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Frühling 1836

»Halt still«, befahl Cleo, den Mund voller Haarnadeln.

Josie fing den Blick ihrer bernsteinfarbenen Augen im Spiegel auf. Cleo schaffte es immer wieder, dass sie sich fühlte wie ein Kind, aber Josie ließ ihr den Spaß. Sie hatte heute keine Lust auf Streit.

Cleo versuchte angestrengt, drei blassrosa Rosenknospen in Josies hochgesteckten Haaren zu befestigen, aber sie waren zu schwer und lockerten sich immer wieder. Sie hatte es mit Nadeln und Bändern versucht; jetzt probierte sie den dünnen grünen Draht aus, den sie normalerweise für Korsagen verwendeten.

»Ich will aber keinen grünen Draht im Haar haben!«, protestierte Josie.

»Willst du Blüten im Haar oder nicht?«

Josie warf einen neidischen Blick auf Cleos schwarze Locken. In diesem dicken Haar hätten die Blüten sofort gehalten. Sie unterdrückte ein Seufzen. Ihre Haare waren nicht annähernd so üppig oder so glänzend. Aber sie waren immerhin nicht einfach braun, sondern mehr wie goldbrauner Honig, dachte sie.

Sie setzte sich aufrecht hin und betrachtete sich im Spiegel. Hübsch. Wirklich gar nicht so übel. Aber sie müsste in der kommenden Saison mehr auf die Sommersprossen aufpassen.

Papa streckte den Kopf durch die Tür. »Gibt es heute Abend einen großen Ball, von dem ich noch nichts weiß?«

Wie immer strahlte Josie beim Anblick ihres Vaters. »Wir üben nur, Papa. Für die Bälle in New Orleans im nächsten Winter.«

Papas Blick wanderte zu Cleo, und Josie spürte einen Stich. Immer ließ Papa seine Aufmerksamkeit zu Cleo schweifen, dabei war er doch ihr Vater. Er lehnte sich an den Türrahmen. »Sehr hübsch, Cleo«, sagte er. »Hat Josie dir das Haar gemacht?«

»Ja, Monsieur.« Cleo lächelte und drehte den Kopf, damit er das Kunstwerk von allen Seiten betrachten konnte. Josie fühlte sich, als wäre sie unsichtbar. Sie saß ganz still, bis ihr Vater sich wieder an ihre Gegenwart erinnerte.

»Das sieht hübsch aus, Josie.«

Sie drehte den Kopf und hob eine Hand zum Kopf. »Findest du, Papa?«

Er suchte in seiner Brusttasche nach einer Zigarre. »Du bist hübscher als die Königin von Frankreich«, sagte er.

Josie lachte, aber vermutlich hatte er recht. Ihr Papa hatte die Königin nämlich tatsächlich gesehen, als er in Paris gewesen war, und er hatte erzählt, dass sie klein und dunkel war. Josie war jetzt schon größer als ihre Mutter, und niemand konnte auf die Idee kommen, sie dunkel zu nennen.

Papa biss das Ende seiner Zigarre ab und steckte sie sich in den Mund. »Ihr zwei werdet auf dem Ball allen Leuten den Kopf verdrehen«, sagte er und ging.

Er hatte es wieder getan. Er schien immer wieder einmal zu vergessen, dass es für Cleo keine Bälle geben würde. Josie blickte in den Spiegel, um Cleo zu betrachten, aber das dunkle Gesicht hinter ihr verriet keine Regung. Immer wenn sie an ihren Status erinnert wurde, ließ Cleo einen inneren Schleier über ihre Augen fallen. Wie konnte Papa nur so gedankenlos sein?

Maman schimpfte oft mit Josie, weil sie Cleo besser behandelte, als sie es verdiente. »Cleo ist deine Dienerin, nicht deine Freundin«, sagte sie. Aber es stimmte nicht, Cleo war viel mehr als eine Dienerin. Josie hasste es, zu sehen, wie Cleo auf das verwiesen wurde, was angeblich ihr Platz war. Und doch musste sie zugeben, dass Maman recht hatte. Cleos Schicksal war von Gott so bestimmt, und Cleo würde das akzeptieren müssen.

Und was Papa anging … Wie konnte er Cleo so viel Aufmerksamkeit schenken, als wäre sie seine eigene Tochter? Josie kannte die Antwort: Papa liebte Cleo. Josie verstand nicht, warum, aber sie wusste, es war so. Und es war einfach ungerecht, denn Papa gehörte zu ihr, nicht zu Cleo.

Sie presste die Lippen aufeinander und vermied Cleos Blick im Spiegel.

Als Cleo noch einmal versuchte, die Rosen in dem honigfarbenen Haar zu befestigen, sagte sie plötzlich: »Ach, lass nur, ich mache es selbst.«

Cleo ließ die Arme sinken.

»Du musst doch auch noch anderes zu tun haben«, sagte Josie und tat so, als wäre sie plötzlich sehr interessiert an den Bürsten auf ihrem Frisiertisch.

Cleo verließ das Zimmer mit diesem schweigenden Widerstand, den Josie so hasste. Wenn Cleo ihr verschlossenes Gesicht aufsetzte und sich in das schützende Schweigen der Sklavin zurückzog, fühlte sich Josie selbst, als hätte man sie in ihre Schranken verwiesen. Sie griff nach den Rosen. »Mist«, sagte sie wütend. Sie konnte die Blüten nicht in ihrem Haar befestigen, und sie war zornig auf sich, weil sie Cleo so kühl behandelt hatte.

