24

New Orleans

Bertrand Chamard bewegte sich ungeduldig, als sein Diener Valentine ihm die Fingernägel polierte.

»Das muss jetzt reichen«, sagte er. »Ich bin rasiert und barbiert und weiß nicht was und habe frisch geschnittene Haare, genug Getue für einen Tag.«

Aber Valentine ließ seine Hand nicht los, bevor auch der letzte Fingernagel zu seiner Zufriedenheit glänzte. »Morgen kommen die Schwielen dran.«

»Ja, Monsieur Valentine, sehr wohl, Monsieur Valentine.«

Bertrand und Valentine waren seit ihrer frühen Kindheit zusammen, und ihre Verbindung war freundschaftlich und entspannt. Natürlich hatte Valentine die Monate in den Ställen auf Cherleu nur mühsam ertragen, und natürlich hatte er seinen Herrn immer wieder daran erinnert, dass er lieber Silber putzte als Sattelzeug. Aber Bertrand hatte auch bemerkt, dass Valentine hart daran gearbeitet hatte, die Ställe auszumisten, Zaumzeug zu reparieren und sogar Hufe zu beschlagen, bis seine Hände ebenso rau waren wie die seines Herrn. Der einzige Unterschied war, dass die Schwielen Bertrand nichts ausmachten.

Bertrand warf noch einen Blick in den Spiegel und beschloss dann, dass er bereit war, in diesen Abend zu gehen. Er warf sich das Cape mit dem roten Seidenfutter über die Schulter und ließ sich von Valentine Hut und Stock reichen.

»Warte bloß nicht auf mich«, sagte er. »Es kann gut sein, dass es hell wird, bevor das Spiel endet.«

»Aber dann mach hier bloß keinen Krach, der mich aufweckt«, entgegnete Valentine.

Bertrand lächelte und beschloss im selben Moment, genau das zu tun. Der Ebenholzstock, den er bei sich hatte, krachte ganz herrlich, wenn man ihn »versehentlich« auf den Boden fallen ließ.

Die Luft im Spielsalon des Blue Ribbon war schon rauchgeschwängert, als Bertrand eintrat. Er kannte fast alle, die an den Tischen saßen, die meisten waren Kreolen vom unteren Lauf des Mississippi oder vom Cane River weiter nördlich. In den letzten Jahren waren allerdings ein paar wohlhabende Akadier und sogar einige Américains zu den Herren an den Roulettetischen gestoßen.

Bertrand setzte sich zu seinen Freunden – zwei von ihnen Cousins – und zündete sich die erste Zigarre an. Der junge LaSalle teilte die ersten Karten aus, und alle betrachteten ihr Blatt mit einer gespielt gleichgültigen Miene.

Gegen Mitternacht legten sie eine Pause ein, um sich ein wenig die Beine zu vertreten. Bertrand nahm sein Whiskeyglas mit auf den Balkon, um etwas frische Luft zu schnappen. Er hatte noch nie viel auf die weibischen Sorgen über nächtlichen Dunst und schädliche Dämpfe gegeben. Gerade in den Nachtstunden hatte er Paris und alles, was es zu bieten hatte, besonders genossen; oft war er zu seinem Freund Lafrennière aufs Dach gestiegen, um durch das Teleskop die Venus zu betrachten. Die Nachtluft war nicht anders als die Luft bei Tage. Warum sollte das in New Orleans anders sein als in Paris, auch wenn eine halbe Weltreise zwischen den beiden Städten lag?

»Bist du das, Chamard?«

Bertrand schielte zur Seite, um den Schattenriss des Mannes zu erkennen, der vor dem Licht der Kronleuchter stand.

»Johnston? Komm her, mein Freund.« Albany betrat den Balkon, und die beiden begrüßten sich mit einem Händeschütteln. »Seit wann bist du in der Stadt?«, fragte Albany.

