SIEBEN

»Monsieur, was machen Sie denn da? Der Rauch kommt ja bis nach oben in den dritten Stock! Wollen Sie uns ersticken?«

Madame Eugénie steht im Nachthemd vor mir. Sie sieht aus wie ein Gespenst, Verkündigung eines anderen Jahrhunderts, das typisch belgisch gewesen sein muß. Ich habe so einen Aufzug noch nie zuvor gesehen. Aus einer riesigen Halskrause guckt oben nur ihr wirr gelockter Kopf heraus. Ihre üppige Figur ist unter dem Faltenwurf der wallenden Menge weißen Stoffs nicht einmal zu erahnen. Ohne auf eine Erklärung zu warten, hantiert sie seitlich des Kamins, zieht ein langes Ding aus der Wand, eine Art Schlegel, hustet, als hätte sie sich eine Vergiftung zugezogen und versucht, den Rauch von sich zu fächeln. Dann läuft sie zur Gartentür und reißt sie auf. Nachtkühle dringt herein. Der Rauch zieht in Schwaden hinaus. An diesem Abend, der nahtlos zur Nacht geworden ist, lerne ich, wie man einen belgischen Kamin bedient und daß die europäischen Kamine sogenannte Luftschleusen haben, die man öffnen muß, damit der Schornstein richtig zieht.

»Das wäre bald die letzte Nacht unseres Lebens geworden! Sie haben offenbar wenig Erfahrung mit Kaminen. Wenn Sie soviel Papierzeug verbrennen, müssen Sie den Zug weit öffnen. Papier verursacht viel Rauch.«

Sie bietet mir einen Kräutertee an, der mich angeblich wunderbar einschlafen läßt, und rät mir dringend, ins Bett zu gehen. Ich gehe statt dessen in den Garten. Die Luft riecht feucht. Die Bäume stechen schwarz von dem dunkelblauen Himmel ab. Man kann die Stadt nur erahnen. Ich ziehe die Schuhe aus und wate durch das nasse Gras. Mit dem Haus habe ich einen Glücksgriff getan. Mitten in der Stadt ländliche Geräusche, Vogelgesang, Blätterrauschen. Ich konnte den Frieden gar nicht fassen, als ich am Fuße des Hügels stand und die Reihen typisch belgischer Stadthäuser links und rechts der ansteigenden Straße sah. Aber der Genuß, Berlin und der düsteren Geschichte entkommen zu sein, währte nur kurz. Seit ich Perlensamt kenne, habe ich den verdammten Eindruck, daß hinter jeder Sache noch eine andere steckt.

Wie habe ich David nach unserer ersten Begegnung beurteilt? Die Erinnerung täuscht. Sie ist gerade dann unzuverlässig, wenn sie gegen die Gegenwart antreten muß. Ich kann David inzwischen aus der Nähe nicht mehr ertragen. Aber vor einem Jahr war das anders. Seine Widersprüchlichkeit faszinierte mich. Allein die Wohnung der Perlensamts! Ich entdeckte neben den wertvollen Bildern und Teppichen zunehmend Kitsch, seelenlose Imitate oder Kopien wie die einer Vase aus der Ming-Dynastie und einen Lüster aus falschem Murano-Glas. Es gab Polstermöbel, deren bedruckter Polyesterbezug Seidenbrokat imitierte. Das Seltsamste aber waren die Drucke: Dali, Matisse, Chagall! Tausendfach reproduziertes, schlecht bedrucktes Papier in einem Haus mit einer solchen Sammlung! Ich sprach David darauf an.

»Vielleicht ein Geschenk einer Schwester meiner Mutter. Mutter wies nie ein Geschenk ihrer Schwestern zurück. Sie liebten sich sehr und besuchten sich oft. Eine von ihnen, Eliza, ist mit einem Diplomaten verheiratet. Sie leben zur Zeit in Johannisburg. Die andere lebt in der Nähe von München.«

Bei meinem nächsten Besuch waren die Drucke verschwunden. Als ich ihn auf die Imitate antiker Objekte hinwies, zuckte David nur mit den Achseln.

