Die Sprache anderer Leute lernen? Das ist leicht. Aber lernen, wie sie denken und träumen – das ist schwierig.
Mit ausgebreiteten Flügeln schwebte der riesige grüne Drache auf einem mächtigen Luftschwall, der in Spiralen höher stieg. Hier war er, hoch über den wandernden Wolken von Luftwurzel, wo dunstige Formen gelassen in alle Richtungen glitten. Basilgarrads Gedanken waren alles andere als gelassen. Wie der Zauberer, der auf seinem Kopf saß und mit einer Hand den Rand eines höhlenartigen Ohrs gepackt hatte, in der anderen einen knorrigen Stab hielt, war der Drache zunehmend beunruhigt.
Die Lage war nicht gut in Avalon. Merlins schlimmste Befürchtungen wurden wahr. Immer öfter kam es in jedem Reich zu Streitigkeiten, Angriffen und Diebstählen. Zum Beispiel in Feuerwurzel: Trotz des überraschenden Siegs über den orangen Drachen und Lo Valdearg – ein Sieg, den die Barden bereits als den Kampf von einem gegen viele bezeichneten – hatten die Geplänkel zwischen Feuerdrachen und Zwergen nicht aufgehört. Im Gegenteil, sie waren häufiger geworden. Und heftiger.
»Wenn nur der alte Zorgat«, brummte Merlin und drehte das Gesicht in das große Ohr, damit er über dem pfeifenden Wind gehört wurde, »wenn er nur meine Ideen wenigstens erprobt hätte!«
Unter dem Zauberer runzelte Basilgarrad die Stirn, sodass der Wind über die Schuppen pfiff. »Es passt nicht zu den Zwergen, nach Gemeinsamkeiten mit ihren Feinden zu suchen, oder?«
»Nein«, gab Merlin zu, während sie durch einen vielschichtigen Nebelschleier flogen. »Aber wo sie doch schon so viele Leute verloren haben, entweder bei diesen Auseinandersetzungen oder bei Mineneinbrüchen – die von den breiten Drachenrücken vielleicht verhindert worden wären –, müsste selbst der alte Zorgat sich Gedanken machen.«
Basilgarrad schwenkte nach rechts und streifte den Rand einer großen Wolke, die von Tausenden nebliger Baumwipfel bedeckt war – Luftwurzels berühmter schwebender Wald. Direkt unter dem Drachenflügel ragten die durchsichtigen Spitzen von Eonialalo-Bäumen in die Höhe, deren Rinde fast unsichtbar ist. Wenn nicht Schwärme zwitschernder Vögel – Tauben, Eulen, Kormorane, Seeschwalben und andere – in ihren Zweigen gesessen hätten, hätten die Bäume ausgesehen wie eine große Nebelmasse.
»Es geschieht etwas anderes«, fuhr Merlin grimmig fort, während der Drache mit den mächtigen Flügeln schlug und wieder ins Gleichgewicht kam. »Etwas, das ich nicht ganz bestimmen kann.«
»Ich weiß.« Das Echo der Drachenantwort schallte von den Wolken ringsum.
»Erinnerst du dich, dass ich sagte, wir seien in eine Regenzeit geraten? Nun, Basil, das war das richtige Bild. Es fühlt sich jeden Tag regnerischer an.«
»Nein.« Basilgarrad schüttelte den Kopf – was Merlin nicht schätzte, weil es ihn direkt in das Drachenohr warf. »Der Regen hat sich eher in Fluten verwandelt! Schreckliche Fluten.« Und dann, zur Bekräftigung, schüttelte er wieder den Kopf – gerade als Merlin aus dem Ohr kletterte und nun wieder hineintaumelte.