Ich sollte nicht so eifersüchtig sein, das ist ein Fehler. Wenn ich nicht aufpasse, werde ich noch so gemein und misstrauisch wie Maman.

Cleo war wirklich zu bedauern. Keine seidenen Ballkleider, kein Tanz im Arm eines gut aussehenden Mannes. Maman ärgert sich, wenn ich mich entschuldige. Aber ich kann Cleo bitten, mit mir ins Küchenhaus zu gehen, und ihr zeigen, wie man Baisers macht.

Als Josie aufstand, um nach Cleo zu suchen, hörte sie die ersten Töne eines Menuetts. Das war Cleos Rache. Cleo wusste, Josie wünschte sich nichts sehnlicher, als schön spielen zu können, aber irgendwie erreichten die Gefühle in ihrem Herzen niemals ihre Finger. Jetzt hauchte Cleo genau jenem Menuett Leben ein, an dem Josie sich seit Wochen abmühte. Josie bekam Klavierunterricht, Josie konnte Noten lesen, Josie übte sich die Finger wund – und Cleo spielte so, dass die Musik leuchtete und sang.

Josie setzte sich wieder und drehte die wunderschönen Rosenknospen zwischen ihren Fingern. Jetzt waren Papas Schritte im Salon zu hören, und sein klarer Bariton sang zu einem Stück, das Cleo bei Josie gehört hatte. Josie ließ die Schultern sinken. Sie zerquetschte die Rosen in ihrer Hand, bis ihr die Dornen in die Handfläche stachen. Ein Blutstropfen fiel auf das weiße Kleid.

Ein paar Tage später war die Eifersucht vergessen, und aus dem Frühling war unmerklich Sommer geworden, sanft wie das Strömen des Mississippi. Die Bienen summten in den Glyzinien, die Vögel spritzten im Vogelbad herum, und die Eichhörnchen sprangen durch die moosbewachsenen Bäume.

Während die Morgensonne die Rosen erwärmte und ihren Duft bis zur Gartenlaube strömen ließ, saß Josie dort mit ihrer Mutter. Sie ließ die Stickarbeit in den Schoß sinken und beobachtete die Schatten der Eiche auf dem Gesicht ihrer Mutter, die auf ein inneres Flüstern zu lauschen schien, während sie den Rosengarten betrachtete.

»Tut dir der Rücken wieder weh, Maman?«

Sie lächelte. »Das bisschen Rückenschmerz ist ein geringer Preis für ein Baby.«

»Bibi, würdest du bitte den Fußschemel holen?«, sagte Josie.

Der Friede, den Maman und Bibi über die Jahre hinweg erreicht hatten, wurde durch persönlichen Kontakt leicht in Gefahr gebracht, also hob Josie die geschwollenen Füße ihrer Mutter selbst an, als Bibi zurückkam, und ließ den roten Samtschemel an seinen Platz gleiten.

»Sie kann dann gehen«, sagte Maman zu Josie, die Bibi einen kurzen Blick zuwarf. Bibi nahm ihren Flickkorb und ließ die beiden Frauen allein.

Maman streckte die Hand aus. »Lass sehen, Josephine.«

Seufzend reichte Josie das leinene Mustertuch hinüber. Sie war inzwischen fast achtzehn Jahre alt, und immer noch waren ihre Stickarbeiten bestenfalls mittelmäßig, selbst an den Tagen, an denen sie sich besondere Mühe gab, genau zu sein. Maman verlangte so winzige Stiche, und alles, was so winzig war, verschwamm Josie einfach vor den Augen.

Sie hatte auch Schwierigkeiten mit dem Lesen. Manche von den Büchern, die Mademoiselle Fatima ihr gab, waren so klein gedruckt, dass Josie beim Lesen Kopfschmerzen bekam. Bibi hatte ihr schon vorgeschlagen, ihren Vater um eine Lesebrille zu bitten, wie er selbst eine auf der Nasenspitze trug, aber Josie hatte sich rundheraus geweigert. Damen trugen keine Brille, jedenfalls nicht, wenn sie schön sein wollten. Stattdessen gab sie die Bücher heimlich an Cleo weiter, die ihr vorlas.

Maman schüttelte den Kopf. »Josephine, du gibst dir einfach keine Mühe. Die Stiche in den Schwanzfedern der Singdrossel musst du noch einmal aufmachen, Liebes.«

Es hatte keinen Sinn, sich zu beklagen. Es war auch egal, ob sie stickte oder wieder auftrennte und wieder stickte, den Vormittag musste sie mit dieser Arbeit verbringen. Als sie Cleo sah, die vom Haus auf sie zukam, frei von der Tyrannei der Nadeln, war sie voller Neid. Cleo machte einen Knicks vor Celine. »Madame schickt mich nach Mamsell Josephine«, sagte sie.

