11

Die Seuche

Alles Gute muss mal enden, heißt es. Aber warum? Warum muss etwas wirklich Gutes schließlich untergehen? Ich hasse diesen Gedanken. Ja, und ich wehre mich dagegen aus ganzem Herzen.

Basilgarrad schlug mit den mächtigen Schwingen und schnitt durch die Wolken. Mit jedem kraftvollen Schlag brachte er seine Passagiere Merlin und Nuic ihrem Ziel Steinwurzel näher. Denn dort hofften sie Rhia zu finden: im Steinkreis, der im Herzen des Geländes der Gemeinschaft des Ganzen lag.

Wind pfiff über die Drachenschuppen und schien das Wort schschschneller zu schreien. Kein Geschöpf in Avalon konnte so schnell fliegen. Aber würde es schnell genug sein?

Merlin, der sich am Ohr des Drachen festhielt, sah finster aus. Er lehnte sich in den Wind und beschwor in Gedanken seinen Freund, noch schneller zu fliegen. Denn Rhia – für die übrige Welt die Hohepriesterin der Gemeinschaft – war für ihn wesentlich kostbarer: seine Schwester und liebste Freundin. Nur Hallia und Basil kamen seinem Herzen so nah.

Er schluckte, als er an das kranke, brüchige Blatt von Rhias Anzug aus gewebten Ranken dachte. Sie hatte nie, noch nicht einmal nach dem Tod ihrer Mutter Elen, das elegante Gewand aus Spinnenseide gern getragen, das Kennzeichen der Hohepriesterin. Nein, genau wie in vielen Jahren als junge Frau im Drumawald zog sie natürliches Grün als Bekleidung bei Weitem vor. Vor allem weil diese besonderen Ranken die alte Magie des wunderbarsten Waldes auf der versunkenen Insel Fincayra in sich trugen. Eine Magie, die ewig bestehen konnte – wenn sie nicht von einem Gift angegriffen wurde, das stark genug war, den ganzen Wald umzubringen … und Rhia vielleicht auch.

Wenn ihr Anzug leidet, dachte Merlin, dann leidet sie auch.

Wir kommen bald dort an, antwortete der Drache telepathisch. Seine großen Flügel schlugen heftig. Sehr bald.

Wenige Minuten später sahen sie den Steinkreis, dessen Säulen in den frühen Tagen Avalons den ganzen Weg vom versunkenen Fincayra hergetragen worden waren. Gleich außerhalb des Kreises stand die berühmte Schnallenglocke, die aus der Gürtelschnalle eines Riesen gemacht worden war. In der Nähe lagen farbenprächtige Gärten; Rhia und ihre Anhänger hatten sie angelegt zu Ehren von Dagda, dem Gott der Weisheit, und Lorilanda, der Göttin der Geburt und Erneuerung. Dahinter erstreckten sich viele Kornfelder mit Dutzenden Bauernhäusern, von denen jedes einen Wetterhahn und eine Glocke auf dem Dach trug. Als einziges Stück Land, das aus irgendeinem Grund nicht kultiviert war, erwies sich ein unregelmäßiger Hang mit klumpigem Boden am Rand des Steinkreises.

Basilgarrad runzelte die Stirn. Zwischen so vielen Hindernissen zu landen, würde nicht leicht sein. Die weiten Ebenen im Süden oder die Gletscher im Norden waren ihm viel lieber. Doch hier lebte Rhia, also würde er hier landen.

Er bog die Flügel und drehte scharf ab, damit er weder den Hang noch eines der Bauernhäuser beschädigte. Mit einem donnernden Krach schlug er auf den Boden. Merlin und Nuic wurden vorwärtsgeschleudert, rollten die Drachenschnauze hinunter und landeten auf der massiven schwarzen Nase. Einige der größten Säulen im Steinkreis schwankten gefährlich, dann stürzten sie krachend auf den Hang.

In diesem Moment erwachte der Hang. Oder genauer, er rührte sich in seinem Schlaf. Denn es war gar kein Hang, sondern ein schlafender Riese mit zottigem Haar, einer Weste aus gestrickten Pinienästen und einer Knollennase.

