27

Toulouse, Juni 1837

»Fertig?«, fragte Bertrand.

Josies Hände lagen auf seinen Schultern, ihr Fuß in seiner Handfläche. »Fertig.«

Ohne große Anstrengung hob er sie in den Sattel. Sie lachte über den kleinen Moment der Schwerelosigkeit, fast ein wenig schwindelig von seiner Berührung.

Bertrand bestieg seinen großen Hengst und ritt ihr voraus den Weg entlang zum Fluss. Der Morgentau ließ das sommerliche Grün noch ein wenig sanfter erscheinen, und in den Baumwipfeln hing leichter Nebel. Josie betrachtete Bertrands Beine. Sie stellte sich vor, wie sie mit der Hand über diese festen Muskeln fuhr, wie sie ihre Finger in der schwarzen Haarmähne vergrub, die in seinem Nacken zusammengenommen war.

Auf der Hauptstraße angekommen, ritt Bertrand schneller. Sie galoppierten eine Viertelmeile nebeneinander her, ohne die Morgenstille durch müßiges Geplauder zu stören. Dann sagte Bertrand: »Sollen wir mal richtig Tempo machen?«

Josie gab Beau die Peitsche und war sofort vor ihm. Sie lehnte sich im Sattel nach vorn, schlang ihr Knie fest um den Sattelknauf und stemmte ihren linken Fuß in den Steigbügel. Sie warf einen Blick zurück über ihre Schulter und lachte Bertrand zu. Fürs Erste hatte sie ihn überrumpelt, aber sein Hengst würde sie mit Leichtigkeit überholen, wenn er es darauf anlegte. Übermütig gab sie Beau noch einmal die Sporen.

Sie galoppierten unter den Ästen der Eichen hindurch; ihre Pferde warfen große Erdklumpen hinter sich her. Josies Hut flog davon, und bald flatterte ihr honigbraunes Haar hinter ihr im Wind. Die Haarnadeln waren irgendwo im Staub verloren gegangen.

Sie schielte hinüber zu Bertrand. Er hielt den Hengst eindeutig zurück, aber trotzdem zeigte sein Gesicht dieselbe Freude, die auch sie empfand. Erlösung und Begeisterung in einem. Sie waren sich so ähnlich, sie und Bertrand. Sie waren einfach füreinander bestimmt.

Bertrand deutete auf den Pfirsichgarten, der auf der Grenze zwischen ihren beiden Besitzungen angelegt war. Josie verlangsamte den Galopp und lenkte ihr Pferd in den Schatten, wo die goldenen Pfirsiche mit jedem sonnigen Tag reifer wurden. Sie atmete den Duft von Pferd und Gras und schwerer schwarzer Erde ein. Die sinnliche Erde atmete im gleichen Rhythmus wie sie, reizte ihre Sinne, Riechen und Sehen, vor allem aber den Tastsinn.

Bertrand ließ die Zügel los, damit sein Pferd zwischen den Bäumen grasen konnte. Bevor er Josie aus dem Sattel half, hielt er sie am Knöchel fest, an dem der Reitstiefel saß, und blickte ihr ins Gesicht. »So eine sittsame junge Dame, könnte man meinen, bis man dich das erste Mal auf einem Pferd erlebt hat.« Er legte den Kopf schief, um sie zu betrachten. »Bist du mutig genug, mit mir in den Garten zu gehen? Ohne Anstandsdame, ohne aufmerksame Augen, die dir Sicherheit geben?«

Josie hielt den Atem an und klammerte sich am Sattelknauf fest, um das Zittern ihrer Hände zu verbergen. »Ich gehe überall mit dir hin, Bertrand, das weißt du doch.«

Lächelnd streckte er die Hände nach ihr aus. Als er sie auf dem Boden absetzte, blieb er nahe bei ihr stehen und trat erst nach einem Weilchen einen Schritt zurück. Dann nahm er ihre Hand, und sie spazierten unter den Pfirsichbäumen umher. Das Gras, mit winzigen weißen Wildblumen gesprenkelt, wuchs hier üppig und tiefgrün. Jeder Halm, jedes Blatt war deutlich zu erkennen. Jeder Pfirsich, vollkommen rund und golden, versprach ungeahnte Freuden. Eine Spottdrossel flog über sie hinweg, und jeder Ton, jedes Flügelschlagen grub sich tief in Josies Sinne ein. Selbst die Luft, die schwer auf ihrer Haut zu ruhen schien, erregte sie.