Josie unterdrückte ein Stöhnen. Vom Regen in die Traufe – kein Zweifel, jetzt wollte Grand-mère mit ihr die Buchhaltung durchgehen. Da Josie die einzige Erbin war, wurde selbstverständlich von ihr erwartet, dass sie dem Familienunternehmen eines Tages vorstehen würde, dass sie Toulouse ebenso selbstständig führen würde, wie es ihre Großmutter jetzt tat. Ihr Vater hatte sich schon vor langer Zeit unfähig oder unwillig gezeigt – was auch immer –, die Plantage zu leiten. Und selbst wenn das Baby, das sich jetzt angekündigt hatte, ein Junge war, so würde es noch viele Jahre dauern, bis er die Plantage übernehmen könnte.

Irgendwann würde Grand-mère zu alt dafür sein, und dann musste Josie die Verantwortung übernehmen, bis ihr Bruder volljährig war.

Aber die Hauptbücher langweilten Josie noch mehr als die Stickerei. Außerdem würde sie doch wohl irgendwann einen Ehemann haben, der sich um die geschäftlichen Dinge kümmerte.

Doch Cleos vergnügter Blick über Mamans Kopf hinweg ließ Josie hoffen, dass es nicht um die Buchhaltung ging. Sie faltete ihre Stickarbeit zusammen, legte sie in den Nähkasten und entschuldigte sich bei ihrer Mutter.

Sobald sie außer Hörweite waren, fragte Josie: »Was will sie denn?«

»Kennst du den alten Cajun, Monsieur DeBlieux?«

»Der Mann, der die Alligatorenschwänze bringt.«

»Heute geht es nicht um Alligatorenschwänze, sondern um Palmherzen. Aber hör mal, er ist heute nicht selbst gekommen, sondern er hat seinen Sohn geschickt. Deine Großmutter hat zu tun, und sie meint, es wird Zeit, dass du lernst, einzukaufen und zu verkaufen.«

Josie, die jetzt weit genug von ihrer Mutter entfernt war, um sich undamenhaftes Benehmen erlauben zu können, schnaubte vor Abscheu. Josie wollte gern eine feine Dame sein, sich hübsch anziehen, große Partys geben und von einem schönen Mann wie Papa geliebt und verwöhnt werden. Kaufen und Verkaufen gehörten nicht zu dieser Zukunftsvision.

Als die beiden Mädchen das kühle Souterrain betraten, wo ein Großteil der Geschäfte der Plantage abgewickelt wurde, stand der junge Akadier an eine Säule gelehnt da, den Hut tief ins Gesicht gezogen. Er machte einen so entspannten Eindruck, dass Josie sich fragte, ob er womöglich im Stehen schlief. Sie sah seine abgewetzten Arbeitshosen und die nackten Füße, aber sein Hemd war sauber, und die schadhafte Stelle am Ellbogen war sorgfältig geflickt.

»Monsieur?«, sprach sie ihn an.

Der junge Mann atmete tief durch und hob die Hutkrempe an. Er hatte tatsächlich geschlafen. Augenblicklich stieß er sich von der Säule ab und nahm den Hut vom Kopf. »Mademoiselle«, sagte er.

Josie starrte in seine braunen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern, bis er ein wenig den Mund verzog und sie merkte, dass sie sich lächerlich machte.

»Sie haben etwas zu verkaufen, Monsieur?«

»Ja, ich habe Palmherzen. Einen ganzen Korb voll.«

»Wie viel wollen Sie dafür?«

»Mein Vater sagt … zwanzig Picayunes für den ganzen Korb.«

Josie merkte, dass sie kein Geld hatte. Sie nahm ihre Sinne zusammen und drehte sich zu Cleo um, die ihr die Haushalts-Geldbörse holen sollte. Aber ohne den Blick von der hochgewachsenen, schlanken Gestalt von Monsieur DeBlieux’ Sohn abzuwenden, griff Cleo in ihre Schürzentasche und streckte ihr die Geldbörse entgegen.

»Zwanzig Picayunes?«, sagte Josie. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Palmherzen wert waren, aber Grand-mère hatte ihr oft genug eingeschärft, niemals den verlangten Preis zu bezahlen. Niemals. Sie blickte dem jungen Mann in die Augen und verlor fast den Verstand, als er ihren Blick erwiderte.

»Ich denke«, fing sie an und räusperte sich, »ich denke, fünfzehn wäre vernünftiger.« Sie warf Cleo einen kurzen Blick zu, aber Cleo war offensichtlich nicht bei der Sache.

Der junge Mann lächelte. »Dann sagen wir fünfzehn, Mademoiselle.«

Sie hatte recht gehabt. Er hatte zu viel verlangt, und sie war schlau genug gewesen, ihm auf die Schliche zu kommen. Grand-mère würde sich freuen. Josie öffnete die Geldbörse und blickte auf die kleine Sammlung der verschiedensten Münzen: eine verwirrende Mischung aus englischen Schillingen, russischen Kopeken und verschiedenen spanischen Geldstücken. Sie suchte ein wenig herum, bis sie die Picayunes gefunden hatte, dann zählte sie die Münzen dem jungen Mann in die Hand. Es war eine schwielige Hand, aber die Finger waren lang und schlank. Als er das Geld entgegennahm, strich er kurz mit seinem Daumen an ihrer Hand entlang, und sie spürte, wie sie zusammenzuckte.