»Shim!« Merlin hatte seinen alten Freund erkannt. Mithilfe seines Stabs kam er auf die Füße. »Shim, wach auf!«

Doch der schlafende Riese rückte nur seinen enormen Körper etwas zur Seite, wobei er fast das Dach eines Bauernhauses mit seinem haarigen Zeh gestreift hätte. Den Steinsäulen, die in Shims offene Hand gefallen waren, ging es nicht so gut. Zwischen ächzendem Schnarchen warf er sie zur Seite, als wären sie nichts als Kiesel. Dann glitt der Riese wieder in einen friedlichen Schlaf und murmelte: »Da hast du, schurkischer Schurke! Bestimmt, definitiv, abs…«

Merlin schüttelte mit einem Blick auf den schlafenden Riesen entsetzt den Kopf. Nuic, bereits zornig violett wegen der misshandelten Säulen, tat das Gleiche. Nur Basilgarrad grinste, denn er konnte seine erste Begegnung mit Shim nicht vergessen. An jenem Tag hatte der enorme Kerl ebenso tief geschlafen und um ein Haar Merlins Sohn Krystallus zerquetscht, der damals noch ein Kleinkind war. Nur der durchdringend süße Geruch von Honig, den Basil in die Riesennase schickte, weckte ihn noch rechtzeitig.

Hinter dem Schutt der zusammengebrochenen Säulen kamen zwei Leute hervor und auf die Gelandeten zu. In dem großen Priester, dem ein Ohr fehlte, erkannte Basilgarrad Lleu, seit Langem ein Freund von Merlin und Rhia. Die andere Person war zu seiner Freude Rhia selbst. Sie wirkte so gesund und lebhaft wie immer und strahlte ihre übliche Entschlossenheit aus, obwohl die Ranken ihres Anzugs befleckt waren mit kränklich braunen Blättern wie dem einen, das Nuic gebracht hatte. Ihre Füße – nackt, wie sie es gern hatte – sprangen leicht vom Boden, ihre Locken tanzten bei jedem Schritt.

Merlin lief ihr entgegen und umarmte sie. »Dir geht es gut!«, rief er und seufzte erleichtert auf.

»Das stimmt«, erklärte sie grimmig. »Aber Waldwurzel nicht!«

Waldwurzel. Der Name von Basilgarrads Lieblingsreich, dessen üppige duftende Wälder er Heimat nannte, ließ ihn zusammenzucken. Was war dort nicht in Ordnung? Was war geschehen?

Rhia bückte sich, hob Nuic auf und drückte dankbar seinen Arm. »Kommt jetzt, ich werde es euch zeigen. Mit Worten lässt es sich nicht erklären … ihr müsst das selbst sehen.«

Merlin wandte sich dem riesigen Drachen zu, der ausgestreckt hinter ihm lag und dabei kaum zwischen den Steinkreis und den schlafenden Riesen passte. »Basil, bringst du uns hin?«

»Wohin ihr wollt.«

»Flieg dem Quellgebiet des unaufhörlichen Flusses zu«, bat Rhia, »und dann nach Norden.«

»Müssen wir wieder auf dieser übergroßen Eidechse fliegen?«, knurrte Nuic. Aber niemand schien darauf zu achten – schon gar nicht der Drache, der eines seiner langen Ohren auf den Boden gesenkt hatte, damit die Passagiere an Bord steigen konnten.

Basilgarrad rutschte vor, damit er die Flügel öffnen konnte, ohne noch mehr Säulen umzuhauen, und fand genug Platz zum Abheben. Er sprang in die Luft, machte einen Schwenk um Shims Fuß und schlug mit den Flügeln. Nach Westen flog er – Waldwurzel zu.

Augenblicke später kam die dunkelgrüne Grenze von Avalons Waldreich in Sicht. Noch bevor Basilgarrad viel von den bewaldeten Hügeln dahinter sehen konnte, fing er die vertrauten Düfte auf: Fichtenharze, süß und bitter zugleich; Fliederblüten mit ihrem starken ätherischen Parfum; Rinde und Holz, nass vom Regen, beim Verschmelzen mit der Erde. Eicheln, von denen jede die Substanz einer Eiche in sich trug; und Pilze, geheimnisvoll würzig.

