Eine tödliche Schlacht macht mir nie etwas aus – solange ich nicht in der Nähe bin.
Der Wind brauste an Basilgarrads Gesicht vorbei, als er schnell nach Waldwurzel flog und den Elf Tressimir auf seinem Kopf trug. Licht funkelte auf den grünen Schuppen von Schnauze, Flügel und Rücken, als wären sie vom scheuernden Wind poliert worden. Trotz der Belastung, der er ausgesetzt war, seit Avalons Streitigkeiten und Tumulte in einen Krieg übergingen, fühlten sich diese Flügel fest und stark an. Sie trieben ihn durch die Luft, schoben seinen Körper voran mit jedem Schlag, eine lebende Verkörperung von Anmut und Kraft.
Doch diesen Flug genoss er nicht. Er konnte nur an Avalons verzweifeltes Bedürfnis nach Merlin denken – und die Weigerung seines Sohns zu helfen. Dieser törichte Krystallus! Er ist stur wie … der Drache zögerte und suchte nach den richtigen Worten. Wie sein Vater.
Tressimir jedoch hatte das größte Vergnügen an dieser Erfahrung. Er hatte einen Arm um das aufgestellte Ohr des Drachen geschlungen, beugte sich vor und spürte im Gesicht den Wind, der die Ärmel seiner Tunika flattern ließ. Der Wind zerrte an seinem Rucksack, die Riemen waren straff gespannt, doch der Elf war so in dieses neue Abenteuer vertieft, dass er es nicht bemerkte. Er betrachtete die Regionen, Flüsse, Cañons und nebligen Flure drunten und versuchte, sich ihre Lage einzuprägen. Noch mehr versuchte er, das wunderbare Gefühl des Flugs einzusaugen – überwältigend, vollkommen frei.
Bald nachdem grüne Wälder unten auftauchten, flog Basilgarrad tiefer, fast streifte er die Wipfel. Für Tressimir ergab sich so ein Blick auf seine Heimat, den er nie zuvor erlebt hatte und der ihm erlaubte, sie zu sehen wie ein Falke im Flug. Doch für Basilgarrad war der größte Gewinn nicht der Anblick, sondern es waren die Gerüche. Während er über die Bäume schwebte, nahm er die Düfte süßer Harze auf, herber Pflaumen, würziger Pilze und noch viel mehr. Die Fülle dieser Gerüche zog ihn aus seinen Sorgen und erinnerte ihn kurz, aber wirkungsvoll, warum ein Kampf zum Schutz seines geliebten Reichs sich lohnte.
Der Drache machte einen Schwenk und folgte dem gewundenen Lauf des unaufhörlichen Flusses zu seinem Ursprung. Unten schoss der Fluss über felsige Strecken oder strömte über Fälle. Das schäumende weiße Wasser schoss Vorhänge aus Gischt in die Luft, die von Regenbogen eingerahmt waren. Der Schatten des Drachen schien die Stromschnellen hinaufzusegeln, er bewegte sich so leicht wie das Wasser.
Als sie höher kamen, wurde der Fluss schmaler, er floss durch einen von Bäumen gesäumten Cañon. Allmählich wurden die Wände der Schlucht niedriger, sie gingen in die hügeligen Wiesen des Hochlands von El Urien über. Der Fluss, immer schmaler geworden, verwandelte sich in einen Bach und dann in ein dünnes Rinnsal. Basilgarrad wählte ein großes, flaches Feld für seine Landung.
»Das Quellgebiet«, verkündete Tressimir, der staunte, wie rasch sie angekommen waren. Er bewunderte die Schönheit dieser saftigen Wiesen mit ihren weißen Studentenblumen, runden gelben Feenkronen und den strahlend blauen Blüten, die dufteten wie Zedernzapfen.
Basilgarrad konzentrierte sich dagegen nicht auf die Landschaft – sondern auf die Geschöpfe, die sie erwarteten. Eine Gruppe Zentauren, wild und stolz, stand bei dem Rinnsal und stampfte ungeduldig mit den Hufen. Männer und Frauen mit Schildern, Speeren und Breitschwertern hatten sich in der Nähe versammelt. Die meisten starrten den Drachen an, während einige ein Waldlandlied weitersangen. Pferde, ein paar Bären und eine Schar weiß geschwänzter Hirsche wanderten umher und blieben hier und da stehen, um von dem klaren Wasser zu trinken. Dutzende Adlermenschen mit glänzenden Silberflügeln kreisten darüber; zahlreiche Habichte und Falken sowie mindestens ein riesiger Cañonadler flogen mit ihnen. Aus der Ferne näherte sich eine große Gruppe Elfen. Selbst aus dieser Distanz konnte der Drache ihre dunkelgrünen Tuniken, ihre Jagdbogen und die Köcher mit den Pfeilen erkennen.