Bertrand pflückte einen Pfirsich, gelb und rot und reif. Er hielt ihn ihr hin, damit sie abbeißen konnte, und der Saft füllte ihr den Mund, lief an ihrem Kinn hinunter und in den Ausschnitt. Sie wischte sich den Mund ab, aber er betrachtete ihre Lippen, und sie sehnte sich danach, dass er sie schmecken würde. Stattdessen nahm er sie wieder bei der Hand und zog sie weiter in den Garten hinein.

Josies Röcke wischten den letzten Tau von dem hohen Gras, aber sie bemerkte es kaum. Sie fühlte sich gleichzeitig zutiefst zufrieden und ruhig. Bertrand würde niemals eine andere Frau begehren. Sie würde all sein Begehren stillen, weil sie ihn selbst so sehr begehrte.

In der Mitte des Gartens stand eine große Eiche, feucht vom Moos, deren Äste sich bis zum Boden neigten und eine schattige Kammer bildeten, abgeschieden vom Rest der Welt. Dort angekommen, drehte er sich um. Er berührte ihr windzerzaustes Haar und strich ihr behutsam eine verirrte Locke aus der Stirn.

Jetzt, dachte sie. Jetzt.

Sein erster Kuss war zärtlich. Wenn Fleisch hätte schmelzen können, wären ihre Lippen wohl ineinander verschmolzen. Josie wankte, und Bertrand hielt sie fester. Während er sie mit mehr Feuer küsste, fühlte sie, wie sein Körper härter wurde, und sie dachte nicht mehr an die Welt um sie herum.

Als sie seine Zunge an ihren Lippen spürte, öffnete sie den Mund, voller Sehnsucht, ihn ganz in sich aufzunehmen. Er drückte sie an seine Hüften, und durch ihren Sommerrock spürte sie die Härte seiner Männlichkeit.

Sie bewegte sich ein wenig und legte ihre Hand auf die Schwellung. Er zitterte, dann legte er den Kopf zurück und atmete tief durch. Wieder befragte er sie mit seinen Augen, und Josie lächelte.

Worauf sollten sie warten? Sie legte die Arme um seinen Hals und küsste ihn ebenso leidenschaftlich, wie er es eben getan hatte.

Bertrand nahm sie in die Arme und zog sie tiefer in den Schatten. Dann legte er sie nieder und kniete sich neben sie. »Hast du keine Angst?«

Sie antwortete ihm mit einem weiteren Kuss. Bertrand ließ eine Hand in ihren Ausschnitt gleiten, fühlte das Gewicht ihrer Brüste. Als er mit dem Daumen über ihre Brustwarze strich, hätte Josie beinahe laut aufgeschrien. Sie griff nach seinem Schritt, aber er hielt ihre Hand zurück. »Noch nicht, nicht heute«, murmelte er.

Dann lag er neben ihr im Gras und suchte mit einer Hand den Saum ihres Rockes. Er fuhr mit der Hand an ihrem Bein entlang, und durch ihre Pantalons fand er den Ort ihrer geheimsten Freuden.

Josie keuchte auf, und er lächelte ihr zu, seine schönen Augen fest auf ihr Gesicht gerichtet. Er küsste sie auf den Mund, den Hals, schmeckte die kleine Höhlung an ihrer Kehle, während er sie weiter streichelte und liebkoste. Die wunderbare Spannung stieg immer weiter an, bis Josie aufstöhnte und stoßweise atmete.