»Seit drei Tagen. Ich musste erst einmal eine Menge geschäftlicher Termine wahrnehmen, aber jetzt bin ich reif für ein bisschen Entspannung. Wie geht es deiner Mutter und deiner Schwester?«

»Gut, danke.«

Die beiden lehnten sich mit dem Rücken gegen das Geländer und bliesen in trauter Eintracht den Rauch in die Nacht.

»Und Josephine?«

Albany zog an seiner Zigarre. »Ein bisschen schwierig, würde ich sagen, wie die Frauen halt so sind.«

Bertrand blickte hinauf zu den Sternen. Was sollte er darauf erwidern? Wenn Albany weiterreden wollte, würde er es wohl tun.

»Hier finden also diese berühmten Bälle statt?«, fuhr Albany fort.

Das Blue Ribbon war ein berühmtes Etablissement, von dem jeder kreolische Junge träumte, dass er es einmal besuchen würde, wenn er erwachsen wäre. Die Bälle, die hier stattfanden, wurden von den besten Musikern der Stadt begleitet, und das Essen kam von den besten Restaurants. Aber vor allem fand man hier die schönsten Frauen von Louisiana, alles zum Vergnügen der weißen Plantagenbesitzer. Die Damen waren größtenteils sogenannte Quadroons, Mädchen und Frauen, die nur noch zu einem Viertel von schwarzer Herkunft waren. Ihre Zukunft bestand darin, die Geliebte eines kreolischen Herrn zu werden. Wenn ein Mann einmal einer dieser Schönheiten verfallen war, blieb er oft ein Leben lang ihr und den gemeinsamen Kindern treu.

»Oben«, antwortete Bertrand. »Nächste Woche findet ein solcher Ball statt, ich könnte dich als meinen Gast mitbringen.«

»Du wirst lachen, ich bin schon eingeladen. Der Freund deiner Cousine Marguerite, Achille Dumont, besteht darauf, dass ich ihn begleite. Offenbar kennt man Louisiana nicht richtig, wenn man die Damen auf diesen Bällen nicht gesehen hat.«

»Das sehe ich genauso.«

»Aber wenn ich es recht verstehe, ist das hier kein Bordell, oder?«

»Lass die Mütter dieser Damen bloß kein solches Wort hören!«, lachte Bertrand. »Nein, diese Mädchen sind die geborenen Geliebten, und ihre Tugend, jedenfalls in den von ihnen selbst gesteckten Grenzen, ist legendär.«

»Heißt das, sie sind alle noch Jungfrauen?«

»Nein, das nicht. Hier und da stirbt einer der Kavaliere, oder er verlässt sie, und dann sind sie eines Tages wieder im Ballsaal zu sehen, diesmal aber mit dem aufreizenden Flair der reifen Frau.«

Bertrand dachte an Philomene. Sie war zwanzig Jahre lang die Geliebte seines Vaters gewesen, bis dieser gestorben war, und bis heute war sie eine schöne Frau. Als Monsieur Chamard verstorben war, hatte er ihr ein großzügiges Erbe vermacht, und sie hatte sich entschlossen, das Blue Ribbon nicht wieder zu betreten.

Ein Mann trat zu ihnen auf den Balkon. »Ach, hier sind Sie, Johnston«, sagte Achille. »Wir könnten jetzt spielen. Hallo, Chamard.«

»Dumont«, begrüßte Bertrand ihn. »Wie geht es Ihnen?«

»Danke, danke. Sie kennen also Johnston? Hat er Ihnen erzählt, dass er das Risiko eingehen will, sich von den reizenden Damen im Blue Ribbon bezaubern zu lassen? Ich habe die Absicht, ihm das verführerischste Mädchen im ganzen Saal vorzustellen. Wenn er erst einmal eines dieser Mädchen mit dem seidenen Kopftuch für sich entdeckt hat, wird er vielleicht doch noch ein echter Louisianer.«

Bertrand hatte Achille Dumont immer für einen schwachen Charakter gehalten, auch wenn er zugeben musste, dass der Bursche sehr amüsant sein konnte. Marguerite war immer sehr freundlich zu Achille, aber Bertrand fragte sich, ob sie nicht ein Spiel spielte, wenn sie ihn darauf angesetzt hatte, Albany mit den Schönheiten im Blue Ribbon die Zeit zu vertreiben. Vielleicht war Marguerites Lieblingsnichte wirklich nicht gewillt, Albany zu heiraten. Diesen Gedanken musste er weiterverfolgen.