»Kommt das nicht in den besten Familien vor? Weißt du, meine Mutter war sehr unbefangen damit. Sie war lebenslustig, pragmatisch, direkt. Wenn sie das Imitat einer Ming-Vase sah und eine echte gerade nicht zu bekommen war, dann wurde eben die Kopie angeschafft. Mein Vater, der sensibler ist, wagte nie, meiner Mutter etwas abzuschlagen. Vielleicht störte ihn das Gemisch aus Original und Fälschung. Aber er liebte seine Frau mehr als den reinen Stil.«

Als ich ihn erneut besuchte, war die Ming-Vase verschwunden. Ich unterließ fortan die Fragerei. Statt David mit dem Geschmack seiner Eltern zu quälen, ging ich mit ihm ins Museum. Dann kam er auf eine Idee, die mir zuerst unangenehm war. Er wollte mit mir einkaufen gehen. Schuhe, Klamotten, alles mögliche. Ich fand das weibisch, wäre von selbst nie darauf gekommen. Ich mache so etwas immer allein. Aber David wollte es unbedingt, also gab ich schließlich nach, um ihm eine Freude zu machen. Wie alles, was man mit David unternahm, waren auch diese Nachmittage Inszenierungen besonderer Art. David hatte einen exzentrischen Geschmack, und oft genug glichen diese Shoppingtouren Schnitzeljagden durch die gerade erst entstehende Modeszene der Stadt, mehr underground, wie mir manchmal schien, als über der Erde. Dabei bewies er ein ausgeprägtes Gespür für Stoffe und Farben und, ganz anders als bei den Imitationen in seinem Elternhaus, einen Sinn für Qualität. Ich neige zu konservativer Kleidung, aus reiner Unsicherheit. Blauweißgestreiftes Hemd, gestreifte Krawatte, graue Flanellhosen, Blazer, Schnallenschuhe. Khakihosen nach Büroschluß. David war da ganz anders. Verspielt. Sein gutes Aussehen kam ihm natürlich entgegen. Eigentlich sah er in jedem Fetzen gut aus. Und nachdem wir ein paar Mal zusammen unterwegs gewesen waren, fing es an, mir richtig Spaß zu machen. Der komische Beigeschmack, der anfangs mit diesen Ausflügen verbunden war, verschwand. David feixte, alberte und brillierte bei den Verkäuferinnen mit seinem schnippischen Humor. Wir verließen die Läden triumphierend mit unseren Tüten und hinterließen durchpflügtes Terrain, wie ein ganzer Hühnerhof es nicht gründlicher hätte durchscharren können. Heute kommt mir das unbegreiflich vor. Peinlich? Nein, das nicht. Merkwürdig eher. Übermütig und mehr als das. Ausgelassen und nur auf uns selbst bedacht. Als seien wir auf Drogen gewesen.

Und dann, an einem Samstagmorgen, hatten wir ein seltsames Erlebnis in Davids Lieblingsladen auf der Friedrichstraße. Wir waren zwischen den Kleiderständern verschiedener Designer herumgelaufen, hatten uns einige Teile geschnappt und suchten eine Kabine zum Anprobieren. Dabei verliefen wir uns in den Gängen hinter den Verkaufsräumen und standen plötzlich vor einer halb geöffneten Tür, Licht dahinter. Ich dachte zu Recht, daß wir endlich eine Umkleidekabine gefunden hätten. Und dann stand da dieses – Paar. Zwei nackte Oberkörper. Einer mit dem Rücken zu uns. Beide gleich groß. Eng umschlungen. Sie küßten sich. Ich war derjenige gewesen, der die Tür aufgestoßen hatte. Aber dann war ich so verblüfft, daß ich nicht einmal um Entschuldigung bat. Die beiden Männer lösten sich aus der Umarmung. In dem Augenblick, als sie sich umsahen, spürte ich Davids Hand in meinem Rücken. Sein Atem schlug in meinen Nacken, bevor er sprach.

»Verzeihen Sie, wir haben eine freie Kabine gesucht.«

Dann legte er seine andere Hand auf meine, die immer noch auf der Klinke lag, und zog die Tür wieder zu.

Wir standen da und rührten uns nicht. Ich konnte kaum schlucken. Ich dachte, ich muß mich bewegen, muß gehen, muß irgend etwas sagen, mein Gott, es war eine so absurde Situation! Aber ich konnte mich nicht bewegen. David sah mich an. Forschend? Amüsiert?