»Etwas macht mir noch mehr Sorgen als diese Fluten«, fuhr Basilgarrad fort, der nichts von den momentanen Schwierigkeiten des Zauberers merkte. »Es ist ein Gefühl, das ich nicht abschütteln kann – dass etwas diese Wassermassen verursacht. Sie verstärkt. Sie verbindet. Stimmst du mir zu?«
»Ich weiß nicht«, keuchte Merlin, während er zu seinem Sitz zurückstieg. »Aber was du auch als Nächstes machst, schüttle nicht den Kopf!«
Der Drache rollte die Augen hoch und warf ihm einen fragenden Blick zu. »Was ist denn los mit dir? Du klingst so gereizt wie dieser zerstörerische Troll, den wir vergangene Woche in seine Höhle zurückgetrieben haben.«
Merlin knurrte nur. Dann sagte er: »Das ist so ein Beispiel. Steinwurzels Trolle, so groß und dumm sie auch sind, haben nie zuvor diese Art Ärger gemacht. Was hat denn diesen Troll so in Wut gebracht? Er schien wie besessen davon, ein Chaos anzurichten.«
»Hoffentlich bringen ihn ein paar Monate allein in seiner Höhle – mit den vielen Steinklötzen, mit denen ich den Eingang versperrt habe – wieder zur Vernunft!«
»Das hoffe ich auch.« Merlin hob seinen Stab übers Gesicht, als der Wind in die Ärmel seiner Tunika fuhr. Mit dem Griff des Stabs schob er ein paar Haare zur Seite, die sich in seinen buschigen Brauen verfangen hatten. Dann sagte er missmutig: »Und die Gnome, mit denen wir uns gestern befasst haben? Fandest du es nicht sonderbar, wie zornig ihr Anführer war, als er die ganze Zeit schrie und seinen Speer schwang?«
»Sonderbar, ja«, entgegnete der Drache. »Wie etwas anderes auch.«
»Was?«
»Ist dir aufgefallen, wie bleich er war? Aus seinem Gesicht und allem Übrigen, wenn ich es recht bedenke, schien das ganze Gnomenblut gewichen zu sein. Aber er hatte keine Wunden, keinen Grund für Blutverlust, soweit ich sehen konnte.«
»Hmm, vielleicht …«, fing Merlin an, dann unterbrach er sich. Er deutete hinunter und erklärte: »Das ist es, Basil. Unser nächstes Problem, von dem die Sylphen mir erzählt haben.« Leiser fügte er hinzu: »Hoffen wir, dass es einfacher zu lösen ist als die letzten.«
Basilgarrad neigte die Flügel und schwenkte hinunter zu der Stelle, die Merlin gezeigt hatte. Während die Wolken sich teilten und eine bessere Sicht ermöglichten, sah er die neueste Problemquelle. Zu seiner Überraschung war es eine Brücke – eine Spanne locker verwebter weißer Seile, die zwei große, dicke Wolken verbanden.
»Diese Seile«, erklärte der Zauberer, der die nächste Frage ahnte, »sind aus einer festeren Wolkenart gemacht – Wolkenkuchen nennen die Sylphen sie. Das ist die stärkste Substanz in diesem Reich, kräftig genug, um …«
»… eine Brücke zu tragen«, ergänzte der riesige Drache mit Verwunderung in der tiefen Stimme. »Und schau nur! Alle diese Vögel, die darauf sitzen – schwarze Krähen links, weiße Seeschwalben rechts.«
Er schwieg und betrachtete die Szene. Die Vögel kreischten und krähten und machten einen scheußlichen Lärm. Alle paar Sekunden flog ein Vogel von der einen Seite hinüber zur anderen, schlug mehrere Vögel dort mit den Flügeln oder pickte heftig mit dem Schnabel nach ihnen, dann flog er zurück. Häufig stürzten sich zwei oder drei Seeschwalben auf eine Krähe und griffen sie mit Schnäbeln und Krallen an, bis sie schließlich zurückgeschlagen wurden – aber erst wenn Blut floss. Genauso oft spielte eine Gruppe Krähen einer Seeschwalbe übel mit.
