21

Toulouse

Vom Schlafzimmerfenster aus beobachtete Cleo, wie im Haus des Aufsehers die Lichter gelöscht wurden. Dann wartete sie. Manchmal schlüpfte LeBrec noch einmal aus dem Haus, um auf dem Gelände herumzustreifen, und sie wusste, was ihr blühte, wenn er sie allein im Dunkeln zu fassen bekam.

Während sie wartete, versuchte sie, an nichts zu denken. Der Mond war nicht zu sehen, nur ein paar vereinzelte Sterne am Himmel. Sie konzentrierte sich auf den Umriss der großen Glocke, die neben dem Haus des Aufsehers hing, sodass sie aus dem Augenwinkel die Haustür umso genauer sehen konnte. Eine halbe Stunde, dann hatte sie das Gefühl, dass sie nicht länger warten konnte.

Sie nahm ihr Bündel, schloss die Haustür leise hinter sich und schlich die Treppe hinunter. Sie fröstelte und zog ihren Schal enger um die Schultern, froh, dass sie Schuhe an den Füßen trug, als sie durch das nasse Gras ging, während der schwache Schimmer des gekiesten Pfades ihr den Weg zeigte.

Bei Remys Hütte angekommen, schob sie die unverschlossene Tür auf. Der alte Sam und zwei seiner Enkel schliefen ebenfalls hier; Cleo ertastete sich den Weg zu dem Schlafplatz gleich bei der Tür.

»Cleo?«, flüsterte Remy. Als er sich bewegte, klingelten die Glöckchen an seinem Käfig.

»Ja, ich bin’s«, antwortete sie. Er drehte sich ein wenig, und die Glöckchen begleiteten ihn. Seine Mitbewohner waren inzwischen an das Geräusch gewöhnt, und sie schliefen den abgrundtiefen Schlaf von Männern, die den ganzen Tag schwer gearbeitet hatten.

Cleo streckte die Hand aus und tastete nach Remys Fingern. Sie kniete neben seinem Schlafplatz und küsste ihm die Hand. Dann griff sie durch die Gitterstäbe seines Käfigs und berührte sein Gesicht. Im Dunkeln saßen sie da, hielten einander fest und sprachen kein einziges Wort.

Endlich öffnete Cleo das Bündel, das sie mitgebracht hatte. »Hier ist ein Stück Schinken für dich, und ein Topf Marmelade. In der Flasche ist Buttermilch.«

»Das bewahre ich mir für morgen früh auf«, antwortete Remy. »Es hilft, ich fühle mich schon viel besser. Bis es wieder wärmer wird, geht es mir wieder richtig gut.«

Cleo berührte den Käfig mit ihren Fingerspitzen. »Und was ist hiermit?«, fragte sie.

»Ich arbeite daran. Wenn es so weit ist, werde ich das Ding schon los.«

Cleo öffnete ihre Hand und hielt sie an sein Gesicht. Sie würde nicht mehr mit ihm streiten. Wenn er noch einmal eingefangen wurde, würde man ihn wohl an einen Sklavenhändler weiterverkaufen, und sie würde niemals erfahren, wohin er ging. Aber sie hatten es so oft durchgesprochen, jedes Wenn und Aber. Sie hatte schreckliche Angst, aber sie liebte ihn nur noch mehr, weil er nicht aufgab.

Sie drückte ihr Gesicht an die Gitterstäbe, und sie küssten sich, bis Remys Hände sie den kalten Boden unter ihren Knien vergessen ließen. Sie zog seine Decke zurück, hob ihren Rock und kletterte auf ihn. »Halt still«, flüsterte sie.

»Das geht nicht«, flüsterte er zurück.

Sie sah sein Lächeln aufschimmern und erwiderte es. »Ich bewege mich schon, halt du still.«

Die Stricke unter dem Schlafplatz ächzten, und die Glöckchen klingelten. Cleo musste ein Lachen unterdrücken und wickelte die Decke um die Glöckchen, bevor sie wieder auf Remy kletterte. Sie versuchten, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Als sie endlich aufhörten, seufzte einer der Enkel des alten Sam im Schlaf, dann war es wieder ganz still in der Hütte.