»Wir haben sie überrascht«, flüsterte er und lächelte.

Ich antwortete nicht. Mein Kopf war leer, aufgebläht von einem Gedankenloch, als sei ich aus der Zeit gefallen. Meine Schläfen pochten. Da spürte ich seine Hand an meinem Hinterkopf, ein fester Griff. Diese Hand, mit der er sich immer die Haare nach hinten strich, zog mich zu sich heran, ganz dicht vor sein Gesicht. Ich wehrte mich nicht. Ich ließ es einfach geschehen, wartete, was weiter passieren würde, immer noch mit klopfenden Schläfen, atemlos.

»Martin, was ist mit dir? Wir brauchen eine Kabine, um das Zeug anzuprobieren.«

Er drehte sich um, klopfte an die nächste Kabinentür, und als niemand antwortete, öffnete er sie und machte eine auffordernde Kopfbewegung.

»Kommst du jetzt, oder sollen wir das Zeug einfach so zu den Ständern zurücktragen?«

Sein Lächeln wurde breiter. Zwinkerte er mit einem Auge? Mein Hals war trocken. Mein Hemd, so meinte ich, naß bis auf die Haut. Dann hörte ich David aus der Kabine plappern. Er probierte die Hemden an, eine Jeans, einen Pulli und wollte, daß ich mir das ansehe. Schließlich kam er heraus.

»Ist dir nicht gut? Du siehst blaß aus. Ich nehme diese beiden Hemden hier. Dann muß ich unbedingt etwas essen. Hast du keinen Hunger?«

Wir gingen in eine nahe gelegene Brasserie. David kannte den Empfangschef und plauderte mit ihm, stellte mich vor mit das ist mein Freund Martin Saunders, und wir bekamen einen Tisch in der Mitte, obwohl wir nicht vorbestellt hatten. Als wir saßen, strahlte er mich an.

»Was für ein wunderbarer Nachmittag. Bloß die Jeans saßen nicht, da müssen wir nächsten Samstag noch einmal hin – oder hast du vorher Zeit? Ich finde …«

Fast hatte ich den Eindruck, als hätte ich mir das, was kurze Zeit zuvor geschehen war, nur eingebildet. Als die Klamottenfrage erledigt war, erzählte David von seiner Schauspielausbildung, von Kollegen, mit denen er zusammen studiert hatte, von den Stücken und seinen Lieblingsrollen. Erst als er auf New York zu sprechen kam, gelang es mir, die eine oder andere Bemerkung über die Stadt zu machen, aus der ich kam. Die lange Geschichte des Courbet, des Bildes, das »der Anfang war«, erzählte David aber auch dieses Mal nicht.

Als ich am späten Abend nach Hause kam, fühlte ich mich erschöpft, als sei ich Kilometer marschiert. Der Tag lag wie eine Groteske hinter mir, und ich konnte mir meine Verwirrung nicht erklären. Ich kann mich nicht erinnern, daß je ein anderer Mensch bei mir so heftige Reaktionen ausgelöst hatte – weder vor meiner Bekanntschaft mit David noch danach.

Er war höflich und sehr zuvorkommend Frauen gegenüber. Manchmal war er ausnehmend charmant. Henriette machte er Komplimente, wenn er auf einen Sprung in die Firma kam. Mona brachte er sogar Blumen mit. Er hätte gut bei Frauen ankommen müssen. Merkwürdigerweise schien ihn das gar nicht zu interessieren. Auch schien er Frauen trotz seines Charmes nicht anzuziehen. Mona stieß er sogar ab. Hätte es diese häufigen Streits um Perlensamt zwischen uns nicht gegeben, hätte ich jetzt kaum einen Anhaltspunkt dafür, wie ich ihn damals sah.