Merlin, der sich fest an das Drachenohr klammerte, beugte sich vor, um besser zu sehen, was da passierte. »Seltsamerweise sind diese Vögel ganz friedlich gewesen, sagten die Sylphen. Bis vor Kurzem.«
Basilgarrad neigte die Flügel und sank tiefer. »Also noch eine Flut. Aber warum sind die Vögel überhaupt dort?«
»Als die Brücke vor Jahren gebaut wurde, fingen diese Vögel an, Geschöpfe hinüberzuführen. Das war besonders hilfreich für Wolkenwesen – Dunstopossums, Nebelaffen und ähnliche, die sonst nicht so viel leere Luft überqueren konnten. Und allmählich liebten die Vögel ihre Arbeit immer mehr, sie nannten sich die Brückenführer.«
»Warum kämpfen sie denn dann?«
Der Zauberer schüttelte den Kopf. »Obwohl sie so viele Jahre zusammengearbeitet hatten, fingen sie plötzlich an, ihre Seite zu wählen. Die Seeschwalben wollen niemand als Seeschwalben auf ihrer Seite, während die Krähen nur Krähen auf ihrer dulden. Jetzt kommt niemand mehr über die Brücke! Und lass dir gesagt sein, wenn wir diese Spannungen nicht bald beenden, wird ihre Brücke blutgetränkt sein.«
Basilgarrad stieß einen drachengroßen Seufzer aus. Er streckte die Schwingen, so weit es ging, und glitt näher. Als sie fast an der Brücke waren, vernahm er andere Töne, die nur hörbar waren, wenn sich das wütende Geschrei der Vögel beruhigte. »Harfensaiten?«, fragte er verdutzt. »Sind das Harfensaiten, die ich höre?«
»Ja, tatsächlich, Basil. Du hörst das schönste Werk der Sylphen: riesige Harfen, die zwischen den Wolken hängen. Sie sind viele Meilen von hier entfernt, doch ihre Töne reisen über die Wolken. Und ihre Saiten werden nicht von Winden bewegt – sondern von Gefühlen.«
Der Drache spitzte verwirrt die Ohren und warf dadurch Merlin fast um. »Sie reagieren auf die Gefühle rundum?«
»So ist es. Deshalb klingen sie jetzt so schrecklich falsch.«
Wie zur Bestätigung kamen von den Harfensaiten besonders schrille Tonfolgen.
Weil Basilgarrad unmöglich auf der Brücke landen konnte – die Seile wären unter seinem Gewicht gerissen –, schwebte er dicht darüber. Plötzlich bemerkten ihn die Krähen und Seeschwalben, hörten mit ihrem Kampfgeschrei auf und wurden still. Genau zwei Sekunden lang. Dann brach eine lautere, feindseligere Kakofonie aus als zuvor – jede Seite beschuldigte die andere des Verrats, einen Drachen herbeigeholt zu haben. Das Kreischen, Heulen, Flüstern und Krächzen stieg fürchterlich an.
Merlin beugte sich über die Seite von Basilgarrads Stirn. »Ruhe!«, befahl er in der Standardsprache und schwenkte den Stab über dem Kopf.
»Ruhe!«, befahl er wieder. Aber der Lärm war jetzt so laut, dass seine Worte nicht gehört und schon gar nicht befolgt werden konnten.
Basilgarrad, der über den Vögeln kreiste, ärgerte sich über dieses schlechte Benehmen. Mit einer Stimme, die nicht lauter als ein typischer Gewitterdonner war, bellte er: »Still jetzt, alle! Oder ich blase euch die Federn vom Leib!«
Sofort schwiegen die Vögel. Bis auf ein gelegentliches Flügelrascheln war kein Geräusch zu hören.
Der Drache rollte die Augen zu Merlin hinauf und sagte befriedigt: »Eines Tages bringe ich dir bei, wie man das macht.«
»Bitte tu das«, sagte der Zauberer hörbar beeindruckt. Dann fügte er nach einem tiefen Atemzug hinzu: »Jetzt sieh dir an, wie ich diesen dummen Streit schlichte.«
»Vögel des Reichs«, fing er an, »ich habe gehört, ihr hättet einen ernsten Grund zur Klage. Stimmt das?«
Hunderte Köpfe nickten heftig, die Vögel zeigten einmütige Zustimmung. Einige fingen an zu kreischen und zornig mit den Schnäbeln zu klappern – doch bevor der Lärm erneut ansteigen konnte, räusperte sich Basilgarrad drohend.
