20

Cherleu

Die Plantage der Cherleus war ein Dutzend Jahre lang schlecht geführt worden. Der alte Mann hatte den Willen und die Kraft verloren, sie in Ordnung zu halten, und so war sie ein gutes Geschäft für jeden geworden, der die nötige Arbeit hineinstecken wollte, um sie wieder in Schwung zu bringen. Bertrand legte seine maßgeschneiderten Hemden ab, zog sich grobe Hosen und Stiefel an und ging auf die Felder.

Die Erde war schwarz und lehmig, und die neue Schicht, die nach der Überschwemmung hinzugekommen war, machte den Boden zumindest im nördlichen Teil der Plantage noch tiefer. Der erfahrene Mann, den Bertrand eingestellt hatte, damit er die Aufsicht über die Sklaven übernahm und ihm alles über den Anbau von Zuckerrohr beibrachte, zeigte ihm die unterschiedlichen Bodenarten, die auf der Plantage zu finden waren. Auf diesem fetten Boden, so sagte er, würde das Zuckerrohr am besten wachsen. Und dort pflanzten sie die ersten Schösslinge.

Zu viel gutes Essen und Wein in New Orleans hatten Bertrand träge und gleichzeitig ruhelos gemacht. Jetzt genoss er es, seine Muskeln wieder zu spüren, als er die zentnerschweren Säcke mit Zuckerrohrabschnitten sah, die die Sklaven zum Pflanzen in kleine Stücke zerteilen würden. Er half dabei, einen Baumstumpf auszubrennen und einen Ochsen aus einem Stück Heidekraut zu ziehen, der sich dort verfangen hatte. Er trieb die Maultiere an, die die Wagen vom Schiffsanleger am Fluss zur Plantage bringen sollten, und er lernte die Namen all seiner Sklaven und konnte bald ihre Fähigkeiten einschätzen.

Am Ende des Tages kehrte er schmutzig, müde und glücklich zum Herrenhaus zurück. Er wusch sich am Brunnen, bevor er zu Bett ging, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen, wie viel Schmutz noch unter seinen Fingernägeln saß. Seine Haussklavin Cora, eine ältere Frau, war als junges Mädchen noch direkt von der afrikanischen Westküste hierher gebracht worden. Zahnlos und faltig, wie sie war, hatte er sie für fünfundsiebzig Dollar billig erworben, als er auf dem Sklavenmarkt seine Bestände aufgestockt hatte. Sie arbeitete wie ein Pferd, kochte ihm seine Mahlzeiten und wusch den Schlamm aus seinen Kleidern. Und sie war immer gut gelaunt.

Cora redete gern, plauderte mit ihm, wenn er zu Abend aß, oder redete laut mit sich selbst, wenn er gerade nicht greifbar war. Er hätte ihr befehlen können, still zu sein, aber er ließ sie gewähren. Abgesehen von ihnen beiden, war das Haus still und leer, und allmählich lernte er, ihren starken Akzent zu verstehen.

»Monsieur hat heut’ so’n Ding gekriegt«, sagte sie gerade.

»Ein Ding? Was für ein Ding denn?«, fragte er zurück.

»So’n gefaltetes Ding. Mit Tinte drauf. Ich hol’s schon.«

Sie kam zurück ins Speisezimmer, wo Bertrand an dem fleckigen Tisch aus Mahagoni seine einsamen Mahlzeiten einnahm. Cherleus Tochter hatte sämtliches Geschirr und alle Tischwäsche eingepackt und mitgenommen, als ihr Vater ihm das Haus verkauft hatte, und so musste Bertrand vorerst von den gleichen Holztellern essen wie seine Sklaven.

»Da«, sagte Cora. »Mit Tinte drauf.«

»Das ist ein Brief, Cora, so etwas nennt man Brief.«

»Weiß ich doch, Monsieur.«

Bertrand riss das dicke Papier auf und fand darin eine Einladung von Madame Emmeline Tassin nach Toulouse. Ob er wohl Lust und Zeit hätte, am Donnerstag mit ihr zu Abend zu essen? Kein formelles Essen, nur sie zwei, einfach so, als Nachbarn.

