DREIUNDDREISSIG

Sie steht auf dem Treppenabsatz, als warte sie auf ihre Großaufnahme.

»Wo kommst du her? Du siehst scheußlich aus. Deine Haushälterin sagt, du hättest mich vom Flughafen abholen wollen. Danach hat dich niemand mehr gesehen.«

Mona lächelt, als ob das alles immer so wäre. Flugzeuge, die man verpaßt. Verspätete Ankunft in einem fremden Haus. Die brütende Hitze eines frühen Abends. Eine Haushälterin, außer sich vor Freude. Ein Gastgeber, außer sich vor Verwirrung. Es ist mir unangenehm, daß sie mich so sieht. Verschwitzt. Ungewaschen. Verklebt.

Ich sprinte an ihr vorbei die Treppe hinauf, ohne sie zu begrüßen. Ich reiße mir die Klamotten vom Leib und dusche. Unter dem heißen Wasser spüre ich endlich Erleichterung. Der üble Geruch, den mein Zusammenbruch mit sich gebracht hat, der sinistre Nachmittag, die bizarren Gestalten, für die ich immer noch keine Erklärung habe – alles rinnt mit dem dreckigen Wasser in den Abfluß. Als ich hinunterkomme, sitzt Mona auf der Terrasse bei einem Drink. Durch die offene Küchentür beobachtet sie, wie Madame fröhlich trällernd durch die Küche tanzt.

»Du hast es gut mit dieser Haushälterin. Sie hat mich empfangen als lebte ich hier, mir ganz reizend mein Zimmer zurechtgemacht, Blumen hingestellt und gesagt, ich sollte jederzeit nach ihr rufen. Dann fragte sie, ob Madame für heute Abend einen besonderen Speisewunsch hätte. Damit meinte sie mich. Urkomisch. Wo bist du gewesen?«

»Hör zu«, sage ich, aber in dem Moment kommt Madame Eugénie aus der Küche. Sie berichtet mit einem vor Eifer und Glück strahlenden Gesicht, daß das Kaminholz gekommen sei. Sie hätte es im Keller stapeln lassen. Jetzt könnte ich weiter feuern. Mona guckt verblüfft. Sie hat keine Ahnung, was vor sich geht.

»Ich liebe offenes Feuer, seit ich ein Kind war.«

»Er scheint heimlicher Pyromane zu sein, gnädige Frau.« Madame bringt es kaum fertig, Mona und mich aus den Augen lassen. »Sie sehen blaß aus, Monsieur.« Sie steht immer noch in der Küchentür. »Ich hätte da noch eine Frage, das Essen betreffend. Könnten Sie sich bitte ganz kurz zu mir in die Küche bemühen?« Sie klingt sehr wichtig. Ich folge ihr also in die Küche.

»Es hat natürlich nichts mit dem Essen zu tun, das ist kein Problem. Ich konnte alles bekommen, was Ihre Gattin wünscht. Ich wollte Ihnen nur kurz sagen, daß ich Ihre Frau ganz reizend finde. Sie dürfen Sie nicht diesem Schwein überlassen. Sie müssen alles tun, um sie zurückzugewinnen. Ich helfe Ihnen gerne dabei. Ihre Frau scheint sehr überarbeitet zu sein. Sie muß ausspannen. Sie ist ein so zartes Geschöpf. Sie hat sich gewiß nur in etwas verrannt. Sie sollten sie nicht mehr alleine lassen, auch nicht hier in Brüssel, vielleicht läuft dieses Schwein irgendwo herum, um sie zu entführen.«

Ich nicke beflissen und lasse mich ostentativ von ihr zurück in den Garten bringen. Was für eine idiotische Idee, ihr diese Ehegeschichte aufzubinden. Aber wer hätte ahnen können, daß Mona hier auftaucht?

»Monsieur, Sie waren wie immer eine große Hilfe.«

»Seit wann kannst du kochen?«

»Kochen? Wieso?«

Wir sehen uns eine Weile etwas befremdet an. Ich suche nach Worten. Nein, nicht nach Worten. Ich suche nach einem Ausweg, Mona so schnell wie möglich wieder loszuwerden.