»Sei bloß vorsichtig, wenn du zurück zum Haus gehst«, flüsterte Remy.

»Natürlich, ich weiß doch, wie ich im Dunkeln gehen muss.«

Als Cleo die Hütte verließ, schnüffelte der gelbe Hund des alten Sam kurz an ihr und begleitete sie ein paar Schritte. Sie kraulte ihm die Ohren und flüsterte: »Du bleibst schön hier, Boots.« Er setzte sich wieder hin, wedelte mit dem Schwanz und ließ sie ziehen.

Cleo bewegte sich in die tiefere Dunkelheit unter den nackten Pecanbäumen. Als sie ein Rascheln hinter sich hörte, drehte sie sich um und sagte: »Geh zurück zum Haus, Boots, geh.«

Stille. »Boots?«, rief sie fragend. Sie wollte schon wieder zu den Hütten zurückgehen, als sie den Schatten eines Mannes sah, der zwischen ihr und der Lichtung auftauchte.

Cleo drehte sich um und rannte Richtung Herrenhaus, aber er war schneller als sie. An der Alkoholfahne erkannte sie Le-Brec. Sie kämpfte, trat um sich und kratzte ihn, aber sie musste still sein; wenn Remy sie schreien hörte, würde er angerannt kommen, und dann würde LeBrec ihn wieder bestrafen.

LeBrec schlug sie nieder und stürzte sich auf sie. Cleo drehte und wand sich, um ihm zu entkommen, aber er war zu schwer für sie. Er hielt ihre Handgelenke über ihrem Kopf fest, und sein Dreitagebart zerkratzte ihr das Gesicht, als sie ihren Kopf hin und her drehte, um seinem nassen Mund zu entgehen.

»Lass mich los!«, zischte sie. »Ich sag’s Madame.«

»Dann sage ich ihr, dass du hier draußen herumschleichst, um den weggelaufenen Kerl zu besuchen. Du meinst wohl, du bist was Besseres, hm? Ich werde dir schon zeigen, was ein richtiger Mann ist.«

Als er eine ihrer Hände losließ, um seine Hose zu öffnen, schlug ihm Cleo auf den Kopf, schob und schubste, zerkratzte ihm Gesicht und Hals. Ihre Beine waren unter ihm eingeklemmt, aber sie wand sich immer weiter, um ihn abzuwerfen.

LeBrec holte aus und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Einmal, zweimal. Sie verlor fast das Bewusstsein, und alle Kräfte verließen sie. Als sie spürte, wie er in sie eindrang, schrie sie, aber er schlug sie noch einmal und hielt ihr mit einer Hand den Mund zu.

Sie bekam fast keine Luft, weil sein fettiges Haar ihr die Nase verstopfte. LeBrec stieß und stieß, und sie stöhnte vor Schmerz.

Plötzlich fuhr LeBrec herum und hob den Kopf. Er hatte Boots tiefes Knurren gehört. Cleo bekam den Mund frei und schrie: »Fass, Boots!«

Der Hund wog genug, um LeBrec von Cleo herunterzuwerfen. Sie begann wegzukriechen, kam auf die Füße, rannte zwischen den Pecanbäumen hindurch zum Haus und hörte hinter sich immer noch LeBrecs Flüche und Boots dumpfes Knurren.

Als sie bei der Treppe angekommen war, hörte sie Boots aufjaulen, dann war alles still. Gütige Mutter, er hatte doch wohl nicht den Hund umgebracht?

Cleo schloss die Tür zu Josies Zimmer hinter sich und sackte auf dem Boden zusammen. Sie weinte nicht, was sollte das schon nützen? Sie machte sich nur Sorgen, was Remy tun würde, wenn er herausfand, was geschehen war. Er würde auf LeBrec losgehen, und dann würde der Aufseher ihn ganz bestimmt umbringen.

