15

Spiralen

Es gibt viele Arten aufzusteigen – manche aufregender und tödlicher als andere.

Fliegen?«, fragten Bendegeit und Basilgarrad einstimmig. Ihre tiefen Stimmen dröhnten wie gleichzeitige Donnerschläge, hallten um die fackelbeleuchtete Höhle und schlugen weitere Seesterne von der Decke.

Marnya nickte entschieden, wobei sie die leuchtend blauen Augen weiter auf Basilgarrad richtete.

»Meine Tochterrr, du musst …«, begann der Herrscher. Doch er unterbrach sich und bedachte eine neue Idee. Mit einem ironischen Grinsen streckte er eine seiner Flossen aus dem Wasser und richtete die Krone gerade, dann erklärte er: »Dein Wunsch soll errrfüllt werrrden. Wenn derrr Eindrrringling hierrr dich fliegen lehrrren kann, dann werrrde ich ihm den wahrrren Grrrund seinerrr Prrrobleme zeigen.«

»Wie – aber, ich … aber …«, stotterte der grüne Drache völlig überrascht. Er schaute von Marnya zu ihrem Vater und wieder zurück, bis er schließlich herausbrachte: »Aber ich weiß nicht, wie! Sie ist – du bist – ein Wasserdrache!«

»Nichtsdestotrrrotz«, polterte Bendegeit mit einem Grinsen um seine riesigen Lippen, »habe ich es so beschlossen. Akzeptierrre meine Bedingung – oderrr verrrlasse dieses Rrreich auf derrr Stelle.«

Basilgarrad, der aus Verzweiflung über diese Wendung der Ereignisse fast überkochte, schüttelte den Kopf. Zeit verrann und wurde vergeudet! Aber er hatte keine Wahl.

»Ich akzeptiere«, knurrte er. Zu dem jungen weiblichen Drachen gewandt, setzte er hinzu: »Wir fangen sofort an. In dieser Minute.«

»Ausgezeichnet.« Sie strahlte. »Ich habe schon immer fliegen wollen. Immer! Aber hier kann es mir niemand beibringen. Als ich dich landen sah, wusste ich, dass du der Richtige dafür bist.«

»Ganz und garrr perrrfekt!«, sagte der Herrscher und seine Augen funkelten hell. »Das wirrrd ziemlich amüsant sein.«

»Stimmt«, brummte Basilgarrad. »Komm mit.« Er schüttelte den Kopf, drehte sich herum und schwamm durch den Tunnel auf das offene Meer zu. Dicht hinter ihm folgten Bendegeit und seine Tochter.

Als Basilgarrad das perlige Licht der Höhle hinter sich ließ, wirbelten ihm bedrückende Fragen durch den Kopf. Wie konnte er ihr das Fliegen beibringen, wenn sie noch nicht einmal Flügel hatte? Wie hatte ihn eigentlich dieser schlüpfrige Aal von einem Herrscher überlistet? Gab es noch irgendeine Möglichkeit, sich Bendegeits Hilfe zu sichern?

Sobald sie aus dem Tunnel kamen, begann Marnyas Flugunterricht. Es ging nicht gut. Mit dem belustigten Wasserdrachenoberhaupt und seinen drei bewusstlosen Wachen (die immer noch zusammengesunken am felsigen Ufer lagen) als Publikum versuchte Basilgarrad ihr zu zeigen, wie man vom Wasser aus in die Luft startet. Er schob sie von hinten, während sie wie verrückt mit den Flossen schlug, zog sie mit seinem Schwanz und tat alles, was ihm nur einfiel, um sie zu ermutigen. Doch nichts half. Sie konnte sich so wenig aus dem Wasser heben, wie sie auf magische Weise ihre Flossen in gefiederte Flügel verwandeln konnte.

An einem Punkt flog über ihnen ein Schwarm Seevögel – silbrige Eisvögel. Sie kamen dem Wasser so nah, dass die Drachen innehielten und zuschauten, wie sie über die Wellen schwebten und ihre breiten Flügel die Farbenpracht des Meeres spiegelten. Basilgarrad lauschte dem rhythmischen Schlagen der Flügel, atmete tief die salzige Luft ein und schüttelte traurig den Kopf.

Auch Marnya war entmutigt. Während sie den Vögeln nachschaute, die so mühelos vorbeiflogen, verloren ihre Augen etwas von dem Strahlen. Und das Oberhaupt der Wasserdrachen? Bendegeits Gesicht zeigte größte Befriedigung.