Nur ein paar Straßen weiter schaute Josie auf ihrem Weg nach oben kurz bei den Kindern hinein. Pierre schnarchte leise in seinem Bett, André schlief noch mit dem Daumen im Mund. Am längsten blickte sie den kleinen Jean Baptiste an und erinnerte sich, was Grammy Tulia immer gesagt hatte: »Es gibt nichts Hübscheres als schlafende Kinder.« Jean Baptistes Wimpern lagen auf seinen Wangen, und seine winzigen perl-weißen Zähne glitzerten zwischen den rosigen Lippen. Josie hoffte, sie würde eines Tages einen kleinen Jungen haben, der so zauberhaft war wie Jean. Sie zog ihm die Decke über den Fuß, küsste ihn auf die Stirn und dachte daran, wie wunderbar es sein müsste, eine eigene Familie zu haben. Wie reich sie sich fühlen würde.

Am nächsten Tag setzte sie sich mit Tante Marguerite in den Salon. Ihre Tante war sehr aufgeregt wegen der Vorbereitungen ihres letzten Empfangs am Ende der Fastenzeit. Danach würde jedermann New Orleans verlassen haben, um die Malariazeit zu vermeiden. Marguerite hatte noch so viel zu erledigen, und nun war sie schon seit ein paar Tagen so schrecklich erkältet!

Sie nippte an ihrem heißen Tee mit Zitrone und Honig. »Ach«, krächzte sie, »du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel noch zu tun ist! Ich schufte und schufte seit Wochen und sehe immer noch nicht, wie wir bis zum Achtzehnten fertig werden sollen. Ich fürchte, du musst mir kräftig zur Seite stehen, Josephine.«

»Was soll ich tun? Ich könnte den Haushalt überwachen oder mich um die Kinder kümmern. Oder soll ich bei der Vorbereitung des Essens helfen?«

»Oh, meinst du, du könntest dich um die Küche kümmern? Ja, natürlich kannst du das«, sagte Marguerite. »Deine Großmutter führt ein altmodisches Haus, nicht wahr? Sie hat dir wahrscheinlich Kochen und Backen beigebracht, bevor du lesen konntest, und vermutlich wärst du in der Lage, das gesamte Menü selbst zuzubereiten.«

»Nein, so weit geht es natürlich nicht«, lachte Josie. »Aber ich werde mich darum kümmern, keine Frage. Um die Bestellungen, die Planung …«

»Und dann ist da die Sache mit dem Wein«, fiel ihr Marguerite ins Wort. »Mit diesem schrecklichen Husten …« Sie hustete wie zur Bestätigung. »Mit diesem schrecklichen Husten habe ich die Bestellung immer von einem auf den anderen Tag geschoben, und jetzt habe ich immer noch nichts unternommen.«

»Ich kenne einen Weinhändler«, sagte Josie. »Phanor De-Blieux.«

Marguerite hob ihre Augenbrauen. Woher kannte ihre Nichte einen Weinhändler, von dem sie nichts wusste?

»Er arbeitet für Monsieur Cherleu, und Grand-mère hält große Stücke auf ihn.«

»Ach, wirklich?«

»Ich kann ihn über Monsieur Cherleu erreichen. Grandmère hat mir geschrieben, dass er auf der Rue Dauphine wohnt, falls ich irgendwann einmal eine Begleitung nach Hause brauche.«

»Ach, wie wunderbar, du erleichterst mir wirklich das Leben, Liebes. Sei so gut und lass deinen Phanor DeBlieux sofort kommen.«

Oben in ihrem Zimmer wühlte Josie in ihrer Briefschachtel, bis sie das Empfehlungsschreiben fand, das ihre Großmutter ihr geschickt hatte. Marguerites Butler konnte Phanors Adresse bei Monsieur Cherleu erfragen und ihre Einladung überbringen. Sie rannte die Treppe hinunter, das Schreiben für Thomas in der Hand.