Sofort wurde es wieder still.
»Und wenn ich es richtig verstehe«, fuhr Merlin fort, »dann will eine Hälfte von euch – die Krähen – eine Hälfte der Brücke kontrollieren, während die andere Hälfte – die Seeschwalben – das auf der anderen Hälfte tun will. Stimmt das?«
Wieder nickten viele Köpfe. Und doppelt so viele Augen beobachteten besorgt den Drachen, der über ihnen schwebte.
»Nun gut«, erklärte Merlin mit Bestimmtheit, »dann habe ich die Lösung für euer Problem.« Er wartete einen Moment, damit die Spannung unter den Vögeln anstieg. Dann verkündete er mit großer Geste: »Von diesem Tage an soll jede Art die Hälfte der Brücke kontrollieren. Ihr Seeschwalben« – er deutete nach links – »diese Hälfte. Und ihr Krähen« – er wies nach rechts – »diese Hälfte.«
Die Vögel nickten und gaben zustimmende Laute von sich. Merlin beobachtete sie und grinste ein wenig.
»Das bedeutet«, fuhr er fort, »dass keine Seeschwalbe je zur Seite der Krähen hinüberdarf und keine Krähe je zur Seite der Seeschwalben hinüber.«
Wieder nickten alle Vögel.
»Und das bedeutet auch«, schloss Merlin, »dass jeder von euch andere Geschöpfe nur über eure Hälfte der Brücke begleiten darf. Wer die Mitte erreicht, muss sie dorthin zurückbringen, wo sie hergekommen sind.«
Aus Gewohnheit wollten viele Vögel schon beifällig nickten – dann hielten sie inne. Während die Bedeutung von Merlins Plan ihnen klar wurde, schüttelten immer mehr die Köpfe oder schlugen protestierend mit den Flügeln. Einige kreischten laut, behielten aber Basilgarrad dabei im Auge.
Der Drache schickte dem Zauberer einen dringenden Gedanken: »Was tust du da, Merlin? Dadurch würde das Problem ja noch schlimmer.«
Der Zauberer grinste breiter. »Wart es ab, mein Freund.«
»Nein, das machen wir nicht!«, erklärte eine junge Seeschwalbe. »Wir sind Brückenführer – nicht nur halbe Führer.«
»Wenn wir unsere Arbeit tun wollen«, rief eine Krähe, »müssen wir über die ganze Brücke.«
Dutzende Vögel waren der gleichen Meinung. Ihre lauten Stimmen waren zwar unterschiedlich, doch die Botschaft war gleich: Die Brücke musste gemeinsam genutzt und kontrolliert werden.
»Seid ihr euch sicher?«, fragte der Zauberer, es hörte sich widerstrebend an. »Ganz sicher?«
»Ja!«, riefen die Vögel lauter denn je. Doch diesmal klang es fast einstimmig.
»Nun gut«, sagte Merlin und zuckte die Schulter. »Macht es, wie ihr wollt.«
Gemeinsam brachen die Vögel in anhaltenden Beifall aus mit Pfiffen, Geklapper, Trillern und Schreien. In der Ferne spielten Harfensaiten melodische, beruhigende Akkorde. Die ganze Brücke schwankte vor Jubel.
Gewaltig beeindruckt rief Basilgarrad: »Vogelpsychologie! Woher hast du gewusst, wie man das macht?«
Der Zauberer wurde wehmütig. »Einst hatte ich einen Freund, einen Falken.« Er schaute auf seine linke Schulter, wo der resolute Vogel oft gesessen hatte. »Er hat mir sehr viel beigebracht.«
Inzwischen dauerte die lärmende Feier der Vögel an. Nur ein Vogel, eine ziemlich knochige Krähe, krächzte protestierend und flog wütend davon. Niemand bemerkte, dass in ihren Nackenfedern ein ungewöhnlich aufgeblähter Egel gierig saugte.