Rache ist für einen Drachen manchmal süß, manchmal sauer – aber immer lecker.
Feuerwurzel war nicht Basilgarrads Lieblingsreich. Zu viel Schwefel in der Luft, zu wenige Bäume auf der Erde, wie er einmal zu Merlin gesagt hatte.
Trotzdem blieb Basilgarrad dort lange genug, um den jungen Zwergen zurück zu ihrem Volk zu helfen, indem er sie zu einem einige Meilen entfernten Tunneleingang führte. Ältere Zwerge kamen heraus und nahmen die Waisen mit in ihr Zuhause, einige dankten dem Drachen für seine Dienste. Doch als er anbot, bei der Beseitigung von Lo Valdeargs Opfern zu helfen, lehnten sie ab und beharrten darauf, dass nur Zwerge die schlimme Arbeit eines traditionellen Begräbnisses übernehmen könnten.
Als Letzte verließ ihn das mutige Mädchen, das die versengte Axt ihres Vaters trug. Sie dankte ihm und erwähnte dabei, dass sie den Namen ihrer Großmutter Urnalda trug – der mächtigen Zwergenkönigin vor langer Zeit, in den Tagen von Merlins Jugend. Die Augen des Mädchens leuchteten mit einem Funkeln, das ihm versicherte, sie würden sich wiedersehen. Dann hob sie die Axt zum Gruß und folgte den anderen in den Tunnel.
Auf dem Heimflug über die geschwärzten Länder dieses Reichs schaute Basilgarrad hinunter auf eine Reihe Lava spuckender Vulkane. Schwefeldämpfe lagen in der Luft und ließen ihn die Schnauze kräuseln. Diese verkohlten Gipfel und rauchenden Gebirgskämme, von giftigen Aschewolken umringt, schienen die passende Heimat für Mörder wie Lo Valdearg zu sein. Aber warum hatte der purpurrote Drache diesen Angriff unternommen? Warum war seine schon lange schwelende Gier nach den kostbaren Edelsteinen der Zwerge plötzlich in tödliche Flammen ausgebrochen?
Basil schwenkte zur Seite, um einer hoch aufragenden Aschewolke auszuweichen, und schnitt eine Grimasse. Nicht nur wegen des fauligen Geruchs, sondern wegen etwas anderem, das seine Gedanken beschäftigte. Lo Valdearg war tatsächlich ein Problem – aber nicht das einzige. In Avalon gab es immer mehr Gewalttaten: wütende Drachen in Feuerwurzel, diebische Gnome in Lehmwurzel, Bäume erstickende Schlangen im nördlichen Waldwurzel. Merlin hatte neuerdings viel mehr Zeit für solche Probleme aufgewendet, hatte sein Bestes getan, um den Frieden wiederherzustellen – und seine Freunde um den gleichen Einsatz gebeten. Dennoch schien der Zauberer wegen dieser Vorkommnisse nicht allzu besorgt zu sein, er zuckte nur die Schultern und nannte sie »die Wachstumsschmerzen einer jungen Welt«. Der große grüne Drache war sich da nicht so sicher.
Er schlug die Flügel langsamer und schwebte über die dunklen, vom Feuer verwüsteten Hügel. Seine Gedanken reisten weit weg, über die sieben Reiche von Avalon. Seine Welt. Trotz der bizarren und manchmal gefährlichen Bevölkerung gedieh Avalon durch seine wunderbare Vielfalt – und schien von Anfang an die wahre Heimat von Frieden und Harmonie zu sein.
Bis jetzt, heißt das. Warum bin ich so beunruhigt?
Seine riesigen Flügel schlugen durch die Luft, ihr Echo hallte über die aschebedeckten Hügel. »Du machst dir zu viele Sorgen«, brummte er laut. »Wenn Merlin sich keine macht, warum dann du? Zeit, damit aufzuhö…«
Ein durchdringender Schrei schnitt ihm das Wort ab. Er riss die grünen Augen auf, bog scharf nach links und spannte die großen Flügel an, um direkt zum Ursprung des schrecklichen Lauts zu fliegen. Denn diesen Schrei kannte er nur zu gut.
Er tauchte in eine Wolke, deren üble Gerüche ihm in den Augen brannten und seine Nase beleidigten. Doch er flog geradeaus weiter. Dieser Schrei bedeutete, dass jede Sekunde zählte. Wieder ertönte er, diesmal von mehreren anderen Schreien begleitet – ebenso misstönend, ebenso entsetzlich.
Er brach aus der stinkenden Wolke und sah sie: einen Schwarm tödlicher Klauenkondore. Sie schabten die Luft mit ihren messerscharfen Krallen und schlugen gleichzeitig ihre großen ledrigen Flügel. Als sie sich ihrer Beute näherten – einer Gruppe winziger, blau geflügelter Nebelelfen –, kreischten sie prahlerisch, als würden sie bereits ihren Mord feiern.
