15

Toulouse, November 1836

In ihrem Bett aus Blättern unter den Bäumen schmiegte sich Cleo enger an Remy. »Ich habe in Monsieur Emiles Zimmer eine Landkarte gefunden, Remy.«

»Was soll ich denn damit anfangen, ich kann doch nicht lesen.«

»Ach was, eine Landkarte kannst du doch lesen! Ich zeige dir, wie das geht.«

»Na, vielleicht …«

»Wie willst du denn sonst rausfinden, wie du in die freien Staaten kommst?«

»Also gut, bring mir die Karte mit, ich versuch’s.«

»Aber da oben im Norden ist es jetzt kalt.«

»Ja, klar, aber wenn ich an Weihnachten abhaue, merkt es keiner. Madame hat uns zwei Tage freigegeben, und an den zwei Tagen sucht Mr Gale nicht nach mir.«

Sie hielten sich eng umschlungen und beobachteten den Mond, der sich durch die Bäume bewegte. »Ich werde dich so vermissen!«, flüsterte Cleo.

Remy nahm sie fester in den Arm. »Ich weiß, meine Liebste, aber wir müssen es versuchen. Für unsere Kinder, wir müssen frei sein.«

»Ich habe Neuigkeiten aus dem Haus, Remy.«

»Gute?«

»Keine Ahnung. Mr Gale hat sich eine Farm in Texas gekauft, und Madame hat schon einen neuen Aufseher eingestellt.«

Remy stöhnte. »Ich hab gehört, die anderen Aufseher sind viel schlimmer als Gale.«

»Na, jedenfalls ist er bald weg.«

Remy dachte einen Augenblick nach. »Dann gehe ich am besten gleich.«

»Noch vor Weihnachten?«

Er nickte. »Dieser Neue, der wird Madame wahrscheinlich erst mal beweisen wollen, wie hart er durchgreift. Da haue ich lieber ab, bevor er mich kennenlernt.«

Ihr ganzes Leben lang hatte Cleo Geschichten über Sklaven gehört, die versucht hatten, zu entkommen. Viele von ihnen hatten sich in den Wäldern oder in den Sümpfen verirrt, waren irgendwann halb verhungert zurückgekommen, mit Fieber und ganz verschwollen von den Mückenstichen.

Am schlimmsten waren jedoch die Geschichten über diejenigen, die man wieder eingefangen hatte. Cleo wusste, diese Geschichten wurden auch erzählt, um andere Sklaven abzuschrecken, die Flucht zu versuchen. Aber sie waren trotzdem wahr. Auspeitschungen, bis das Fleisch sich von den Knochen löste, waren noch lange nicht die schlimmsten Bestrafungen. Mr Gale fand ja, die Peitsche sei Strafe genug, aber andere Aufseher, wie zum Beispiel dieser berüchtigte Schotte in der Nachbargemeinde, hatten auch schon mal einem Mann mit der Axt einen Fuß abgehauen, um ihn ein für alle Mal an die Plantage zu binden.

»Der Neue könnte aber auch ein guter Mensch sein«, gab Cleo zu bedenken. »Vielleicht ist er so gut wie Mr Gale.«

»Ich vermute eher, er ist so wie dieser McGraw oben am Fluss. Der alte Sam sagt, der liebt sein Brandeisen.«

»Madame hat noch nie jemanden brandmarken lassen, Remy. Das macht sie nicht, sie lässt dich nicht verbrennen.«

Remy zog sich ein bisschen von ihr zurück. »Du redest, als ob du meinst, ich lasse mich einfangen.«

Cleo setzte sich auf. »Ich weiß, dass du dich im Sumpf zurechtfindest, Remy, aber überall sind Patrouillen unterwegs, Tag und Nacht. Erinnerst du dich, wie sie den alten Sam halbtot zurückgebracht haben, in Ketten?«

Remy legte ihr eine Hand unters Kinn und hob ihr Gesicht an das seine. »Ich werde es versuchen, Cleo, und du weißt das.«

»Ja, ich weiß es.«

Sie liebten sich in der Sicherheit ihres Verstecks in der Dunkelheit. Für eine kleine Weile schoben sie die Wachsamkeit, die Sklaven immer brauchen, in die Schatten zurück und lebten nur für sich selbst.

Später stand Cleo auf der mondhellen Treppe zur Veranda hinauf und beobachtete, wie Remy zwischen den Pecanbäumen verschwand, als er an Mr Gales Haus vorbei Richtung Unterkünfte ging.