»Merci, Mademoiselle«, sagte er, tippte an seinen Hut, sah Josie noch einmal tief in die Augen und ließ den Blick dann über Cleo wandern, bevor er zu seinem Wagen schlenderte.

Der junge Cajun war kaum außer Sicht, als die beiden Mädchen sich kichernd aneinanderlehnten, die Hand über den Mund gelegt. Josie seufzte tief. »Ich habe gedacht, ich kriege keine Luft mehr. Hast du diese Augen gesehen?«

Cleo lächelte breit und fächelte sich mit einem Taschentuch gespielt Luft zu. »Ein Kind des Teufels, so gut wie der aussieht.«

»Ich hätte ihn nach seinem Namen fragen sollen«, gab Josie zurück.

Grand-mère erschien aus dem Schatten des Souterrains. Josie und Cleo ließen die Hände sinken und standen ruhig da. »Er heißt Phanor. Phanor DeBlieux. Und er ist Akadier.«

Josie warf Cleo einen Blick zu. Sie hatten Grand-mères Ausführungen über Cajuns schon einmal gehört: Sie lebten nach vier oder fünf Generationen in Louisiana immer noch in den Sümpfen, interessierten sich mehr für den Tanz am Samstagabend und die Fischerei als für harte Arbeit. Und sie brachten es einfach zu nichts.

»Aus guter akadischer Familie«, fügte Josies Großmutter hinzu, »aber eben ein Akadier. Das solltest du im Kopf behalten, wenn du den Sohn von Monsieur DeBlieux so sehr bewunderst. Was hast du denn gekauft?«

Josie hob den Korb hoch und zog das Tuch zur Seite. »Palmherzen, Grand-mère. Einen ganzen Korb voll, für nur fünfzehn Picayunes.«

Der Blick ihrer Großmutter ließ sie förmlich einschrumpfen. »Wie viel hat er verlangt?«

»Zwanzig Picayunes. Du siehst, ich habe hart verhandelt, Grand-mère.«

»Und wie viele von den Palmherzen wirst du heute Abend essen?«

»Eins, aber …«

»Und wie viele Leute werden heute Abend am Tisch sitzen?«

»Nun, Maman, Papa, du und …«

»Du wirst nach dem Abendessen Louella in der Küche helfen. Sie muss die Palmherzen einmachen, damit sie nicht verderben. Bis dahin sollten wir wohl einen Blick in unsere Hauptbücher werfen, um festzustellen, wie viel wir Monsieur DeBlieux bisher für Palmherzen bezahlt haben.«

Josie folgte ihrer Großmutter ins Haus. Schon jetzt zählte sie die Minuten, bis sie entlassen würde. Das Lesen der Rechnungsbücher fiel ihr leicht, sie konnte sogar ganz gut kopfrechnen, nur die winzigen Ziffern, die ihre Großmutter schrieb, machten ihr Mühe. »Die Ausgaben schwanken je nach Jahreszeit«, sagte Grand-mère jetzt. »Das musst du bei deiner Jahresplanung berücksichtigen.«

Was Josie an den Hauptbüchern wirklich hasste, war die Beschäftigung mit den alltäglichen Notwendigkeiten. Auch dazu war sie durchaus in der Lage, wenn sie musste, aber viel lieber blickte sie dem Fluss nach, der träge Richtung New Orleans strömte. Da war sie wie ihr Vater. Auch die Arbeit im Küchenhaus machte ihr Freude. Im nächsten Leben würde sie Köchin, dachte sie oft. Sie fragte sich, ob die Palmherzen wohl gut schmecken würden, wenn man sie mit ein wenig Butter und Rosmarin in der Pfanne schmorte.

Der schwere Duft der Sommerrosen wehte zum offenen Fenster herein. Von ihrem Platz neben Grand-mère konnte Josie die Kletterrose sehen, die die Gartenlaube in eine tiefrote Decke einhüllte.

»Josephine!«

Josie zuckte zusammen.

»Du musst aufpassen, Josephine.« Grand-mère wurde ungeduldig und ein wenig boshaft. »Im Gegensatz zu deinem Vater wirst du nicht den Luxus haben, dich auf jemand anderen verlassen zu können, der Toulouse für dich führt.«

»Es tut mir leid, Grand-mère.«

Zur Mittagszeit entließ Grand-mère Josie, damit sie ihrer Mutter beim Umziehen helfen konnte. Bei früheren Schwangerschaften war Maman immer von Übelkeit befallen worden, und der Geruch von Speck oder eingemachtem Gemüse widerte sie an. Diesmal blieben diese Symptome aus, ein gutes Zeichen, vielleicht würde sie das Kind diesmal endlich behalten dürfen. Appetit hatte sie freilich nicht. Ihr Bauch wurde immer dicker, und ihre Füße schwollen an, sodass sie nur noch mühsam laufen konnte, aber ihr Gesicht wurde immer dünner, als wäre sie vollkommen ausgezehrt.

Die anderen waren noch nicht im Speisezimmer eingetroffen. Bibi füllte die Wassergläser, als Josie hinter ihrer Mutter stand, um ihr den Stuhl an den Tisch zu rücken. Mit einem seltsamen Stöhnen schwankte Maman und griff Hilfe suchend nach der Tischkante.