»Bist du berrreit aufzugeben, Marrrnya?«, rief er seiner Tochter zu.

»Nicht im Geringsten, Vater!«, antwortete sie. Doch der gezwungene Ton widerlegte ihre Worte.

In diesem Moment beschloss Basilgarrad, es anders zu versuchen und sich auf die Bewegung ihrer Flossen zu konzentrieren. »Es ist anders, als durchs Wasser voranzukommen«, erklärte er und hielt ihre Flosse direkt über die Oberfläche. »Die Luft ist wie das Wasser stark genug, unser Gewicht zu tragen. Aber sie ist anders – leichter, dünner. Um zu fliegen, kannst du nicht einfach durchrudern. Du musst zuerst dich selbst darauf legen, dann darauf schweben

»Wie kann ich auf der Luft schweben«, fragte sie verzweifelt, »wenn ich noch nicht einmal aus dem Wasser komme?«

»Indem du die Flossen mehr wie Flügel gebrauchst!«, sagte er, es kam ihm vor wie zum hundertsten Mal.

»Ich weiß nicht, was das bedeutet!«, protestierte sie. »Kannst du mir das denn nicht irgendwie zeigen?«

»Das versuche ich doch die ganze Zeit«, sagte er ärgerlich.

»Nun, es hilft nichts. Kannst du es mir nicht deutlicher zeigen?«

»Nicht wenn ich …« Er unterbrach sich. »Moment! Ich habe eine Idee. Vielleicht hilft es nichts. Aber wenn … könnte es dir einfach zeigen, was du verstehen musst. Und, Marnya« – er schaute hinüber zu Bendegeit, der ungeduldig Eisströme aus seiner Nase blies –, »uns wird die Zeit knapp.«

»Ich weiß«, antwortete sie. »Was deine Idee auch sein mag, wir probieren sie aus.«

»Gut. Du musst mir vertrauen. Schaffst du das?«

Sie betrachtete ihn einen langen Moment, ihre blauen Augen funkelten wie Meeresnebel. »Ja.«

»Dann bleib, wo du bist, während ich unter dich tauche und …«

»… du mich in die Luft hebst?« Sie riss die Augen weit auf. »Das kannst du?«

»Ich kann es versuchen! Weil es die einzige Möglichkeit ist, dir aus nächster Nähe zu zeigen, wie Flügel sich bewegen. So siehst du es, wenn ich fliege. Dann kannst du es vielleicht auch selbst.« Er verzog das Gesicht. »Ich weiß nur nicht genau, ob ich jemanden von deiner Größe heben kann.«

»Versuch es!«, bat sie und platschte mit ihren Flossen auf das Wasser. »Es könnte wirklich gehen!« Leise fügte sie hinzu: »Vergiss nicht, du tust das nicht für mich. Du tust es für Avalon.«

Ihre Worte gaben ihm neue Energie, genau wie ein Funke Reisig entzündet. Er wartete keinen weiteren Augenblick, sondern schwamm in einiger Entfernung hinter ihr her, füllte die Lungen mit Salzluft und tauchte unter die Wellen.

Whuuuusch! Direkt unter ihr hob er sich aus den Wellen und schwenkte heftig den Schwanz, um Schwung zu bekommen. Mit mächtiger Anstrengung hob er sie auf seinen Rücken – aber ob er sie in die Luft tragen könnte? Er breitete die Flügel so weit wie möglich aus, bewegte sie mit aller Kraft und strengte sich an, diese schwere Last über die Meeresoberfläche zu heben. Nie hatte er so viel Energie aufgebracht zum Schlagen, Schlagen, Schlagen der Flügel!

Marnya hielt sich inzwischen auf seinem Rücken fest, sie hatte die Krallen um seine muskulösen Schultern gekrampft. Ständig beobachtete sie den mächtigen Schlag seiner Flügel und versuchte zu verstehen, wie sie die Luft fingen – genug, um zu schweben.

Basilgarrad kämpfte sich durchs Wasser, spritzte Fontänen in alle Richtungen und warf all seine Kraft in den Versuch abzuheben. Er schlug mit den Flügeln, schwenkte den Schwanz und streckte den Hals nach oben. Immer mehr versuchte er es, und noch mehr, wobei er das Gewicht ignorierte, das ihn hinunterdrückte, und den zunehmenden Schmerz in seinem Rücken, den Schultern und dem Schwanz.

Heb sie, Basil!, befahl er. Hebe sie!