Josie war jetzt in New Orleans, und so saß Cleo allein im Schlafzimmer, mit zwei Kerzen, die ihr genug Licht spendeten, damit sie Emiles Landkarte studieren konnte. Der Fluss selbst wäre natürlich der leichteste Weg Richtung Norden, aber er barg auch die meisten Gefahren. Überall waren Sklavenhändler unterwegs, die nach Flüchtigen Ausschau hielten, und Remy würde nicht einmal bis Iberville kommen, wenn er den Mississippi nicht so schnell wie möglich verließ.

Kurz dachte sie daran, wie gut es gewesen wäre, mit Josie darüber zu sprechen. Das war natürlich lächerlich, aber Cleo vermisste die Freundin trotzdem. Der Luxus, ein Schlafzimmer für sich allein zu haben, machte die Einsamkeit nicht wett. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie auf Monsieur Emiles Schritte lauschte oder sich einbildete, sie könnte seine Zigarre riechen. Oft sprach sie mit ihrer Maman, erzählte ihr, dass sie noch ein Laken stopfen musste oder vertraute ihr an, wie sehr sie Remy liebte. Aber Geister gaben ja keine Antwort.

Wenn Monsieur Emile noch am Leben gewesen wäre, dachte Cleo, hätte sie ihn gefragt, ob Remy sich mithilfe seiner Arbeit freikaufen könnte. Das kam durchaus vor. Ein fähiger Sklave konnte an einen anderen Weißen vermietet werden, sein Lohn ging dann an den Besitzer, und er behielt nur ein kleines Taschengeld. Aber Madame würde einer solchen Regelung niemals zustimmen. Auf Toulouse hatte es keinen einzigen derartigen Fall mehr gegeben, seit der alte Monsieur Tassin vor zwanzig Jahren gestorben war, und seit dem Hochwasser und der Choleraepidemie waren Arbeitskräfte auf der Plantage ohnehin knapp.

Remy würde es einfach auf eigene Faust versuchen müssen. Das kalte Wetter würde die Schlangen schläfrig machen, und auch die Mücken waren zu dieser Jahreszeit nicht so schlimm. Cleo konnte ihm ein paar anständige Kleider aus Monsieur Emiles Schrank geben, und sie konnte Proviant für ihn aus Louellas Küche stehlen – oder vom Tisch im Haus.

Vor allem aber würde sie ihm einen gefälschten Passierschein besorgen. Es war ein furchtbares Verbrechen, wenn ein Sklave einen Passierschein fälschte. Es war schon ein Verbrechen, dass Cleo schreiben konnte. Aber sie konnte ihn doch nicht in die Hände der herumstreifenden Patrouillen oder der Sklavenhändler fallen lassen, ohne dass er einen Schein bei sich hatte! Er hatte einfach nicht die Beredsamkeit, um ihnen weiszumachen, dass er einen legalen Auftrag hatte, wenn sie ihn fingen.

Grau und kalt kam die Morgendämmerung. Cleo hüllte sich in einen Schal und steckte ihre Füße in Josies alte, steife Lederstiefel. Sie hatte sich oft gefragt, wie es ihr bei Madame ergangen wäre, wenn Josie nicht immer größere Füße gehabt hätte als sie. Einige Haussklaven trugen gute Schuhe, andere gingen das ganze Jahr barfuß. Nun, da Emile nicht mehr da war, hatte Cleo den Verdacht, Madame wäre auch mit einem Hausmädchen auf bloßen Füßen zufrieden.

Nachdem sie die Kaffeebohnen gemahlen und das warme Frühstück bei Louella abgeholt hatte, rief sie Madame zu Tisch. Seit dem Hochwasser waren Madame Emmelines große, schnelle Schritte nur noch halb so lang, und sie hatten ihre Spannkraft verloren. Ihre Schultern waren ein wenig gebeugt, und die harten Linien in ihrem Gesicht waren ein wenig weicher geworden.

Cleo schenkte ihr dampfend heißen Kaffee ein und blieb in der Nähe stehen, während sie aß.

»Keine Marmelade?«, grantelte Emmeline.

»Nein, Madame.« Und mit unbewegtem Gesicht fuhr Cleo fort: »Beim Hochwasser ist viel verloren gegangen.« Jeden Tag erinnerte sie irgendeine Kleinigkeit an all die Dinge, die mit der Flut weggeschwemmt worden waren. Es gab keine Butter, und wenn Marguerite aus New Orleans nicht fünf Pfund frische Kaffeebohnen geschickt hätte, gäbe es auch keinen Kaffee.