»Wo warst du?«

»Keine Ahnung. Ich habe mitten in der Stadt in einer hysterischen Menge das Bewußtsein verloren. David – laß uns zur Sache kommen. Was wolltest du mir über David und die Sammlung sagen? Deswegen bist du doch hier, nicht wahr?«

Wieder unterbrach uns Madame. Ich sah um Monas Mund einen ironischen Zug spielen, sie schien die Situation zu genießen.

»Sie sind in die Plantation du Meiboom geraten. Das gibt es jedes Jahr im August, Monsieur. Ich habe ein Hühnchen mit Gemüse im Ofen. Vorher gibt es Frisée mit Garnelen, danach eine Crème brulée. Ich hoffe, Sie haben sich nicht an den Buden in der Stadt schon den Bauch voll geschlagen.«

»Vielen Dank, Madame, das ist wunderbar. Wenn Sie uns dann jetzt allein lassen würden? Wir haben etwas zu besprechen.«

Madame verschwindet endlich in der Küche.

»D.D. will mich zurück.«

»Nicht nur er.«

Ich wage nicht, sie anzusehen. Was soll das heißen, nicht nur er? Ich muß ihr klarmachen, daß sie sich hier nicht einnisten kann.

»Du hast Perlensamt gesehen?«

»Das letzte Mal hast du ihn »diesen Typen« genannt.«

Ich werde feindselig. Als wollte ich – unsinnigerweise – David vor Mona schützen. Jetzt. Aber hatten David und ich uns nicht entfremdet, weil ich sie vor ihm hatte schützen wollen? Hat mich nicht sein Gerede über sie angeekelt? Und wieso ist es jetzt umgekehrt? Als sei immer derjenige der zu schützende Part, der abwesend ist. Als läge in der Abwesenheit eines anderen meine einzige Chance.

»Hey, Martini, du hast einen Gast! Hallo, was ist mit dir? Du wirkst vollkommen abwesend.«

Ich wünschte, sie würde wieder abreisen. Jetzt. Sofort. Mona steht auf und geht tiefer in den Garten hinein. Ich merke, wie die Wut in mir hochsteigt.

»Warum, verdammt, bist du mit ihm ins Bett?«

Sie dreht sich um. Ich bin nicht mehr ganz gescheit. Ich mache mich hier zum Trottel. Wie komme ich dazu, ihr eine Szene zu machen? Mona hüpft durchs Gras. Bricht in schallendes Gelächter aus. Sie hält sich den Bauch. Tränen treten ihr in die Augen. Sie rauft sich die Haare. Madame erscheint mit dem Kochlöffel auf der Terrasse. Sie fühlt sich aus ihrer seligen Verliebtheit gerissen, versteht nichts mehr, dreht sich um, schüttelt den Kopf, geht in die Küche zurück. Es dauert einige Minuten, bis Mona sich wieder gefaßt hat. Sie wischt sich die Wangen, bittet mich um ein Taschentuch.

»Ich wünschte, du könntest dich sehen, Martin Saunders, die Jungfrau von der Brighton Beach Avenue!«

»Humboldt Street«, murmle ich und merke, daß ich ruhiger werde.

»Ich mit Perlensamt ins Bett, bist du toll? Ich mit dieser verhinderten Schwuchtel? Ich bin doch keine Masochistin.«

Dann wird sie ernst.

»Ich habe die ganze Zeit versucht, dir von meinem Verdacht zu erzählen. Aber du warst so abweisend. Ich hatte keine Chance. Nie habe ich einen Menschen so verschlossen gesehen.«

»Wo möchten Sie essen, Monsieur, ist es recht, wenn ich im Speisezimmer decke?«

Mona bittet sie darum, einen Tisch mitten auf den Rasen unter die Bäume zu stellen, mit einem weißen Tischtuch und vielen Kerzen. Madame, so verknallt wie sie in Mona ist, hält das für eine ausgezeichnete Idee.