»Morgen kannst du die Antwort nach Toulouse bringen. Meinst du, das geht? Findest du den Weg?«

»Klar, Monsieur, mach ich. Gleich früh, wenn Monsieur gegessen hat, dann bin ich vor Mittag zum Kochen wieder da. Rumlaufen ist schön, da kann ich den Fluss sehen. Klar, mach ich.«

Am Donnerstag ritt Bertrand auf seinem Hengst nach Toulouse. Für diesen Anlass hatte er sich wieder einmal in feines Leinen und Wolle gekleidet, und obwohl sein Samtkragen durchaus ein Bügeleisen hätte vertragen können, sah er blendend aus. Er hoffte, Josies Lieblingssklavin – Cleo war der Name, wenn er nicht irrte – würde ihm öffnen, wenn er ankam. Das Mädchen war damals recht ernst und still gewesen, als er Josie von den Johnstons zurückgebracht hatte, aber sie hatte schließlich auch Angehörige bei dem Hochwasser verloren. Ihre großen, mandelförmigen Augen, die Kurve ihres langen Halses, die glatte, sahnig braune Haut – sie war schon auffallend hübsch, keine Frage.

Aber es war Madames kleine Lieblingssklavin, die ihn an der Tür empfing. Laurie nahm ihm sehr höflich den Hut ab und bat ihn, im Salon zu warten, während sie ihre Herrin holte. Müßig betrachtete er das Fernglas auf dem Tisch, bis Madame eintrat. Er stand auf und verneigte sich über ihrer Hand. »Madame Emmeline«, sagte er.

»Bertrand, ich freue mich, dass Sie es möglich machen konnten.«

Emmeline läutete eine silberne Glocke, bevor sie sich setzten, um vor dem Essen ein Gläschen Sherry zu genießen.

Bertrand erwähnte den Winter in Louisiana, der so viel wärmer, aber feuchter als in Paris war, als Cleo das Tablett mit der Sherrykaraffe und zwei Kristallgläsern hereinbrachte. Er betrachtete sie leicht abwesend, als sie einschenkte, das gut geschnittene Kleid und die Lederschuhe, die sie trug. Sicher Erbstücke von Josephine, dachte er.

Der Abend verlief sehr angenehm. Madame Emmeline und Bertrand hatten viele Berührungspunkte – die Arbeit mit den Sklaven, die Pflanzungen, die Sorge um das Land. Emmeline ließ ihn großzügig an ihrem Wissen und ihrer Erfahrung teilhaben, und er war wieder einmal beeindruckt von ihrem Geschäftssinn.

Cleo bediente still und effektiv bei Tisch, sodass Bertrand genügend Zeit hatte, sie zu beobachten. Das ausgeblichene Kleid schmeichelte ihrer Figur; es betonte ihre Taille und spannte ein wenig über dem Busen. Sie hatte sich verändert, wirkte nicht mehr so mädchenhaft wie beim letzten Mal. Kein Zweifel, sie hatte inzwischen einen Liebhaber und war zur Frau geworden, und das stand ihr gut.

Als Bertrand davon sprach, dass er Josie in New Orleans getroffen hatte, stand Cleo hinter Madame Emmeline und hörte ihm zu. Er fühlte die Macht ihrer dunklen Augen und lächelte innerlich über sich selbst, weil er sich so sehr von ihr beeindrucken ließ.

In der Folge machten Bertrand und Madame Emmeline es sich zur Gewohnheit, zwei Mal in der Woche mittags um eins zusammen zu essen. Er bewunderte den scharfen Geist der alten Dame und hörte aufmerksam zu, wenn sie ihm einen Rat gab. Sie wusste sogar, wie viel Wasser in die korbförmigen Zisternen passte und wie lange das Wasser darin während der Trockenzeit vorhalten würde. Er lernte aus ihren Fehlern, beispielsweise, dass sie ihrem Aufseher zu sehr vertraut hatte, mit dem Ergebnis, dass der Deich gebrochen und die Plantage durch das Hochwasser verwüstet worden war.

