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Ei­ne Stun­de spä­ter lag Skal­lon auf dem Bett und sah zu, wie die letz­ten bläu­li­chen Licht­strah­len im nächt­li­chen Him­mel ver­si­cker­ten. Mit ei­ner Ent­schul­di­gung war er wei­te­ren Ge­sprä­chen mit Kish und Jo­a­ne zu­min­dest für heu­te aus dem Weg ge­gan­gen, denn er war nicht si­cher, wie­viel er ih­nen wirk­lich preis­ge­ben durf­te. Es wür­de Fain nicht ge­fal­len, wenn ein Ein­ge­bo­re­ner zu­viel über ih­re Ope­ra­tio­nen her­aus­fän­de.

Aber jetzt, da er al­lein hier in der Kam­mer lag, lang­weil­te er sich. Sei­ne Me­di­ta­ti­on hat­te zwan­zig Mi­nu­ten ge­dau­ert und ihm Er­fri­schung ge­bracht. Er wuß­te, daß er so früh noch nicht wür­de schla­fen kön­nen. Soll­te er noch ein­mal nach oben ge­hen und Kis­hs rich­ti­ges Bier ver­su­chen? Nicht, daß er Kish die­se klei­ne Ges­te der Selbst­be­stä­ti­gung wirk­lich zum Vor­wurf ma­chen konn­te. Schließ­lich war Skal­lon auch nichts an­de­res als ei­ner von die­sen ver­damm­ten Erd­lern. Die Lo­gik al­vea­ni­scher Ab­nei­gung ge­gen die Er­de war un­über­seh­bar. Al­vea­ni­sche Kunst und Kul­tur wa­ren da­von durch­tränkt; ele­men­ta­re psy­cho­so­zia­le Ana­ly­sen hat­ten das ge­zeigt.

In Skal­lons Au­gen hal­ten die Al­vea­ner auch Grund da­zu. Al­vea war kei­ne Ko­lo­nie, nein. Die Din­ge la­gen heu­te viel sub­ti­ler. Was einst als Ver­such, Men­schen an Al­vea an­zu­pas­sen, be­gon­nen hat­te, war mitt­ler­wei­le zu ei­nem hand­li­chen öko­no­mi­schen Werk­zeug ge­wor­den. Die mi­li­tä­ri­sche Vor­herr­schaft des Kon­sor­ti­ums zwi­schen den Ster­nen war na­tür­lich un­mög­lich, es sei denn, man woll­te den Geg­ner aus­rot­ten und einen Pla­ne­ten rui­nie­ren. Aber wes­halb soll­te man auch ei­ne bru­ta­le Waf­fen­tech­nik ver­wen­den, wenn sub­ti­le For­men der Ab­hän­gig­keit exis­tier­ten? Al­vea war auf die Bio­tech­nik der Er­de an­ge­wie­sen, um die ge­ne­ti­sche Drift zu kor­ri­gie­ren und die schlimms­ten Aus­wir­kun­gen der al­vea­ni­schen Bio­che­mie an­zu­weh­ren. Nur die Er­de ver­füg­te über die tech­ni­schen Vor­aus­set­zun­gen und über un­ge­heu­re Tech­no­lo­gi­en, um die Al­vea­ner im­mer wie­der an die­sen Pla­ne­ten zu ad­ap­tie­ren. Ge­ne­ti­sche Sta­bi­li­sa­ti­on war in je­der Ge­ne­ra­ti­on von neu­em er­for­der­lich, da der zel­lu­lä­re Voll­zug ein from­mer Wunsch blieb. Im Ge­gen­zug er­hielt die Er­de sel­te­ne Mi­ne­ra­li­en in ra­ke­ten­ge­trie­be­nen Ro­bot­schif­fen, die un­ter­halb der Licht­ge­schwin­dig­keit reis­ten. Das war ei­ne be­que­me …

Et­was ras­sel­te in der Wand ne­ben sei­nem Ohr.

Skal­lon fuhr hoch und dreh­te das Gas­licht an. Die Wand be­weg­te sich. Die Ta­pe­te wölb­te sich vor und pul­sier­te von Le­ben.

Ein Stück der Ta­pe­te hat­te sich ein paar Zen­ti­me­ter über ihm ge­löst. Skal­lon zog es wei­ter zu­rück. Klei­ne schwar­ze Kä­fer rie­sel­ten her­un­ter und lan­de­ten ver­streut auf sei­nem Bett. Bro­deln­de Mas­sen da­von fan­den sich wei­ter un­ten; es war ihr hek­ti­sches Krab­beln, was er ge­hört hat­te.

