Schönheit und Tragödie eines Frühlingstags haben den gleichen einfachen Grund: Er ist immer so kurz.
Von den Feuerdrachen kam keine Warnung.
An einem warmen Frühlingstag, als die ersten Apfelblüten gerade zu sehen waren, landeten die Drachen auf dem heiligen Gelände der Gemeinschaft des Ganzen in Steinwurzel, wobei sie vom Himmel fielen wie strahlende Feuerbälle. Innerhalb von Sekunden stieg Rauch aus brennenden Gebäuden und Schreie durchdrangen die Stille der umliegenden Bauernhöfe, die normalerweise nie lautere Geräusche als eine läutende Glocke hörten.
Priesterinnen und Priester – und ihre treuen Marythen, Geschöpfe aller Arten, die sie in lebenslanger Verbindung begleiteten – arbeiteten fieberhaft, um die Verwundeten oder Betäubten in Sicherheit zu bringen. Doch nirgends war es lange sicher. Die Luft summte von Nebelfeen, Tauben und Schwalben in Panik. Verängstigte Ziegen, Pferde und Hühner rasten übers Gelände und stießen kreischend, meckernd, schreiend und wiehernd mit Flüchtlingen zusammen. Überall rannten Kinder umher, zu verängstigt, um sich in den Scheunen, Geräteschuppen oder Vogelbeerbüschen zu verstecken.
Rhia rannte mit Nuic auf der Schulter zu der riesigen Schnallenglocke. Sie hängte sich ans Seil und ließ die Glocke sieben Mal läuten, Pause, dann erneut sieben Mal – das Notsignal der Gemeinschaft. Bevor das letzte Echo verklang, lief sie davon, um anderen zu helfen, und duckte sich unter den Feuerstößen der kreisenden Drachen. Sie riss eine Ranke aus dem Ärmel ihres Anzugs, um das versengte Bein einer jungen Ziege zu verbinden. Dann half sie Lleu, Seile zu befestigen, damit ein brennender Baum nicht auf die Säulen des großen Tempels stürzte. Gleich darauf schleuderte sie Eimer voll Wasser auf die Flammen, die auf dem Dach der Bibliothek wüteten.
Doch das alles war noch nicht genug. Wie Nuics dunkler werdende graue Farbe zeigte, würden das Gelände und die benachbarten Farmen bald zerstört sein, von Flammen und Panik verwüstet.
Meilen entfernt überquerte eine Familie von Bergriesen die Ebene. Angeführt von der furchterregenden Jubolda – im ganzen Reich bekannt dafür, dass sie die Gipfel von Hügeln hob, um die Höhlen räuberischer Trolle freizulegen – war jeder ihrer Stapfen so groß wie ein Feld. Plötzlich hörten sie den Notruf der Schnallenglocke. Sofort wandten Jubolda und ihre drei gewaltigen Töchter sich um und gingen auf das Gelände der Gemeinschaft zu. Unterwegs schloss sich ihnen ein weiterer Riese an, der ebenfalls die Glocke gehört hatte: kein anderer als Shim.
»Ich wirklich hoffen, wir kommen rechtzeitig an und retten diese netterlichen Leute«, murmelte er, während seine ungeheuren Füße auf den Boden krachten.
»Ich nicht«, antwortete Jubolda. Ihre Ohrringe aus Wasserrädern von einem stillgelegten Getreidelager lärmten bei jedem ihrer Schritte. »Ich will rechtzeitig ankommen, um jeden umzulegen, der es gewagt hat, die Gemeinschaft anzugreifen! Feuerdrachen sind es, nach dem Rauchgeruch in der Luft.«
Shim schaute kurz zu ihr hinüber. Er rieb sich die Knollennase und sagte: »Passen du nur auf, Lady Jubolda. Du sein eine Riesin, aber du sein immer noch sterbenslich sterblich. Wir wollen nicht, dass diese Feuerdrachen dich verwunden.«
Jubolda winkte seine Besorgnis nur weg. Doch eine ihrer Töchter – deren riesige, sabbernde Lippen zu dem Namen Bonlog Bergschlund angeregt hatten – sah Shim mit dankbarer Bewunderung an.
Die Riesen kamen keinen Augenblick zu früh. Feuerdrachen griffen das größte Gebäude auf dem Gelände an, ein Bauwerk aus unzähligen Ästen, die von Winterstürmen abgerissen worden waren. Kein Haus konnte schneller in Flammen stehen. Oder mehr geschätzt werden. Seine hohen, spitzen Torbögen stiegen wie Gipfel himmelwärts, die Buntglasfenster strahlten mit der Leuchtkraft eines farbig geflügelten Schmetterlings. In diesem Gebäude, das Handwerksgemeinschaft genannt wurde, hatten Generationen von Priesterinnen und Priester das Töpfern, Weben, Korbflechten, Glasblasen und Schreinern erlernt. Sogar Pwyll Estonna, die berühmteste Bildhauerin der Künstlerelfen, hatte ihre Talente in seinen Wänden entdeckt. Wenn das alte Haus in Flammen aufgehen würde, wären alle, die es kannten, zutiefst betrübt.