Mehr, als ich erwartet habe, dachte Basil und beobachtete sie grimmig. Aber sind es genug?
Gerade da nahm er einen schwachen Geruch in der Luft wahr – so rochen verkohlte Schuppen und blutige Krallen. Feuerdrachen.
Er fuhr herum, der Knubbel an seinem Schwanz streifte fast die überraschten Zentauren. Basilgarrad bemerkte es nicht. Seine Aufmerksamkeit galt weiter den dunklen, fernen Gestalten, die auf sie zuflogen. Zähneknirschend erkannte er, dass es mehr als hundert Feuerdrachen waren – mehr, als er je im Kampf vor sich gesehen hatte. Sein großes Herz schlug schneller, seine Schultermuskeln spannten sich.
»Was ist los?«, rief Tressimir, der die Angreifer nicht sah, aber die Reaktion des Drachen spürte.
Basilgarrad antwortete nicht, er senkte nur sein Ohr, damit der Elf absteigen konnte. Ihm war gerade am Horizont eine andere Bewegung aufgefallen. Ein neuer Grund zur Sorge.
Flamelons! Eine große Armee kampferprobter Krieger marschierte auf sie zu. In ihrer perfekten Formation wirkte sie wie ein einziger, zusammenhängender Körper – eine unwiderstehliche Kraft, die alles, was sich in den Weg stellte, zerstören würde. Aus den Linien der Soldaten ragten die Türme von Katapulten und Flammenwerfern, zwei tödliche Erfindungen der Flamelons.
Während Basilgarrad sie mit hämmerndem Herzen beobachtete, nahm er eine andere Art Turm in ihren Reihen wahr. Dieser Turm überragte die Katapulte und wiegte sich vor und zurück, während die Flamelons ihn näher rollten. Sein Boden umfasste eine breite Plattform mit einer großen Holzkiste. Was in der Kiste sein mochte, konnte er nicht erkennen. Doch er wusste, dass er bald einer neuen Waffenart begegnen würde.
Beim Atem von Dagda, was ist das nur? Auf eine vage, unerklärliche Weise ahnte er, dass es die schrecklichste Erfindung sein würde, die je von den Flamelons gemacht worden war. Und schlimmer – dass ihr Hauptzweck darin bestand, ihn zu zerstören, ihn, Avalons größten Verteidiger. Ein tiefes, hallendes Grollen stieg aus seiner Kehle.
Tressimir, der auf den Boden hinabgeklettert war, holte ängstlich Luft, als er die näher kommenden Feinde in der Luft und auf dem Land beobachtete. »Das wird ein entsetzlicher Kampf«, prophezeite er, »der schlimmste, den es je gab.« Er tippte dem Drachen aufs Kinn und fügte hinzu: »Aber wir haben eine Chance zu siegen … dank dir.«
Basilgarrad, der in Gedanken hastig einen Schlachtplan ausarbeitete, schnaubte laut. »Wir könnten siegen, Tressimir, aber dieser Krieg wird sich immer weiterschleppen. Mehr Leben werden enden, mehr Länder werden brennen. Es wird nicht aufhören.«
»Wie kannst du das wissen?«, fragte der Elf. »Das könnte die große, entscheidende Schlacht sein, die den Krieg beendet!«
»Nein.« Basilgarrad betrachtete ihn ernst aus großen, strahlenden Augen. »Hier haben wir es mit mehr Gegnern zu tun, als wir sehen können. Das weiß ich, Tressimir – mit Gewissheit.«
Der Elf runzelte die Stirn. »Du meinst den Gegner, den du Krystallus gegenüber erwähnt hast. Den du ganz und gar böse genannt hast – die Ursache all unserer Probleme.«
»Genau. Und wenn ich nur wüsste, wo in Avalon er sich verbirgt – dann könnte ich ihn vernichten! Ich könnte diesen Schrecken endgültig zerstören und wieder Frieden herstellen.« Er stieß einen riesigen Seufzer aus, der so kräftig war, dass er das Gras auf fernen Wiesen bog. »Aber solange Merlin mir nicht hilft, gibt es keine Möglichkeit, ihn zu finden.«
»Doch, die gibt es.«
Der Elf sagte das so entschieden, dass Basilgarrad neugierig wurde. »Was meinst du?«, fragte er und schaute immer wieder besorgt zum Himmel. »Sag schnell! Wir haben nur noch zwei oder drei Minuten, bevor diese Drachen uns erreichen.«
