25

Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Remy genug zu essen. An diesen ersten Tagen in der Stadt gab er jede Münze, die er verdiente, für Essen aus. Und er verdiente mehr, als er für möglich gehalten hatte. Allerdings hatte er kein Gespür für Preise, und so rann ihm das Geld nur so durch die Finger. Ein Teller Bohnen mit Reis konnte im einen Lokal zwei Pesetas kosten und sechs in einem anderen – Remy zahlte einfach, was man von ihm verlangte.

Die Flucht war ohne Schwierigkeiten vor sich gegangen. Louis hatte Remy geraten, sich einen anderen Namen auszudenken, bevor sie den Fluss erreichten, und niemand stellte dem Cajun-Herrn und seinem Sklaven Alain irgendwelche falschen Fragen. In New Orleans wurden sie schon von Phanor erwartet. Er hatte jede Schiffsankunft der letzten drei Tage abgepasst und darauf geachtet, dass seine Anwesenheit unbemerkt blieb, aber jetzt wurde er langsam unruhig. Phanor begrüßte Louis mit Küssen auf beide Wangen und ignorierte den Sklaven Alain, wie es üblich war.

Er führte sie durch die unteren Straßen der Stadt, vorbei an den Lagerhäusern voll mit importierter französischer Seide, Satin, Wein, Möbeln, Geschirr, Gläsern und Büchern. Sie suchten sich ihren Weg durch das Handwerkerviertel, stets auf der Hut vor Unrat auf den ungepflasterten Straßen, vorbei an lauten Schnapsbuden für die Seeleute, billigen Bordellen, wo sich eine magere Frau mit unglaublich rotem Haar anbot, und weiter zur Rue Boucher, wo ihnen der Geruch von frisch geschlachtetem Rind und das Gesumm der Fliegen entgegenschlug, die sich an Eingeweiden und Blut gütlich taten.

Am nächsten Morgen fuhr Louis mit dem Schiff wieder heimwärts, den Fluss hinauf. Remy blieb fürs Erste unsichtbar in Phanors gemietetem Zimmer, einem spärlich möblierten Kämmerchen über einem der vielen Metzgerläden. Phanor machte sich derweil auf die Suche nach einem Papier, mit dem er sein Eigentumsrecht an »Alain« nachweisen konnte. Er hatte ein solches Dokument schon einmal gesehen, als er mit zwei Sklaven in den Hafenanlagen gesprochen hatte. Sie hatten sich mit ihrem Herrn so geeinigt, dass sie ihm sechzig Prozent ihres Lohns abgaben und über die restlichen vierzig Prozent frei verfügen konnten. Die beiden waren so oft von irgendwelchen weißen Schurken behelligt worden, dass ihr Herr ihnen erlaubt hatte, eine Kopie ihrer Papiere bei sich zu tragen.

Wenn Phanor Papiere besorgte, auf denen Remy als Freigelassener erschien, dann war Remy der Willkür jedes weißen Sklavenhändlers ausgeliefert, der skrupellos genug war, ihn von der Straße weg zurück in die Sklaverei zu zwingen. In den großen Städten gab es genug Männer dieser Sorte, sodass das Risiko sehr hoch war, vor allem für einen unerfahrenen Stadtbewohner wie Remy. Da war es sicherer, ihn als Eigentum eines Weißen auszugeben, sodass er unter dem Schutz seines Besitzers stand. Der Rest kam später.

Beim Schreibwarenhändler suchte Phanor drei Blätter besonders offiziell aussehenden Papiers und kaufte eine frische Feder für seinen Federhalter. Zurück in seinem Zimmer, übte er auf einem alten Bogen Papier immer wieder die Fälschung, bis er mit der Wortwahl zufrieden war und die Überschrift richtig platziert hatte. Dann schrieb er eine Urkunde. Ein gewisser Phanor DeBlieux hatte einen gewissen Alain im Jahr des Herrn 1832 für eine Summe von achthundert Dollar käuflich erworben. Dann experimentierte er mit einem der anderen Blätter, um es alt und abgegriffen aussehen zu lassen. Er tränkte es in einem schwachen Schwarztee, was eine sehr gute Wirkung hatte, aber die Tinte verlaufen ließ, sodass er mit dem letzten Blatt noch einmal von vorn beginnen musste. Mit feinem Löschsand konnte er das Papier so aufreiben, dass es schön abgegriffen aussah, und dann faltete er es immer wieder, bis es weich und verknittert war.