»Sie müssen selbst über Ihren Besitz reiten, Bertrand«, sagte sie ihm eindringlich. »Ich habe den Fehler gemacht, zu viel im Haus zu bleiben, statt selbst auf der Plantage unterwegs zu sein.«

Bertrand arbeitete weiter auf seinem Land, wobei seine Nachmittage mit Madame Emmeline das einzige Zugeständnis an ein Leben als Gentleman waren. Bis Ende Januar waren alle Zuckerrohrschösslinge in der Erde und mussten jetzt nur noch in Ruhe gelassen werden, damit sie austreiben konnten, sobald der Boden wärmer wurde. Bertrand zog seine Sklaven von den Feldern ab und ließ sie an den Außengebäuden arbeiten. Sie rissen die alte Schmiede ab und bauten eine neue, reparierten die gemauerten Zisternen, bauten ein Taubenhaus und neue Hühnergehege, und sie besserten einiges an ihren eigenen Unterkünften aus.

Am ersten Sonntagmorgen im Februar saß Bertrand an seinem Schreibtisch über den Zahlen seiner Gewinne und Ausgaben, sehr zufrieden mit der Entwicklung der Plantage, als Cora hereingeschlurft kam. Ihre Hände sprachen schon, bevor sie den Mund aufgemacht hatte.

»Monsieur, Monsieur, da kommt ein Mann! Ich hab’ gesehen, wie er vom Pferd gestiegen ist, ein großes Pferd, und er kommt hier rein!«

»Aber Cora, das ist doch kein Problem. Mach ihm einfach die Tür auf und bitte ihn herein. Dann nimmst du ihm den Hut ab und lässt ihn im Salon Platz nehmen.«

»Klar, mach ich, ich lass ihn rein.« Und damit schlurfte sie so schnell sie konnte zur Eingangstür.

Bertrand fuhr sich mit dem Kamm durch sein allzu langes Haar und band es mit einem Lederbändchen zurück. Er war froh, dass wenigstens seine Hände sauber waren, und warf noch schnell einen Blick auf sein Hemd. Es war frisch genug; so konnte er sich einigermaßen sehen lassen.

Er hörte, wie Cora den Besucher zwei Zimmer weiter Platz nehmen ließ, und nahm sich noch schnell Zeit, seinen Kragen zuzuknöpfen. Dann ging er hinüber, um festzustellen, wer der Besucher war.

»Albany, mein Freund!« Er streckte die Hand aus, als er das Zimmer durchquerte, denn er erinnerte sich daran, wie unangenehm es den meisten Amerikanern war, wenn man sich nach kreolischer Sitte auf beide Wangen küsste. Albany kam ihm auf halbem Wege entgegen, und sie schüttelten sich kräftig die Hände.

»Cora, mach den Kamin an«, sagte Bertrand. »Setz dich doch, Albany. Aber sei bloß vorsichtig mit den Möbeln, die wenigen Stücke, die mir geblieben sind, neigen dazu, unter mir nachzugeben.«

Lachend ließ sich Albany mit einer vorsichtigen Bewegung auf einem uralten Sofa nieder, das unter seinem Gewicht ein wenig ächzte.

