11

Johnston-Plantage

Albany war nach Josies Reitunfall sehr anhänglich geworden. Von dem Moment an, da sie den Schlamm aus ihren Haaren entfernt und sich umgezogen hatte, wich er den ganzen Nachmittag nicht mehr von ihrer Seite. »Setz dich doch hierher in den Schatten«, sagte er, und er bot ihr einen kleinen Brandy an, damit sie den Schmerz nicht mehr so sehr spürte.

Chamard dagegen ließ sich den Nachmittag über nicht blicken, sondern machte eine Tour durch die Plantage, und Josie blickte ständig zur Tür.

Er war der bestaussehende Mann, dem sie jemals begegnet war, und so vornehm! Während Albany über die Zukunft des Zuckerrohranbaus daherschwadronierte, erinnerte sie sich immer und immer wieder an den Kuss, den Chamard ihr gegeben hatte. Mit dem Finger fuhr sie sich über die Unterlippe, und die Erinnerung an Chamards Mund wärmte sie von innen her.

Irgendwann merkte sie, dass Albany ihr auf den Mund starrte. Sie ließ die Hand sinken und tat wieder so, als wäre sie brennend interessiert an den Einzelheiten des Marktes in New Orleans.

Abigail und Mrs Johnston saßen zu beiden Seiten des hohen Fensters und beschäftigten sich mit ihrer Stickerei. Sie waren beide ungewöhnlich still, und Josie beobachtete ein paar Mal, wie Mrs Johnston über ihre Lesebrille hinweg zu ihr und Albany herüberblickte. Aber da sie nickte und lächelte, vermutete Josie, sie müsse Albanys Aufmerksamkeiten allein ertragen.

Vor dem Abendessen kamen Mr Johnston und Chamard zu ihnen in den Salon. Endlich, dachte Josie. Sie hoffte, ihr Cousin würde sich zu ihr setzen, aber Albany lenkte seinen Gast ab, indem er ihn zum Humidor in der anderen Ecke des Zimmers führte. »Zigarre gefällig?«

Josie bewunderte den offensichtlichen Genuss, mit dem Chamard den ersten Zug an der guten kubanischen Zigarre nahm.

»Nun, was halten Sie von der Plantage, Mr Chamard?«

Er spähte durch den Rauch auf seine Gastgeberin. »Sehr schön. Sie haben auf dieser Seite des Flusses einige Stellen mit ausgezeichnetem Boden. Und insgesamt ist der Boden so dunkel, wie er sein muss, und gut entwässert.«

Mr Johnston wechselte das Thema. »Meine Liebe, du wirst froh sein zu hören, dass die Deiche dem Hochwasser standhalten«, sagte er zu seiner Frau. Er wandte sich an Chamard. »Mrs Johnston hatte nämlich große Angst vor einer Überschwemmung. Irgendjemand in New Orleans hat ihr eingeredet, dass der Fluss sich einen Weg durch den Deich bahnen kann, und bei dem schweren Regen der letzten Tage hat sie wirklich nicht gut geschlafen.«

»Wie ein Messer durch die Butter, das hat Felicity LeRoy gesagt.«

»Ich habe es dir doch schon mal gesagt, Mutter«, mischte sich nun Albany ein. »Wir haben jeden Zentimeter des Deiches noch einmal befestigt. Wir sind hier wirklich in Sicherheit.«

»Ich danke dir, mein Lieber«, sagte Mrs Johnston und legte eine Hand auf ihr Herz. Josie fragte sich, ob ihr klar war, dass die Deiche ihrer Nachbarn flussaufwärts für ihre Sicherheit von ebenso großer Bedeutung waren wie ihre eigenen.

»Und du bist ganz wiederhergestellt, Josephine?«, fragte Chamard.

Josie ärgerte sich, dass sie schon bei einem Blick von ihm errötete. »Vollkommen«, sagte sie.