Mit diesem Dokument in der Tasche ging Remy hinunter in den Hafen, um als Stauer anzuheuern. Der Vormann stellte ihm ein paar Fragen, warf einen Blick auf das Schreiben, das bewies, dass Remy nirgendwo weggelaufen war, und ließ ihn dann Baumwollballen auf ein Schiff nach New York tragen.

Spät nachts kehrte er in die Rue Boucher zurück. Unter Phanors Betreuung lernte er, mit dem Geld umzugehen, und stellte fest, dass er fast ein Viertel seines Lohns sparen konnte. Irgendwann würde er genug zur Verfügung haben, um Cleo freizukaufen.

Phanor kaufte Kreide und eine Tafel und begann, Remy an den Abenden Lesen und Schreiben beizubringen. Während Remy auf der Tafel die ersten Buchstaben übte, studierte Phanor die französische Grammatik, die Madame Emmeline ihm geliehen hatte. Als er sie zum ersten Mal aufgeschlagen hatte, war ihm Josies kindliches Gekritzel auf dem inneren Umschlag begegnet: Vorname, mittlerer Name, Familienname. Mit einem Finger hatte er lächelnd die Buchstaben nachgefahren, die runden Bogen und Schleifen. Sie würde sich amüsieren, wenn sie wüsste, dass er ihre alte Grammatik bei sich hatte. Eines Tages würde er sie ihr zeigen, und sie würden sich die Seite im ersten Kapitel anschauen, die voller Flecken war. Es sah verdächtig nach Schokolade aus.

Als Phanor den Brief von Josephine bekommen hatte, in dem sie ihn ins Haus ihrer Tante bat, hatte er schon drei Wochen mit der Grammatik hinter sich. Er ließ sich Zeit, zerriss den ersten Versuch und brachte schließlich ein anständiges Antwortschreiben zustande. Die zwei Stunden, die ihm bis zum vereinbarten Termin blieben, nutzte er, um seinen Mantel auszubürsten, seine Stiefel auf Hochglanz zu polieren und sich selbst von Kopf bis Fuß abzuschrubben.

Trotz all dieser Vorbereitungen war er eine halbe Stunde zu früh in der Nähe von Marguerite Sandrines Haus, und so ging er erst noch einmal zurück zum Fluss und setzte sich ein wenig auf den Deich. Der Mississippi war an dieser Stelle vollkommen verdreckt. Natürlich waren immer Baumstämme auf dem Fluss zu sehen, aber hier waren es auch abgenagte Tiergerippe und aller Schmutz, der aus der Stadt kam. Wenn der Fluss schmaler gewesen wäre, dachte Phanor, hätte man am Ufer kaum atmen können vor lauter Gestank. Und auch so war der Anblick der Schiffe, die ein- und ausfuhren, keine Entschädigung für die grauenhafte Luft. Phanor ging zurück in die Straßen, kaufte sich einen Kaffee und beobachtete die Passanten. In New Orleans wurde es nie langweilig. Phanor hatte sogar schon ein paar Chinesen gesehen, die in ihren komischen weiten Kleidern und mit den breiten spitzen Hüten herumliefen.

Er ging zurück zum Haus von Tante Marguerite und klopfte an die Tür. Als Josie selbst ihn vom Balkon aus begrüßte, verschwand sein unbehagliches Gefühl. Sie sah wunderbar aus, und sie lächelte ihn an. Natürlich hätte er sich später am Tag ohrfeigen können für seine Ungeschicklichkeit, ihr den Fleck am Mund wegzuwischen. Aber woher sollte er wissen, dass sie sich mit Absicht einen schwarzen Fleck ins Gesicht malte?

Nun hatte er die Speisenfolge und die Zahl der Gäste, und den Abend verbrachte er damit, die Zahl der Weinflaschen für jede Sorte auszurechnen, die er liefern sollte. Josies Tante hatte ihm vollkommen freie Hand gelassen, und er war sicher, bei diesem Fest würde ein hübscher Gewinn für Monsieur Cherleu herausspringen. Und natürlich auch für ihn. Er bekam jetzt eine Gewinnbeteiligung, Monsieur hatte das so gewollt, als zusätzlichen Anreiz, wie er gesagt hatte.