Ihre Flügel hieben in die Luft, während die Augen mit den schweren Lidern im Triumph leuchteten. Direkt vor ihnen schwirrten die Nebelelfen in wirrer Panik, verzweifelt versuchten sie zu fliehen. Ihre zarten blauen Flügel, jeder so dünn wie ein Nebelfetzen, zeigten bereits zerrissene Ränder. Bald würden die Flügel ganz zerfallen und die Elfen der Gnade oder Ungnade dieser Verfolger überlassen.
Die Schreie der Klauenkondore wurden lauter, sie zerrissen die Luft so heftig, wie ihre Krallen oft Fleisch zerrissen. Dann, ganz unvermittelt, hörte das Geschrei auf.
Ein riesiger grüner Flügel fegte plötzlich durch die Luft. Er überraschte all die Mördervögel, faltete sich über sie und riss sie hinunter – direkt in die Öffnung eines ausgebrochenen Vulkans. Sie hatten keine Zeit für Widerstand oder Flucht. Ihre rauen Schreie ertönten erneut, aber nur kurz, bevor die brodelnde heiße Lava des Vulkans sie alle verschlang.
Basilgarrad streckte wieder seinen Flügel und stieg hoch. Während er zusah, wie die Klauenkondore verschwanden, erinnerte er sich an sein eigenes Entsetzen, als andere ihrer Art ihn in seinen jüngeren, kleineren Tagen verfolgt hatten. Eine Zeit lang betrachtete er den rauchenden Vulkan, dann nickte er befriedigt. Mit einem neuen Glanz im Auge murmelte er trocken: »Das wird ihre Herzen wärmen.«
Eine blaue Nebelwolke nahm ihm die Sicht. Die Elfen! Sie umschwärmten mit schwirrenden Flügeln sein Gesicht und riefen ihm mit ihren dünnen Flüsterstimmen zu:
»Freund der Elfen!«
»Großes Herz, großes Geschöpf.«
»Basil der Tapfere.«
»Unvergleichlicher Drache.«
»Friedensflügel.«
Namen, merkte er. Sie geben mir Namen.
Seine enormen Lippen zogen sich nach oben. »Nicht nötig, mir neue Namen zu geben, meine Freunde. Ich bin einfach Basilgarrad – und es ist mir immer ein Vergnügen, euch zu helfen.«
Das Geflüster der Elfen schwoll an und glich jetzt mehr einem Windstoß als einer Sprachform. Er konnte ihre Worte nicht mehr verstehen. Doch ihre Bewunderung entging ihm nicht.
Endlich begann die blaue Wolke sich aufzulösen. Die Elfen gaben sein Gesicht frei und flogen davon. Jetzt bewegten sie ihre Flügel entspannter, der Schwarm schien mehr zu schweben als zu fliegen.
Er beobachtete ihren Abflug und regte sich kaum, während er über das versengte Land glitt. Er spitzte die Ohren und versuchte, ihre zarten, flüsternden Stimmen bis zuletzt zu hören.
Diese Stimmen erinnerten ihn an eine andere, an eine liebe Freundin, die sich mit der Anmut und Beständigkeit des Windes selbst bewegte. Denn sie war tatsächlich eine Wishlahaylagon – eine Windschwester. Sie war mit ihm gereist und hatte ihn immer »kleiner Wanderer« genannt … selbst nachdem er zu einem mächtigen Drachen herangewachsen war. Doch schließlich war der Tag gekommen, an dem sie wie der Wind weiterziehen musste, und nichts hatte sie zum Bleiben bewegen können.
Seine Ohren zitterten leicht, als er überlegte: Wo bist du jetzt, Aylah? In dieser Welt … oder irgendeiner anderen? Du weißt ja, Drachen sind zu groß, um jemanden zu vermissen. Schon gar nicht eine, die so flatterhaft ist wie du. Aber ich hätte wahrscheinlich gar nichts dagegen, deine luftige Stimme wieder zu hören oder deinen Zimtduft in der Brise zu schnuppern.
Eine Wolke Schwefelrauch, die ein Vulkan drunten ausgestoßen hatte, ließ ihn husten. Und brachte ihn unverzüglich in die Gegenwart zurück. Wer konnte je lange in einem Reich bleiben, das so schlecht roch? Höchste Zeit, zu den lieblichen Lichtungen von Waldwurzel zurückzukehren!
Er hob die Flügel, flog eine weite Kurve und fing den letzten Anblick der scheidenden Nebelelfen auf. Mit einem amüsierten Gluckern sagte er: »Friedensflügel? Gar nicht schlecht, wirklich. Gar nicht schlecht.«
Dann zog Basilgarrad mit mächtigem Flügelschlag auf das bewaldete Reich zu, das er Heimat nannte.