»Ich bin sicher, sie leidet mehr, als sie zugibt«, sagte Abigail. »Sie hat schreckliche blaue Flecken auf … nun, sie hat jedenfalls schreckliche blaue Flecken.«

Bertrands Lächeln grenzte ans Unanständige, und Josie wusste, jetzt war ihr Gesicht feuerrot. Phanor neckte sie auf die gleiche Weise, dachte sie, aber ihm fehlte natürlich das Raffinement eines Bertrand Chamard. Bertrand atmete Eleganz, während Phanor bei all seinem Charme unwissend und unreif war.

Aber Phanor hatte einen Graben um die Familiengruft gezogen. Hätte Bertrand das ebenfalls getan, mit der gleichen einfachen, freundlichen Art?

Als man sich erhob, um zum Essen zu gehen, bemerkte Josie, dass sie nach dem Sturz doch etwas steifbeinig ging. Albany bot ihr einen Augenblick zu früh seinen Arm an, und Bertrand reichte seinen Abigail, ein amüsiertes Lächeln im Gesicht.

Bei den eingemachten Erdbeeren mit Sahne fragte Abigail: »Wie ist denn eigentlich das genaue Verwandtschaftsverhältnis zwischen Ihnen und Josephine, Mr Chamard?«

Bertrand legte seinen Löffel nieder und überlegte. »Oh, wissen Sie, bei uns Kreolen ist das meistens recht kompliziert, Miss Johnston. Wir neigen dazu, viele Kinder zu bekommen, und am Ende bezeichnen wir jeden Menschen mit einem bisschen Familienblut als einen nahen Verwandten. Josephine und ich, warten Sie, da muss ich nachdenken.«

Er wandte sich an Josephine. »Deine Mutter Celine war die zweitjüngste Tochter von René und Marie-Louise, nicht wahr?« Josephine nickte. Bertrand dachte wieder einen Moment nach. »Dann ist sie eine Cousine zweiten Grades.« Josie blickte auf und sah, dass er ihr zuzwinkerte. »Und wenn ich Wetten annehmen würde – und gelegentlich tue ich das sogar –, dann würde ich wetten, dass meine Cousine und ich ein gewisses Geburtsmal gemeinsam haben.« Er blickte Abigail direkt an. »Ich will nicht indiskret sein, aber es scheint, als hätten alle Nachkommen von Grand-mère Helga dieses Zeichen, eine Art Vermächtnis ihrerseits.«

Josie drehte die Serviette auf ihrem Schoß und spürte, wie die Hitze von ihrem Gesicht bis hinunter über ihre nackten Schultern zog.

Tatsächlich hatte sie einen kleinen Streifen rötlicher Haut am untersten Teil ihres Rückens, genau wie Maman. Selbst bei ihrem kleinen Cousin Jean-Baptiste hatte sie das Muttermal schon gesehen. Aber über so etwas in Gesellschaft zu sprechen … Bertrand war roh und ungehobelt. Sie bemerkte, dass auch Abigail errötet war. Wen wollte Chamard hier eigentlich in eine peinliche Situation bringen, sie oder Abigail? Er war unerträglich.

»Oh, ich sehe schon, es ist tatsächlich so, nicht wahr, Josephine? Aber … ich fürchte, ich habe dich in Verlegenheit gebracht. Das tut mir leid.«

Die Damen erhoben sich, und Josie zeigte ihr schönstes Lächeln, als Albany ihr den Stuhl wegrückte. Sie ignorierte ihren Cousin sehr deutlich.

Nach dem Essen versammelte man sich im Musikzimmer. Das Klavier der Johnstons war ein Chickering, genau wie zu Hause, aber während die Elfenbeintasten bei ihrem Instrument inzwischen vergilbt waren, leuchteten sie bei Abigail nach wie vor in strahlendem Weiß.

»Würden Sie uns etwas vorspielen, Josephine?«, fragte Mrs Johnston.

Josie rang nach Atmen. Verlegen berührte sie die Locken über ihrem Ohr und ließ den Kopf sinken. Irgendwann war es ihr nicht mehr möglich, das Schweigen zu brechen, in dem Mrs Johnston auf ihre Antwort wartete.