»Maman …« Josie schob den Stuhl zur Seite und hielt ihre Mutter am Arm fest, doch das ungewohnte Gewicht brachte sie ins Straucheln. Bibi eilte zur Hilfe, und dieses eine Mal schob Maman sie nicht weg. Mit vereinten Kräften halfen Josie und Bibi ihr beim Setzen. Bibi tauchte eine Serviette in ein Wasserglas und tupfte ihr das Gesicht ab.

Josie holte den Schemel aus der Ecke. Sie wollte die Füße ihrer Mutter hochstellen, als etwas Warmes, Feuchtes sie innehalten ließ. Hastig zog sie die Hand zurück – Blut! Sie zog die Röcke ihrer Mutter zur Seite – das Blut strömte nur so an den Beinen entlang.

Josie blickte Bibi an. Ihre großen Augen waren Warnsignal genug, und Bibi erblickte den wachsenden roten Fleck unter dem Stuhl. »Hol deinen Vater«, sagte sie zu Josie.

Papa eilte ins Zimmer, hob Maman auf seine Arme und trug sie ins Schlafzimmer. »Bibi, hol die Hebamme«, sagte er über seine Schulter.

Josie wollte ihm folgen, aber ihr Vater sagte: »Nein, Kind, das ist nichts für dich. Sag deiner Großmutter, sie soll Dr. Benet holen lassen.« Er begann, ihrer Mutter Kissen unterzulegen, damit ihre Hüfte erhöht lag. »Beeil dich!«, rief er ihr zu.

Während Josie in den Stall rannte, um Ellbogen-John zu holen, schrieb Grand-mère ihm einen Passierschein, damit er die Plantage verlassen konnte. Unten an der Hintertreppe traf sie mit Josie und John zusammen.

»Sobald du Dr. Benet informiert hast, gehst du weiter nach Vacherie und holst Pater Philippe, John.« Sie reichte ihm drei gefaltete Zettel. »Der hier mit dem gekrümmten Arm darauf ist dein Passierschein. Dieser hier ist für den Priester, siehst du das Kreuz?«

Den Priester? Dann musste Maman in Lebensgefahr sein! Josie bekreuzigte sich und suchte in ihrer Tasche nach dem Rosenkranz.

Grand-mère reichte John den dritten Zettel. »Der hier ist für Dr. Benet, mit der Medizinflasche in der Ecke.«

»Ja, ich hab’s gesehen. Ich werde mit dem alten Maultier so schnell machen, wie ich kann.«

Josie folgte Grand-mère ins Haus, wobei sie sorgfältig darauf achtete, den Weihwasserkessel an der Haustür zu berühren. Doch an der Schwelle zum Zimmer ihrer Mutter hielt Grand-mère sie auf. »Bitte …«, flehte Josie, aber ihre Großmutter schüttelte den Kopf und schloss die Tür.

Josie legte das Ohr an die Tür. »Du stehst hier nur im Weg, mein Sohn«, sagte ihre Großmutter gerade. »Lass uns allein.«

Als Papa die Tür öffnete, sah Josie, dass die alte Hebamme aus den Unterkünften schon bei ihrer Mutter war. Seit dreißig Jahren hatte Ursuline den meisten Kindern auf der Plantage ins Leben geholfen. Sie konnte die Blutung sicher stillen, bevor der Doktor kam.

Papas Gesicht war sehr bleich, und seine Hände zitterten, als er Josies Hand nahm. »Ich fürchte, sie wird auch dieses Kind verlieren«, sagte er leise.

»Es tut mir so leid, Papa. Ich weiß doch, du wünschst dir einen Sohn.«

Er nahm sie in die Arme und hielt sie einen Moment ganz fest. Dann sagte er: »Komm mit auf den Balkon, wir warten auf Dr. Benet«, und ging voran. Josie ließ den Rosenkranz durch ihre Finger laufen, immer wieder, um ein bisschen Trost zu finden, aber sie war mit den Gedanken weit von dem Gebet entfernt. »Willst du dich nicht setzen, Papa?«, fragte sie schließlich. »Es wird doch sicher noch eine Weile dauern.«

Er schüttelte den Kopf. »Geh und sprich mit deiner Großmutter.«

»Sie lässt mich doch nicht rein!«

»Frag sie nur, ob die Blutung aufgehört hat.«

Als Josie zurückkam, konnte sie berichten, dass Ursuline die Blutung gestoppt hatte. Aber ihr Vater nahm den Blick nicht von der Straße am Fluss entlang, wo irgendwann die Staubwolke von Dr. Benets Wagen auftauchen würde. Wenn der Arzt bei einem anderen Patienten war, konnte es Stunden dauern, bis Ellbogen-John ihn auch nur fand.

Der Tag schleppte sich weiter, und ihr Vater wurde immer ungeduldiger. Er lief im Zimmer auf und ab, dann setzte er sich wieder und stützte das Kinn auf die Fäuste.

»Du musst was essen, Papa«, sagte Josie. Er nickte zerstreut, und Josie ging durch das seltsam stille Haus und die Treppen hinunter zum Küchenhaus. Sie würde ihm einen Teller mit kaltem Braten und Brot fertig machen und vielleicht mit etwas Sauergemüse, um seinen Appetit anzuregen.