Sie musste dafür sorgen, dass Remy nichts davon erfuhr. Aber sie konnte Louella, Thibault und Ellbogen-John nicht so lange aus dem Weg gehen, und die drei würden ziemlich leicht herausfinden, was ihr geschehen war. Sie musste sie bitten, in den Unterkünften nicht darüber zu reden. Und Remy konnte sie erst wieder besuchen, wenn ihr Gesicht abgeheilt war. Allmählich wurde ihr ganz kalt auf dem Boden, und sie stand auf, um eine Kerze anzuzünden. Dann goss sie Wasser aus dem Krug in die Waschschüssel und wusch ihr schmerzendes Gesicht. Das kalte Wasser brannte auf den Kratzern wie Feuer. Zwischen ihren Beinen war nur ein bisschen Blut zu sehen, aber sie wusch sich immer wieder. Dann bürstete sie sich die Blätter und den Schmutz aus den Haaren, zog sich eine von Josies weichen alten Unterhosen an und ein frisches Kleid darüber.

Sie kroch in Josies Bett und kuschelte sich in die Decke ein. Seit dem Sommer, als Josie Abigail Johnston besucht hatte, hatte sie nicht mehr dort geschlafen. Aber jetzt brauchte sie Trost, und sie fühlte sich näher bei Josie, wenn sie auf ihrem Kopfkissen schlief.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in die Dunkelheit, bis das Tageslicht durch die Fenster kroch.

Dann stand sie auf und drehte den gläsernen Knopf der Tür zu Madame Celines Schlafzimmer. Auf der Schwelle blieb sie zögernd stehen. Die Stille hier drinnen schien noch schwerer zu wiegen. Das Zimmer roch nach Staub, und der große Spiegel war immer noch mit einer schwarzen Decke verhüllt. In dem schwachen grauen Licht schien das Himmelbett mit dem Moskitonetz über den Schatten zu schweben.

In diesem Bett war Celine Tassin gestorben. Cleo starrte die schwachen Umrisse der Kissen an. Konnte man noch eine Delle im Kissen sehen, wo der Kopf der Toten gelegen hatte?

Sie atmete tief durch und rief sich zur Ordnung. Sie durfte nicht mit dem abergläubischen Unsinn anfangen, den die anderen Sklaven von sich gaben. Die meisten von ihnen waren unwissend und dumm, und sie sahen überall Böses und alle möglichen Schrecken. Ursuline, die die Cholera inzwischen überstanden hatte, erzählte weiterhin Voodoo-Geschichten und ließ alle, die ihr zuhörten, Ausschau nach Zeichen aus der anderen Welt halten. Cleo kannte die Geschichten, aber sie wusste nur zu gut, dass sie nicht mehr waren als eben Geschichten. Alberne Geschichten. Cleo war sicher, dass Gott sich nicht mit Botschaften aufhielt, die von Hühnerfüßen und frischem Blut abhängig waren.

Sie berührte den Weihwasserkessel am Türpfosten und bekreuzigte sich, bevor sie das Zimmer betrat und leise zu Madame Celines Frisierkommode ging. Dort standen noch ein ausgetrocknetes Rougetöpfchen, ein Topf mit ranziger Gesichtscreme und eine Puderdose mit blassem Elfenbeinpuder. Die verdorbene Creme roch grauenhaft, aber die Puderdose nahm sie mit in Josies Zimmer.

Cleo hatte eine hellere Haut als jeder andere Sklave auf der Plantage, sogar noch heller als Thibault, aber natürlich war ihre Milchkaffeefarbe wesentlich dunkler als Celines helle Haut. Der Puder half überhaupt nicht, die schwarzblauen Prellungen und roten Abschürfungen zu überdecken, und ihre geschwollene Nase sah damit eher noch größer aus als vorher. Am Ende wusch sie alles wieder ab. Sie hatte keine Chance, ihr Unglück zu verbergen.