Albany kam ihr zu Hilfe. »Vielleicht würdest du mit mir vierhändig spielen? Ich bin kein besonders guter Pianist, aber wenn du langsam spielst, komme ich wohl mit.«

Wie freundlich von ihm, dachte Josie. Sie rückte ihre Röcke auf der Klavierbank zurecht, und gemeinsam arbeiteten sie sich durch eine vierhändig gesetzte Sonate von Mozart. Sie verdienten keinen Schönheitspreis damit, aber sie hatten sich auch nicht blamiert.

Dankbar berührte Josie Albanys Hand, als sie von der Bank aufstanden, und er führte sie zurück zu dem blauen Damastsessel neben seiner Mutter.

Abigail spielte als Nächste, und sie spielte ausgezeichnet. Ihre Finger schienen nur so über die Tasten zu fliegen, ohne dass sie darüber nachdenken musste. Bertrand sang ein deutsches Lied mit ihr, und sie bildeten ein wunderbares Paar. Abigails blondes Haar leuchtete im Kerzenlicht, während Bertrands schwarzes Haar, das bis auf den Kragen reichte, das Licht geradezu aufzusaugen schien.

Als Abigail Josie bat, mit ihr zu singen, fühlte Josie sich schon besser. Ihre Stimme war ganz gut, und sie sang jedenfalls nicht falsch.

»Das war wunderbar, Josie«, flüsterte Albany ihr zu, als sie sich wieder setzte. Josie wusste, ihre Stimme war alles andere als wunderbar, aber sie nahm das Kompliment freundlich an, wie man es ihr beigebracht hatte. »Glaub daran, dass jedes Kompliment die reine Wahrheit ist«, hatte Maman immer wieder gesagt. »Aber bleib immer bescheiden, wenn du es annimmst.«

Mr Johnston döste in seinem Sessel, und Mrs Johnston saß verträumt da, die Stickerei im Schoß. Abigail begann mit einem neuen Stück am Klavier.

Josie bewunderte Abigail, die mit kerzengeradem Rücken auf der Klavierbank saß. Monsieur Pierre schimpfte ständig mit ihr wegen ihrer schlechten Haltung. Aber es war leider so: Am Klavier saß die Niederlage immer gleich neben ihr. Sie konnte einfach die Kluft zwischen ihren Gefühlen und ihren Fingern nicht überbrücken. Und jetzt sah sie Abigail, diesen Traum aus blauem Satin und goldenen Locken, wie sie das Zimmer scheinbar mühelos mit ihrer Musik anfüllte.

Bertrand drehte sich ein wenig, sodass Josie sein Gesicht sehen konnte, und sofort vergaß sie alle Gedanken an ihre mangelnde Musikalität. Seine Stimme war die pure Verführung, und mit einem verwegenen Lächeln auf den Lippen sang er – nur für sie. Als sie seinem Blick begegnete, brauchte sie ihren Fächer.

Albany ging hinüber und stellte sich hinter seine Schwester, als wollte er ihr beim Spielen über die Schulter blicken, aber Josie sah sofort, wie er instinktiv versuchte, sie zu beschützen. Ob dieser Schutz nur seiner Schwester galt oder auch ihr, war ihr nicht ganz klar. Auf jeden Fall stand er so, dass sie Bertrand kaum noch sehen konnte, und Bertrand lächelte angesichts dieses plötzlichen Eingreifens nur noch mehr.

Abigail beendete das Stück und schlug den Klavierdeckel zu. Dann entschuldigte sie sich, ohne Josie oder Bertrand noch eines Blickes zu würdigen, und verließ sehr plötzlich das Zimmer.

Am vierten Tag ihres Besuchs bei den Johnstons zog Josie nachdenklich eine lange braune Locke durch ihre Finger. Honigbraun. Sie dachte darüber nach, dass ihre Nase heute immer noch so sommersprossig war, wie sie vor einem Monat gewesen war, ihre Lippen immer noch so voll, ihre Augenbrauen immer noch so buschig. Und trotzdem schienen sowohl Bertrand als auch Albany sie sehr anziehend zu finden. Wie viele schöne Frauen Bertrand wohl in Paris gesehen hatte?