An­ge­wi­dert wich Skal­lon zu­rück. Aber in ge­wis­ser Wei­se fas­zi­nier­te ihn der An­blick. Auf der Er­de hat­te man In­sek­ten schon vor lan­ger Zeit strikt un­ter Kon­trol­le ge­bracht. In den Ka­ser­nen und Un­ter­künf­ten gab es kei­ne mehr. Er zog ei­ne klei­ne Ta­schen­lam­pe aus sei­nem Ge­päck und leuch­te­te da­mit hin­ter die Ta­pe­te. Wo der Licht­strahl auf­traf, krab­bel­ten die sechs­bei­ni­gen Din­ger has­tig da­von.

Nun, das er­leich­ter­te die Sa­che zu­min­dest ein we­nig. Wenn er schlief, brauch­te er nur das Gas­licht bren­nen zu las­sen.

Skal­lon schnauf­te. Er wür­de sich ein bes­se­res Zim­mer be­sor­gen müs­sen. Aber im Au­gen­blick er­füll­te ihn ei­ne rast­lo­se Un­ru­he, und er woll­te sich nicht noch ein­mal mit Kish un­ter­hal­ten. Jah­re­lang hat­te er Al­vea stu­diert, und jetzt lag er in ei­nem ver­gam­mel­ten, stin­ken­den Ho­tel­zim­mer her­um, wäh­rend er drau­ßen Spa­zie­ren­ge­hen und sich Ka­lic an­se­hen konn­te.

Wahn­sinn, oder zu­min­dest Dumm­heit. Fain wür­de bald da­sein und dann wä­re sei­ne Zeit be­mes­sen. Oder schlim­mer noch: Viel­leicht hat­te Fain den Än­de­rung in­zwi­schen schon zur Stre­cke ge­bracht. Es konn­te sein, daß ei­ne Ro­bot­fäh­re aus dem Or­bit be­reits auf dem Weg nach un­ten war.

Skal­lon zö­ger­te einen Mo­ment lang. Dann steck­te er die Ta­schen­lam­pe weg und be­gann sei­ne Ge­wän­der an­zu­le­gen.

 

Vier Stun­den spä­ter wan­der­te Skal­lon lang­sam zu­rück zur Ma­ra­ban La­ne und dem Bat­tachran-Ho­tel. Sei­ne Fü­ße wa­ren mü­de, und sei­ne Ge­wän­der und die al­vea­ni­sche Ver­klei­dung juck­ten und drück­ten ihn. Trotz­dem zö­ger­te er noch, sei­ne Stadt­be­sich­ti­gung zu be­en­den und sich für die Nacht zu­rück­zu­zie­hen. Er hat­te viel ge­se­hen. Die zier­li­chen Türm­chen der hei­li­gen Ge­bäu­de bohr­ten sich hin­ter ihm in den von Wol­ken durch­zo­ge­nen Him­mel. Sie mar­kier­ten die Stadt­mit­te. Er war ganz hin­auf­ge­stie­gen, um die rauch­ver­hüll­te nächt­li­che Stadt vor sich aus­ge­brei­tet zu se­hen. Jetzt wirk­ten die Tür­me wür­de­voll und un­nah­bar, als wä­ren sie mehr als nur gro­ber, mit ei­nem Ar­beits­la­ser ge­schnit­te­ner Fels.

Er hat­te ei­ne merk­wür­di­ge, spuk­haf­te Stun­de auf ei­nem Ze­re­mo­ni­en­platz ver­bracht und ei­ner Lei­chen­ver­bren­nung zu­ge­se­hen. Sie hat­ten den ver­welk­ten al­ten Mann oben auf den Schei­ter­hau­fen ge­legt und ihm die Ar­me zu­sam­men­ge­bun­den. Den Grund da­für er­fuhr Skal­lon bald. Als das Holz knack­te und qualm­te, ließ die Hit­ze die Mus­keln kon­tra­hie­ren und die Bei­ne des Man­nes be­gan­nen hef­tig zu zu­cken. Der Leich­nam wand sich, wäh­rend Ge­sän­ge zu ihm her­auf­stie­gen. Dann zer­platz­te der Bauch. Der Knall ließ Skal­lon zu­sam­men­schre­cken, selbst noch aus fünf­zig Me­tern Ent­fer­nung. Er kam ge­nau zum Hö­he­punkt der Ge­sän­ge, wenn­gleich Skal­lon nicht ver­stand, wie die Trau­er­ge­mein­de den Zeit­punkt für die­sen Ef­fekt hat­te ab­pas­sen kön­nen.