Als die Frühstückszeit gekommen war, setzte sich Madame Emmeline an den Tisch, ließ sich Kaffee einschenken und griff nach dem Milchkännchen. Sie rührte mit abwesender Miene in der Tasse, als Cleo ihr die Blutwurst servierte, die Louella herübergebracht hatte. Dann verlangte sie das Gelee. Als Cleo es neben ihr abstellte, blickte Emmeline auf.

Erschrocken legte sie beide Hände auf die Tischfläche und starrte in Cleos zerschlagenes Gesicht. Cleo schlug die Augen nieder und ertrug es, betrachtet zu werden. Was würde Madame sagen? Sie würde eine Erklärung verlangen, vielleicht würde sie sie sogar bestrafen. Dass eigentlich LeBrec Strafe verdiente, ging ihr kurz durch den Kopf, aber sie wusste, das würde nicht geschehen.

Nach einer langen Pause sprach Madame endlich. »Ich habe dir gesagt, du sollst im Haus bleiben.«

Cleo nickte und blickte weiterhin zu Boden.

Kopfschüttelnd schob Madame ihr Frühstück von sich. »Ich sage es dir noch einmal, Cleo, bleib im Haus.«

»Ja, Madame, ist gut.« Sie blickte Madame in die Augen. Erst einmal hatte sie einen solchen Schmerz im Blick ihrer Großmutter gesehen, nämlich während des Hochwassers, als sie beide ihre Lieben verloren hatten. Ja, Madame sorgte sich um sie, sie konnte es in ihren Augen lesen.

Der Moment war schnell vorüber. Madame Emmeline stand auf. »Ich werde den Kaffee in meinem Arbeitszimmer trinken.«

Cleo verbrachte den Morgen damit, die Böden zu schrubben, die sie schon am Tag zuvor geputzt hatte. Im Augenblick lebten nur die kleine Laurie, Madame und sie im Haus, sodass nicht viel Arbeit anfiel, aber heute war die Routine wunderbar beruhigend, und Cleo beschäftigte sich freudig damit, im Salon Staub zu wischen und die Veranden von vorn bis hinten zu schrubben. Sie bat Madame um Erlaubnis, das helle Mittagslicht hereinzulassen und Madame Celines Schlafzimmer abzustauben und aufzupolieren. Auf dem Kopfkissen war keine Delle zu sehen, und wenn der frische Wind zum Fenster hineinblies, hatte das Zimmer auch nichts Unheimliches mehr an sich. Cleo band das Moskitonetz hoch und fuhr mit der Hand über die seidene Decke. Keine Spur von Celine, wenn man nicht selbst an sie dachte.

Später an diesem Vormittag, zur üblichen Zeit, kam Monsieur Bertrand Chamard die Eichenallee vom Fluss heraufgeritten. Cleo sah ihn, als sie die Fenster in Madame Celines Zimmer gerade wieder schließen wollte. Monsieur war ein aufmerksamer Mann, er würde die Verletzung in ihrem Gesicht sofort bemerken.

Sie zog sich in Josies Zimmer zurück und hoffte, Madame würde nicht nach ihr rufen. Laurie war inzwischen ja wohl alt genug, um beim Essen zu bedienen. Sie hörte, wie Ellbogen-John und Thibault Monsieur im Hof unter ihrem Fenster begrüßten, dann ging er die Treppe zur hinteren Veranda hinauf, und sie lauschte angestrengt, um zu hören, ob Laurie ihm öffnete.

Endlich war Laurie da und ließ ihn herein. Kurz darauf hörte sie Louella und Laurie im Esszimmer, wo sie das Essen vorbereiteten. Madame hatte ihr Fehlen also entschuldigt.