Für diesen Tag hatte Albany ein gemeinsames Picknick geplant. Unmittelbar nach dem Frühstück war er mit den Sklaven losgeritten, um den Platz zu begutachten, und hatte festgestellt, dass sie Decken brauchen würden, weil der Boden noch sehr feucht war. Außerdem wurden Stühle und ein Tisch für den Schinken, die Muffins und die Krüge mit Limonade benötigt. Josie hoffte, er würde auch an die Kinder denken, die die Sonnenschirme halten mussten. Sie legte keinen Wert darauf, noch mehr Sommersprossen zu bekommen.

Beim Morgenkaffee versprach Bertrand Abigail, ihr die Stelle zu zeigen, wo er in einem Gebüsch mit Geißblatt einige Kolibris entdeckt hatte. Josie hatte den Ausbruch von Eifersucht am vorangegangenen Abend sehr wohl bemerkt, und nun beobachtetete sie über den Rand ihrer Tasse hinweg, wie Abigail Bertrands Charme wieder erlag. Wie klug von ihm, zu bemerken, dass Abigails Gefühle verletzt sind und Linderung brauchen, dachte sie. Wenn er nur wollte, konnte er ein echter Gentleman sein.

Am Vormittag zogen Abigail und Josie ihre Reitkostüme an und gingen plaudernd hinunter zu den Ställen, wo Albany auf sie wartete. Bertrand würde später zu ihnen stoßen, wenn er mit Mr Johnston den Besitz nördlich der Johnston-Plantage besichtigt hätte.

Auf Albanys eindringliche Bitte hin ritt Josie an diesem Tag eine lammfromme alte Stute. Das Tier war halb blind und ließ sich zu nichts anderem bewegen als zu einem gemäßigten Schritttempo. So öffnete Josie ihren schwarzen Regenschirm mit den Rüschen und versuchte sich zu erinnern, was ihre Mutter ihr seinerzeit über das Bleichen von Sommersprossen beigebracht hatte. Damals hatte sie sich nicht sonderlich dafür interessiert.

Albany führte sie und Abigail über die östlichen Felder zu dem Picknickplatz, der in einem alten Obstgarten lag. Hier gab es nur noch ein paar knorrige Pfirsichbäume, die fast nicht mehr trugen, aber Charles hatte ihnen unter einer bemoosten Eiche einen wunderbaren Platz hergerichtet. Weißes Leinen lag auf einem großen Klapptisch, die stoffbespannten Stühle waren mit Kissen ausgestattet, und schwere blaue Decken lagen auf dem Boden. Und tatsächlich waren sogar zwei Sklavenkinder mit der Aufgabe betraut worden, den Damen Schatten zu spenden.

Albany half Josie und seiner Schwester beim Absteigen. Es war windstill und warm, und man hörte nur das Summen der Bienen. Charles brachte ihnen Limonade in kristallenen Gläsern, und Josie lehnte sich zurück, um den Augenblick zu genießen.

Gerade hatte Albany ihr einen Teller mit Schinken und frischen Pfirsichen gereicht, als seine freundlichen Worte von heftigem Hufschlag übertönt wurden. Ein Pferd mit Schaum an den Flanken kam auf der Lichtung zum Stehen. Der Reiter sprang ab und rannte auf sie zu. »Master Johnston!«, rief er schon im Näherkommen.

Albany ging dem Mann entgegen und zog ihn ein paar Schritte von den Damen weg. Josie beobachtete ihn neugierig, vor allem, nachdem Albany ihr noch einen alarmierten Blick zugeworfen hatte und den Mann noch weiter wegführte.

»Entschuldigen Sie mich, meine Damen«, sagte Albany, als er zu ihnen zurückkam. »Aber wir müssen unser Picknick auf einen anderen Tag verschieben.«

»Was ist denn los, Albany?«, fragte seine Schwester ungehalten. »Wir sind doch gerade erst angekommen.«

»Was ist passiert?«, fragte nun auch Josie.