Als Madame Emmeline ihre Blutwurst und ihren Maiskuchen gegessen hatte, winkte sie Cleo zu sich, um sie anzuschauen. Cleo wartete, während Madame sie über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg beobachtete.

»Du weißt natürlich, dass Mr Gale uns verlässt.« Es war eine Feststellung, keine Frage. Cleo wusste, dass Madame nur so tat, als wäre ihr nicht klar, dass sie an den Türen lauschte. »Monsieur LeBrec wird heute ankommen«, fuhr Madame fort. »Er ist ein paar Tage früher hier, damit Mr Gale ihn einarbeiten kann. Bis Mr Gales Familie das Aufseherhaus frei macht, werden die LeBrecs eine Unterkunft brauchen, und die anderen Sklaven haben zu viel zu tun, ich kann sie nicht von ihrer Arbeit abziehen. Du wirst den neuen Wagenschuppen für die Familie vorbereiten.«

»Soll ich die Wagen draußen stehen lassen? Aber was, wenn es regnet?«

»Dann werden sie eben nass.«

»Ja, Madame.«

»Sag Louella, dass die LeBrecs und die Gales heute Abend mit mir essen. Ich bin es leid, allein an diesem Tisch zu sitzen.«

»Ich sage ihr, dass sie wegen der Speisenfolge kommen soll.«

Madame Emmeline antwortete mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Ach was, sie soll irgendwas machen.«

An diesem Abend saßen die beiden Aufseher und ihre Frauen zum Essen an Madames Tisch. Mrs Gale und Madame LeBrec hatten beide ihr bestes Kleid angezogen und verbrachten den Abend damit, abzuschätzen, um wie viel sie die andere übertrafen. Sie hatten beide gebadet und sich Locken gedreht und Rouge aufgelegt, und da sie beide fest von ihrer eigenen Überlegenheit überzeugt waren, genossen sie sichtlich die Gegenwart der anderen.

Während Cleo bei Tisch bediente, beobachtete sie Monsieur LeBrec ganz genau. Er war ein Cajun und trug einen vornehmen Haarschnitt mit einer pomadisierten Welle aus dichtem schwarzem Haar. Sein braunes Jackett war gut geschneidert, aber Cleo bemerkte die feinen Stopfstellen an den Ellbogen.

»Nein, nein, an meiner letzten Stelle hatte ich keinen Ärger mit Faulpelzen«, sagte er gerade. »Schnelle, sichere Strafen. Ein scharfes Messer, ein Schnitt ins Ohr, das hält die Sklaven schon auf Linie.«

»Ich bin überzeugt, Sie werden feststellen, dass wir gute Arbeiter hier auf Toulouse haben, Mr LeBrec«, bemerkte Mr Gale. Cleo hörte den scharfen Klang in seiner Stimme. »Nehmen Sie einmal die Männer, die Sie heute Nachmittag beim Hüttenbauen beobachtet haben. Ich garantiere Ihnen, Sie werden keinen einzigen Faulpelz unter ihnen finden. Faire Behandlung, damit holen Sie immer noch das meiste aus ihnen heraus.«

LeBrec lächelte. Cleo bemerkte die Arroganz im Schwung seiner Lippen unter dem schwarzen Schnurrbart, dessen gezwirbelte Spitzen sorgfältig gewichst waren.

»Faire Behandlung? Der Durchschnittssklave weiß doch überhaupt nicht, was das bedeutet. Und schon sind die jungen Kerle weggelaufen, weil sie denken, sie sind schlauer als wir.«

Mr Gale saß starr da. »Wie lange ist hier keiner mehr weggelaufen?« Er blickte Madame Emmeline an. In früheren Zeiten hätte sie Gespräche über die Sklaven an ihrem Tisch nicht geduldet, aber nun schien sie nicht einmal die wachsende Hitzigkeit des Gesprächs zu bemerken. Oder sie kümmerte sich nicht darum.

»Seit etwa sechs Jahren«, antwortete sie.

»Sehen Sie, seit sechs Jahren!«, wiederholte Mr Gale.

Mrs Gale legte ihm begütigend eine Hand auf den Arm. Entschuldigend lächelte sie Madame Emmeline an. »Diese beiden Männer haben doch nun den ganzen Nachmittag miteinander verbracht«, sagte sie mit einem nervösen Lachen. »Und sie haben offenbar immer noch nicht alles gesagt, was gesagt werden muss.«

Damit war die Diskussion der Männer auf elegante Weise unterbrochen, und Monsieur LeBrec verlor das Interesse an der folgenden Unterhaltung. Mit seinen Blicken verfolgte er Cleo, die sich um den Tisch bewegte und Wein einschenkte.