Drei Drachen stießen aus dem Himmel herab, ihre scharlachroten Flügel waren flammenhell. Gleichzeitig brüllten sie und schickten ihren wilden Feueratem direkt auf das Dach des Gebäudes. In diesem Moment streckten sich drei Riesenhände aus und versperrten dem Feuer den Weg zu seinem Ziel. Diese Hände, die Jubolda, Shim und Bonlog gehörten, schlossen sich zu gewaltigen Fäusten und schlugen mit aller Kraft auf die Angreifer ein.
Explosionen erschütterten die Luft, als die Knöchel der Riesen auf die schuppigen Drachenbrüste trafen und die feurigen Ungeheuer zum Trudeln brachten. Sie stürzten mit gebrochenen Rippen und Schwänzen auf eine nahe Weide. Für sie war der Kampf abrupt zu Ende. Jetzt wollten sie nur noch weg von den Riesen, und wenn sie kriechen mussten.
Die übrigen acht oder neun Feuerdrachen änderten rasch ihre Taktik. Wie wütende Hornissen griffen sie erbittert die Riesen an, rissen mit schrecklichen Krallen an ihnen und schossen Feuerstöße ab. Dennoch stellte sich heraus, dass sie ihren Gegnern nicht gewachsen waren, die von ihrer dick verhornten Haut besser als durch Rüstungen geschützt waren. Jubolda verlor einen Ohrring (was sie nur noch wütender machte), doch keiner ihrer Gefährten bekam mehr als ein paar kleine Kratzer ab. Den Feuerdrachen erging es viel schlechter. Mehrere wurden von den fliegenden Fäusten der Riesen getroffen, während ein unglücklicher Drache zwischen den Zähnen von Bonlog Bergschlund umkam.
Rhia, die half, die Flammen auf dem Dach des Handwerkshauses zu löschen, freute sich über diese Wendung. In ihr wuchs die Hoffnung, dass die Schrecken dieses Tages, der mit einem so duftenden Morgen begonnen hatte, bald zu Ende sein würden. Dann schaute sie in den Osten und sah etwas so Überraschendes, dass sie ihren Wassereimer fallen ließ.
Flamelonkrieger! Die Soldaten aus Feuerwurzel marschierten in strenger Formation näher und begannen, das Gelände einzukreisen. Sie rollten schwere eiserne Katapulte herbei, die in ihren vulkanischen Schmieden hergestellt waren, und feuerten tödliche Salven auf die Riesen. Ungeheure Felsbrocken krachten auf Brust und Arme der gewaltigen Geschöpfe. Fässer mit kochendem Öl barsten auf ihren Rücken. Netze aus festem Seil wickelten sich um ihre kräftigen Beine und ließen sie stolpern.
Die Feuerdrachen spürten ihre verbesserten Chancen und steigerten den Angriff. Rund um das Gelände stiegen Rauchsäulen in die Luft und fleckten den Himmel. Drachenschwänze schlugen heftig auf Gebäude, Mauern und Denkmale ein. Verletzte Männer, Frauen und Kinder rannten schreiend und weinend in alle Richtungen.
Shim hörte ein bellendes Heulen, drehte sich um und sah eine Riesin, die auf den Boden gefallen war. Bonlog! Sie schlug hilflos um sich, ihre Beine hatten sich in einem Netz verfangen. Unterdessen marschierte ein Trupp Flamelons schnell auf sie zu, die Soldaten schwangen eine schreckliche Menge Breitschwerter und Speere.
»Halt!« Shim wusste zwar nicht genau, wie er helfen sollte, doch er lief auf Bonlog zu – und stieß mit seinem riesigen Zeh an die Außenmauer des Geländes. Er stolperte vorwärts und fiel wie ein massiger Baum.
Schreiend und mit wilden Armbewegungen versuchte er, wieder sein Gleichgewicht zu gewinnen. Vergebens. Er schloss die Augen und schlug auf den Boden. Sein gewaltiger Körper stürzte mit solcher Gewalt, dass ein Katapult in der Nähe von den Vibrationen bebte und dann umfiel. Shim, der wusste, dass er Bonlog nun doch nicht geholfen hatte, wollte nicht die Augen öffnen und ihren leblosen Körper sehen, der von den Flamelons misshandelt worden war.
Ich sein so ein Versager!, dachte er. So ein ungeschicklicher Versager!
Jemand stieß ihn an – grob, mit der Kraft eines Riesen. Er öffnete die Augen. Zu seinem Erstaunen schaute er zu Bonlog hinauf!
»Du … sein am Leben?«, fragte er.
Sie öffnete ihren riesigen Mund zu einem Lächeln. »Das verdanke ich dir, Shim! Du hast mich gerettet – indem du dich auf diese Flamelons geworfen hast.«
Er blinzelte überrascht und wälzte sich herum. Tatsächlich, die zerquetschten Reste der gesamten Truppe lagen unter ihm. »Aber … aber ich …«, stotterte er.