»Der Rest des Hauses ist etwa in demselben Zustand«, erklärte Bertrand. »Hier müsste dringend gestrichen und renoviert werden, aber solche Schönheitskuren müssen leider warten, bis ich sehe, was aus der Ernte wird. Sobald ich abschätzen kann, wie viel mir bleibt, kann ich über derartigen Luxus vielleicht nachdenken.«

»Ich verstehe vollkommen. Tatsächlich siehst du schon aus, als wärest du dein Leben lang Plantagenbesitzer gewesen, aber das hatte mir Madame Emmeline schon verraten. Ich komme nämlich gerade von Toulouse.«

»Und dann geht es zurück nach New Orleans?«

»Ja, ich habe einige Geschäfte für meinen Vater erledigt und hoffe, später von deinem Anleger aus das Schiff zu nehmen. Wird es hier anhalten?«

»Aber sicher, ich lasse die Flagge für dich setzen, dann hält es auf jeden Fall.«

Die beiden Männer verbrachten den Vormittag damit, über die Plantage zu reiten, diskutierten darüber, ob es irgendeinen Nutzen brachte, den Sklaven einen zusätzlichen halben Samstag freizugeben, besprachen die Möglichkeit, den Sklaven am Sonntag den Kirchgang zu erlauben, und versuchten abzuschätzen, wie groß die Verluste während der Gelbfieber-Zeit sein würden. Zu einem späten Mittagessen kehrten sie ins Haus zurück.

Cora, die als Köchin für Feldarbeiter ihr Handwerk gelernt hatte, hatte die Politur von dem alten Mahagonitisch geschrubbt, bis er so matt schimmerte wie der Tisch in der Küche. Sie servierte Rosenkohl und Schweinekoteletts, geschmorte Äpfel und Süßkartoffeln und erzählte dabei die ganze Zeit, wie gut ihr Gemüse war, weil sie es ganz früh am Morgen erntete.

Bertrand lächelte und zog die Schultern hoch, als Albany ihm einen fragenden Blick zuwarf. Er konnte sich denken, dass sein Freund ihn für hoffnungslos lax hielt, was die Gebräuche in seinem Haus anging, aber damit konnte er leben. Bertrand mochte die alte Cora, genau wie sie war, und irgendwann, wenn er eine Frau hätte und große Essenseinladungen geben würde, um irgendwelche Leute zu beeindrucken, dann würde er Valentine aus den Ställen holen, und Cora könnte in der Küche die Füße hochlegen und sich ein wenig ausruhen. Für den Augenblick war sie genau das, was er brauchte, und sein langjähriger Begleiter war bei den Pferden und Maultieren nützlicher. Valentine hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er lieber den Haushalt geführt hätte als die Ställe, aber es ging ja nur um ein oder zwei Jahre.

Als sie ihre Zigarre rauchten, bemerkte Bertrand: »Du warst also auf Toulouse? Ich persönlich halte Madame Emmeline ja für genial, was das Führen der Plantage angeht. Dieser neue Aufseher, den sie da hat, LeBrec heißt er wohl, hat die Felder fast wieder in Ordnung gebracht, und der größte Teil des Zuckerrohrs ist auch schon gepflanzt. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wirft Toulouse wieder Gewinn ab. Diese Frau ist durch ein lächerliches Hochwasser doch nicht aufzuhalten.«

»Ja, es ist wirklich eine gute Plantage. In der Stadt habe ich allerdings gehört, dass Madame Tassin gezwungen war, eine Hypothek aufzunehmen. Die Baukosten waren wohl doch zu hoch, um alles aus eigener Tasche zu bezahlen. Aber selbst mit den Schulden wäre es ein interessanter Besitz, den ich gern dem meinen hinzufügen würde. Ich war unter anderem deshalb bei Madame Tassin, denn ich wollte mit ihr über ihre Enkelin sprechen.«

»Und?« Durch den Zigarrenrauch hindurch sah Bertrand Albany mit schmal gezogenen Augen an.

