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Er erwachte, und der schwere, dumpfe Geruch von Joanes Haar erfüllte seine Nase. Er rollte zur Seite und setzte sich auf. Er fühlte sich völlig ausgeruht, obwohl ein Blick auf seine Armbanduhr ihm sagte, daß sie das Communal vor weniger als einer Erdstunde verlassen hatten. Seine Bewegung rief in einer Ecke des Raumes ein trappelndes Geraschel hervor. Skallon erblickte zwei kleine, vierbeinige Tiere, die plötzlich verharrten und ihn ihrerseits beäugten. Ihre dicken, fleischigen Schwänze zuckten hin und her. Ihre boshaften, kleinen Frettchenaugen sahen blitzend zu ihm herauf. Sie ähnelten Ratten, waren allerdings größer. Er fragte sich, ob die Biester ihn anfallen würden, doch dann bezweifelte er es. Falls sie nicht durch Krankheit oder Hunger von Sinnen waren, würde es reiner Selbstmord sein, wenn sie sich an einen Menschen wagten. Seine Überlegungen fanden einen Augenblick später ihre Bestätigung, als die beiden zusammenzuckten, einen Blick zur Seite warfen und mit blitzschnellen Bewegungen in einem Loch in der Wand verschwanden, das aussah, als sei es für sie viel zu klein.
„Hmmmm?“ Joanes Lider flatterten, und dann war sie wach.
„Ich muß gehen.“
„Mmmm. Wohin?“
„Den Änderung aufstöbern.“
„Oh.“
Die Nachmittagssonne, die durch die dick verglasten Fenster hereinströmte, ließ Joane seltsam leicht und luftig erscheinen, und ihre Haut schimmerte wie eine Perle. Sie hatte die gleiche anonyme Farbe wie Skallon und Fain, wie eigentlich jeder auf der Erde nach den Jahrhunderten von homogenisierenden Querströmungen in den Kulturen der Menschen. Die Gommerset-Gläubigen, die Alvea kolonisiert hatten, stammten hauptsächlich aus Afrika. Skallon hatte auf der Straße ein paar dunklere Leute gesehen, aber selbst in diesem relativ unbedeutenden, isolierten Winkel des Kooperativen Imperiums hatten sich die Rassen im Laufe der Zeit miteinander vermischt. Joanes schwarzes Haar entsprach nicht dem Standard; als sie sich seufzend räkelte, sah man schattenhafte, bräunliche Strähnen darin.
„Es ist sehr schnell gekommen, nicht wahr?“ sagte Skallon.
„Beim nächsten Mal können wir uns mehr Zeit nehmen.“
„Nein, ich meine … wir haben uns erst gestern kennengelernt.“
„Oh. Nun, ich habe ein deutliches Zeichen gegeben.“
„Beim Mittagessen?“
„Heute morgen.“
„Ach so. Als du mir das Frühstück serviertest.“
„Ja. Du kennst Alvea.“
„Du wußtest also, daß ich es richtig verstehen würde.“
„Selbstverständlich.“ Wieder lag diese ruhige Gewißheit in ihrer Stimme, die Skallon schon am ersten Abend im Tempel gespürt hatte. Sie lächelte.
„Es war wunderschön.“
„Das war es.“ Sie beugte sich herüber und küßte ihn. Ihre Brüste pendelten leicht. „Du bist ein guter Mann. Das wußte ich, als wir das erste Mal miteinander sprachen.“
„Ich hoffe, ich habe nicht … weißt du, ich bin nicht vollständig vertraut mit euren Sitten … ich habe einfach …“
„Du machst dir Sorgen um Kish.“
„Ja.“
„Was er sagen wird. Falls er es erfahrt. Wie wir so etwas machen.“
„Ja. Alles das.“
„Du brauchst dir keine Sorgen um Kish zu machen.“
Skallon dachte, daß sie zweifellos recht hatte. Er würde noch ein paar Tage hier sein, vielleicht ein wenig länger. Kein Grund, sich knietief in alveanische Verstrickungen einzulassen. Dazu bestand absolut kein Anlaß.
„Du bist ein Löwe auf einem Bauernhof.“ Sie küßte ihn noch einmal.
Skallon lächelte. „Mag sein. Auf jeden Fall riecht es hier wie auf einem Bauernhof.“
„Ich werde dir von Kish erzählen.“
Und während sie erzählte, zog er sich an.