Der Tod war nichts Un­ge­wöhn­li­ches in den Stra­ßen von Ka­lic. Zier­li­che Frau­en dös­ten in ih­ren Korb­stüh­len und glit­ten in die lan­ge Be­wußt­lo­sig­keit hin­über. Män­ner tau­mel­ten die Bür­ger­stei­ge ent­lang und stütz­ten sich mit ei­ner Hand ge­gen die Ge­bäu­de, und wenn ih­re Ge­wän­der bei­sei­te ge­streift wur­den, sah man, daß das Fleisch in lo­cke­ren Fa­sern an ih­nen her­ab­hing. Sie ver­lo­ren rasch an Ge­wicht. Ei­ne au­to­ma­ti­sche Ab­wehr­re­ak­ti­on ge­gen ir­gend­wel­che Krank­hei­ten, Er­kran­kun­gen, die so neu wa­ren, daß sie noch kei­ne Na­men hat­ten. Die äl­te­ren – Ras­seln, Was­ser­au­ge, Krampf-fau­le, Stocka­tem – wa­ren von den Erd­lern ku­riert wor­den; Skal­lon hat­te dar­über ge­le­sen. Aber ge­gen die­se selt­sa­men Epi­de­mi­en konn­te man nichts tun.

Den­noch glaub­ten die Leu­te of­fen­sicht­lich, daß die Er­de ih­nen hel­fen könn­te. In ei­ner über­füll­ten Knei­pe hat­te ein Mann ihm un­ter rau­hem Ge­flüs­ter von ei­nem spe­zi­el­len Er­den­hos­pi­tal er­zählt, das an­geb­lich au­ßer­halb der Stadt ope­rier­te und in dem die Er­kran­kun­gen ge­heilt wür­den. Ein an­de­rer fluch­te, zog ein blit­zen­des Mes­ser her­vor und brüll­te wü­tend her­aus, was er mit je­dem Erd­ler tun wür­de, der sich noch ein­mal in Ka­lic zeig­te. Sei­ne Wor­te tra­fen rings­um­her auf Zu­stim­mung. Zum ers­ten Mal ver­spür­te Skal­lon ech­te Angst, je­mand könn­te einen win­zi­gen Feh­ler in sei­ner Aus­spra­che oder an sei­nen Ge­wän­dern ent­de­cken und ihn er­ken­nen. Er mur­mel­te ei­ne Ent­schul­di­gung und ging; fast wä­re er noch auf sei­nen Um­hang ge­tre­ten, als er in die freund­li­che Dun­kel­heit der Stra­ße hin­aus­stol­per­te.

Auf der Stra­ße hät­te er sich tat­säch­lich bei­na­he ver­ra­ten, weil er über sei­ne ei­ge­nen Fü­ße stol­per­te. Sein gan­zes Le­ben lang war er über si­che­re, ebe­ne Flä­chen ge­lau­fen. Auf der Er­de war der Bo­den über­all pla­niert. Selbst die Far­men, auf de­nen er ge­le­gent­lich sei­ne Fe­ri­en ver­bracht hat­te, wa­ren im Lau­fe der Jahr­hun­der­te von rol­len­den Land­ma­schi­nen zu glat­ten Flä­chen aus­ge­walzt wor­den. Aber hier in Ka­lic gab es kei­ne Stra­ße oh­ne Schlaglö­cher, und we­ni­ge be­sa­ßen sau­ber ab­ge­grenz­te Geh­we­ge. Ei­ne Kreu­zung von zwei Stra­ßen ließ im­mer ein we­nig Raum für einen Gras­fle­cken, und das Gras griff in der schat­ti­gen Fins­ter­nis nach Skal­lons Fü­ßen. Er muß­te ler­nen, zu Bo­den zu se­hen und zu na­vi­gie­ren. Das Ge­hen er­mü­de­te ihn. Als das Bat­tachran-Ho­tel noch einen Block weit ent­fernt lag, be­schloß er, an­zu­hal­ten und sich für einen Au­gen­blick in ei­nem Tem­pel aus­zu­ru­hen.