»Was findest du bloß an ihm?«

Ich weigerte mich, diese Frage zu beantworten, jedenfalls ihr gegenüber und laut. Ich war während des Studiums hier und da mit Kommilitonen etwas trinken gegangen, und natürlich sprach ich von ihnen als Freunde. Aber die meisten Zeit meines Lebens war ich allein gewesen. Männer sind da anders als Frauen. Sie brauchen nicht diese permanente Gluckerei, dieses Nasenzusammenstecken und Haste-nicht-gehört. Ich hatte mir nie Gedanken um mein Alleinsein gemacht. Nie etwas vermißt. Erst David hatte mich darauf gebracht, daß man auch gemeinsam etwas unternehmen konnte. Er schien geradezu besessen davon. Aber David war schnell und von vielem besessen. Er hatte immense Energie und schleifte mich mit. Vermutlich dachte ich von ihm inzwischen als Freund, da es mir unangenehm war, wie Mona über ihn herzog. Aber ich verteidigte ihn nicht.

»Er ist so exaltiert. So exzentrisch, und dabei hat er etwas Unheimliches, als hätte er jemandem seinen Schatten geklaut. Etwas stimmt mit dem Typen nicht. Vielleicht rennst du ihm deswegen hinterher. Er ist undurchsichtig. Für Martin Saunders’ Liebe zum Geheimnis eine echte Herausforderung. Paß auf, daß du dir an dem nicht die Flügel versengst.«

Zu dieser Zeit arbeiteten Mona und ich gut zusammen. Wir gingen uns noch nicht aus dem Weg. Abgesehen davon lagen mir Vertrautheiten nicht. Wenn ich den Eindruck hatte, auf eine Frau anziehend zu wirken, versuchte ich, die Spannung aus der Situation zu nehmen. Vielleicht mochte ich Mona, weil sie nie auf die Idee kam, sich in mein Privatleben zu bohren. Wir waren beide meist guter Laune, von meinen gelegentlichen Stimmungsschüben einmal abgesehen, vermutlich ein Stoffwechselproblem, das ich gelegentlich überprüfen lassen muß. Mona und ich waren uns in unseren Vorlieben und Abneigungen ähnlich. Mit Ausnahme von David.

Der Sommer ging zu Ende, und ich hatte die Recherche um den Courbet mit Absicht aus den Augen verloren, da das Monas Angelegenheit war. Ich hatte ihr von Davids Bild erzählt, dem verblüffenden Umstand, daß allein in Berlin mehrere dieser Bilder zu Hause waren, aber ob es da einen Zusammenhang gab, mußte sie selbst überprüfen. Ich war mit meinem Schmuck beschäftigt.

Auf meinem Schreibtisch türmte sich das übliche Zeug, ausgedruckte Mails, Fotos von angebotenen Juwelen, aufgeschlagene Bücher, dazwischen eine Notiz von Mona: Bin nach einem Auswärtstermin mit A. in der Viktoria Bar. Bis morgen, M.

Nachdem ich die Legenden für den nächsten Katalog zusammengetragen hatte, fragte ich die Mails des Nachmittags ab. In dem Augenblick, als der Piepton erklang, ging die Tür auf. Mona stand im Rahmen.

»Was Neues?«

»Nicht mit A. in der Viktoria Bar?«

»… war schon abgereist, zurück nach Chicago.«

»Wahrscheinlich hast du ihn nicht gut behandelt. Männer sind auch Säugetiere.«

»Das sagst du so. Ich habe nie einen Mann ein lebendes Junges zur Welt bringen sehen. Es war übrigens eine Frau.«

»Zumindest haben sie ein Gesicht. Seit wann machst du’s mit Frauen? Ich dachte, du bist auf Ehe und Kinder aus.«

»Ich mache es mit niemandem. Ich suche ausschließlich reizende Gesellschaft. Wenn ich genug davon habe, bereite ich mich auf mein Noviziat vor. Ich finde den Gedanken an Ehe ekelhaft. Es ist nicht normal.«

»Bitte?«

»Ich sagte, es ist nicht normal.«

»Ja, das habe ich verstanden, aber …«

»Nimm es hin. Was Neues? hatte ich gefragt.«

Ich hatte Mona keine Details von den Treffen mit David erzählt. Sie hatte mich nicht auf dem Laufenden gehalten, was die Recherche zum Courbet betraf, aber ich nahm an, daß sie längst damit fertig sei. Nun stellte sich heraus, daß sie alles verschleppt hatte.