Gelegentlich hatte Emile Gäste mitgebracht, die die Verhältnisse in diesem Haus nicht gleich begriffen hatten, und solche Männer hatten ihr ähnliche Blicke zugeworfen wie LeBrec es nun tat. Sie verstand diese Blicke, und ihre Hände begannen zu zittern.

Als sie ihm nachschenken wollte, ließ er seine Hand, ungesehen von den anderen, an Cleos Bein hinaufgleiten, um unter ihrem Rock ihr Hinterteil zu tätscheln. Sie fuhr zurück und warf dabei sein Glas zu Boden.

Hastig kniete sie sich nieder, um die Scherben aufzuheben.

»So ein dummes Ding«, bemerkte Madame LeBrec schrill. »Es ist wirklich schwierig, Sklaven ein wenig Sorgfalt mit den Sachen beizubringen.«

Cleo blickte auf, als sie die Scherben in ihrer Schürze einsammelte, und sah, wie LeBrecs Blick von ihrem Ausschnitt zu ihrem Gesicht hinaufwanderte. Sein Lächeln war so gut zu verstehen, als hätte er laut gesprochen.

Cleo eilte aus dem Zimmer, als wollte sie ein neues Glas aus dem Geschirrschrank holen. Stattdessen ging sie an dem Schrank vorbei und setzte sich für einen Augenblick in Emiles altes Arbeitszimmer in den alten Ledersessel. Sie kauerte sich zusammen, die Knie dicht an den Körper gezogen, und atmete den Duft seines Tabaks ein, der immer noch in dem Zimmer zu erahnen war. Wer würde sie jetzt beschützen?

An diesem Abend hielt LeBrecs Frau Cleo noch lange auf Trab, während ihre Familie sich im Wagenhaus einrichtete. Sie brauchte noch eine Laterne. Der kleine Yves brauchte ein Kopfkissen. Sylvies Bett war so hart; ob es nicht noch irgendwo eine Matratze gab, auf der sie liegen konnte? Bis Cleo alle Wünsche der LeBrecs erfüllt hatte, war es längst stockfinster in den Unterkünften.

Am nächsten Morgen brachte sie Madame Emmelines Wäsche ins Waschhaus. Den Korb auf dem Kopf, überquerte sie den Hof und kam am Wagenhaus vorbei, als ihr Madame Le-Brec den Weg versperrte.

»Bonjour, Madame«, sagte sie.

»Bleib mal einen Augenblick stehen, Mädchen.«

Cleo wartete; sie fragte sich allmählich, ob diese Frau von ihr verlangte, dass sie den Schuppen in einen Palast verwandelte. Aber die Frau des Aufsehers hatte etwas anderes im Sinn.

»Monsieur LeBrec ist ein gut aussehender Mann«, sagte sie. »Und ein Mann mit großem Appetit.«

Cleo hielt vor Schreck die Luft an.

»Ich habe gesehen, wie du ihm Blicke zugeworfen hast.«

»Nein, Madame!«, protestierte Cleo.

»Bei dem letzten Mädchen habe ich dafür gesorgt, dass sie gebrandmarkt wurde. Unter anderem.« Die Frau wandte sich ab, um zu gehen, fügte aber noch über die Schulter hinzu: »Nur dass du es weißt.«

Zurück im Haus, polierte Cleo jedes einzelne Möbelstück. Dann schrubbte sie den Boden im Speisezimmer, kletterte auf einen Hocker und polierte jede einzelne Facette des Kronleuchters im Salon. Den ganzen Tag arbeitete sie fieberhaft, so verschreckt und verzweifelt war sie.

Niemand würde ihr helfen. Remy konnte sie nichts davon erzählen, denn was konnte ein Landarbeiter schon gegen einen Aufseher ausrichten? Madame würde vielleicht verstehen, aber erst, wenn wirklich etwas geschehen war, wenn LeBrec tatsächlich handgreiflich geworden war.

Als sie das Tischtuch über dem Geländer der Veranda ausschüttelte, kam Mr Gale aus Madames Arbeitszimmer. Cleo machte einen Schritt auf ihn zu, und er blieb stehen, den Hut in der Hand.