Ein schad­haf­tes Tor, des­sen An­geln im Wind knarr­ten, führ­te in einen Hof. In ei­nem run­den Was­ser­be­cken wir­bel­te flie­ßen­des Was­ser, in dem zi­schend Bla­sen an die Ober­flä­che stie­gen. Auf den ge­sprun­ge­nen Stein­plat­ten auf dem Bo­den des schat­ti­gen In­nen­ho­fes spiel­te das Licht, das von ei­ner Bier­knei­pe an der Stra­ße her­über­drang. Er setz­te sich hin und starr­te zu den drei ge­ripp­ten Bö­gen hin­auf, die sel­ber mü­de aus­sa­hen; ei­ner war, mehr als die an­de­ren, in sich zu­sam­men­ge­sun­ken. Ei­ne Hän­ge­lam­pe leuch­te­te bläu­lich, und der klei­ne­re Mond Al­veas stieg zer­narbt und rot über dem milch­wei­ßen Fries des Tem­pels em­por. In Skal­lons Au­gen bil­de­ten die Ei­sen­oxy­de des Mon­des einen hüb­schen Kon­trast zu den ver­gilb­ten Neun­und­neun­zig Na­men des Einen, die den Fries be­deck­ten. Lei­se las er ein paar der Na­men und ver­fiel da­bei un­be­wußt in den Rhyth­mus des hoh­len Ge­trom­mels, das aus ei­ner Ne­ben­stra­ße her­über­klang, ge­le­gent­lich von den Schrei­en ir­gend­wel­cher Tän­zer un­ter­bro­chen. Wäh­rend er noch las, be­weg­te sich ei­ner der el­fen­bein­far­be­nen Pfei­ler des Tem­pels. Dann kräu­sel­te sich ein zwei­ter in dem mat­ten Licht. Jo­a­ne trat aus dem Tem­pel her­aus in das blas­se, ro­sa­far­be­ne Mond­licht. Sie schau­te nach links und sah ihn nicht.

„Jo­a­ne.“

„Oh! Ihr habt mich er­schreckt. Ihr seid der …“

„Ja. Sprecht das Wort nicht aus. Ist noch je­mand hier?“

„Nein. Nein, ich glau­be nicht. Aber Ihr soll­tet nicht hier sein.“

„Warum nicht?“

„Ich … nun, man muß sei­ne Schu­he und al­len Schmuck ab­le­gen, ehe man einen Tem­pel be­tritt.“

„Das ha­be ich ge­tan. Seht Ihr?“

„Oh. Es tut mir leid, ich dach­te, Ihr wüß­tet das nicht.“

„Ich weiß nicht nur sol­che Klei­nig­kei­ten.“

„Das müßt Ihr wohl, bei Eu­rer voll­kom­me­nen Aus­spra­che. Die meis­ten Erd­ler ha­ben sich die­ser Mü­he nicht un­ter­zo­gen. Den­noch ist es un­ge­wöhn­lich, daß ein Erd­ler sich an die Ze­re­mo­ni­en hält, selbst wenn er sie kennt.“

„Warum?“

„Über­legt doch. Ihr dach­tet, es sei nie­mand im Tem­pel. Das dach­te ich auch. Ihr hät­tet Eu­re Schu­he und Eu­ren Schmuck an­be­hal­ten kön­nen, denn es wä­re oh­ne­hin nie­mand da­ge­we­sen, der es ge­se­hen hät­te.“

„Der Gott der Neun­und­neun­zig Na­men wä­re hier­ge­we­sen.“

Sie sah ihn prü­fend und über­rascht an. „Das ist wahr. Und es ist schön ge­sagt. Ich wer­de es mir mer­ken.“

„Ist das Nen­nen der Na­men nicht der Zweck die­ses Schrei­nes?“

Jo­a­ne lach­te. Es klang wie ein per­len­des Glöck­chen. „Ich kom­me her, um mich aus­zu­ru­hen.“

„Warum ent­spannt Ihr Euch nicht zu Hau­se?“

„Manch­mal möch­te ich al­lein sein.“

„Es tut mir leid, daß ich Euch ge­stört ha­be.“ Er trat in die Schat­ten zu­rück, als woll­te er ge­hen.

