SIEBZEHN

Am nächsten Morgen wurde ich vom Rauschen des Meeres geweckt. Die Brandung hatte mich in der Nacht in tiefen Schlaf fallen lassen und wieder daraus hervorgezogen. Ich bestellte das Frühstück und eine Zeitung und stand im Bademantel an der Fenstertür. Langsam stieg die heftige Auseinandersetzung des vergangenen Abends in mein Bewußtsein. Für einen Moment drängte ich den Gedanken daran zurück und sah auf das Meer. Die Wellen schoben sich gleichmäßig in nicht allzu hohen Kämmen über den Sand. Vor dem Hintergrund der Welt, der wir tags zuvor den Rücken gekehrt hatten, erinnerte das leere Sandland jetzt an eine vergessene Erzählung. Einzelne Personen in einem lichten Raum, Bewegungen, deren Absicht man nicht erkennen kann … Schemen … Im Sommer würde nach dem durchbrechenden Morgen minutenschnell die Gegenwart von Liegestühlen, Sonnenschirmen und Müll diese Legende tilgen. Der Geruch nach Sonnenöl, fettigen Pommes, das Babygeschrei, die lautstarke Suche nach verlorenen Gegenständen und verloren gegangenen Kindern täten ihr übriges, den frühmorgendlichen Augenblick als sentimentale Sehnsucht zu entlarven. Ausgelöst wodurch? Eine Zeitungsnotiz aus einem Revolverblatt, dessen Versatzstücke sich in der Morgenandacht des Strandes verfangen hatten? Ich wollte noch ein bißchen an dieser Stelle bleiben. Die Jahreszeit bot mir Schutz vor allzu viel Gegenwart. Eine leichte Brise, würzig riechend nach Tang und Salz, kam auf, während ich auf dem Austritt stand und träumte.

Es klopfte an der Zimmertür. Man brachte Zeitung und Frühstück. Während ich meinen Kaffee im Bett trank, versuchte ich einzelne Artikel zu lesen, unterließ es aber bald. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Der vergangene Abend drängte sich vor. Es gelang mir nicht länger, den Eklat beiseite zu schieben. Wir hatten in Übereinkunft unsere Drinks genommen. Dann gingen wir zu Tisch. Die Suppe mit Hechtklößchen ließ David noch friedlich über die Zunge gleiten. Aber noch vor dem Hauptgericht fing er an. Aus heiterem Himmel kam er auf Mona zu sprechen.

»Sie sagt, du seist schwul.«

»Ach ja? Das haben schon viele behauptet. Vielleicht habe ich da auch noch ein Wort mitzusprechen.«

Warum tat er das? Er war dabei, einen wunderbaren Nachmittag zu zerstören und den Auftakt eines geruhsamen Abends. Ich suchte nach etwas, das Davids aggressiven Tonfall mildern konnte.

»Frauen sind manchmal seltsam. Ich verstehe nicht viel von ihnen.«

»Na, dann wundert es mich nicht, daß du nicht gemerkt hast, wie verliebt sie in dich ist. Sie war ja regelrecht bissig, als ich ihr erzählte, wir würden zusammen nach Ahlbeck fahren.«

»Du hast ihr davon erzählt?«

Was hatte David während meiner Abwesenheit im Büro der Firma zu suchen? Zufällig? Mona war bei weitem nicht so verbindlich gewesen wie auf der Party, hatte ihm nicht einmal etwas angeboten. Da war ihm plötzlich die Idee gekommen, ihr zu erzählen, wir führen nach Usedom. Es war ein Mordsspaß gewesen, sie so zubeißen zu sehen. Sie war richtiggehend sauer geworden. Sie riß, obwohl es nun wirklich nicht warm war, ein Fenster auf. Alle Papiere segelten zu Boden. David tat ihr nicht den Gefallen, beim Aufheben zu helfen.

Der Zander sollte eine Spezialität der Küche sein. Aber ich erinnere mich nicht mehr daran, wie er schmeckte. Ich starrte David ungläubig an. Sichtlich amüsiert erzählte er weiter, amüsiert von Monas Eifersucht, amüsierter noch von ihrer Behauptung, ich sei schwoll. Geradezu unbeholfen hatte sie die Blätter aufgehoben, als ein neuer Windstoß weitere Unterlagen vom Schreibtisch fegte. Endlich war sie auf die Idee gekommen, das Fenster wieder zu schließen. Als sie David immer noch im Türrahmen stehen sah und ihr langsam klar wurde, daß er das ganze Szenario äußerst komisch fand, war sie ausgerastet. Sie hatte ihn angebrüllt. Wer er sei … was er wolle … von Martin … von ihr? Was für eine perverse Lust er an der Zerstörung hätte? David schüttete sich vor Lachen fast aus.

»Du kannst ihre Vulva pochen hören, wenn du neben ihr stehst. Die ist so heiß, daß sie gar nicht weiß, wo sie sich lassen soll.«

Ich explodierte. Ich selbst war über die Heftigkeit meiner Reaktion am meisten überrascht.

»Du bist widerlich.«

»Hast du was mit ihr?« stieß David hervor.

Mich ekelte das vulgäre Gerede. Sex war kein Thema. Der Kellner kam an den Tisch. Er hatte gesehen, daß keiner von uns mehr aß und fragte höflich, ob wir etwas zu beanstanden hätten. Immerhin riß mich das aus meiner Wut.

»Ein Gesprächsthema, das uns mehr beschäftigt, als wir angenommen hatten. Der Fisch war sehr gut, aber … Sie können abräumen, bitte.«

Als der Kellner mit den Tellern gegangen war, äffte David mich nach.

»Der gut erzogene all american boy. Mama hat eine strenge Hand gehabt.«

»Was weißt du von meiner Mutter«, sagte ich kalt.

Tatsächlich fragte ich mich in diesem Augenblick, was Rosie in einer solchen Situation getan hätte. Ich stand auf. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging ich aus dem Restaurant, holte meinen Mantel und machte mich noch einmal auf zum Strand, um mir den Kopf durchblasen zu lassen.