Während sie auf Antwort warteten, besprachen Josie und ihre Tante das Menü. Sie entschieden sich für Tournedos vom Rind, Schweinemedaillons in Weinsauce sowie gekochte und gebratene Garnelen. Rohe und gebratene Austern sollte es ebenfalls geben, schlug Josie vor. Zu dieser Jahreszeit war frisches Gemüse knapp, aber sie konnten Butterkartöffelchen und winzige Spinatpasteten mit Sahne servieren. Was das Dessert anging, so würden Crêpes mit Konfitüre, Apfeltörtchen und kandierte Zitrusfrüchte keine Wünsche offenlassen. Und für diejenigen Gäste, die bis zum Morgengrauen blieben, würde es noch eine heiße, scharfe Suppe und frisches Brot geben.

Thomas kehrte mit einem ordentlich geschriebenen Briefchen auf schwerem, crèmefarbenem Papier zurück. Phanor DeBlieux würde ihnen um vier Uhr am Nachmittag seine Aufwartung machen und eine vollständige Liste der Weine mitbringen, die er derzeit auf Lager hatte.

»Großartig«, sagte Marguerite. »Aber jetzt musst du mich entschuldigen, Josephine. Die Schneiderin kommt, um mein Kleid noch einmal anzupassen. Sehr lästig, das alles, aber man will ja, dass es richtig gemacht wird, nicht wahr?« Marguerite war schon fast zur Tür hinaus, als sie sich noch einmal umdrehte. »Und was wirst du bei dem Fest tragen?«

Josie hob die Schultern. »Dasselbe schwarze Kleid wie im Herbst, denke ich doch.«

»Mach dir keine Sorgen, Kleines. Nur noch ein paar Monate, dann kannst du die Trauerkleider in den Schrank hängen. Und dann bekommst du von mir etwas richtig schönes Farbiges geschenkt, vielleicht ein rosa Abendkleid oder, nein, ein blassgrünes, das bringt deine Augen besser zur Geltung.«

Marguerite fuhr sich mit einer Hand über ihr perfekt frisiertes Haar. »Und jetzt muss ich wirklich gehen, die Schneiderin wartet. Du sprichst mit der Köchin, damit sie den Metzger kommen lässt, nicht wahr?«

Josie warf einen schnellen Blick auf die große Uhr in der Diele. Noch zwei Stunden, bis Phanor kam. Sie eilte nach oben, um ihr Haar auszubürsten und wieder hochzustecken. Die honigfarbenen Strähnen schienen immer mehr nachzudunkeln, wenn sie die Haare nicht ständig wusch, und sie fand ihr Haar doch am schönsten, wenn es möglichst hell war, aber eine Wäsche kam jetzt nicht infrage. In drei Wochen würde sie zu Hause sein, dann konnte Cleo ihr dabei helfen.

Mit frischen Locken, gepudert und mit Rouge auf den Wangen, betrachtete sich Josie im Spiegel ihrer Tante. Zufrieden legte sie die Hände in die schmale Taille, übte ihr Lächeln mit dem Seitenblick und den Blick unter den Wimpern hervor. Der Schönheitsfleck, den sie sich links neben den Mundwinkel gemalt hatte, gefiel ihr besonders gut.

Wenn sie nicht gehörig aufpasste, würde sie noch eitel, rief sie sich zur Ordnung.

Dann ging sie zurück in den Salon, um ihren Besucher zu erwarten. Phanor würde ziemlich sicher nicht pünktlich sein, aber darauf kam es nicht an. Nur die Américains machten sich verrückt mit der Uhrzeit. Sie griff nach ihrem Häkelbeutel. Anders als beim Sticken, musste man beim Häkeln nicht unbedingt jeden Stich genau sehen.