»Ich habe Antwort von CP, du weißt – der Kurator aus New York.«

»Du bist immer noch mit dem Courbet beschäftigt? Warst du denn jetzt endlich bei dem Kunden?«

»CP bestätigt, was ich im Werkverzeichnis der letzten Courbet-Ausstellung gefunden hatte.«

Laut CP gab es sieben Versionen des Bildes. Alle firmierten unter beiden Titeln La Vague und La Mer orageuse. Ein Bild hing in Paris in der ständigen Ausstellung am Quai d’Orsay, zwei lagerten dort im Magazin. Eines mit leicht geändertem Ausschnitt in anderer Größe gehörte dem Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt am Main (ohne Angabe von Herkunft und Ankaufsdatum). Ein fünftes war in einer Privatsammlung in Chicago verzeichnet, ein weiteres in Zürich. Beide Eigentümer wollten namentlich nicht genannt werden. Schließlich hatte eine Version des Bildes zu einer Kollektion gehört, die sich ursprünglich in Paris befunden hatte und sich nach dem Zweiten Weltkrieg in alle Winde zerstreute. Diese Version der Welle war nie wieder aufgetaucht.

»Aber wieso sollte unser Bild vom Meer aus dieser Sammlung sein? Wer sagt dir, daß es nicht noch weitere Versionen gibt?«

»Niemand. Das ist es ja. Das, was wir hier machen, ist ein Ausschlußverfahren. Mehr nicht.«

Sie hatte unser gesagt, als wäre der Courbet unsere gemeinsame Sache. Auf den ersten Eindruck hätte man meinen können, sie spräche von ihrer Familie. Von Henriette wußte ich, daß Mona ihre Familie über alles liebte. Sie kümmerte sich um die Ausbildung ihrer fünf jüngeren Geschwister und schickte immer wieder Geld nach Hause. Mona gab sich manchmal kapriziös, aber das war nur Theater. Tatsächlich kannte sie weder Berührungsangst, noch nahm sie sich wichtig. Sie war weit entfernt von jenen Frauen, die sich als Prinzessinnen gerieren. Ihre kleinen frivolen Gesten dienten, glaube ich, nur der Ablenkung von ihrer tiefen Überzeugung.

»Ich denke, um das Thema endlich abzuschließen, solltest du das Original persönlich inspizieren. Wenn dann immer noch etwas unklar ist, muß man weitersehen.«

Was ich vorschlug, schien sie nicht zu überzeugen. Ihr Kopf wiegte sich zur Seite, wie manche Vögel es tun, die sich plötzlich beobachtet fühlen. Ich fragte mich, warum sie sich so gegen diese Aufgabe wehrte. Und ließ die Frage gleich wieder fallen. Mona war nicht hilflos, allenfalls unangenehm berührt. Sie haßte das Thema, das ihr so am Herzen lag. Das war die Kehrseite ihrer deutschen Moral. Das arme Kind mußte hart dafür schuften, gut zu sein. Es war ihr anzusehen, daß sie sich redlich bemühte – anders als ich. Sie schluckte etwas herunter, was sich hinauf drängen wollte. Wie sie so dastand in ihrem ärmellosen flauschigen Pulloverchen und den Samthosen – so schmal und zierlich, daß die Hüftknochen sich im Flor des Samtes abzeichneten wie kleine Hügel in einer weichen Landschaft –, hätte man meinen können, der Luftzug, der durch das Fenster von der Straße kam, trage sie gleich davon.

»Ich kann diesen aufgeblasenen Perlensamt nicht ausstehen. Ich begreife nicht, wie du so blind sein kannst.«

»Was hat David denn damit zu tun?«

»Meinst du nicht, daß er der Anbieter des Courbet ist, der sich hinter dem Vermittler versteckt?«

»Keine Ahnung. Ich habe ihn nicht danach gefragt. Das ist dein Job. Ich habe dir nur gesagt, was ich gesehen habe. Ich dachte, du seist an diesen neuen Entwicklungen interessiert. Wie war das mit der Wahlverwandtschaft? Da werden aus Tätern Juden … Hilf mir, ich krieg’s nicht mehr zusammen.«

Sie antwortete nicht.

»Was ist mir dir? Hast du die Sprache verloren?«

»Du – du hast dich total verändert, seit du diesen Perlensamt kennst.«

Auf einmal traten Tränen in ihre Augen. Sie drehte sich auf dem Absatz um. Ich hörte, daß sie zur Toilette ging. Einige Minuten später war sie wieder da. Ohne Tränen. Immer noch stumm.