Bertrand unterbrach den Kuss und hielt sie fest, bis sie zu zittern aufhörte. Er küsste ihren Scheitel und ließ sie in seinen Armen ausruhen.

Langsam, ganz langsam kam ihr die Welt wieder zu Bewusstsein. Das Gras, das ihre Haut kitzelte, die Bienen, die zwischen den Pfirsichen summten, die Sonnenflecken zwischen den Eichenblättern. So viel Friede, so ein wunderbares Gefühl der Vollkommenheit. War das nicht verheißungsvoll? Gehörten sie jetzt nicht für alle Zeit zusammen?

Josie öffnete Bertrands Hemd am Hals und küsste seine süße Haut. Mit einer Stimme, rau vor Begehren, sagte er: »Ich sollte dich jetzt heimbringen.«

Sie strichen das Gras von ihren Kleidern. »Was machst du mit deinen Haaren?«, fragte Bertrand.

»Ich fürchte, ich habe alle meine Haarnadeln verloren.«

Bertrand zog ihr einen Zweig aus den Locken. »Dann muss es wohl so gehen. Ich denke, deine Großmutter hat auch schon mal die eine oder andere Haarnadel im Galopp verloren.«

Lachend nahm Josie seine Hand. Sie gingen zu ihren Pferden, die zwischen den Bäumen grasten, und ritten langsam zurück nach Toulouse.

Vor dem Stall übernahm Ellbogen-John die Pferde, und Josie eilte in ihr Zimmer, um den Schaden an Haaren, Gesicht und Kleid zu beheben. Was sie im Spiegel sah, war eine neue Josie: geschwollene Lippen, raue Wangen von seinem Bart. Was sie mit Bertrand geteilt hatte, war noch lange nicht alles, das war ihr klar, aber sie fühlte sich auch nicht mehr wie eine Jungfrau. Sie war seine Frau. Sie würde die Mutter seiner Kinder sein, all seiner Kinder.

Bertrand war zur vorderen Veranda spaziert, wo Madame Emmeline eine zwei Tage alte New Orleans Picayune las.

»Haben Sie das gesehen, Bertrand?«, fragte sie und schlug aufgeregt mit der Zeitung auf den Tisch.

Er lehnte sich an einen Pfeiler. »Nein, noch nicht. Was wühlt Sie denn so auf?«

»Das kann doch nicht gut gehen! Ein Hektar Land abseits vom Fluss kostet inzwischen drei Mal so viel wie noch vor zwei Jahren. Diese Narren nehmen Kredite auf, um Land aufzukaufen, so viel sie nur können, und die Banken fördern den Wahnsinn noch. Das kann nicht gut gehen, irgendwann bekommen wir die Quittung dafür.«

»Boomzeiten, Madame Emmeline.« Er suchte in seiner Tasche nach einer Zigarre und zog sie heraus. »Darf ich? Sehen Sie, das ist die neue Zeit. Solange Europa immer mehr Baumwolle und Zucker kauft, wird der Markt sich ausweiten.« Dankbar inhalierte er den Rauch und blies ihn zur Decke.

Josie betrat die Veranda, das Haar ordentlich hochgesteckt, das Gesicht frisch gewaschen. Bertrand nahm Haltung an. »Josephine«, sagte er höflich.

Emmeline ließ ihren klugen Blick von einem zum anderen wandern. Doch, allmählich glaubte sie es, es würde im Herbst eine Hochzeit geben. Sie war geradezu skandalös nachlässig gewesen, hatte nicht darauf bestanden, dass dieses junge Paar ständig eine Begleitung bei sich hatte. Aber sie hatte es eilig. Bertrand würde nicht mehr lange Junggeselle bleiben, so oder so.

Bertrand hielt seine Hand hoch, um den Sonnenstand zu überprüfen. »Ich muss los, die Arbeit wartet.«

Josie konnte es kaum ertragen, ihn gehen zu lassen. Sie wünschte sich nichts mehr, als in seinen Armen zu liegen, aber natürlich benahm sie sich, wie es von einer sittsamen jungen Dame erwartet wurde.