»Ich bin nach Brüssel gekommen, um dir in Ruhe zu erzählen, was ich herausgefunden habe. Hörst du mir jetzt endlich einmal zu, Martin Saunders?«

»Hast du eine Abtreibung gehabt?«

»Überhaupt je in meinem Leben oder gestern? Und wenn es so wäre, was ginge dich das an? Gehörst du zu den amerikanischen Evangelisten?«

»David sagt, du seist von ihm schwanger gewesen.«

Sie zieht hörbar die Luft ein. Madame kommt mit einem Tablett aus der Küche, auf dem zwei frische, mit Wein gefüllte Gläser stehen. Mona nimmt eines, atmet noch einmal tief durch und macht eine Geste mit dem Kopf, die heißen soll, komm endlich. Als sie spricht, ist ihre Stimme leiser als zuvor.

»Was ist mit dir los? Bist du eifersüchtig? Ich glaube es nicht! Du bist zerfressen von Eifersucht!«

Ja, ich bin eifersüchtig. Aber sie irrt. Sie meint sich. Sie meint tatsächlich, daß ich David das Verhältnis mit ihr geneidet hätte. Sie kommt nicht auf die Idee, daß es umgekehrt ist. Ich wünschte, diese verdammte Geschichte erschiene mir so absurd wie ihr.

»Du hast den Typen mit seiner Sammlung angeschleppt und alles durcheinander gebracht. Ich habe nie verstanden, was dich an dieser Mordgeschichte so bewegt hat, an David, an dieser abscheulichen Familie …«

Er hat mich glücklich gemacht. Wie sollst du das verstehen, du blöde … ich schiebe das Wort, das ich denken will, nach der ersten Silbe in meinen Hinterkopf zurück.

»Jetzt dichtest du mir zu allem Überfluß eine Affäre mit ihm an. Das ist absurd. Hör mir doch einmal zu! Ich habe versucht, einen Verdacht zu klären. Wenn ich dir alles erzählt habe, kannst du entscheiden, ob du mir glaubst oder nicht.«

Ich will ihr nicht zuhören. Ich will meine Koffer packen. Abreisen. Diese Geschichte hinter mir lassen. Für immer. Aber Mona ist gnadenlos. Sie setzt sich in einen der Korbstühle, die Madame angeschleppt hat, und beginnt zu erzählen. Mona hatte Perlensamt bereits vor dem Tod seiner Mutter hin und wieder gesehen – flüchtig auf Kunstparties und Vernissagen. Vorgestellt wurden sie einander nie. Sie kannte weder seinen Namen noch seinen Hintergrund. Sie hielt ihn für einen Exzentriker und ignorierte ihn mehr oder weniger. Er kam auch zu den Weihnachtsausstellungen. Bot sich überall an, schien immer dabei sein zu wollen. Er war beredt, schien aber niemanden zu kennen. Wirkte auf seltsame Art bemüht. Den Damen gab er Ratschläge, was sie ersteigern sollten. Er scheute auch nicht davor zurück, Experten zu belehren, bot seine Erfahrung auf verschiedenen Gebieten an. Er verstand tatsächlich etwas von Diamanten, von alten Lackarbeiten, Emaille und Cloisonné. Vor allem aber verstand er etwas von der Malerei des 19. Jahrhunderts und der klassischen Moderne.

Mona beobachtete ein immer gleiches Spiel. Perlensamt knüpfte einen Kontakt, gab einen Ratschlag, sein Gesprächspartner schien begeistert. Dann plötzlich wirkte sein Gegenüber enerviert. Man versuchte ihn loszuwerden. Mich schmerzt jedes ihrer Worte. Ich will gar nicht wissen, warum. Kurz denke ich, daß es ein Fehler war, auf Monas Bitte, hier her zu kommen, einzugehen. Dann lasse ich den Gedanken fallen. Ich werde meine Koffer wieder packen. Untertauchen. Mona redet weiter, ohne zu realisieren, was mich beschäftigt. Plötzlich war David verschwunden. Das war kurz vor dem Tod seiner Mutter. Niemand vermißte ihn. Mona am wenigsten. Sie hatte kein Faible für Exzentriker, nie gehabt. Als ich ihn im Zusammenhang mit dem Courbet erneut anschleppte, war sie zunächst nur unangenehm berührt, noch nicht nervös. Sie hielt sich zurück. Sie fürchtete, sie sei befangen, da sie David nicht mochte. Schließlich war sie darüber verärgert, wie ich von David schwärmte, von seinen Ideen, seiner Lebendigkeit, seinem Unternehmungsgeist. Ich hätte so getan, als hätte ich noch nie im Leben einen Freund gehabt und nun endlich in Perlensamt einen gefunden. Mona sah in Perlensamt meine fixe Idee, einen Rausch, in dem ich verschwand, ähnlich wie ich früher in der Familiengeschichte der Camondos verschwunden war. So wie David und ich miteinander umgegangen waren, täglich unzertrennlich und vertraut, hätte man meinen können, wir wären ineinander verliebt. Sie wußte, daß ich nicht schwul war. Aber für eine andere Erklärung fehlte ihr die Phantasie.