Während sie in das Reich flogen, gingen Hügel um Hügel voller Grün in blaue Bergrücken über, die auf ihren Senken und Schluchten Schatten wie dicke Decken trugen. Lebhafte Bäche flossen durch jede Falte, wobei sie mit unaufhörlichem Überschwang plätscherten und spritzten.

Nebelwolken stiegen aus den Lichtungen wie die fröhlichen Töne der Singvögel. Noch mehr Düfte wehten zu ihnen – Hirschspuren im Moor, reifende Pflaumen, abblätternde Birkenrinde, feuchte Moosbüschel. Dann stieg direkt unter ihnen ein Schwarm Zitronenfeen in die Luft, ihre winzigen gelben Flügel leuchteten wie Sterne.

»Weiter nördlich«, sagte Rhia, die im Schneidersitz auf dem Drachenkopf saß. Wind blies durch ihr Haar und glättete beinahe die Locken. Sie schaute nach rechts, wo Merlin hinter einem großen Ohr stand. »Zum tiefsten Wald.«

Lleu, der am anderen Ohr des Drachen stand, hob die Stimme, um über den Wind gehört zu werden. »Zu dem, was der tiefste Wald war

Dann schwiegen alle, während sie über Meilen von dichtem Wald sausten. Bäume in allen Schattierungen von Grün füllten jede Kontur des Landes, so wie die Musik der Singvögel die Luft füllte. Dann hielten alle Gefährten zugleich den Atem an. Denn die Landschaft unter ihnen veränderte sich dramatisch.

Entlaubte Bäume standen da wie Skelette. Das Land war jetzt mehr braun und grau als grün, eine vergrößerte Version von Rhias sterbendem Blatt. Schluchten, in denen einst Bäche geflossen waren, waren trocken und still; kein Moos wuchs an den Ufern, kein Fisch sprang aus den Teichen. Kein Nebel stieg zum Himmel, nur Staubwolken wurden vom unruhigen Wind aufgewirbelt.

Basilgarrad strengte die Augen an, er hoffte auf irgendein Lebenszeichen in dieser traurigen Region. Doch je weiter nach Norden sie flogen, umso verwüsteter wurde der Wald. Jetzt sah der Drache kein springendes Reh, er hörte kein Vogelgezwitscher, roch keine Frucht oder Blume.

»Was … ist geschehen?«, keuchte er.

»Eine Seuche«, erklärte Rhia und fuhr mit den Fingern über die gewebten Ranken ihrer Kleidung. Weil deren Magie der gleichen Quelle entsprang wie das Leben der Wälder, verblassten auch sie. Schon waren über Rhias Armen, Schenkeln und über der Brust mehr trockene braune Blätter.

»Und die Seuche breitet sich aus«, sagte Nuic, der neben Rhia saß. Seine Farbe hatte sich zu einem leblosen Grau mit wenigen grünen Spuren verändert.

»Was ist die Ursache?« Basil schüttelte im Flug den ungeheuren Kopf. Um besser sehen zu können, sank er tiefer, sodass seine Unterseite fast die Wipfel der entlaubten Bäume streifte. »Was steckt hinter alldem?«

»Magie«, erklärte Merlin, sein Gesicht war verzerrt, als hätte er in eine unreife Frucht gebissen. »Ich kann es spüren bis ins Mark meiner Knochen. Das ist dunkle Magie – die schlimmste, der ich je begegnet bin.«

Der Drache drehte ab und folgte dem leeren Wasserlauf, in dem einmal ein Bach geflossen war. Der trockene Wind, der nach nichts außer Staub roch, blies über ihn und alle, die er trug. Er schien alle Fetzen von Hoffnung darauf wegzublasen, dass der Wald wieder leben könnte.