Sein warmer Blick senkte sich in ihr Herz, und sie verabschiedete sich von ihm.

Auf dem Weg zum Stall entdeckte Bertrand Cleo, die im Garten Blumen fürs Haus schnitt. In den letzten Wochen hatte er sie kaum einmal zu sehen bekommen; es war offensichtlich, dass sie ihm aus dem Weg ging. Er zwang sie mit seinen Augen, aufzusehen, und Cleo erwiderte seinen Blick, als wäre ihr sein Starren unter die Haut gegangen. Dann schlug sie die Augen nieder und wandte sich ab.

Cleo füllte ihren Korb mit Blumen, bevor sie hineinging. Im Salon arrangierte sie eine Vase mit Rosen und Freesien; die Kamelien sparte sie für den Esstisch auf. Die Ableger aus Dr. Benets Garten gediehen gut in der frischen Erde, und Cleo hatte es selbst übernommen, den Garten wieder in Ordnung zu bringen, jetzt, wo alle anderen Leute auf den Feldern gebraucht wurden. Von der Arbeit mit Spaten und Hacke hatte sie eine Blase an der Hand, aber sie mochte diese Tätigkeit, die ihren Kopf nicht zu sehr beanspruchte. Mit Leib und Seele sehnte sie sich nach Remy, und mit jedem Brief, den Phanor mitbrachte, wurde ihre Geduld noch ein bisschen mehr strapaziert.

Sie trug die geheimen Briefchen in ihrem Ausschnitt, bis sie ganz zerknittert waren vom häufigen Öffnen und Schließen. Remys erster Versuch hatte nur aus drei Wörtern bestanden, die er schräg über das Papier gekritzelt hatte: »Ich arbeite hart.« Aber mit Phanors Unterstützung und mehr Übung waren die Zeilen gerade geworden und die Briefe detaillierter. »Ich spare jede Woche etwas. Habe schon vier Silberdollar zusammen. Ich küsse das Papier, wo ich das X gemacht habe. Warte auf mich. Ich arbeite hart für uns.«

Vier Dollar! Wie sollte er jemals genug verdienen, um sie freizukaufen?

Josie betrat das Zimmer und blieb stehen, um den Strauß zu bewundern. »Die sind aber schön«, sagte sie und ging dann weiter.

Cleo spürte Josies innere Abwesenheit fast noch mehr, seit sie aus New Orleans zurückgekehrt war. Josie war abgelenkt, saß stundenlang auf der Veranda oder in ihrem Zimmer und starrte auf den Fluss oder auf den Baumstumpf, wo der Blitz die alte Eiche verbrannt hatte.

Selbst wenn Phanor nach Hause kam, um seine Familie zu besuchen, blieb sie unnahbar. Cleo hatte erwartet, dass sich Josie freuen würde, Phanor zu sehen, und es schien, als habe auch Phanor das erwartet. Er machte kein Geheimnis aus seiner Zuneigung zu ihr, auch wenn sie die Tochter eines Plantagenbesitzers war. In jener Nacht auf dem Deich hatte sie doch so nah wie möglich bei ihm gesessen, damals, auf dem Baumstamm am Lagerfeuer! Aber jetzt begrüßte sie ihn ziemlich kühl, sogar ein wenig herablassend, und Cleo hatte gesehen, wie enttäuscht Phanor war. Seltsam, diese Reaktion. Er war enttäuscht, aber offensichtlich nicht überrascht.

Es war kein Geheimnis, wo Josie mit ihren Gedanken und ihrem Herzen war: Sie war wie verzaubert von Monsieur Chamard, dem Mann mit den verführerischen Augen. Und sie schien zu glauben, dieser Chamard sei anders als ihr geliebter Papa. Sie glaubte, er würde sie ein Leben lang lieben, nur sie allein, und sie niemals so verletzen, wie es Emile mit ihrer Maman Celine getan hatte.

Cleo wusste es besser.

Das Herz des Südens
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