»Aber David gegenüber hast du erklärt, du hieltest mich für schwul.«

Ich lächle. Es bereitet mir Genugtuung, das zu sagen. Ich fühle, wie ich an Boden gewinne.

»Das ist doch kompletter Schwachsinn. Wer auch immer das behauptet hat, lügt.«

Monas Interesse hatte ausschließlich dem Courbet gegolten. Perlensamts Party kam gerade recht. Aber dann: kahle Wände. Was sollte das? Sie hatte immer den Eindruck gehabt, daß Perlensamt eine Rolle spielte, aber sie wußte nie, welche und zu welchem Zweck. Als Perlensamt nach dem Selbstmord seines Vaters zusammenbrach, sah Mona eine weitere Gelegenheit, ihren wachsenden Verdacht zu überprüfen. Dann hatte sie in der Fasanenstraße Perlensamts Jeu de Paume entdeckt – und natürlich die Rückseiten der Bilder geprüft. Sie hatte nach einer Liste gesucht, aber nichts finden können. Keine schriftlichen Unterlagen. Sie war, wie ich, zunächst überzeugt, daß es sich um eine Sammlung von Raubkunst handelte. Aber als David ihr offenbarte, der Enkel von Abetz zu sein, vermutete sie plötzlich einen anderen Hintergrund.

»Warum?«

»Intuition? Ich hatte immer den Eindruck gehabt, daß David um Aufmerksamkeit buhlte. Aber es dauerte ein bißchen, bis ich einen Zusammenhang herstellen konnte zwischen seinem Geltungsbedürfnis und diesen Bildern. Es liegt nicht gerade nahe. Aber er ist mit dieser perversen Idee nicht allein.«

Sie grinst. Ich verstehe überhaupt nichts mehr. In einer Nacht, als David schon schlief, stöberte Mona wieder in dem Depot. Sie entdeckte in einer Ecke ein Bild, das sie vorher übersehen hatte, einen alten Meister. 16. Jahrhundert, flämische Schule, Blumen in einer Vase, ungefähr 25x30 Zentimeter, schwarz gerahmt. Es war ein halbwegs bekannter Maler, keiner der ganz großen Namen. Aber Mona kannte es. Vor Jahren hatten sie es einmal bei Nobble ausgestellt. Es war in Paris durch die Versteigerung gegangen. Sie nahm es in die Hand und stutzte. Das Bild, das sie kannte, war auf Holz gemalt. Das, was sie in der Hand hielt, stand auf Leinwand. Sie nahm es mit und legte es ihrer Freundin Katja vor, einer Kunsthistorikerin, die auf der Museumsinsel arbeitete und spezialisiert war auf dieses Gebiet.

»Dann war das also das Bild, das Frau Arno meinte.«

»Frau Arno?«

»Sie sagte, du hättest ein Bild mitgenommen. Sie hatte nicht den Eindruck, daß Perlensamt es dir freiwillig überlassen hätte.«

»Spionin. Sie konnte mich nicht leiden.« Mona lächelt triumphierend. »Ich sie auch nicht.«

Katja hatte sich gewundert. Das Bild war außergewöhnlich gut gemalt. Die Leinwand war alt, so daß man es auf den ersten Blick für ein altes Bild hätte halten können. Da war jemand am Werk gewesen, der seine Sache verstand. Aber die Farben waren kaum älter als ein paar Jahre. Das Bild war eine Fälschung. Am liebsten wäre Mona mit ihrer Entdeckung direkt zu mir gelaufen. Aber sie konnte nicht einschätzen, wie ich zu David stand, einmal für ihn, einmal gegen ihn, ihr gegenüber unzugänglich. Wie recht sie hat. Am nächsten Tag ging sie wieder zu Perlensamt, kaufte für ihn ein, kochte, aß mit ihm. Bevor sie ging, steckte sie eine Zeichnung aus dem Planschrank ein. Auch diese brachte sie zu Katja. Das Ergebnis war das gleiche.