Diese Tante, Marguerite, war eine schöne Frau. Und ausgesprochen charmant. Sie konnte ihn offenbar ganz gut leiden, aber Phanor hatte auch Josies Gesicht gesehen, als Marguerite mit ihm geflirtet hatte. Es war vollkommen unbewegt gewesen, aber er wusste genau, die Sache gefiel ihr nicht. Er lächelte in sich hinein. Sollte sie ruhig ein bisschen eifersüchtig sein, das schadete nichts. Er wäre mit Sicherheit auch eifersüchtig gewesen, wenn irgendein Mann mit ihr geflirtet und er hilflos danebengestanden hätte.

Remys Schritte waren auf der Treppe zu hören, er war also zurück von seiner Arbeit im Hafen. Phanor legte die Papiere zur Seite, um zu hören, wie Remys Tag gewesen war. Oft kam er ins Zimmer und stellte Fragen, wie er mit der einen oder anderen Situation umgehen sollte. Einmal hatte er sich von zwei grobschlächtigen Weißen beobachtet gefühlt, als er Bierfässer eine Gangway hinaufgerollt hatte. Als einer von ihnen sich bewegte, hatte er metallene Handschellen gesehen, die an seinem Gürtel hingen. Der andere Mann hatte eine Handbewegung in Remys Richtung gemacht, und Remy hatte gefürchtet, dass sie sein verstümmeltes Ohr bemerkt hätten. Aber dann erinnerte er sich daran, wie viele Sklaven geschlitzte Ohren hatten. Er fühlte in seiner Tasche nach dem Papier, das ihm Sicherheit gab. Er war nicht weggelaufen, sein Name war Alain, und er hatte ein Papier, das ihn als Eigentum von Monsieur Phanor DeBlieux auswies, der in der Rue Boucher lebte.

Die beiden Männer gingen zum Vorarbeiter und nickten zu ihm herüber. Remy konnte nicht weglaufen, solange er auf der Gangway arbeitete. Er dachte kurz daran, ins Wasser zu springen, obwohl er nicht schwimmen konnte. Oder sollte er einen der anderen Stauer zur Seite schubsen und machen, dass er wegkam? Aber der Vorarbeiter rettete ihn, bewusst oder unbewusst. Er schüttelte den Kopf und deutete Richtung Stadt. Die Bedeutung war klar, die Sklavenhändler waren im Hafen nicht willkommen, sie sollten verschwinden.

Seit diesem Tag trug Remy ein rotkariertes Kopftuch, das Phanor ihm an einem der Stände am Deich gekauft hatte. Er konnte es so binden, dass seine Ohren nicht mehr zu sehen waren. Eines Tages würde er Phanor alles zurückzahlen, was dieser für ihn getan hatte. Eines Tages würde er frei und unabhängig sein, und er würde Phanors treuester Freund sein, solange er lebte.

Der 18. April kam, und Phanor stand früh auf. Er überprüfte zwei Mal, dass das Eis auch tatsächlich zum Haus der Sandrines geliefert würde, gleich nach Sonnenuntergang. Dann überwachte er den Transport der Weinkisten, die ausgeliefert sein mussten, bevor die Hitze des Tages zu sehr zunahm. Die Kisten füllten einen großen Wagen, und er hatte zwei Pferde gemietet, die den Wagen vom Lagerhaus zum Hinterhof der Sandrines ziehen sollten. Dort angekommen, überwachte er das Abladen der Kisten und sortierte sie nach der Zeit, zu der sie im Laufe des Abends voraussichtlich serviert werden würden. Schließlich half er den Tagelöhnern, einen lockeren Schirm aufzubauen, unter dem der Wein den Tag über vor der Sonne geschützt war. Bis alles so weit war, hatte er sein weißes Hemd durchgeschwitzt. Oben im Haus schlief noch alles.

Am Nachmittag ging Phanor seinen üblichen Geschäften nach, besuchte Kunden und versuchte, sie mit einigen Mustern seiner besseren Weine zum Kauf zu verführen. Kurz vor Sonnenuntergang eilte er zurück in sein Zimmer, um sich zu waschen und ein frisches Hemd anzuziehen. Er würde unten im Hof arbeiten, während die Gesellschaft oben das Fest genoss, aber das hieß nicht, dass er nicht ansehnlich aussehen musste. Außerdem war es durchaus möglich, dass Josie herunterkam, um ihn zu begrüßen, wenn sie abkömmlich war.