Tressimir griff in den Rucksack und zog das Pergament von Krystallus heraus. Er hielt es immer noch gefaltet in der Hand. »Das ist eine Karte – eine ganz besondere Karte. Er sagte, ich soll sie dir geben, damit du Merlin finden kannst.«
»Ist es eine Karte zur Erde?«
»Nein! Viel besser.« Wind wehte über die Wiese und ließ das Pergament zittern. »Es ist eine Karte zu jedem Ort, zu dem du reisen willst. Jedem Ort überhaupt. In dieser Welt oder irgendeiner anderen.«
Der Drache schlug aufgeregt den Schwanz auf den Boden und warf damit viele Hirsche und Pferde um. »Kein Wunder, dass Krystallus sie so wertvoll fand.«
Tressimir nickte. »Er hat sie bei einer Wette mit der alten Hexe von Fincayra, Domnu, gewonnen. Und er hat sie seither sorgsam gehütet, weil er vorhatte, sie eines Tages für seine Reise zu den Sternen zu benutzen.«
»Und doch hat er sich von ihr getrennt, um Avalon zu helfen.« Die Drachenaugen funkelten. »Ganz wie der Vater.«
Basilgarrad machte eine Pause und schaute missmutig zu den näher kommenden Feuerdrachen. »Wenn ich diese Eindringlinge besiegt habe, werde ich die Karte benutzen, um Merlin zu finden! Mit ihrer Hilfe kann ich das viel schneller, als ich es für möglich hielt – und schnell genug, wollen wir hoffen, um zu verhindern, dass Avalons Feinde zu viel Schaden anrichten. Dann könnten Merlin und ich mit dieser Karte das bösartige Biest finden – und vernichten! Und wenn das alles geschehen ist, werde ich die Karte Krystallus zurückbringen, damit er sie auf seiner Reise benutzen kann.«
Tressimir biss sich auf die Lippe. »Nein, das kannst du nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil … diese Karte nur ein Mal benutzt werden kann.«
Der Drache starrte auf ihn hinunter. »Ein Mal?«
»Leider. Das ist die Grenze der Magie. Und das bedeutet …«
»… ich muss eine Wahl treffen.«
»Eine schreckliche Wahl. Entweder du findest damit Merlin – oder das Biest. Aber nicht beide.« Tressimir schüttelte den Kopf. Der Wind blies wieder, er roch stark nach verkohlten Drachenschuppen. »Aber das solltest du später entscheiden, wenn du Zeit genug hast, alles zu durchdenken.«
»Nein!«, brüllte der Drache, seine Nüstern blähten sich. »Ich habe schon entschieden. Ich werde sie benutzen, damit sie mir zeigt, wo ich das Biest finde.« Er schubste den Elf mit der Nase an und fügte hinzu: »Und ich will das jetzt machen.«
»Jetzt? Aber die Feuerdrachen … die Schlacht …«
»… beginnt in Sekunden, ich weiß! Aber, Tressimir, im Kampf könnte alles geschehen. Die Karte könnte verloren gehen oder zerstört werden. Besser, sie zu benutzen, solange wir diesen Moment haben. Jetzt!«
»Nun gut.« Tressimir entfaltete behutsam die Karte und erklärte schnell: »Konzentriere deine Gedanken auf das, was du finden willst. Dann sprich die Worte Zeig mir den Weg.«
Basilgarrad schaute auf das kleine dünne Stück Pergament. Es war völlig leer bis auf die kleine Zeichnung von einem runden Kompass in der oberen linken Ecke und wies durch nichts darauf hin, dass es irgendwelche Magie besaß. Von so starker Magie ganz zu schweigen.
Das muss wirken, dachte er leidenschaftlich. Um Avalons willen. Er sammelte seine ganze Energie und konzentrierte seine Gedanken auf das schattenhafte Untier, das er in Bendegeits Kugel kurz gesehen hatte – das Biest, das hinter all diesem Durcheinander steckte.
Mit seiner tiefen Stimme bellte er: »Zeig mir den Weg.«
Nichts geschah. Eine Sekunde verging. Dann eine zweite. Dann eine dritte. Basilgarrad schaute kurz zu dem Elf hinüber, dann hinauf zum Himmel, wo die Feuerdrachen schnell näher kamen. Er wollte schon aufgeben, da schaute er zum letzten Mal auf die Karte. Sein Herz war schwer, denn er hatte wirklich gehofft, dass sie ihm helfen würde.