»Meinst du, daß es alles Fälschungen sind?«

»Ich konnte schließlich nicht alle Bilder zu Katja schleppen – und von den rückseitig markierten war keines so klein, daß es in eine Tasche gepaßt hätte.«

Einige Tage später eröffnete ihr Perlensamt, er wolle mit der Sammlung an die Öffentlichkeit gehen. Aber es war nicht so, wie Mona angenommen hatte. Perlensamt plante nicht etwa eine einfache Veröffentlichung der Bilder, damit mögliche enteignete Besitzer oder Nachkommen sich melden konnten. Mona sollte D.D. Miles überreden, die Bilder zur Auktion zu bringen.

»Er hatte jeden Bezug zur Realität verloren. Er hat einfach herumgesponnen.«

Plötzlich hatte Mona den Eindruck gehabt, sich übernommen zu haben. Sie sah unabsehbare Folgen, die vielleicht nicht nur ihrem, sondern auch dem Ruf der Firma schaden könnten. Als sie an einem der nächsten Tage, genau wie ich, David im Fernsehen sah, war sie wie gelähmt. Das war der Zustand, in dem ich sie angetroffen hatte. Ich hatte sie aufgerüttelt, wieder auf die Füße gebracht. Aber als sie dachte, nun endlich mit mir reden zu können, stürmte ich plötzlich davon. Wieder hatte sie keine Möglichkeit gehabt, mich einzuweihen. Schließlich, als sie sich von ihrem privaten Albtraum erholt hatte, hatte sie Perlensamt mit Max von Heiseler gesehen.

»Max von Heiseler?«

»Max von Heiseler!«

»Wer ist das?«

Ich hatte nie von ihm gehört.

»Kaum älter als Mitte zwanzig, schwarzhaarig, schlaksig, ziemlich attraktiv, wenn man diesen androgynen Typus mag. Auffallend gut gekleidet. Bewegt sich wie ein Tänzer. Auf den ersten Blick ist sein Gang das Bemerkenswerteste an ihm. Ich habe noch nie jemanden so sicher schweben sehen. Als ginge Jesus übers Wasser.«

Mona vermutet, daß er Balte ist, aber der Name kann auch aus der Luft gegriffen sein. Es heißt, er sei ein guter Geschäftsmann, obwohl niemand gern mit ihm Geschäfte macht – außer den Russen vielleicht. Ein dubioser Typ. Er handelt mit Kunst. Abgesehen davon kann er auch alles andere besorgen: Diamanten, Eintrittskarten für ausverkaufte Konzerte und Kaviar.

»Wie bist du eigentlich an dieses Haus gekommen? Es ist lustig mit der langen Treppe und den vielen schmalen Räumen.«

Ich habe David also mit diesem Max gesehen. Ein Gefühl, daß ich noch nie benennen konnte und auch nicht benennen will, kriecht in mir hoch und droht, mir die Luft abzudrücken.

»Martini, ist was mit dir?«

»Was? Ach so, erinnerst du dich an Kaspar de Lac? An diese Einladung im Winter, als draußen gegrillt wurde? Ein Amtskollege von ihm wohnte vorher hier. Er mußte nach Berlin zurück. Das brachte mich auf die Idee mit Brüssel. Purer Zufall.«

»Wie alles, nicht wahr? Wie deine Begegnung mit Perlensamt auch. Du hast nicht einmal erwogen, daß er dich gut gebrauchen konnte?«

In der Zeit, als Mona ihn betreute, hatte David beiläufig einen Ort auf dem Land erwähnt, ein Haus in einer ehemaligen Klosteranlage bei Halberstadt.