»Kein Grund zur Sorge.«

Aber Josie glaubte ihm kein Wort. »Bitte, Mr Johnston, haben Sie Nachricht von Toulouse?«

»Nein, wirklich, es gibt keinen Grund zur Sorge. Es ist nur so: Die Sklaven haben bemerkt, dass der Wasserspiegel im Fluss erheblich gefallen ist, und das kann bedeuten, dass irgendwo flussaufwärts ein Deich nachgegeben hat. Aber das könnte ebenso gut auch fünfzig oder hundert Meilen von hier passiert sein.«

Abigail griff nach seinem Arm. »Ein Deichbruch? Werden wir überschwemmt?«

»Ich sage dir doch, Abigail, es gibt absolut keinen Grund zur Sorge. Aber es wäre wohl klüger, nach Hause zurückzukehren, bis wir wissen, wo der Deichbruch stattgefunden hat und wie weit das Wasser kommt.«

Albany ließ sie wieder aufsitzen und begleitete sie bis zu den Ställen. Charles blieb auf dem Picknickplatz zurück, um alles wieder einzupacken, aber Josie sah, wie er seine Leute zur Eile antrieb. Sie hatte keine Ahnung, auf welcher Seite des Flusses der Deich nachgegeben hatte. Wenn es auf dieser Seite war, wäre Toulouse überhaupt nicht davon betroffen.

Sobald sie abgestiegen waren, wollte Josie zum Anleger laufen und auf ein Flussschiff warten, um Nachricht zu bekommen. Aber Mrs Johnston und Abigail befürchteten – vollkommen grundlos, wie sie fand –, der Fluss könnte plötzlich wieder anschwellen und sie vom Anleger reißen, und sie bestanden darauf, dass auch sie im Haus blieb.

So beugte sie sich über das Geländer der Veranda, obwohl sie dort der prallen Nachmittagssonne ausgesetzt war. Sie verschwendete keinen Gedanken mehr an ihre Haut oder an die Hitze, sondern hielt nach einem Schiff Ausschau.

Aber bevor wieder ein Schiff zu sehen war, kamen schon Albany, Bertrand und Mr Johnston mit Neuigkeiten ins Haus. Sie waren auf dem Deich Richtung Norden geritten, um nach der Stelle des Deichbruchs zu suchen. Tatsächlich war der Deich eine halbe Meile nördlich vom Haus der Tassins gebrochen, berichteten sie, also am nördlichen Ende der Toulouse-Plantage.

Mrs Johnston zitterte wie Espenlaub. »O Gott!«, rief sie aus.

»Also wirklich, Mary Ann«, erwiderte ihr Mann streng und führte sie zu einem Sessel, wo er sie zwang, sich zu setzen. »Die Überschwemmung liegt auf der anderen Seite des Flusses, das heißt, wir sind hier vollkommen in Sicherheit, und jetzt möchte ich wirklich, dass du dich beruhigst. Charles, bring Mrs Johnston einen Sherry.«

Josie war leichenblass geworden und stand ganz still da. Bertrand führte sie zu dem Satinsofa am anderen Ende des Zimmers und setzte sich neben sie.

»Hör zu, Liebes«, sagte er. »Toulouse ist überschwemmt, aber der Deichbruch befindet sich weit genug oberhalb des Hauses, sodass die Strömung schon nicht mehr so stark war, als sie das Haus erreichte. Und das Haus steht tatsächlich noch, das konnte ich von unserer Seite des Flusses aus deutlich erkennen.«

»Ich muss nach Hause!«

»Auf keinen Fall, Josephine. Du kannst jetzt nicht nach Hause. In ein paar Tagen vielleicht …«

»Aber ich muss doch wissen, ob sie gesund sind!« Sie klammerte sich an Bertrands Ärmel. »Papa – und Bibi und Cleo. Und natürlich Grand-mère.«

Bertrand dachte einen Augenblick nach. »Kannst du nach deinem Sturz schon wieder reiten?«

»Aber selbstverständlich kann ich reiten! Wir könnten ein Stück flussaufwärts ein Boot nehmen und auf die andere Seite übersetzen.«

Albany trat zu ihnen. »Das kommt überhaupt nicht infrage. Sie können jetzt auf keinen Fall auf die andere Seite!«

Josie sah Bertrand flehend an. Er würde Albany widersprechen, oder nicht? Schließlich gehörte er zur Familie, er musste sie doch verstehen.