»Das war so mutig von dir, Shim. So kühn. So …« Sie hielt inne, ihre Augen glitzerten, als sie sich einen schaumigen Speichelfluss vom Kinn wischte. »So männlich.«
Shims Stimmung veränderte sich schnell von Überraschung zu Panik. Das Gefühl verstärkte sich, als er zu seinem Entsetzen sah, wie Bonlog Bergschlund sich herunterbeugte, um ihm einen Kuss zu geben. Ihre gewaltigen, speichelgetränkten Lippen kamen näher. Speichelflüsse stürzten aus den Tiefen ihrer riesigen Mundhöhle. Ihre gespitzten Lippen schwollen und verdeckten halb ihr Gesicht.
»Iiiick!«, schrie Shim. Erstaunlich schnell rollte er sich auf die Seite, sprang auf die Füße und lief davon. So schnell er konnte, rannte er in die Sicherheit der hohen Gipfel.
Die Riesin richtete sich auf und schaute ihm missmutig nach. Aus den Tiefen ihrer Kehle kam ein wütender Fluch, dann ein riesengroßer enttäuschter Seufzer. Zögernd beteiligte sie sich wieder am Kampf gegen die Feuerdrachen und Flamelons, sie kämpfte neben ihrer Mutter. Doch alle paar Sekunden machte sie eine Pause und schaute sehnsüchtig auf die verschwindende Gestalt, die sie immer noch am Horizont sehen konnte. Als Shim schließlich verschwunden war, seufzte sie wieder und versprühte dabei eine Speichelmenge, die ein Seebecken gefüllt hätte. Verdrossen wischte sie sich den ungeheuren Mund und ging zurück ins Gefecht.
Selbst mit Bonlogs erneuter Beteiligung ging der Kampf für die Verteidiger schlecht aus. Die Drachen zündeten ein Gebäude nach dem anderen an und ließen den Überlebenden nur wenige Möglichkeiten zum Versteck. Die Flamelons rückten näher und zogen ihre tödliche Schlinge enger. Rhia rief ihren Anhängern zwar immer noch Ermutigungen zu, doch sie glaubte ihren eigenen Worten nicht.
Alles, was sie getan hatten, um diesen Ort anzulegen, um die höchsten Ideale von Avalon und ihre Träume von dem, was es werden könnte, zu ehren – all das war für immer verloren. Sie wusste es. Nuic, der sich an ihre Schulter klammerte, war jetzt pechschwarz.
»Schaut!«, rief Lleu. Er zeigte mit seinem blutbefleckten Arm zum Himmel.
Rhia sah hinauf und erkannte einen Drachen, der rasch näher kam. Aber das war kein Feuerdrache. Das war ein Drache, dessen grüne Schuppen, mächtige Flügel und kräftiger Schwanz nicht verwechselt werden konnten.
»Basil!«, rief sie. »Es ist Basilgarrad!«
Schon beim Klang seines Namens kreischten mehrere Feuerdrachen und flohen. Andere, die zögerten, bereuten bald ihren Fehler. Sowie der grüne Drache das Gelände erreichte, schlug sein Schwanz mit dem Knüppel auf einen Drachen und schleuderte den Körper bis ins südliche Moor. Im nächsten Moment fuhr er herum und schlug einen anderen so fest, dass er ihm jede Rippe in der Brust brach. Bevor dieser Angreifer auf den Boden fiel, schlang Basilgarrad den großen Schwanz um den Hals eines dritten und warf ihn irgendwo hinter den Rand des Reichs. Inzwischen stieß er seinen Kopf gegen den Hinterkopf eines vierten – so kräftig, dass dem ein Auge herausflog und in einem meilenweit entfernten See landete.
Als die Flamelons diese mächtige Kraftvorführung sahen, bliesen sie in die Hörner und zogen sich hastig zurück. Sie waren erfahrene Krieger und wussten, dass sie sich gegen einen so überlegenen Feind nicht behaupten konnten. Doch einige ihrer Anführer blieben zurück und versuchten, bei Basilgarrad irgendwelche Schwächen auszumachen. Denn ihnen war zweifellos klar, dass sie erneut gegen diesen Drachen kämpfen würden. Und sie hatten nicht vor, dann besiegt zu werden.
Mit der Zeit klarte der rauchige Himmel auf. Monatelange Arbeit war nötig, doch Rhia und ihre Anhänger äscherten ihre geliebten Toten ein, reparierten die beschädigten Gebäude und setzten die Gärten des Geländes wieder instand. Die Säulen des großen Tempels wurden ausgebessert und die meisten Brandstellen gereinigt. Priesterinnen, Priester und ihre Marythen freuten sich, als die Schnallenglocke wieder erklang – diesmal nicht aus Sorge, sondern zur Begrüßung. Für alle in Avalon, die noch den Wert des Friedens zu schätzen wussten. Selbst die verstreuten Feen kehrten zurück, ihre Flügel leuchteten in den Farben von blauem Himmel, von rosigen Blüten und silbrigem Nebel.
Doch den schrecklichen Tag, der mit der Zeit als Schlacht bei der versiegten Quelle bezeichnet wurde, konnte niemand vergessen. So wenig wie den großen grünen Drachen, der schließlich gesiegt hatte.