Fain ging auf einer Seitenveranda des Hotels auf und ab, als Skallon ihn fand.
„Wo warst du?“
„Ich habe mich ausgeruht.“
„Aber nicht in deinem Zimmer.“
„Nein.“ Skallon äußerte sich nicht weiter, und Fain fragte nicht. Danon kam auf die Veranda geschlendert. Seine Füße wirbelten kleine Staubwolken auf, und er kaute am Stengel einer purpurroten Pflanze. Skallon erkannte sie als gekochtes Quantimakas. „Okay, da ist Danon. Gehen wir.“
„Du bist aber ganz schön munter heute, Skallon“, sagte Fain, und es klang unerwartet bitter.
Skallon ignorierte seinen Ton. „Stimmt was nicht?“
„Wir brauchen Scorpio, um den Änderung in einer Menschenmenge ausfindig zu machen. Unsere Diagnosegeräte allein sind völlig nutzlos.“
„Ja, sicher.“
„Und Scorpio ist krank.“
Fain trat gegen das Geländer. Das Holz riß und splitterte, und man sah einen vermoderten Streifen, der sich wie ein brauner Faden durch den ganzen Balken zog.
„Was?“ Er sah Danon an, aber der zuckte die Achseln – eine universelle Geste. „Was hat er denn?“
„Er hat diesen Scheißfraß nicht vertragen. Das faule Fleisch hat ihm geschmeckt, und er hat es verschlungen. Und jetzt hat er sich über und über mit dem Zeug vollgeschissen.“
„Oh. Hast du schon irgendwas aus der Notapotheke versucht? Wir haben jede Menge Bioreaktanten. Die sind zwar für Menschen, aber ein paar davon …“
„Ich habe ihm drei gegeben. Ohne Erfolg.“
„Na ja, sie brauchen Zeit. Das System …“
„Wir haben aber keine Zeit. Dort draußen ist der verdammte Änderung, und wir sitzen hier fest in dieser Wanzenbude von Hotel. Siehst du …“ Mit einer weiten Gebärde umfaßte er die holprige, von ungleichmäßigen Häusern bestandene Straße zu beiden Seiten des Hotels. Die Häuser wirkten zusammengedrängt und schienen nur aus sonderbaren Ecken und falsch eingepaßten Wänden zu bestehen. Ein paar Kilometer weit entfernt ragten die Türme der Stadtmitte von Kalic empor. Sie waren gerade und aufrecht – massive Felsblöcke. Es war offensichtlich, daß sie bedeutender waren als diese schäbige Straße. Der höchste gehörte zur Großen Halle. „Es ist da draußen. Vermutlich hat es inzwischen schon den ganzen, gottverdammten Mischlingsplaneten in der Hand. Und wir …“
„Dann gehen wir ohne den Hund.“
Fain sah ihn ausdruckslos an. „Unmöglich.“
„Wir können zumindest ein paar Verdächtige identifizieren, und Scorpio kann dann den Richtigen festnageln. Oder wir benutzen die Instrumente.“
„Das gefällt mir nicht“, sagte Fain. Geistesabwesend trat er wieder gegen das Verandageländer und taumelte in seiner schweren Doubluth-Verkleidung einen Schritt zurück. „Zu riskant.“ Aber man sah, daß er darüber nachdachte.
„Wir müssen bald gehen“, gab Danon zu bedenken. „Die Versammlung wird …“
„Wirklich, ich finde, es ist zu riskant“, sagte Fain abrupt, ohne auf Danon zu achten. „Der Änderung hat Vertil. Du weißt, was das bedeutet? Wir haben jeden Vorteil verloren, den wir hatten, und jetzt auch noch Scorpio.“
„Die Instrumente …“
„Scheiß auf die Instrumente! Dauert viel zu lange, die aufzubauen. Und alles mögliche kann sie durcheinanderbringen, sogar Kochdunst. Bis du alles zusammengestöpselt hast, ist ein Änderung schon über alle Berge.“
„Nicht wenn einer von uns ihm eine Waffe an den Kopf hält.“
„Wenn er das gestattet, meinst du wohl. Er hat Vertil, erinnerst du dich? Er kann Alveaner gegen uns einsetzen. Zum Teufel, es ist sogar noch schlimmer. Er kann einen Alveaner unter Vertil aushorchen und damit alle Informationen bekommen, die er braucht – und dann nimmt er seine Stelle ein. Das einzige Problem, das die Änderlinge auf der Erde hatten, war, daß sie nicht wußten, was ihre angenommenen Identitäten zu tun hatten, wie sie sich benehmen mußten.“
„Zugegeben, es ist schwierig. Aber wir müssen es machen.“
„Ja“, sagte Fain verdrossen. Er wandte sich um und blickte in Richtung Stadtzentrum.