Aber Bertrand schüttelte bedauernd den Kopf. »Johnston hat leider recht. Solange das Hochwasser nicht nachlässt, können wir nicht übersetzen. Aber ich nehme dich mit bis an die Stelle, wo man euer Haus sieht.«

»Das ist Wahnsinn, Chamard! Sie hat jetzt wirklich nichts in der Nähe des Flusses zu suchen!«

Bertrand warf ihm einen kühlen Blick zu. »Ich denke, wir werden uns schon zu helfen wissen.«

»Natürlich«, bestätigte Josie.

So ritten sie denn zu dritt auf dem Deich entlang, um den Schlamm auf der Straße am Fluss zu vermeiden. Zwölf Meilen nördlich des Johnston-Hauses zügelte Bertrand sein Pferd. »Jetzt sind wir genau gegenüber von Toulouse, Josephine. Kannst du den Anleger sehen, und die Eichenallee? Dahinter siehst du das Haus.«

Tatsächlich konnte sie die grünen Fensterläden vor der gelben Hausmauer deutlich erkennen. Der untere Teil des Hauses war ebenso wenig zu sehen wie der Wasserstand, weil der Deich auf der gegenüberliegenden Seite ihr die Sicht versperrte, aber sie sah das Obergeschoss des Hauses, und es war ganz offensichtlich unbeschädigt und trocken.

»Da sind Leute auf der Veranda!« In die Ferne konnte Josie ausgezeichnet sehen. »Seht ihr sie auch?«

Albany nickte. »Ja, da bewegt sich etwas.«

»Ihre Augen sind offenbar besser als meine«, entgegnete Bertrand. »Aber darauf kommt es jetzt auch gar nicht an, Josephine. Wichtig ist nur, das Haus steht. Es hat nicht viel von der Wucht der Strömung abbekommen. Also wird es auch deiner Familie gut gehen, und in einer Woche oder zehn Tagen kannst du sicher wieder nach Hause. Wir mieten dann am besten ein Boot, um dich rüberzubringen.«

Albany berührte ihren Ellbogen. »Einstweilen sollten Sie sich an den Gedanken gewöhnen, noch ein Weilchen bei … bei Abigail zu bleiben. Bei uns sind Sie in Sicherheit.« Er drängte sie zu ihrem Pferd. »Mein Vater hat einige Arbeiter den Fluss hinauf geschickt, um zu sehen, was zu tun ist. Die Metoyers und Cummings werden dasselbe tun.«

Auf dem Weg zurück zum Haus der Johnstons starrte Josie immer wieder hinüber zum anderen Ufer, bis der Deich eine Kurve beschrieb, sodass sie Toulouse nicht mehr sehen konnte. Was wohl aus Mamans Grab geworden war? Es lag doch wohl hoch genug auf dem Hügel, um vom Wasser verschont zu bleiben? Wenn nicht – dann war Maman womöglich weggeschwemmt worden. Josie schob die Vorstellung zur Seite und betete zur Gottesmutter, dass alle Menschen auf Toulouse überlebt hatten.

Bei den Ställen half Bertrand ihr vom Pferd. »Das ist nicht die erste Überschwemmung, die deine Großmutter erlebt«, sagte er und küsste sie sanft auf die Stirn. »Mach dir keine Sorgen.«

Ziemlich hastig nahm Albany ihren Arm und führte sie ins Haus zurück. Bei jeder anderen Gelegenheit hätte sie sich über seine besitzergreifende Art geärgert, aber jetzt bemerkte sie die Rivalität zwischen den beiden Männern kaum. Sie warf einen Blick über die Schulter zu Bertrand, als warte sie auf seine Erlaubnis, und als er nickte, ließ sie sich von Albany wegführen.

Das Herz des Südens
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