Etwas veränderte sich! Der Pfeil auf dem dekorativen Kompass fing wunderbarerweise an sich zu drehen. Immer schneller drehte er sich, bis alles verschwommen war. Die Ecken und Falten der Karte verdunkelten sich inzwischen leicht und bekamen eine goldene Farbe. Zugleich wirbelten hellbraune Wolken auf dem übrigen Pergament. Während die beiden gespannt zuschauten, vereinigten sie sich zu erkennbaren Formen.
»Das ist Avalon – die Wurzelreiche!«, rief Tressimir. »Jetzt … kommt die Karte näher und konzentriert sich auf ein Reich.«
»Lehmwurzel«, erklärte der Drache. Besorgt schaute er kurz zum Himmel. »Aber wo in Lehmwurzel?«
Als würde die Karte antworten, bewegte sich ihr
Bild nach Norden vorbei an den Ebenen von Isenwy, vorbei an den Dschungeln von Africqua. In den nördlichsten Bezirken des Reichs zeigte die Karte die dunklen, gespenstischen Umrisse eines großen Sumpfs.
»Das verhexte Moor!«
Als die Stimme des Drachen über die Wiesen hallte, rief einer der Zentauren: »Die Zeit zum Kämpfen ist gekommen! Wir stehen den Drachen in der Luft, den Flamelons auf dem Land gegenüber. Gib uns deinen Befehl, Basilgarrad!«
Der große Drache hob den Kopf und brüllte: »Alle von euch, die galoppieren können – Zentauren, Pferde und Hirsche –, teilt euch in zwei Gruppen und greift die Flamelons von beiden Seiten an. Elfen, macht guten Gebrauch von euren Bogen! Dann, alle zu Fuß, ihr müsst die Mitte attackieren, um ihre Reihen zu teilen. Zeigt ihnen euren Zorn – während die Vögel und ich unsere Wut den Feuerdrachen zeigen!«
Lauter Beifall stieg auf, er einte die Stimmen vieler Geschöpfe von Avalon. Trotz Basilgarrads ernsten Bedenken – die überwältigend vielen Gegner, mit denen sie es zu tun hatten, die Feuergefahr in diesem Reich und diese geheimnisvolle neue Waffe der Flamelons – war er ermutigt. Denn er wusste, dass die Eindringlinge zwar durch Gier und Hass motiviert waren, seine Streitkräfte aber von etwas viel Stärkerem angetrieben wurden: ihrer Liebe zu ihren Heimen und Familien – und zu Avalon.
»Schau!«, rief Tressimir.
Basilgarrad, der gerade die Flügel öffnen wollte, drehte sich um und sah den Elf auf die Karte deuten. Das Bild des verhexten Moors veränderte sich zu einer dunklen, schattigen Szene. In der Mitte stand ein abscheuliches Untier, es wand sich in einer Grube voller Leichen und zog Kraft aus dem Tod, der es umgab. Es war zwar größer geworden, doch es konnte keinen Zweifel geben: Das war dasselbe scheußliche Biest, das Basilgarrad zuvor in der magischen Kugel gesehen hatte. Schwärzer als die Nacht, schien es kein Körper, sondern eine Leere zu sein. Kein Geschöpf, sondern ein Schatten. Dunkler als dunkel.
»Das ist es«, grollte der Drache. »Das steckt hinter alldem.«
»Was ist es?« Tressimir verzog das Gesicht bei diesem Anblick.
»Ich weiß nicht. Aber ich werde …«
Der Drache unterbrach sich und betrachtete das Bild, wie es sich bewegte. Was war so vertraut an dieser Form? Das sich windende Biest schien sich umzudrehen, als wolle es direkt auf ihn glotzen. Plötzlich kam ein roter Blitz, er dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor er in einem wütenden blutroten Auge verschwand.
Ganz plötzlich traf die Wahrheit Basilgarrad wie ein Schlag. »Dieser Egel – das Werkzeug von Rhita Gawr! Natürlich, so ist es!«
Noch als die Erinnerung an seine Begegnungen mit dem Egel auf ihn einflutete, fing die Karte an zu zischen. Rauch stieg von dem Kompass auf und verteilte sich an die Ränder des Pergaments. Mit einem überraschten Schrei ließ Tressimir die Karte fallen – gerade bevor sie in Flammen aufging. Sekunden später war nichts von ihr übrig als verstreute Asche auf dem Boden.
Basilgarrad betrachtete finster die Asche – und das Bild des aufgeschwollenen, schattigen Egels in seinem Kopf. »Ich finde dich«, grollte er. »Was auch geschieht, ich finde dich.«
Der Drache hob den Kopf und stieß ein mächtiges Gebrüll aus. Er sprang hoch und hob sich in die Luft, er tauchte ein in die Schlacht um Avalon.