Fains Ausbruch hatte Skallon tiefer erschüttert als er zeigen wollte. Wahrscheinlich war es die Erkrankung des Hundes; ganz gleich, jedenfalls war Fain etwas unter die Haut gedrungen. Zum ersten Mal begriff Skallon, wie hoffnungslos unterlegen sie bei dieser Operation waren. Zwei Männer, die offensichtlich nicht dafür geeignet waren zusammenzuarbeiten, gegen einen Änderung. Die Erde mußte verrückt gewesen sein, ein solches Manöver zu versuchen. Skallon wußte, daß es ein verzweifelter Versuch war; wahrscheinlich würden sie versagen und wieder abgeholt werden, aber trotzdem – so schlecht hatte es bei ihrer Landung noch nicht ausgesehen.
… versagen und wieder abgeholt weiden … Plötzlich kam Skallon ein Gedanke: Wenn sie den Änderung nicht rechtzeitig zur Strecke brachten und wenn Alvea sich in träges Chaos auflöste, dann würde die Erde vielleicht ihre Verluste möglichst gering zu halten versuchen und sich nicht mehr die Mühe machen, sie noch abzuholen. Weshalb sollte man einen teuren Überlicht-Kreuzer für zwei Versager verschwenden?
Aber wenn er und Fain hier festsäßen, würden sie sterben. Sie waren nicht für Alvea adaptiert. Es gab komplizierte biologische Justierungen, die ihnen fehlten, und hinzu kam natürlich die erhöhte ultraviolette Strahlung. Ein paar Jahre, und sie würden krank werden. Wenn sie nicht vorher schon von Erdgegnern niedergestochen worden wären. Und …
Fain wirbelte herum. „Wir gehen. Wir müssen es versuchen.“ Irgend etwas war in seine Stimme zurückgekehrt. Sie halte den scharfen Klang der Autorität wiedergewonnen.
„Großartig.“ Skallon winkte Danon. Sie verließen das Hotel rasch durch einen Seitenausgang.
Skallon warf einen Blick zurück; er hoffte, er könnte Joane zum Abschied zuwinken, aber in keinem der Fenster entdeckte er ein vertrautes Gesicht. Er hätte sich gern länger mit ihr unterhalten. Sie hatte sich als ziemlich sensibel erwiesen, indem sie ihm das Frühstück serviert hatte. Auf der Erde hätte ein Mädchen ihm einen Klaps gegeben, ihn angefaßt, vielleicht noch eine Einladung und ihre Pritschennummer gemurmelt. In der nächsten Pause hätten sie sich dann getroffen und wortlos ausgezogen, und dann hätte sie sich zu grunzender Erfüllung geschaukelt und ihn dabei als nützlichen fleischigen Rammbock benutzt. Danach hätten sie unpersönlich miteinander geplaudert und vielleicht vereinbart, sich noch einmal zu treffen und zu bespringen, aber wahrscheinlich hätten sie keinen weiteren Blick füreinander verschwendet, wenn sie sich im Gang begegnet wären. Aber hierauf Alvea, da servierte eine Frau einem eine Mahlzeit, und das bedeutete nichts und alles. Auf Alvea waren Männer und Frauen noch keine hochzivilisierten, neurosefreien Tiere. Noch einmal dachte er sehnsuchtsvoll an Joanes zarte Berührung. Unglaublich, daß ihm schon soviel passiert war, daß eine ganze neue Welt offen vor ihm lag, nach nur zwei Tagen. Er erinnerte sich daran, wie kunstvoll sie ihn beim Essen umschmeichelt hatte. Daß sie bei jenem ersten Frühstück nicht nur ihn, sondern auch Fain bedient hatte, daran dachte er nicht.