»Gibt es eine Möglichkeit, das aufzuhalten?«, fragte Basil. »Die Magie zu bekämpfen?«

Rhia auf dem Drachenkopf fuhr zu ihrem Bruder herum. »Gibt es die?«

Merlin musterte mit seinen dunklen Augen die traurige Szene in der Tiefe. »Vielleicht. Aber es wird sehr riskant sein.«

»Es ist jedes Risiko wert.« Rhia nahm ein welkes Blatt von ihrem Arm und warf es in den Wind. Ziellos trieb es hinunter in den leblosen Wald und landete auf dem nackten Boden.

Grimmig nickte Merlin. »Dann soll es so sein. Basil, flieg weiter nach Westen. Über diesen Kamm dort, den mit der Einkerbung.«

Der Drache wendete, er flog immer noch direkt über den spitzen Baumwipfeln. Sekunden später überquerte er den eingekerbten Kamm. Weitere verwüstete Regionen erstreckten sich vor ihnen, erst am Horizont zeigten sich ein paar gesunde Bäume.

»Dort!«, rief Merlin und deutete nach links. »Setz uns dort ab.«

Basilgarrad wusste sofort, welchen Fleck Merlin gewählt hatte. Zwischen all dem Grau und Braun unten sah er nur eine Abweichung – ein schwaches vibrierendes Grün. Nicht das Grün lebender Pflanzen, sondern das eines bestimmten Feuers.

»Eine Pforte.« Lleu spähte zu den Flammen hinunter. »Weißt du, Merlin, wohin sie führt?«

Der Zauberer schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wohin sie führen könnte – zu einem Ort weit unter der Oberfläche von Waldwurzel, einem Ort, den wir nur durch Pfortensuchen finden können. Ich bin einmal dort gewesen, aber nur mit Dagdas Hilfe. Doch was ich dort sah, war ein großer Vorrat einer besonderen Substanz – der einzigen Substanz, die stark genug ist, diese Plage zu bekämpfen.«

Rhias Locken tanzten, als sie nickte. »Du meinst … Élano?«

»Ja! Nicht die verdünnte Art, die wir in Heilquellen oder Pfortenflammen finden. Nein, ich meine reines Élano – die konzentrierteste Magie in dieser Welt oder vielleicht in jeder Welt.«

Er zwirbelte nachdenklich seinen Bart. »Vergesst nicht, ich habe erst angefangen, seine Kräfte zu verstehen. Aber wir sprechen über den unentbehrlichen Saft, die Lebensquelle des Baums. Sie vereint alle sieben heiligen Elemente – und das Ergebnis ist, nun, Magie jenseits der Magie.«

»Und«, sagte Rhia, plötzlich aufgeregt, »wenn wir irgendwie genug reines Élano sammeln können …«

»… gelingt es uns vielleicht, die Seuche zu bekämpfen«, ergänzte ihr Bruder. »So stark diese dunkle Magie auch ist, die Kraft von Élano könnte stärker sein. Wenn ich mich nicht täusche, ist es eine Kraft zur Erschaffung und Heilung von Leben und nicht zu seiner Zerstörung.« Er schluckte. »Und wenn ich mich täusche …« Er verstummte.

»… verlieren wir kostbare Zeit«, ergänzte Lleu. »Inzwischen verbreitet sich diese schreckliche Krankheit! Wenn wir zu lange nichts tun, wird es in Avalon nichts mehr zu retten geben.«

»Und wir wissen immer noch nicht, was hinter allem steckt«, erinnerte der Drache sie mit seiner hallenden tiefen Stimme.

Er näherte sich der Pforte, hob den massiven Schwanz und neigte die Flügel. Staubige Winde umkreisten ihn, als er tiefer sank.

»Ich werde euch sagen, wer dahintersteckt«, erklärte Rhia, während windzerzauste Locken ihre Wangen peitschten. »Rhita Gawr! Er will alles Leben – alle Magie – in Avalon beenden. Die Zeit zurückdrehen, damit unsere Welt keine Möglichkeit mehr hat, sich zu entfalten. Die Ermordung dieses Waldes ist erst der Anfang.«

»Langsam, langsam«, warnte Merlin. »Das wissen wir noch nicht. Es könnte eine andere Erklärung geben.«

»Zum Beispiel?«, fragte Rhia zweifelnd.