»Das Ergebnis war eher enttäuschend, muss ich leider sagen, sowohl bei meinem Gespräch mit Madame als auch bei Mademoiselle.« Albany zündete seine Zigarre wieder an. »Aber ich habe Geduld, ich kann warten. Wenn es nach Madame Tassin geht, warte ich allerdings noch ziemlich lange.«

»Sie spielt auf Zeit, oder?«

»Nun, sie hofft, dass Josephine Toulouse übernimmt, wenn sie nicht mehr dazu in der Lage ist. Es gibt keinen anderen Erben, und sie will, dass Josephine den Betrieb vollkommen beherrscht. Ich vermute, Madame Tassin hat einige enttäuschende Erlebnisse mit den Männern in der Familie gehabt, und sie will, dass Josephine unabhängig ist.«

Bertrand hob die Hände in gespieltem Schrecken. »Der Herr bewahre uns vor unabhängigen Frauen!«

Albany lachte, klopfte die Asche von seiner Zigarre und fügte dann hinzu: »Und außerdem bin ich natürlich kein Kreole.«

Bertrand lächelte. Er wusste genau, was das zu bedeuten hatte. Es war kein Problem, mit den Américains Geschäfte zu machen, aber als Familienmitglieder waren sie immer noch eher zweite Wahl.

Später am Nachmittag ließ der Fluss kaltfeuchte Luft über dem Anleger der Plantage wabern. Bertrand und Albany schlugen ihre Kragen hoch, während sie den Dampfer beobachteten, der ans Ufer kam. Die Bootsleute ließen die Gangway herunter, damit Albany an Bord gehen konnte, und die beiden Freunde verabschiedeten sich mit einem Händeschütteln.

»Wir sehen uns dann in der Stadt«, sagte Albany.

»Ja, in ein paar Wochen. Grüß bitte meine Cousine Josephine von mir.«

Bertrand beobachtete noch ein Weilchen das riesige rote Schaufelrad des Dampfers, das durch das schlammige Wasser pflügte, winkte Albany nach und eilte dann zurück zum Haus. Cora hatte ihm zum Abendessen Bohnen mit Reis, rotem Paprika und Zwiebeln versprochen.

Ein kalter Nieselregen setzte ein, und Bertrand hoffte, die heftigeren Regenfälle würden noch ein paar Tage auf sich warten lassen, bis er das Dach geflickt hätte. Das Herrenhaus war im Moment in einem schlechteren Zustand als die Hütten der Sklaven, aber immerhin waren ein paar Zimmer noch bewohnbar, und in den beiden Schlafzimmern war auch der Kamin in Ordnung, sodass er mit den Renovierungsarbeiten noch warten konnte, bis wirklich alle Zuckerrohrschösslinge im Boden waren. Morgen würde er ein paar Männer holen, damit die verwitterten Balken und die fehlenden Dachziegel ausgebessert wurden.

Am Donnerstag machte er sich wie gewöhnlich fertig, um den Nachmittag mit Madame Emmeline zu verbringen. Ihre Trauer über Emiles Tod schien allmählich nachzulassen; freilich wusste Bertrand, dass er niemals auf den Grund ihres Herzens blicken würde. Jedenfalls freute er sich inzwischen jedes Mal auf das Zusammensein mit ihr. Er hörte sehr genau zu, wenn sie ihm erzählte, wie man die gesundheitlichen Beschwerden der Sklaven kurieren konnte, wie man mit den Vorräten über den Winter kam und wie man das richtige Maß an Disziplin und Freundlichkeit den Sklaven gegenüber fand. Zu seiner Überraschung war Emmeline durchaus witzig und charmant, wenn sie nicht übers Geschäft sprachen. Sie war sehr belesen, wusste genau, was in New Orleans vor sich ging, und hielt sich sogar über die Entwicklungen in Paris auf dem Laufenden. Oft lachten sie über Dinge, die sie in den Zeitungen aus New Orleans gelesen hatten, und spekulierten darüber, was die Schurken in Washington wohl als Nächstes aushecken mochten.