Sie betrat die schattige Küche. »Komm rein, Kind«, sagte Louella. »Es ist heiß hier drin mit all den Kesseln und dem kochenden Wasser. Madame Emmeline braucht jede Menge heißes Wasser, wenn der Arzt kommt.«

Louellas dunkles Gesicht glänzte vom Schweiß, und ihr Haarband war nass. Als Josie die Hitze des Herdfeuers spürte, zupfte sie an dem gestickten Schal, den sie um den Hals trug.

»Ich brauche einen Teller, Louella«, sagte sie und wurde rot vor Scham, als sie den großen Steinguttopf auf dem Tisch sah. Irgendwie hatte Louella auch noch Zeit gefunden, die Palmherzen zu putzen und aufzuschneiden, um sie einzulegen – ohne Josies Hilfe. Jetzt musste nur noch Essig und Öl dazu-gegeben werden, dann konnten sie in dem großen Topf ruhen.

»Ich komme gleich wieder und helfe dir mit den Palmherzen«, sagte sie. »Sobald ich Papa etwas zu essen gebracht habe.«

»Na, mein Schatz, nun mach dir mal keine Sorgen wegen der Palmherzen, Wasserkochen ist doch keine Arbeit. Bleib du nur bei deinem Papa.« Sie schnitt Brot und kalten Braten auf. »Und du musst auch was essen, Kind.«

Bibi kam mit einer leeren Schüssel herein, und Josie sprang auf. »Wie geht es ihr?« Aber als sie die Flecken auf Bibis Ärmel sah, ließ sie sich wieder fallen.

»Das ist kein frisches Blut, chérie«, sagte Bibi. »Ursuline hat die Blutung gestoppt.«

Josie bemerkte den Blick, den sich die beiden Frauen zuwarfen. »Was ist?«

Bibi schüttelte den Kopf. »Warte auf den Doktor, Josie.«

»Ich bin doch kein Kind mehr, Bibi«, drängte Josie weiter.

»Das stimmt«, fiel Louella ein. »Mamsell Josie ist schon ziemlich groß, Bibi.«

Bibi sah Josie in die Augen. »Na gut. Ursuline sagt, da ist gar kein richtiges Baby.«

Das ergab keinen Sinn. Mamans Bauch war jeden Monat ein bisschen weiter gewachsen. Josie schüttelte den Kopf. »Das sagt Ursuline bloß so. Sie ist einfach zu alt. Ihre Augen sind trüb, und sie kann nicht mehr richtig sehen.«

»Das hat nichts mit den Augen zu tun, chérie. Ursuline fühlt das mit ihren Händen. In dem Bauch bewegt sich nichts, und die Form ist nicht wie bei einem Baby. Hast du nicht gesehen, wie schlecht es deiner Mutter in den letzten Wochen ging?«

»Aber es geht doch so vielen Frauen schlecht, wenn sie ein Kind bekommen. Tante Marguerite hat sich jeden Tag übergeben, und Jean Baptiste ist trotzdem ein schönes Baby.«

Josie sah, wie Bibis Gesicht einen verschlossenen Ausdruck annahm, die alte Verteidigungshaltung aller Sklaven. Wenn Cleo oder Bibi oder Ellbogen-John das taten, fühlte sich Josie immer ausgeschlossen und allein.

Sie nahm das Tablett auf, das Louella vorbereitet hatte. »Ihr werdet schon sehen«, sagte sie. »Wenn der Arzt kommt, werdet ihr schon sehen.«

Der Priester kam als Erster. Pater Philippe war ein großer, dünner Mann, der immer nach schlechten Zähnen roch. Seine Stiefel waren staubig, und die weißen Halbkreise unter den Achseln seines schwarzen Habits zeugten von altem Schweiß. Er küsste Josie die Hand und bat dann darum, sofort zu Madame Tassin gebracht zu werden. Grand-mère ließ ihn in Mamans Schlafzimmer ein und schloss die Tür sofort wieder.

In der Abenddämmerung kam Dr. Benet die Eichenallee vor dem Haus hinaufgefahren. Josie beobachtete vom vorderen Balkon aus, wie ihr Vater ihm aus dem hohen Wagen half, den er brauchte, um die schlammigen Straßen zu meistern.

Diese kleine Hilfe beim Aussteigen war die einzige Konzession an seinen alten, gebrechlichen Körper, die Dr. Benet machte. Seine Stimme hatte den Klang eines wesentlich jüngeren Mannes.

»Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, Emile«, sagte er und stieg die Treppe hinauf. »Ich war auf der anderen Seite meines Gebiets. Wie geht es ihr?«

Papa berichtete seinem alten Freund, was er wusste, und begleitete ihn zum Schlafzimmer, wo Pater Philippe immer noch mit Maman betete. Dann kam Papa zurück auf den Balkon, wo er wieder ruhelos auf und ab lief, während Josie im Schaukelstuhl saß, ohne sich zu bewegen. Eine halbe Stunde verging, bevor Dr. Benet mit Grand-mère aus dem Haus trat.

»Wie geht es ihr? Ist mit dem Baby alles in Ordnung?«

»Setz dich, Emile, es ist schwierig zu erklären.«

Josie überließ ihren Platz ihrer Großmutter.

»Wie du weißt, hat sie viel Blut verloren«, begann Dr. Benet.

»Aber das Baby?«, fiel sein Vater ein.