Sie öffnete die Balkontüren und lauschte auf die Straßengeräusche. Würde Phanor an die Vordertür klopfen? In Toulouse, als er noch barfuß mit einem Korb gekommen war, hatte er sich nicht auf die Vordertreppe gewagt. Aber jetzt war er ein Händler in der Stadt, mit frisch gewichsten Stiefeln und in feines Wollzeug gekleidet. Sie beschloss, dass sie ihn lieber im Salon empfangen würde als in dem vollgestopften kleinen Zimmer, das ihre Tante als Arbeitszimmer benutzte. Und sie würde Tee bringen lassen. Oder vielleicht Kaffee. Sie hatte festgestellt, dass die meisten Männer Kaffee bevorzugten.

Nur zehn Minuten nach dem Glockenschlag der alten Uhr klopfte es an der Vordertür. Josie konnte sich nicht zurückhalten, sie eilte auf den Balkon und lehnte sich über das Geländer.

»Phanor!«, rief sie.

Er zog den Hut und verbeugte sich schwungvoll. Sie lachten sich an, als ob sie ein großes Geheimnis teilten, als ob sie sich in den feinen Kleidern nur verkleidet hätten und den anderen etwas vorspielten. In Wirklichkeit waren sie immer noch der Phanor und die Josie aus der Nacht auf dem Deich.

Thomas öffnete die große Tür, und Phanor verschwand in die Diele.

Im Salon bereitete sich Josie auf seine Ankunft vor und wartete. Als Thomas Monsieur DeBlieux ankündigte, stand sie mitten im Zimmer und reichte ihm mit großer Geste die Hand.

Phanor machte einen Kratzfuß, nahm Josies Hand und küsste sie. Es gelang ihm tatsächlich, dabei nicht zu lächeln. Sie genoss das Gefühl seiner Lippen auf ihrer Hand. »Mademoiselle«, sagte er.

Nachdem sie alle Höflichkeiten perfekt ausgetauscht hatten, gingen sie zum alten Ton über. »Du siehst wunderbar aus«, sagte er.

Josie drehte sich einmal im Kreis. »Bin ich nicht eine feine Dame geworden?«, fragte sie lachend. »Ich brauche jetzt zwei Mal so lange, um mich anzukleiden, also muss es wohl so sein.«

Dann läutete sie mit der kleinen Silberglocke nach Kaffee, und sie setzten sich in die Sonne bei der Balkontür.

»Ich hatte gehofft, dich an einem Sonntagnachmittag auf dem Jackson Square zu sehen«, begann er.

Hatte er sie damals bemerkt? Nein, sein Gesicht verriet nichts dergleichen. Sie schämte sich für die Lüge, die sie jetzt erzählen musste, und dafür, dass sie sie nötig hatte. »Es tut mir leid«, sagte sie errötend. »Ich konnte hier nicht weg, sie passen einfach zu gut auf mich auf.«

»Weißt du, dass ich auf Toulouse war?«, wechselte er das Thema. Er erzählte ihr, wie er ihre Großmutter vor drei Wochen angetroffen hatte und wie die Felder grünten.

»Hast du mitbekommen, dass Remy wieder weggelaufen ist?«, fragte sie ihn.

Phanor zögerte nur einen winzigen Augenblick. »Remy? Als ich dort war, habe ich ihn auf den Feldern arbeiten sehen. Mit einem fürchterlichen Käfig über dem Kopf.«

»Einem Käfig?«

Phanor beschrieb die Vorrichtung, die LeBrec sich ausgedacht hatte, und wie die Glöckchen bei jeder Bewegung geklingelt hatten.