Als Bertrand an diesem Wintervormittag nach Toulouse ritt, dachte er jedoch weder über seine Plantage noch über die von Madame Emmeline nach. Er freute sich darauf, die braun schimmernden Augen von Emmelines Hausmädchen Cleo zu sehen. Längst brachte er sie nicht mehr mit Josephine in Verbindung; irgendwie schien sie nur seinetwegen auf Toulouse zu sein. Sie empfing ihn stets an der Tür, nahm ihm Hut und Mantel ab und fragte ihn, ob er einen Sherry trinken wollte, während er auf Madame wartete. Sie schenkte ihm Wein ein und servierte ihm das Essen. Und die ganze Zeit lauschte sie den Gesprächen bei Tisch. Weder ihre vorgeschriebene brave Frisur noch der nach Sklavenart gesenkte Blick konnten verbergen, dass sie ein intelligentes Mädchen war. Tatsächlich bemerkte er oft die Andeutung eines Lächelns um ihre Mundwinkel oder ein Funkeln in ihren Augen, wenn er einen Scherz machte.

Auf Toulouse angekommen, stieg er vom Pferd und reichte die Zügel an Ellbogen-John weiter, der diesmal von dem kleinen Simpel begleitet wurde, der Cleo so ähnlich sah. Bertrand vermutete, dass die beiden Geschwister waren.

»Bonjour, Monsieur.«

»Bonjour, John, jetzt habe ich doch tatsächlich vergessen, wie dieser prima Bursche da heißt.«

»Das ist Thibault.«

Thibault lächelte übers ganze Gesicht, und Bertrand dachte, was für ein reizender Junge er doch war. »Meinst du, du kannst auf mein Pferd aufpassen, Thibault?«

»Aber sicher, Monsieur, ich passe auf. Ich mag dieses Pferd sehr.«

»Na, großartig«, lobte Bertrand, ging die Stufen hinauf und klopfte.

Cleo öffnete ihm. »Bonjour, Monsieur«, sagte sie und streckte die Hand nach seinem Hut aus.

»Bonjour, Cleo«, antwortete er, berührte ihre Hand und sah ihr ins Gesicht. War sie eine solche Unschuld, dass sie über die Berührung erstaunt war, oder hatte sie seine Blicke während der letzten Wochen richtig verstanden?

Sie hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen.

Irgendwie hatte er auf ein Erröten oder auf leicht geöffnete Lippen gehofft, aber was er sah, war Einverständnis, nichts sonst. Kein Dahinschmelzen, kein Begehren. Aber auch keine Ahnungslosigkeit. Sie erwiderte sein Lächeln mit einfacher, fester Freundlichkeit. Keine leichte Beute, diese Cleo.

Emmeline begrüßte ihn im Salon, und sie tranken ein Glas Sherry zusammen, während Cleo den Tisch vorbereitete. Als sie in der Tür stand, um mitzuteilen, dass das Essen fertig war, erhob sich Emmeline von ihrem samtbezogenen Stuhl, und Bertrand reichte ihr seinen Arm. Sie setzten sich nebeneinander an den großen Tisch, und Cleo servierte die Schildkrötensuppe.

Seit Albanys Besuch auf Toulouse sahen sie sich heute zum ersten Mal. Als sie zu Ende gegessen und sich in den Salon begeben hatten, sprach Emmeline vom Grund für den Besuch des Américains.

»Diese Johnstons scheinen sich hier am Fluss ganz gut eingerichtet zu haben. Wenn ich richtig verstanden habe, kennen Sie sie näher?«

»Ja, das kann man sagen. Ich habe Mr Johnston in New York kennengelernt, als ich von Paris zurückkam, und irgendwie haben wir festgestellt, dass wir beide aus Louisiana kamen. Sein Sohn Albany ist viel mit mir durch die Stadt gezogen und hat mich sogar seinen Freunden im Atheneum Club vorgestellt.«

»Und gefällt Ihnen dieser Albany? Als Mann, meine ich?«

»O ja, durchaus. Er ist eine ehrliche Haut. Ein bisschen langweilig manchmal, aber ein verlässlicher, ehrlicher Bursche. Man sollte es gar nicht denken, aber er spielt ziemlich gut Poker.«

»Er hat um Josephines Hand angehalten, hat er Ihnen davon erzählt?«

Bertrand nickte. Er klopfte kurz mit der Hand auf seine Tasche, in der sich eine Zigarre befand, holte sie aber nicht heraus.