»Okay, laß uns ausnahmsweise tauschen. Muß Henriette ja nicht mitkriegen. Du übernimmst meine Schmucksache aus Wien, Albertina, da kannst du mit deiner Freundin Hatty von Papsburg quatschen, und ich kümmere mich um den Courbet. Hast du Namen und Adresse?«

Sie nickte. »Von der Mittelsperson. Der Anbieter will, wie gesagt, nicht genannt werden.«

»Mir scheint, im Zusammenhang mit Courbet will überhaupt niemand mehr genannt werden. Wir sollten den Leuten Nummern geben wie die Schweizer ihren Konten.«

Mona legte die Daten vor mich hin und setzte sich wieder.

»Harriett ist nicht meine Freundin, sie ist Henriettes Cousine«, sagte sie leise.

»Hätte ich mir denken können, wo sie doch die gleichen Nasen, die gleichen Handtaschen und fast die gleichen Namen haben.«

»Trotzdem danke, Martini. Es überkommt mich manchmal. Danke, daß du darauf Rücksicht nimmst.«

Ich erfuhr nicht, was sie überkommen hatte. Statt dessen ließ sie sich über die Namensgebung in Familien aus, als handelte es sich um den Tartan eines Clans. »Sie fangen in Henriettes Familie alle mit H an, wegen des Nachnamens. Jedenfalls in dieser Generation. Wir heißen alle durcheinander«, erklärte sie, als könne ihre Ruhrkohledynastie aus Hauern und Steigern vor allem wegen des Durcheinanders der Anfangsbuchstaben von Namen nicht mit dem ehemals regierenden Haus H mithalten. Sie blickte versonnen in die Welt ihr gegenüber, in deren Vordergrund ich saß, deplaciert für diesen träumerischen Blick.

»Es wäre eine gute Idee gewesen, uns alle mit K beginnen zu lassen.«

Ich beließ es bei dem Geheimnis um den magischen Buchstaben K. »Willst du nicht nach Hause gehen? Es ist nach acht. Was tust du noch hier?«

»Dich fragen, ob du mit mir essen gehen willst.«

»Ich muß noch verschiedene Telefonate führen«, sagte ich und griff zum Hörer. Ich hatte einen Kloß im Hals. Warum, verdammt, wollte sie mit mir essen gehen. Das machten wir nie. »Ist irgend etwas?«

»Müde. Mir ist kalt. Ich hätte gern Gesellschaft.«

»Es ist Indian Summer! Und was für einer! Vor einigen Tagen noch herrschte brüllende Hitze. Wie kann man da frieren?«

»Hab lange keine Ferien mehr gehabt, zu viel lächeln müssen«, antwortete sie und versuchte zu lächeln.

»Erhol dich. Mach, daß du fortkommst. Nein, nein, verzeihen Sie, Herr von Arnold, ich sprach noch mit einer Kollegin. Es klingelte so lange … Saunders am Apparat, Martin Saunders, die Berliner Niederlassung von NOBBLE NYC. Guten Abend. Sie haben uns einen Courbet angeboten, La Vague, ja, ich würde das Bild gerne sehen. Gibt es eine Expertise? Um so besser. Morgen nachmittag? Wunderbar. Danke.«

Mona stand immer noch in der Tür. »Und das Bild, das du neulich bei diesem Perlensamt gesehen hast?«

»Was geht uns das Bild an, so lange es in dieser Wohnung hängt? Vielleicht war Courbet vernarrt in den Strand von Étretat. Oder das Motiv ging einfach wie warme Semmeln. Du hast ja gehört, daß ich das Angebot morgen sehen werde. Danach ist die Sache hoffentlich geklärt. Du bist sonst schneller mit deinen Recherchen.«

Sie packte langsam ihre Tasche und drapierte an einem Seidentuch herum, als gelte es, ein endgültiges Arrangement zu gestalten.

»Du bist …«

»Ja, was?«

Sie sah immer noch schmal und verletzlich aus. Ihr rotes Haar, das sonst sattfarben leuchtete, schien eine Spur heller. Sie verschwand, ohne sich noch einmal umzusehen.