Endlich …

Er hob sich aus dem Wasser. Langsam, Meter um Meter stieg er hoch, bis seine Flügelspitzen und der Schwanz nicht mehr gegen die Oberfläche schlugen. Endlich, ganz in der Luft, regte er mächtig die Flügel und trug seine Passagierin höher. Bald segelten sie weit über dem Wasser – und dem Herrscher der Wasserdrachen, der dasaß und ihnen verblüfft nachschaute.

»Du hast es geschafft!«, trompetete Marnya.

»Ja.« Die Befriedigung war herauszuhören. »Jetzt pass gut auf.«

Er bog die Flügel zurück und hielt plötzlich mitten in der Luft. Während seine Passagierin ängstlich den Atem anhielt, veränderte er den Winkel der Flügel und fing eine Luftströmung nach oben auf, die sie höher trug. Dann schwenkte er zur Seite und führte mehrere enge Drehungen aus, er flog in Spiralen weit über dem regenbogenfarbenen Meer.

»Das ist wunderbar«, sagte Marnya verträumt direkt in sein Ohr. »Wenn ich nur – nein! Warte!«

Als sie sich einen Moment entspannte, hatte sie eine Kralle von seiner Schulter rutschen lassen. Durch den Schwung seiner Drehungen fing sie an, den Halt zu verlieren. Ihr Gleichgewicht. Und ihre einzige Unterstützung in diesem fremden Element.

»Hilfe!«, schrie sie und rutschte ganz von seinem Rücken.

Basilgarrad rollte unter sie und versuchte, ihr neuen Halt zu geben. Aber sie bekam ihn nicht rechtzeitig zu fassen. Ihre Krallen kratzten die Schuppen seines Rückens entlang – dann berührten sie nur noch Luft.

»Hilf mir!«, schrie sie und fiel in die Tiefe.

Basilgarrad hörte auf, im Kreis zu fliegen, drehte ab und stürzte ihr nach, so schnell er konnte. Doch er wusste, dass er sie bei dieser Entfernung zwischen ihnen nie rechtzeitig erreichen konnte. Die gleiche Erkenntnis hatte auch ihr Vater weit unten, der brüllte und wild mit den Flossen schlug.

Marnya, die sich im Fallen drehte, sah, wie die blaue Fläche des Meers mit beängstigender Schnelligkeit näher kam. Obwohl sie noch nie etwas Ähnliches erlebt hatte, ahnte sie, dass bei diesem Tempo der Aufschlag auf dem Wasser fast so schlimm würde wie der Sturz auf festes Land. Sie könnte mit dem Leben davonkommen oder auch nicht, doch wahrscheinlich brach sie ihre Flossen, den Rücken oder den Hals.

Ihre Gedanken rasten. Was machen Vögel, wenn sie langsamer sinken wollen? Wie verwandeln sie den Fall in einen Flug?

Instinktiv bog sie den Rücken und versuchte, den Kopf zu heben, damit er nicht als Erstes aufs Wasser schlug. Zugleich streckte sie die Flossen aus – lang und kräftig, wenn auch schmaler als Flügel –, mehr aus dem natürlichen Drang, sich irgendwo festzuhalten, als um irgendein Ziel zu erreichen. Als sie den Kopf hob, stellte sie fest, dass ihr Bauch mehr Wind aufnahm. Und als ihr Körper waagrechter lag, fingen auch die Flossen mehr Wind auf. Die Häute an den Flossen dehnten und öffneten sich dem Wind.

Allmählich wurde aus ihrem Sturz mit dem Kopf voran mehr ein diagonaler Abstieg. Sie streckte die Flossen weit aus, wurde langsamer und spürte die Luft unter ihrem Körper. Sie bog die Flossen nach hinten, wurde noch langsamer und bekam ein kleines bisschen Kontrolle über diesen Fall. Sie hob den Bauch und hatte fast das Gefühl, dass eine unsichtbare Decke unter ihr sie trug.

In Sekundenschnelle hatte sie sich aus einem Geschöpf, das durch die Luft stürzte, verwandelt … in ein Geschöpf, das auf der Luft segelte. Jetzt trieb sie dahin. Schwebte.

Sie flog!

Mit ausgestreckten Flossen glitt sie ins Meer und warf eine ungeheure Welle, die über ihrem Vater zusammenschlug. Doch das machte ihm offenbar nichts aus. Als er zu ihr schwamm, sie begrüßte und vor Aufregung fast seine Krone verlor, schaute sie zum Himmel.

Danke, grüner Drache, dachte sie, als sie ihn landen sah. Für dieses Geschenk. Diesen Flug.