„Nein, nein. Bleibt doch. Ich bin hier so­wie­so fer­tig. Und wenn Ihr mich zum Ho­tel zu­rück­be­glei­ten woll­tet, wür­de das mei­nem Gat­ten ge­fal­len.“

Skal­lon setz­te sich auf ein mar­mor­nes Ge­län­der. „Wes­halb?“

„Er wünscht nicht, daß ich im Dun­keln al­lein aus­ge­he. Er sagt, die Stra­ßen wer­den all­mäh­lich ge­fähr­lich. Na­tür­lich hat er recht. Vor we­ni­gen Ta­gen wur­de mei­ne Schwes­ter bei Son­nen­un­ter­gang über­fal­len. Man stahl ihr den Markt­korb und die Le­bens­mit­tel für zwei Ta­ge.“

„Pe­stop­fer?“

„Höchst­wahr­schein­lich. Aber wenn ich mit ei­nem zu­ver­läs­si­gen Be­glei­ter wie Euch zu­rück­keh­re, wird mein Mann nichts da­ge­gen ha­ben. Es wä­re so­gar ei­ne Eh­re für ihn.“

„Ich ver­ste­he.“ Skal­lon nick­te. Kei­ner von bei­den mach­te An­stal­ten, auf­zu­ste­hen und zum Ho­tel zu­rück­zu­ge­hen. Jo­a­ne leg­te die Hand­flä­chen ge­gen­ein­an­der. „Ob­gleich ich nicht weiß, ob ich wirk­lich zu­ver­läs­sig bin“, sag­te er schließ­lich, um das Schwei­gen zu bre­chen.

„Aber Ihr seid kein ge­wöhn­li­cher Mann. Ihr seid es im­mer­hin wert, daß man Euch zu den Ster­nen rei­sen läßt.“

„Ich bin nicht si­cher, ob man mich aus­ge­sucht hat, weil ich ein so gu­ter Stra­ßen­kämp­fer bin.“

„Aber ich be­zweifle nicht, daß Ihr ei­ner seid.“

„Ja, wahr­schein­lich.“ Er ver­la­ger­te sein Ge­wicht und sah zu dem ro­si­gen Mond hin­auf, der jetzt weit über dem Fries stand. „Mein mi­li­tä­ri­sches Trai­ning wur­de vor ei­ni­gen Mo­na­ten ver­stärkt. Of­fen­sicht­lich hat­te je­mand da­bei et­was Der­ar­ti­ges im Sinn, das ha­be ich mir gleich ge­dacht. Aber mein ei­gent­li­cher Wert liegt in mei­ner aka­de­mi­schen Ar­beit.“

„Aka …?“

„Ha­be ich es rich­tig aus­ge­spro­chen? Wis­sen­schaft­lich. Na ja, nicht ge­nau das, aber ich ha­be Al­vea stu­diert.“

„Weil Euch an uns et­was lag?“

„Das nicht ge­ra­de. Die Er­de wählt einen ge­wis­sen Bruch­teil der Be­völ­ke­rung aus, um ge­wis­se Ge­bie­te zu stu­die­ren. Da­durch ha­ben sie im­mer je­man­den greif­bar, der über Hin­ter­grund­wis­sen ver­fügt. Ein paar Leu­te für je­den Pla­ne­ten.“

„Für den di­plo­ma­ti­schen Dienst?“

„Zum Teil.“ Skal­lon über­leg­te, wie er es ihr er­klä­ren soll­te. „Als Re­ser­ve, wür­de ich sa­gen. Hier zum Bei­spiel hat man das ge­sam­te Kon­su­lats­per­so­nal für Al­vea ge­sperrt.“

„Man wirft ih­nen Un­lau­ter­keit vor, wie ich hör­te.“

„Hm. Ja.“ Er be­schloß, auf die­sen Punkt nicht wei­ter ein­zu­ge­hen. „Al­so warf die Er­de für die­sen Auf­trag einen Blick in ihr Re­ser­ve­po­ten­ti­al. Es muß­te schnell je­mand ge­fun­den wer­den.“

„Und Ihr wart am bes­ten qua­li­fi­ziert.“

„Tja, der Psy­cher stell­te fest, daß ich beim Feld­trai­ning nicht ge­ra­de der Ag­gres­sivs­te war. Man­geln­des Selbst­ver­trau­en, hieß es. Aber als sie mit mir dar­über re­de­ten, nann­ten sie es ‚vor­sich­ti­ges Ab­wä­gen’. Dem­zu­fol­ge hat­ten sie wohl nichts da­ge­gen, daß ich so war.“