»Das ist ja schrecklich! Und meine Großmutter hat das zugelassen?«

»Nach dem, was Cleo erzählte«, antwortete er, »hat sie darauf bestanden, dass LeBrec ihre Sklaven nicht durch Schläge oder irgendwelche Verstümmelungen verletzt. Und diese Geschichte war seine Antwort.«

»Arme Cleo! Sie muss ja krank vor Sorge sein.«

»Josie, ich denke, ich muss dir etwas sagen. Ich weiß, es geht mich eigentlich nichts an, aber ich glaube, du solltest das wissen.«

»Worum geht es? Wenn es um Toulouse geht, muss ich es sogar wissen.«

»Es geht um diesen neuen Aufseher, diesen LeBrec. Er ist ein grausamer Mann. Und er stellt Cleo nach.«

»Ach nein, Phanor, darum musst du dir keine Sorgen machen. Meine Großmutter würde es doch niemals zulassen, dass ein Mann eines ihrer Hausmädchen belästigt. Schon gar nicht ihre eigene … schon gar nicht Cleo.«

Phanor antwortete nicht. Er glaubte, Madame Tassins Pragmatismus besser zu kennen als Josie.

»Nun gut«, sagte er, »die Fastenzeit ist bald vorüber. Fährst du dann nach Hause?«

»Nach Ostern, heißt es, ist die Stadt wie ausgestorben.«

Josie merkte, wie er ihren Schönheitsfleck wieder anstarrte. Während sie miteinander gesprochen hatten, hatte er die ganze Zeit immer wieder dorthin geschaut und machte sie ganz nervös damit. Sie war sich nicht sicher, ob der Fleck ihm gefiel.

»Fährst du auch nach Hause?«, fragte sie.

»So bald noch nicht. Wir erwarten im Juni ein Schiff, aber vielleicht kann ich einen Besuch zu Hause machen, wenn ich die Kisten aufgenommen und mein Verzeichnis aktualisiert habe.«

»O ja, dein Verzeichnis. Wir sollten zum Geschäftlichen kommen, Phanor, wie in alten Zeiten.«

Er lächelte, zog die Liste aus seiner Tasche, und sie fuhren fort damit, das Menü und die Weine zu besprechen, die an dem großen Abend ausgeschenkt werden sollten. Champagner würde es geben, und einige Kisten weißen und roten Wein.

»Ich habe einen Chenin Blanc, der wie frische, knackige Äpfel schmeckt«, sagte Phanor. »Und dann solltet ihr natürlich einen weicheren, eher honigfarbenen halbtrockenen Wein haben.« Was den Rotwein anging, so empfahl er ihr einen Bourgeuil aus Cabernet-Franc-Trauben von der Loire.

»Hast du schon Eis bestellt?«, fragte Phanor.

»Oh, Eis! Nein, habe ich nicht, ich hoffe, es ist noch nicht zu spät.«

»Smithfield bekommt noch Ladungen von den Seen im Norden. Ich habe öfter mit ihm zu tun, weil ich zwei Restaurants beliefern muss. Soll ich mich um das Eis kümmern?«

»Ach ja, bitte.«

Er starrte schon wieder auf ihren Mundwinkel, und sie fand sein Verhalten allmählich nicht mehr schmeichelhaft. Plötzlich streckte er die Hand aus und wischte vorsichtig über den sorgfältig gemalten Schönheitsfleck.

»Was ist das?«, fragte er. Dann sah er die schwarze Paste auf seinem Daumen. »Oh.«

Josie legte den Finger auf den Fleck; sie wusste, er war ruiniert.

»Oh, das tut mir leid«, sagte er. »Ich dachte, es sei vielleicht ein Fleck … ich wusste ja nicht …«

Josie saß stocksteif da, so peinlich war ihr der Augenblick. Sie stand auf, als wollte sie die Unterredung förmlich beenden.

»Josie, sei mir nicht böse«, sagte Phanor. »Du bist immer so hübsch, ich habe doch nicht gewusst, dass das Schminke ist.«

Sie war gekränkt, enttäuscht, und doch saß dort Phanor, der gut aussehende, gewinnende Phanor, und erzählte ihr, sie sei hübsch. In ihrer Verwirrung wusste sie nicht, was sie erwidern sollte, und blieb stehen, den Kopf zur Seite gedreht.

Phanor legte den Kopf schief und beugte sich ein wenig vor, um ihr ins Gesicht zu sehen. »Ich bin untröstlich, Mademoiselle.«

Sie schaute ihn nicht an.