Er kam gleichzeitig mit dem Eiswagen bei den Sandrines an, überwachte das Zerschlagen der Eisblöcke und das Verpacken der Reste in Kisten mit Sägemehl. In das zerstoßene Eis legte er die Champagnerflaschen, sodass sie eine Stunde kühlen konnten, bevor der erste Korken gezogen wurde.

Liza, die Köchin, kam zu ihm. Sie war eine kräftige Frau, ein gutes Zeugnis für ihre eigene Kochkunst, und die Lampe auf dem schmiedeeisernen Tisch ließ Schatten unter jedem ihrer Kinne entstehen. Aber ihre königliche Haltung und ihre leuchtenden Augen machten sie trotz allem für Phanors Begriffe zu einer schönen Frau.

»Monsieur, jetzt können Sie sich ein bisschen ausruhen. Wenn Madames Freunde kommen, wird es noch geschäftig genug. Soll ich Ihnen einen Teller mit Abendessen bringen?«

»Liza, Sie sind ein Engel. Ich bin nämlich wirklich hungrig.«

Phanor öffnete eine Flasche Cabernet und schenkte sich Wein in einen Zinnbecher ein. Im ersten Moment schmeckte er vor allem den Becher, aber es war ein schöner Wein mit vollem Aroma, und er fühlte sich gut am Gaumen an. Liza kam durch den Hof gewalzt, ein Tablett mit Garnelen, Rindfleisch, Kartoffeln und Maisbrot in der Hand – und mit ihrem speziellen, selbst gemachten Pflaumenmus.

»Ein Festessen!«, lobte Phanor. »Sagen Sie, Liza, finden Sie, dass ich zu dünne Beine habe?«

Liza lachte tief aus dem Bauch heraus. »Sie werden Ihre Kraft schon noch brauchen, das wird ein langer Abend. Essen Sie das erst mal, ich bringe später noch ein paar Austern.« Sie zwinkerte ihm zu, und Phanor lachte von Herzen. Dann begann er zu essen und aß tatsächlich alles auf, bis er das Gefühl hatte, gleich den obersten Knopf seiner Hose öffnen zu müssen.

Oben im Saal begann die Kapelle, die Instrumente zu stimmen, und Phanor bedauerte für einen Augenblick, dass er nicht bei ihnen sein konnte. In den letzten Wochen hatte er seine Geige kaum einmal angerührt, so beschäftigt war er gewesen: seine Arbeit, Remy und seine Studien. Kommenden Sonntag, so beschloss er, würde er mit seiner Geige auf den Jackson Square gehen und den ganzen Tag spielen. Kurz dachte er, wie schön es sein würde, wenn Josie mit ihrer Flöte dazukäme und Remy mit ihnen singen würde. Idiotischer Gedanke! Er stand auf und packte einen Korb voller Flaschen, um nach oben an den Ausschank zu gehen.

Als die Party in vollem Gange war, stellte Phanor fest, dass Liza recht hatte. Als Weinkellner war er die ganze Zeit auf den Beinen, vom Lager im Hof zum Ausschank, wo er auf die Weinsorten und auf die Zahl der Flaschen achtete, während der Abend voranschritt. Der Butler hielt ihn auf dem Laufenden, welche Speisen gerade aus der Küche gebracht wurden und wie das Fest voranging, sodass Phanor die schwingenden Satinröcke gar nicht selbst sah. Er lauschte aber aufs Orchester und fand Zeit genug, sich zu fragen, mit wem Josie wohl tanzen mochte und ob sie sich wieder so einen komischen Fleck ins Gesicht gemalt hatte.

Kurz nach Mitternacht schwang die Tür auf und Marguerite Sandrine rauschte herein. Sie trug ein smaragdgrünes Abendkleid mit riesigen Puffärmeln. Der Ausschnitt zeigte einen sanften weißen Busen, der das Mieder großzügig füllte, sodass Phanor kaum den Smaragdanhänger bemerkte, der zwischen ihren Brüsten eingebettet lag.