»Dazu komme ich gleich, Emile. Du hast natürlich beobachtet, wie Celine immer runder geworden ist. Tatsächlich schien sie ein Kind zu erwarten.«

Emile ließ den Kopf hängen. »Sie hat es also verloren.«

»Ich glaube, ich habe mich nicht klar genug ausgedrückt, mein Freund. Dieser Bauch … es gibt kein Kind. Ihr Bauch ist angeschwollen von Geschwüren.«

»Ich verstehe dich nicht. Sie …«

»Sei doch nicht so dumm, Emile«, fuhr ihn seine Mutter an. »Es gibt kein Kind. Es hat nie ein Kind gegeben. Celine hat den Bauch voller Geschwüre. Tumoren.«

Josie suchte wieder nach ihrem Rosenkranz.

»Erzählen Sie ihm den Rest«, forderte Grand-mère den Arzt auf.

»Die Tumoren sind gereift und sehr groß, Emile. Sie sind so sehr gewachsen, dass sie aufplatzen. Verstehst du?«

Papa gab keine Antwort. Josie blieb auf ihrem Platz am Balkongeländer stehen, aber allmählich wurden ihr die Knie weich. Grand-mère scharrte unruhig mit den Füßen. »Sprechen Sie weiter, François.«

»Celine hat sehr viel Blut verloren«, fuhr der Arzt fort. »Ursuline hat gute Arbeit geleistet und die Blutung gestillt. So haben wir ein wenig Zeit gewonnen. Aber die Blutung wird wiederkommen, vielleicht morgen, vielleicht auch schon heute Nacht. Und sie wird unweigerlich daran sterben.«

Papa starrte blicklos in die Schatten. »Weiß Celine Bescheid?«

»Ja, sie weiß es«, erwiderte Grand-mère.

Unbemerkt schlich sich Josie ins Zimmer ihrer Mutter. Dr. Benet kann die Zukunft nicht voraussagen. Maman muss ganz still liegen, dann wird ihr Bauch wieder heil. Sie ist doch noch viel zu jung, um zu Gott zu gehen.

Im gelben Kerzenlicht sah Mamans Gesicht ganz wächsern aus. Pater Philippe saß bei ihr, den Kopf gesenkt. Josie konnte nicht feststellen, ob der arme Mann noch betete oder schon eingeschlafen war. Sie setzte sich auf die andere Seite des Bettes und nahm die Hand ihrer Mutter. »Wie geht es dir, Maman?«

»Ich bin nur sehr müde, Josephine. Aber es tut nicht mehr weh.«

Pater Philippe stand von seinem Stuhl auf. »Mademoiselle, wenn Sie jetzt hier sind, würde ich mich gern für einen Augenblick entschuldigen.« Er tätschelte Maman die Hand. »Ich bin bald wieder bei Ihnen, meine Liebe.«

»Josephine«, bat Maman, »gibst du mir meinen Rosenkranz?«

Während ihre Mutter die Elfenbeinperlen durch die Finger gleiten ließ und ihre Gebete sprach, kniete Josie vor dem Bett. Sie berührte den Spitzenärmel ihrer Mutter, um ihre Hand im Gebet nicht zu stören, und schloss die Augen, um ihre eigenen Gebete zu sprechen.

Als Papa sie so fand, taten ihr die Knie weh. »Josie«, sagte er und legte die Hand auf ihren Ellbogen. Maman schlief, den Rosenkranz noch zwischen den Fingern. »Ich würde jetzt gern allein mit deiner Mutter sprechen, Josie. Hast du ihr gute Nacht gesagt?« Sie nickte.

Sie saß mit Cleo im Salon neben dem Schlafzimmer, immer mit einem Blick auf die Uhr, deren Zeiger langsam weiterschlichen. Eine Stunde verging. Unter der Tür zu Mamans Schlafzimmer war Licht zu sehen, und das Gemurmel von Pater Philippe hatte aufgehört.

»Meinst du, Maman ist wach?«, fragte Josie.

Cleo stand auf und legte ein Ohr an die Tür. »Ich höre gar nichts«, flüsterte sie.

»Dann gehe ich jetzt rein.« Josie klopfte zweimal, dann drehte sie den gläsernen Türgriff. Das Kerzenlicht breitete sich über dem Bett aus, und Maman lag auf den cremefarbenen Kissen wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Ihr Haar war über dem Kissen ausgebreitet, und ihre Augen leuchteten unnatürlich aus dem wächsernen Gesicht.

Josie lächelte und atmete tief durch vor Erleichterung. »Maman, du siehst aus wie ein Engel.«

Maman hob eine Hand und winkte ihre Tochter zu sich.

Pater Philippe faltete sein Gewand zusammen; auf dem Tisch stand die Karaffe mit Weihwasser. Papa stand im Schatten und blickte zum Fenster hinaus in die Dunkelheit. Als er sich umdrehte, konnte sie sein tränennasses Gesicht im Kerzenlicht glänzen sehen.

Er rückte ihr einen Stuhl zurecht. Seine Stimme war rau, als er sagte: »Setz dich zu deiner Mutter, Josie.« Er klopfte mit der Hand auf seine Brusttasche, auf der Suche nach einer Zigarre. »Ich bin für einen Augenblick auf dem Balkon. Cleo, ich glaube, der Pater wäre dankbar für ein Glas Wein.«

Als die anderen das Zimmer verlassen hatten, nahm Josie die Hand ihrer Mutter. »Maman, du hast ja ganz kalte Hände.« Sie steckte die andere Hand unter die Bettdecke und zog die Laken etwas höher.