»Josie?«, sagte er. »Mademoiselle Josephine?« Seine Stimme sang es förmlich.

Gegen ihren Willen zog sie einen Mundwinkel hoch.

»Ich hab’s gesehen«, sagte er. »Josie lächelt wieder.«

Da schaute sie ihn an, und jetzt lächelte sie wirklich.

In dem Bewusstsein, sie überzeugt zu haben, wurde er ernst. »Vergib mir, Josie, ich bin nur ein armer Cajun-Junge vom Land, aber ich meine es tatsächlich so, wie ich gesagt habe. Du bist wirklich hübsch.«

Für einen kurzen Moment saßen sie da und sahen sich tief in die Augen. In diesem Moment hätte sie ihm alles verziehen.

Dann waren Stimmen und Schritte aus der Diele zu hören. »Das ist meine Tante Marguerite. Bleib doch noch einen Augenblick, damit sie dich kennenlernt, Phanor.« Josie rieb schnell einmal mit dem Taschentuch über den Schönheitsfleck, bevor ihre Tante den Salon betrat.

Marguerite rauschte herein, wie es ihre Gewohnheit war, und begrüßte Phanor herzlich. Mehr als herzlich, dachte Josie. Sie ließ ihre Hand einen Augenblick zu lange in Phanors liegen, und plötzlich hatte sie ganz rosige Wangen.

»Sie stammen also von Toulouse«, sagte sie.

»Ein oder zwei Meilen von der Plantage entfernt, Madame«, antwortete er.

Mit Abscheu beobachtete Josie die Verwandlung ihrer Tante von der geschäftigen Matrone in eine flirtende junge Frau. Sie musste doch schon fast dreißig sein! Josie warf einen Blick auf Phanor. Er würde ein solches Ausmaß an Aufmerksamkeit sicher grauenhaft finden.

Aber wenn er sich dabei unwohl fühlte, so verbarg er es jedenfalls sehr gut. Er zeigte sein strahlendstes Lächeln und erwiderte die flotten Bemerkungen ihrer Tante mit der Routine eines Höflings. Josie fühlte sich, als sei sie nur noch ein Schatten.

»Nun, Monsieur, ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte Marguerite. »Und ich bin außerordentlich froh, dass Sie uns bei unserem Fest zur Hand gehen können. Ich hätte nicht gewusst, wie wir die Weine ohne Ihre Hilfe hätten aussuchen sollen.«

»Keine Sorge, Madame, ich kümmere mich um alles.« Er wandte sich an Josie. »Mademoiselle Josephine«, sagte er förmlich. »Madame.« Dann verbeugte er sich vor ihnen beiden und verließ sie.

Als die Tür sich hinter ihm schloss, strahlte Marguerite Josie an. »Was für ein reizender junger Mann«, sagte sie. »So gut aussehend und gut gebaut. Diese Schultern! Und er hat Charme, doch, das muss man sagen. Der wird seinen Weg machen, dieser Monsieur DeBlieux, Cajun oder nicht.«

Josie fand die Begeisterung ihrer Tante geschmacklos. Sie sprudelte ja förmlich über! Sehr unpassend, dachte Josie. Sie stellte die Kaffeetassen auf dem Tablett zusammen und nahm ihren Häkelbeutel. »Ich gehe nach oben, Tante, ich habe André und Pierre versprochen, dass ich ihnen etwas vorlese.«

Oben fand sie die drei Jungen, Jean Baptiste, André und Pierre schon beim Abendessen. Als sie sich zu ihnen an den kleinen Tisch setzte, kletterte Jean Baptiste von seinem Stuhl, um auf ihrem Schoß zu sitzen. Dann streckte er seine Ärmchen nach dem Teller aus und stopfte sich noch etwas Brot in den Mund. Josie hielt ihn fest und kümmerte sich nicht um die Krümel, die ihr auf den Rock fielen, während die beiden älteren Jungen ihr voller Stolz erzählten, wie sie heute kleine Segelboote aus Papier und Stöckchen gebastelt hatten.