„Ich ver­ste­he“, sag­te Jo­a­ne. „Eu­re Vor­ge­setz­ten ver­lang­ten Be­son­nen­heit.“

„Hah! Sie wol­len, daß ich mich her­aus­hal­te und die An­ge­le­gen­heit Fain über­las­se.“

„Fain?“

„Das ist der an­de­re Mann. Ich fra­ge mich manch­mal, wie zu­ver­läs­sig die­se Psy­cher wa­ren. Ich füh­le mich nicht zu­ver­läs­sig.“

„Ich bin si­cher, Ihr seid es.“ Sie sag­te das so ein­fach und di­rekt, daß Skal­lon es auch glaub­te. Viel­leicht ver­stand sie ihn bes­ser als er selbst.

„Das Ho­tel“, mur­mel­te er; er wuß­te sel­ber nicht ge­nau, wes­halb er das The­ma wech­sel­te. „Ich brin­ge Euch jetzt zu­rück.“

Sie wan­der­ten über einen Kies­weg, der die Ma­ra­ban La­ne kreuz­te, und das knir­schen­de Ge­räusch ih­rer Schrit­te schi­en die Dun­kel­heit zu er­fül­len. Skal­lon nahm ih­ren Arm, als sie den holp­ri­gen Hof des Ho­tels über­quer­ten. Ei­ne ein­zel­ne gel­be Lam­pe hing über dem Ein­gangs­por­tal. In ei­nem dunklen Win­kel be­merk­te Skal­lon ei­ne hu­schen­de Be­we­gung. Er er­in­ner­te sich so­gleich an die Ge­scheh­nis­se in der Ei­sen­bahn und tas­te­te un­ter sei­nen Dou­bluth-Ge­wän­dern nach der Waf­fe. Er fand sie, aber der Griff ver­hak­te sich im Tuch sei­nes Man­tels. Wie­der be­weg­te sich der Schat­ten. Skal­lon ließ Jo­a­ne los und trat zur Sei­te, um ein frei­es Schuß­feld zu ha­ben.

„Ich ha­be dich ge­be­ten, nicht al­lein aus­zu­ge­hen“, sag­te je­mand mit ho­her Stim­me.

„Ste­hen­blei­ben!“ blaff­te Skal­lon.

„Was?“ Ein Jun­ge trat aus dem Schal­ten her­aus. „Mut­ter, ich ha­be auf dich ge­war­tet. Ich wünsch­te wirk­lich …“

„Sir, dies ist un­ser Sohn Da­non.“ Jo­a­ne leg­te einen Arm um den Jun­gen, der et­wa vier­zehn Er­den­jah­re alt zu sein schi­en. Skal­lon nick­te und sag­te ein paar un­ver­bind­li­che Wor­te, um sich vor­zu­stel­len. Er war ein we­nig ver­un­si­chert. Jo­a­ne sah nicht alt ge­nug aus, um einen so großen Sohn zu ha­ben. Viel­leicht hal­ten die Schat­ten ih­re Fal­ten ver­bor­gen – die Be­leuch­tung hier war im­mer ein we­nig trüb, ganz im Ge­gen­satz zu den grell­wei­ßen Kor­ri­do­ren der Er­de.

Der Jun­ge schi­en für sei­ne Mut­ter Be­schüt­zer­ge­füh­le und ge­gen Skal­lon Miß­trau­en zu emp­fin­den. Dies paß­te an­schei­nend in das psy­cho­lo­gi­sche Stan­dard­pro­fil für die­ses Al­ter, dach­te Skal­lon, als sie das Ho­tel be­tra­ten. Im Foy­er trenn­ten sie sich. Jo­a­ne reich­te ihm kühl und di­stan­ziert die Hand. Da­non nick­te knapp. Skal­lon ver­ab­schie­de­te sich mit den tra­di­tio­nel­len Flos­keln, und wäh­rend er sich durch die en­gen Gän­ge tas­te­te, dach­te er an Jo­a­ne.

Er stieß die Tür zu sei­nem Zim­mer auf und war schon halb drin­nen, als er be­merk­te, daß je­mand auf dem Bett saß. Er er­starr­te. Das ers­te, was er re­gis­trier­te, war nicht das Ge­sicht des Man­nes, son­dern die leh­mi­gen Stie­fel, die die wei­ßen La­ken be­schmier­ten.

„Es wur­de auch Zeit“, sag­te Fain.