Erleichtert streckte sie sich auf Josies Bett aus. Solange sie sich beschäftigt hatte, waren die Schmerzen erträglich gewesen, aber jetzt breiteten sie sich klopfend überall aus. Augen, Nase, Kiefer – alles tat ihr weh. Nachdem Madame und Monsieur gegessen hatten, würde sie Louella um etwas Tafia bitten, den sie in der Küche aufbewahrte. Einfacher Schnaps, nicht so weich wie der Wein, den sie Madame zum Essen servierten, aber er betäubte den Schmerz.

Als sie hörte, dass Madame und Monsieur es sich nach dem Essen im Salon bequem machten, öffnete sie die Tür, die von Josies Zimmer zum Esszimmer führte. Louella räumte gerade den Tisch ab.

»Leg dich hin, Liebes, du musst hier nicht helfen, geh wieder ins Bett.«

»Es tut so weh, Louella. Bringst du mir nachher etwas Tafia

»Ich hab dir schon heute früh gesagt, du sollst dir ein Stück Rindfleisch auf die Schwellung legen. Je eher du die Schwellung wegbringst, desto eher kannst du wieder zu Remy. Er weiß schon, dass Boots tot im Wäldchen gelegen hat. Es wird gar nichts nützen, dass ich den Mund halte, wenn du nicht bald dein Gesicht wieder in Ordnung bringst.«

»Haben sie Boots richtig begraben? In einem anständigen Grab?«

»Ellbogen-John hat selbst dafür gesorgt, weil der alte Sam schon auf dem Feld war.«

Louella schob Cleo zu dem Stuhl in der Ecke neben der großen Anrichte. Dann nahm sie ein Glas aus dem Schrank und füllte es aus dem Dekanter. »Trink das, was willst du mit Tafia, wenn hier überall der gute Wein rumsteht. Ich komme gleich mit einem Steak zurück, und du bleibst hier sitzen.«

Louella ging mit einem Tablett voller Geschirr hinaus, und Cleo legte ihren Kopf an die Rückenlehne des Stuhls. Für einen Moment schloss sie die Augen, aber da ging die Tür vom Salon auf, und Bertrand Chamard kam herein, um den Dekanter zu holen.

Cleo stand schnell auf, um wegzulaufen, aber als Chamard sie sah, blieb er genau vor ihrem Stuhl stehen. Sie konnte nur da stehen und warten.

»Mein Gott, Cleo!«

Mit einem Finger berührte er ihre geschwollene Wange. Das Mitleid in seinem Blick war zu viel für sie, und jetzt kamen endlich die Tränen. Sie schlug die Augen nieder, damit er nicht sah, wie peinlich ihr das alles war und wie sehr sie seine Freundlichkeit berührte.

Chamard warf einen Blick über seine Schulter zurück zum Salon und sprach dann leise auf sie ein.

»Wer war das?«

Cleo schüttelte den Kopf. Sie wollte an ihm vorbei, aber er versperrte ihr den Weg. Er stand sehr nah vor ihr. Der Duft seiner Wolljacke, seines Tabaks, seiner ganzen Person zog sie magisch an.

»Bitte, Monsieur«, sagte sie nur.

Bertrand zögerte. Noch einmal berührte er sehr vorsichtig ihr Gesicht, dann trat er zur Seite. Cleo eilte an ihm vorbei in ihr Schlafzimmer.

Als Bertrand mit dem Dekanter zu Madame Emmeline zurückkam, schenkte er ihnen beiden noch ein Glas Wein ein. Er fragte sich, ob er Emmeline darauf ansprechen sollte, dass Cleo offenbar geschlagen worden war, beschloss dann aber, dass es ihre Freundschaft allzu sehr belasten würde, wenn er sich in die inneren Angelegenheiten von Toulouse einmischte.

Stattdessen sprachen sie von allerlei wirtschaftlichen Aktivitäten und vom Ruf verschiedener Händler in New Orleans, die sie beide kannten. Aber Bertrand war unruhig. Er konnte Cleos armes zerschlagenes Gesicht und den resignierten Blick in ihren Augen nicht vergessen. Wer auch immer ihr das angetan hatte, er verdiente, zerschmettert zu werden.

