dar­an, wie kunst­voll sie ihn beim Es­sen um­schmei­chelt hat­te. Daß sie bei je­nem ers­ten Früh­stück nicht nur ihn, son­dern auch Fain be­dient hat­te, dar­an dach­te er nicht.