»Ich danke dir, Josephine.«

»Wie geht es dir, Maman?«

Maman deutete mit dem Kinn auf die blaue Flasche, die auf dem Tisch stand. Ihre Stimme war leise und schläfrig, und die Falten, die der Schmerz in ihr Gesicht gegraben hatte, waren verschwunden. »Dr. Benet erlaubt mir so viel Medizin, wie ich brauche.«

Die Flasche mit dem Laudanum stand neben einer Schale mit Gardenien, Mamans Lieblingsblumen. Die musste Bibi hereingebracht haben, wie nett von ihr.

Maman drückte Josies Hand. »Es ist bald vorbei.« Sie schloss die Augen.

Josie wollte aufstehen. »Du musst dich ausruhen.«

»Nein, geh nicht fort, Josephine.«

Josie setzte sich wieder. »Ich sehe dir beim Schlafen zu, Maman.«

Ihre Augenlider flatterten, dann schlossen sie sich. Ihr Atem ging flach, aber stetig, und Josie dachte erneut, wie schön ihre Mutter aussah. Dann öffnete Maman die Augen wieder, ganz weit, und starrte in die Schatten. »Jetzt ist es so weit, Josephine.« Sie streckte die Arme aus, klammerte sich mit beiden Händen an ihre Tochter. »Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm vergebe, Josephine. Aber das stimmt nicht, ich kann ihm nicht vergeben.« Die Angst machte ihr Gesicht noch bleicher, und ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Und jetzt muss ich damit vor Gott treten.«

Mamans Hände waren so kalt! »Papa?«, rief Josie über die Schulter. »Leg dich hin, Maman, du musst dich ausruhen.«

Maman ließ sie los, und jetzt schrie Josie nach ihrem Vater. »Papa!«

Mit eiligen Schritten kam Papa ins Zimmer. Maman lag flach auf dem Kissen, die Augen starr, die Arme ausgestreckt.

»Maman«, sagte Josie zu ihrem Vater, »sie …«

Mit einer schnellen Bewegung zog Papa die Bettdecke weg. Josie fuhr zurück. Das Nachthemd, das Bettzeug, alles war voller Blut.

»François!«, rief Emile, dann noch etwas lauter, »François!!«

Der Arzt eilte vom Balkon herbei. Er hob das schmale Handgelenk hoch und fühlte nach dem Puls. Dann ließ er die Hand zurück auf die Bettdecke fallen und fühlte am Hals, schüttelte schließlich den Kopf. »Sie ist tot, Emile.« Er legte eine Hand über ihre Augen und schloss sie mit einer sanften Bewegung. »Sie ist tot.«

Josie stand im Halbdunkel hinter ihrem Vater. Sie wimmerte, und Papa griff nach ihr, damit sie nicht fiel. Bibi kam ins Zimmer geeilt, Cleo gleich hinter ihr. Sie stellten Josie einen Stuhl hin, und Papa ließ sie sanft daraufgleiten, damit sie ihre Mutter nicht mehr sehen musste.

Zitternd krümmte sich Josie zusammen. Cleo legte ihr einen Schal um die Schultern und setzte sich zu ihr auf die Stuhl-kante.

Grand-mère Emmeline betrat das Zimmer, die grauen Haare offen, aber mit ordentlich geschlossenem Morgenrock. Für einen Augenblick legte sie ihre Hand auf Josies Schulter, dann nickte sie Cleo zu, ihr zu helfen.

Gemeinsam zogen sie die Decke hoch und legten sie so zurecht, dass der riesige Blutfleck unter Celines Körper nicht mehr zu sehen war. Sie falteten die blassen Hände, suchten eine Gardenie aus der Schale aus und legten sie ihr auf die Brust. Dann strichen sie ihr das Haar glatt.

»Josephine«, sagte Grand-mère, »komm und gib deiner Mutter einen Abschiedskuss.«

Josie riss sich zusammen und wandte sich dem Bett zu, das im Kerzenlicht lag.

Vor wenigen Augenblicken hatte ihre Mutter noch gelebt, jetzt lag ihr Körper so vollkommen still da, dass der Tod mit Händen zu greifen war.

Das einzige Geräusch war die zischende Kerze. Josie hielt sich eine Hand vor den Mund, wie um sich vor dem seltsamen Geruchsgemisch von Gardenien und Blut zu schützen, dann beugte sie sich über ihre Mutter und küsste sie auf die Stirn. Mit dem Rosenkranz in der Hand ließ sie sich dann an der Seite des Bettes auf die Knie nieder.

Die scharfe Stimme ihrer Großmutter durchschnitt die Stille, sodass Josie erschrocken herumfuhr.

»Emile, du vergisst dich!«, sagte Grand-mère.

Papa saß in dem großen, mit Samt bezogenen Sessel, und Bibi stand vor ihm. Sie strich ihm übers Haar. Er hatte die Arme um ihre Mitte gelegt, und sein Kopf ruhte an ihrer Brust.

Das Herz des Südens
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