Wenn sie mit den Kindern zusammen sein konnte, ging es ihr gut. Als die Kinderfrau sagte, jetzt sei es Zeit, die Gesichter zu waschen und ins Bett zu gehen, drückte Josie Jean Baptiste fest an sich. Er legte ihr die Händchen ans Gesicht und sagte: »Jophine.« Dann gab sie André einen Gutenachtkuss. Der Älteste, Pierre, erklärte ihr: »Ich bin schon zu groß für Küsse.« Er streckte ihr feierlich die Hand hin, und sie schüttelte sie ebenso ernst.

In ihrem Zimmer gleich neben dem der Kinder hörte sie die Stimmen, als die Kinderfrau mit den dreien aufräumte und ihnen dann half, die Nachthemden anzuziehen. Wie schön das wäre, dachte sie, ein ganzes Haus voll kleiner Jungen zu haben. Und wie wunderbar es erst sein musste, wenn man ein kleines Mädchen hatte, dem man die Haare hochstecken und dem man hübsche Kleider mit bunten Bändern anziehen konnte.

Sie zündete die Öllampe an und stellte sie vor den Spiegel auf der Frisierkommode. Von ihrem Schönheitsfleck war noch ein kleiner Rest zu sehen. Sie befeuchtete ihr Taschentuch und rubbelte den Rest weg. Albern, dachte sie. Phanor hatte der Schönheitsfleck überhaupt nicht gefallen. Aber er hatte gesagt, sie sei hübsch. Sie blickte sich eine Weile im Spiegel an. Keine großartige Schönheit, das konnte sie deutlich erkennen, aber einigermaßen hübsch. Und wenn sie mit Phanor zusammen war, dann fühlte sie sich auch hübsch.

Bertrand wäre niemals so linkisch gewesen, ihr mit dem Daumen durchs Gesicht zu fahren, wie Phanor es getan hatte, aber er hätte vermutlich gedacht, dass sie eine dumme Gans war, und wäre trotzdem freundlich geblieben. Zum Glück hatte Phanor ihr das erspart.

Seit dem Augenblick, als sie Tante Marguerites Einladungsliste gelesen hatte, dachte sie nur den Abend. Bertrand würde in seinem rot gefütterten Cape erscheinen. Sie würde durchaus bemerken, dass er kam, wäre aber zu beschäftigt mit den Herren, die um sie herumstanden, sodass sie ihn nicht gleich begrüßen konnte. Er würde nach ihr suchen und sie sofort entdecken. Und sobald er eine Chance sah, würde er zu ihr kommen, und er würde staunen, wie sehr sie in den vergangenen Monaten gereift war.

»Josephine«, würde er sagen, »du bist einfach zauberhaft.«

Und sie würde ihren Fächer ein wenig bewegen und murmeln: »Merci«, und dann würde sie es fertigbringen, nur ein ganz klein wenig rot zu werden. Und er würde sich wünschen, sie wieder zu küssen, das würde sie in seinen Augen lesen.

Die Kapelle würde einen Walzer spielen, und Bertrand würde sie bitten, mit ihm zu tanzen. Sie würde ihm ihre Hand auf den Arm legen, ihre kleine Hand mit dem Spitzenhandschuh, und dann … dann wusste sie nicht mehr weiter. Die Spitze war schwarz, und wenn sie in ihrem Trauerkleid tanzte, würde es wieder Gerede geben. Und ihre Hände waren auch nicht winzig. Ihre Finger waren ziemlich lang, ebenso wie ihre Arme und Beine. Elegant, dachte sie, aber winzig, nein.

Winzig oder nicht, sie war nicht mehr das Mädchen, das Bertrand im letzten Herbst gesehen hatte. Nun hatte sie eine ganze Saison lang geübt, wie man sich in Gesellschaft bewegte, und sie fühlte sich durchaus in der Lage, mehrere Männer zu unterhalten, darunter den gut aussehenden Alphonse. Und Bertrand würde begreifen, dass sie bereit war.

Das Herz des Südens
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