»Mr Gale?«, flüsterte sie ihm zu.»Dieser neue Aufseher…«

Er nickte kurz und setzte den Hut auf. »Du bleibst am besten so viel wie möglich im Haus, Mädchen«, sagte er. »Mehr kann ich nicht sagen. Bleib so viel wie möglich im Haus.«

Aber sie musste Remy treffen! Der Mond stand schon hoch, als sie an ihrem gemeinsamen Lieblingsplatz ankam. Sie wartete, und der Mond bewegte sich weiter über den Himmel, aber Remy kam nicht. Manchmal war Mr Gale noch lange draußen unterwegs, und manchmal schlief Remy ein, bevor Cleo sich im Haus frei machen konnte. Er war ein wunderbarer Liebhaber, aber er war eben auch ein Mann, der zwölf Stunden am Tag hart arbeiten musste und abends müde war.

Auf dem mondhellen Pfad ging sie zurück zum Haus, mit langsamen Schritten, weil sie entsetzlich müde war, aber als sie aus den Schatten ein Geräusch hörte, beschleunigte sie ihren Schritt.

»Na, Mädchen!« Es war Monsieur LeBrec. »Was machst du denn so spät noch hier draußen? Du willst doch keinen Ärger, oder?«

Er trat zu ihr, und sie konnte den Alkohol in seinem Atem riechen, als er sie am Arm festhielt.

»Bist du auf der Suche nach einem Kerl, der hier herumläuft? Bist du deswegen hier draußen? Ja, du brauchst einen Kerl, ist es nicht so?«

»Nein, Monsieur, lassen Sie mich bitte gehen.«

»Nein, Monsieur! Spielt die feine Dame! Vornehmes Gerede, hm? Bitte, sagt sie!« Er beugte sich herunter und atmete ihr ins Gesicht. »Du bist ein verwöhntes kleines Niggerding, aber warte nur, das kriegen wir schon.«

Cleo machte sich frei und rannte zum Haus. LeBrec lachte nur hinter ihr her.

In dieser Nacht tat sie kaum ein Auge zu. Sie hörte, wie Madame Emmeline aufstand, für eine Stunde umherlief und sich dann wieder ins Bett legte. Und sie war immer noch wach, als Madame aufstand und sich in den quietschenden Schaukelstuhl auf der Veranda setzte, um dem Sonnenaufgang zuzusehen.

Später an diesem Morgen beobachtete sie, wie Mr Gale seine Familie auf einen Wagen packte und mit ihnen Toulouse verließ, um in Texas ein neues Leben anzufangen. Sie hielt sich an seinen guten Rat und blieb den ganzen Tag im Haus. Aber nach dem Essen musste sich Monsieur LeBrec bei Madame zu einem geschäftlichen Gespräch einfinden, und das war ihre Chance, Remy endlich zu sehen.

Sie eilte hinunter zu dem Platz, wo die Männer die neue Zuckermühle bauten, aber Remy war nicht dort. Sie versuchte es bei den Unterkünften, wo die neuen Hütten hochgezogen wurden. Der alte Sam hämmerte auf die Bodenbretter ein, als sie zu ihm trat und ihn fragte, wo Remy sei.

Sam lehnte sich zurück und wischte sich den Nacken mit einem großen Taschentuch ab. Lange sagte er gar nichts, dann fasste er endlich Mut. »Er ist weg, Cleo.«

»Weg? Aber …« Cleo stand mit offenem Mund da, als wäre sie gerade verrückt geworden. »Aber ich habe ein Bündel für ihn vorbereitet.«

»Er hat den richtigen Zeitpunkt erwischt, Kind. Gale ist weg, und der Neue kennt hier noch keinen. Ein sehr guter Zeitpunkt.«

Der alte Sam stand auf. »Nicht weinen, Schätzchen.« Er nahm sie in den Arm und tätschelte ihr den Rücken. »Es wird nicht besser, wenn du dir unnötig Sorgen machst. Weißt du, Remy ist ein kluger Junge, der kommt schon zurecht.«

In Sams Armen fühlte sie sich geborgen, aber sie wusste, das war eine Illusion. Er konnte sie nicht vor LeBrec schützen, und auch Remy konnte er nicht beschützen.

»Sieh doch mal, Cleo, die kleine Wolke da oben. Sieht sie nicht aus wie ein Schmetterling? Das beste Zeichen, das ein Mann haben kann. Ein weißer Schmetterling für dich und Remy, da bin ich ganz sicher.«

Mit seinem breiten Daumen wischte er ihr die Tränen weg. »Du musst jetzt tapfer sein und im Haus eine gute Schau abliefern, damit niemand etwas merkt.«

Cleo nickte, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Sam auf die ledrige Wange. Dann eilte sie zurück ins Haus. Sie würde schon die Tür zu Josies Zimmer hinter sich geschlossen haben, wenn LeBrec Madame Emmelines Arbeitszimmer verließ.

Das Herz des Südens
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