»Scheint sich mit David und seinen Machenschaften zu verhalten wie mit dem berühmten Diamanten, der im Kronleuchter hängt. Man hat die Lösung vor der Nase, und gerade deswegen sieht man sie nicht. Was, wenn er gar nichts verbergen, sondern, im Gegenteil, etwas zeigen wollte?«

»Du hast recht. Er wollte, daß ich ihn aufs Land begleite.«

Mona ignorierte seinen Wunsch. Sie zog es vor, sich selbst auf den Weg zu machen. Sie wollte nicht sein Spiel spielen. Das Internet hatte nur zwei Klöster in der Nähe von Halberstadt ausgespuckt, eines wurde noch bewirtschaftet, das andere lag brach. Mona begann mit dem zweiten, dem ehemaligen Gehöft einer Benediktiner Abtei. Bis auf ein kitschig anmutendes sogenanntes Schloß aus dem 19. Jahrhundert und ein verwahrlostes Gebäude, das wohl die ehemalige Verwaltung darstellte, war die Anlage eine Ruine. Mona parkte ihren Wagen vor dem heruntergekommenen Haus. Licht brannte im Parterre, aber die Fensterbrüstungen waren zu hoch angesetzt, um den Blick ins Innere freizugeben. Ungepflegte Wiese davor, Unkraut, Mülltonnen, keine Gartenanlage. Die große Eichentür gab nach, als Mona den mächtigen Klopfer bedienen wollte. Dann stand sie in einem Treppenhaus. Eine junge Frau im Blaumann kam ihr entgegen. Mona stellte sich vor und sagte, sie wolle zu David Perlensamt. Die junge Frau führte sie in einen großen Raum, der aussah wie eine Malerwerkstatt aus einem früheren Jahrhundert. Einige Abbildungen französischer Realisten, Impressionisten, aber auch ein Braque und zwei Derains waren an die rohen Wände geheftet. Überall standen Keilrahmen und Leinwände unterschiedlicher Größen herum. Auf einer Staffelei stand Courbets Bild vom Meer.

Davids freundliche Assistentin hieß Katharina Falk. Sie war Studentin an der Berliner Akademie. Sie kümmerte sich um die Vorarbeiten. Aufspannen, Grundieren usw.

»Da also waren wir: David hatte eine außerordentliche Technik entwickelt, sich lange damit beschäftigt, was man zusammenpanschen muß, damit Kopien aussehen wie Originale. Seine Assistentin schwärmte von ihm. Er sei ein ausgezeichneter Maler. Sie hätte so viel von ihm gelernt. Er hätte selbst eine Sammlung von seinem Großvater geerbt. Das hätte ihn auf die Idee gebracht, zu kopieren.«

Katharina Falk hatte also von Kopien gesprochen, nicht von Fälschungen. Sie hatte gedacht, was sie täte, sei vollkommen legal. Sie hatte keinen Schimmer davon, daß die Sache mit der ererbten Sammlung eine Lüge war.

»Und wann haben sie damit angefangen?«

»Sie sagte, kurz nach der Wende. Courbets Bild vom Meer war der Anfang.«

»Er wird niemals aufgeben, nicht wahr? Es ist egal, was die Zeitungen über ihn schreiben werden. Hauptsache, er steht in der Öffentlichkeit.«

Mir ist elend. Der Gedanke, David nie mehr wiederzusehen, ist mir gräßlich. Als wir uns zuprosten, weiß ich, daß ich auf D.D.s Vorschlag eingehen werde. Ich kehre zurück nach New York. Ich lasse mich wieder treiben.

»Martin, du bist schon wieder geistesabwesend.«

Ich sehe sie an. Ich versuche zu lächeln und merke, wie sich mein Kiefer verkrampft.

»Kehrst du nach Berlin zurück, wie D.D. Miles es vorschlägt?«

»Er schlägt nicht Berlin vor. Er sagte New York.«

Einen Augenblick lang ist sie stumm.

»Ach so.« Es klingt kleinlaut. Sekunden später hat sie sich wieder gefaßt. »Wann?«

»Bald.«

»Ist es nicht verblüffend, in diesem Job zu arbeiten und noch nie in New York gewesen zu sein? In Hongkong, in L.A., in Dubai, in jeder europäischen Großstadt sowieso – aber nie in New York? Ich würde gern mal die Zentrale sehen – und für ein paar Tage die Stadt erkunden. Im Indian Summer.«

Ich erwidere nichts darauf. Madame kommt mit der Vorspeise aus der Küche. Sie scheint hochzufrieden über das wiedervereinte Ehepaar.