»Monsieur DeBlieux«, sagte sie, »ich wollte Ihnen sagen, wie sehr ich Ihre Arbeit heute Abend schätze.« Sein Blick ruhte auf ihrem Busen, und sie faltete ihren Fächer zusammen. »Ich kann mich an kein Fest erinnern, das so gut verlief, und das liegt sicher mit daran, dass wir stets genau den richtigen Wein vor uns haben.«

Phanor hob den Blick. Sie war eine schöne Frau, und heute Abend war sie besonders schön, dachte er, während er ihre tiefbraunen Augen bewunderte. Und sie wusste es ganz genau, aber dieses Wissen trug eher noch zu ihrem Zauber bei.

Als Phanor nicht antwortete, jedenfalls nicht mit Worten, sagte Marguerite: »Darf ich Sie Phanor nennen? Meine Nichte und Sie sind ja offenbar recht gute Freunde. Sie kennen sich seit Ihrer Kindheit, nehme ich an.«

Phanor riss sich zusammen. »Ja, Mademoiselle Josephine und ich sind befreundet. Wir kommen aus der gleichen Gegend, und wir teilen die Liebe zur Musik.«

»Musik? Ich habe Josephine nie als besonders musikalisch eingeschätzt.«

Phanor hörte den leisen boshaften Unterton, aber das tat Marguerites Verführungskraft nur wenig Abbruch.

»Ich würde mir wünschen, dass auch wir Freunde sein könnten«, sagte sie, öffnete ihren Fächer und bewegte die schwarze Spitze vor ihrem rot geschminkten Mund. Die grüne Seide raschelte, als sie einen Schritt näher kam.

Phanor blickte auf die geschlossene Tür, dachte an die vielen Menschen auf der anderen Seite, die Stimmen, das Lachen, die Fröhlichkeit. Er stand sehr still, während Marguerite noch etwas näher kam.

»Ich hoffe doch sehr, dass wir bereits Freunde sind«, konnte er nur sagen.

Jetzt stand Marguerite ganz nah vor ihm, so nah, dass der Saum ihres Kleides über seine Stiefel strich. Ihr teures Pariser Parfum wehte zu ihm herüber, und er wusste, er war noch nie im Leben der göttlichen Schönheit so nahe gewesen.

Mit dem Rand ihres Fächers fuhr sie an seinem Kinn entlang. »Sie sind ein gut aussehender Mann, Phanor DeBlieux.«

Phanor atmete flach und schnell. Ihr Parfum war berauschend, der Walzerklang aus dem Saal sinnlich und verführerisch. Kaum erkannte er seine eigene Hand wieder, die sich in ihre Taille legte.

Er neigte den Kopf, um ihrem Gesicht entgegenzukommen, und schmeckte ihre Lippen. Als der Kuss leidenschaftlicher wurde, ließ er seine Hand auf ihren Rücken gleiten und zog sie an sich.

In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet.

»Thomas, haben Sie meine …« Josephine stand in der Tür.

Phanor erstarrte. Marguerite jedoch zog sich langsam zurück und wandte sich ihrer Nichte zu. Kein Erröten, keine Andeutung von Scham oder Schuldgefühl, nur dieser kleine, winzige Triumph in ihren Augen.

»Ja, Josephine?«

Phanor starrte Josie an, die mit weit aufgerissenen Augen dastand. Sie durfte nicht glauben, er … nun, was sollte sie schon glauben?

»Josie …«, sagte er.

Sie verließ rückwärts den Raum, den Bick immer noch auf ihn gerichtet, und schloss leise die Tür.

Als Marguerite sich wieder Phanor zuwandte, so nah, dass ihr Busen seine Brust berührte, lächelte sie und legte ihm den Arm um den Hals. Aber er erwiderte ihre Geste nicht, er stand starr da und zog vorsichtig ihren Arm herunter.

»Ich muss mich um den Wein kümmern«, sagte er.

Marguerite trat einen Schritt zurück. Ihr Gesichtsausdruck wurde hart, und sie errötete bis hinunter zum Ausschnitt ihres Kleides. »Sie sind doch noch ein dummer kleiner Junge, wie ich sehe«, sagte sie, raffte ihre Röcke zusammen und ging mit schnellen Schritten durch die Küche hinaus zu ihren Gästen.

Phanor fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Gar nichts hatte er gedacht, verdammt noch mal. Marguerites Parfum schwebte immer noch in der Luft, aber was er vor seinem inneren Auge sah, war nicht Marguerites Gesicht.

Das Herz des Südens
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