Für einen Augenblick überlegte er, ob es möglicherweise Madame Emmeline selbst gewesen war, die Cleo geschlagen hatte, aber dies waren nicht die Spuren, die eine Frau hinterließ, so wütend sie auch sein mochte. Es musste ein Mann gewesen sein, der Cleo so zugerichtet hatte. Es gab genug Präzedenzfälle in dieser Gegend, die Bertrand sagten, dass es vermutlich der Aufseher gewesen war. Es juckte ihn in den Fingern, LeBrec heimzuzahlen, was er Cleo angetan hatte.

Früher als sonst und mit einem Blick auf die drohenden dunklen Wolken entschuldigte er sich bei Emmeline.

»Laurie«, sagte Madame, »sag Ellbogen-John Bescheid, dass er Monsieurs Pferd aus dem Stall bringt.«

»Ist nicht nötig, Madame Emmeline, ich hole es schon selbst.«

»Aber auf keinen Fall, Bertrand. Laurie sollte ohnehin gehen und LeBrec zu mir bringen. Ich habe ihm schon angekündigt, dass ich ihn heute Nachmittag noch sehen will. Lauf schon, Laurie.«

»Ärger?«, wagte Bertrand sich vor.

Madame Emmeline warf ihm einen schiefen Blick zu. »Ich nehme an, Sie haben Cleo nach dem Essen im Speisezimmer gesehen.«

»In der Tat. Irgendjemand hat sie fürchterlich zugerichtet.«

»Richtig. Aber sie wusste, sie sollte ihm aus dem Weg gehen. Sie hört einfach nicht auf mich.«

»Kann ich irgendwie helfen?«

»Nein, ich denke, das wird nicht nötig sein«, sagte Madame Emmeline und reichte ihm seinen Hut.

Als Bertrand über den Hof ging, um auf sein Pferd zu steigen, schlenderte LeBrec an ihm vorbei Richtung Haus. Bertrand nahm Thibault die Zügel ab und sagte zu ihm: »Lauf nur, Tio.«

LeBrecs linke Hand war vollständig verbunden. Rote Kratzer verliefen über die ganze Länge der einen Wange, und neben seinem Auge war eine tiefe Wunde zu sehen. Man konnte deutlich erkennen, dass Cleo sich nicht kampflos ergeben hatte, und Bertrand konnte nicht anders, als ihr insgeheim zu applaudieren.

»Wie geht es Ihnen, Monsieur Chamard«, sagte LeBrec.

Bertrand streckte eine Hand aus und hielt ihn am Arm fest. »Ich habe Interesse an dem Mädchen, LeBrec«, sagte er. »Wenn ich noch einmal irgendetwas an ihr feststelle …«

In LeBrecs Stimme war wenig Überzeugungskraft, als er fragte: »Wovon reden Sie überhaupt?«

»Sie wissen ganz genau, wovon ich rede.« Bertrand sah die Angst in den Augen des Aufsehers. Der Mann war ein Feigling, aber das überraschte ihn nicht besonders. »Fassen Sie sie nicht noch einmal an«, sagte Bertrand. Dann drehte er ihm den Rücken zu und stieg auf sein Pferd.

Als Bertrand am Haus vorbeiritt, warf er noch einen Blick hinauf zu dem Schlafzimmer, in das sich Cleo zurückgezogen hatte. Die Vorhänge bewegten sich, und er wusste, sie hatte ihn mit LeBrec beobachtet.

Das Herz des Südens
titlepage.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-1.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-2.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-3.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-4.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-5.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-6.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-7.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-8.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-9.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-10.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-11.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-12.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-13.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-14.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-15.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-16.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-17.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-18.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-19.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-20.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-21.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-22.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-23.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-24.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-25.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-26.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-27.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-28.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-29.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-30.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-31.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-32.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-33.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-34.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-35.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-36.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-37.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-38.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-39.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-40.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-41.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-42.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-43.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-44.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-45.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-46.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-47.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-48.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-49.xhtml