»Ich habe einen Brief von Josephine bekommen«, fuhr Madame Emmeline fort. »Darin schreibt sie, dass sie Mr Johnston nicht heiraten will. Ich bin geneigt, ihr zuzustimmen, zumindest im Augenblick.«

»Sie meinen, sie sollte die Plantage übernehmen, bevor sie heiratet?«

Sie blickte ihn fest an. »Nicht unbedingt.«

Bertrands Hand fuhr schon wieder zu seiner Westentasche, ohne dass er es wollte. Er tat so, als müsste er eine Fluse entfernen.

»Um Himmels willen, Bertrand, jetzt holen Sie schon die Zigarre heraus!«

Er lächelte breit und zog die Havanna aus der Tasche. »Vielen Dank, Madame Emmeline, ich stehe tief in Ihrer Schuld.«

Während er die Zigarre anschnitt und sich daranmachte, sie anzuzünden, sagte Madame Emmeline: »Seit dieser Albany Johnston hier war, denke ich über Josephine und die Plantage nach. Ich möchte schon, dass sie in der Lage ist, Toulouse weiterzuführen, wenn es nötig ist. Gott weiß, dass nicht jeder Ehemann und auch nicht jeder Sohn ein fähiger Verwalter ist.«

Bertrand zog an seiner Zigarre, sodass die Spitze rot aufglühte. Er seufzte zufrieden.

»Ich verstehe. Aber ich denke, da kann ich Sie beruhigen. Albany ist ein fähiger Geschäftsmann. Er und sein Vater suchen ohnehin nach einer Erweiterungsmöglichkeit für ihre Ländereien.«

»Ich möchte auf keinen Fall, dass er Josephine nur wegen der Plantage heiratet.«

»Nein, natürlich nicht, das habe ich auch gar nicht gemeint. Im Sommer, als Josie und ich bei den Johnstons waren, schien er mir sehr angetan von ihr.«

»Und was ist mit Ihnen? Sind Sie auch angetan von ihr?«

Bertrand sah Madame Emmeline durch den Rauch seiner Zigarre an. »Worauf wollen Sie hinaus, Emmeline?«

»Wenn Sie sich für Josephine interessieren würden, könnte ich mich für eine derartige Verbindung sehr erwärmen. Sie stammen aus einer kreolischen Familie, und ich kenne Sie gut. Ich glaube, dass ich Sie ganz gut verstehe. Und deshalb frage ich Sie ganz einfach und geradeheraus, wie ich es eben schon getan habe: Sind Sie angetan von meiner Enkelin?«

Bertrand starrte in den Kamin, in dem das Feuer jetzt heruntergebrannt war und sich gelb-orangefarbene Flämmchen zeigten. »Ich finde sie sehr anziehend. Aber ehrlich gesagt, habe ich sie immer noch eher als Kind gesehen, so reizend sie ist.«

»Josie wird im nächsten August neunzehn, sie ist zwei Monate älter als Cleo«, sagte Madame Emmeline.

Bertrand warf ihr einen Blick zu, den sie ungerührt erwiderte. Offenbar entging ihr wirklich nichts. Er sah wieder ins Feuer und zog an seiner Zigarre.

»Wir haben Zeit«, sagte Madame Emmeline. »Josephine kommt im Mai nach Hause, und dann haben wir einen Sommer mit langen Tagen vor uns, genug Zeit, um sich besser kennenzulernen.«

Das Herz des Südens
titlepage.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-1.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-2.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-3.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-4.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-5.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-6.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-7.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-8.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-9.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-10.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-11.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-12.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-13.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-14.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-15.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-16.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-17.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-18.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-19.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-20.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-21.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-22.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-23.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-24.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-25.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-26.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-27.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-28.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-29.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-30.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-31.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-32.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-33.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-34.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-35.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-36.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-37.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-38.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-39.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-40.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-41.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-42.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-43.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-44.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-45.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-46.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-47.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-48.xhtml
Craig_Das_Herz_des_Suedens-49.xhtml