Er biss sich auf die Lippe. »Ich weiß es nicht. Noch nicht.«

Sie wurde zornig. »Du hast schon immer gern gewartet, bis die Gefahr dir direkt zwischen die Augen schlägt, statt dass du dich darauf einstellst, wenn du sie kommen siehst! Warum kannst du eine Katastrophe nicht nennen, was sie wirklich ist?«

»Dafür sind Schwestern da.«

»Katastrophen zu erkennen?«

»Ja«, antwortete er ironisch. »Oder sie zu verursachen.«

Plötzlich sank Basilgarrad tiefer und bereitete sich auf die Landung vor. Er bog die riesigen Schwingen und hob zugleich den Kopf, um seine Passagiere vor dem Aufprall zu schützen – gerade als er in einen Haufen toter Bäume brach, die er mit seinem Gewicht abmähte. Er rutschte zu einem Halt, dann senkte er den Kopf wieder. Wenige Schritte von seiner Kinnspitze entfernt prasselte das grüne Feuer der Pforte mitten in einer flachen Grube.

»Ausgezeichnete Arbeit, Basil.« Der Zauberer tätschelte die Rückseite des Drachenohrs. »Eine perfekte Landung.«

»Hmmmpff«, knurrte der Kobold. »Absolut schrecklich, wenn du mich fragst. Er hätte uns töten können!«

»Das nächste Mal strenge ich mich mehr an«, sagte der Drache grinsend.

»Ein nächstes Mal wird es nicht geben«, entgegnete Nuic, jetzt ganz scharlachrot.

»Schaut euch das an.« Merlin war hinuntergestiegen, um die Grube und ihre Flammen zu untersuchen. Sein besorgter Ton ließ alle aufschrecken. »Wenn ich mich nicht täusche, scheint diese Pforte nicht so solide zu sein wie die meisten anderen. Seht ihr, wie die Flammen schwanken? Möglicherweise leidet auch sie unter der Plage.«

»Zu schade, das Krystallus nicht hier ist.« Rhia trat neben ihn. »Er weiß so viel über Pforten, vielleicht könnte er uns etwas sagen.«

»Nun, er ist nicht da«, sagte Merlin scharf. Er biss die Zähne zusammen und dachte an den bitteren Abschied von seinem Sohn. »Wir werden das Risiko eingehen müssen.«

Rhia betrachtete ihn mitfühlend. »Ich bin dazu bereit, wenn du es bist«, sagte sie sanft. Sie schlang einen Finger um einen der seinen, wie sie es so oft in ihrer Jugend getan hatte.

Bei dieser Berührung und im Bewusstsein ihres Vertrauens richtete Merlin sich auf. »Also gut. Sollen wir durch diese Pforte gehen?«

Rhia, Lleu und Nuic nickten – auch wenn das bei Nuic kaum wahrnehmbar war. Nur Basilgarrad verzog betrübt das Gesicht. »Ich fürchte, ich bin zu groß.«

Merlin schaute zu ihm auf. »Nie hätte ich gedacht, dass ich das einmal von dir hören würde.«

Einen kurzen Moment leuchteten die Augen des Drachen, dann verdüsterten sie sich. »Ist dieser Ort irgendwo unter der Oberfläche? Und ich kann nicht hinfliegen, um euch wiederzutreffen?«

»So ist es, alter Freund. Tut mir leid.«

»Ich kann also nur hier herumsitzen und auf euch warten?«

Merlin strich seinen struppigen Bart. »Das habe ich nicht gesagt. Es gibt tatsächlich etwas, was du tun könntest. Es könnte uns einen wichtigen Hinweis darauf geben, was wirklich geschieht – nicht nur hier in Waldwurzel, sondern in ganz Avalon.«

»Was ist es?« Basilgarrad schlug eifrig mit dem Schwanz auf den Boden und wühlte damit Wolken von Staub und Schutt auf. »Wohin soll ich fliegen?«

»Nach Wasserwurzel«, antwortete Merlin, »zur Höhle von Bendegeit, dem Herrscher der Wasserdrachen. Ich muss dich warnen: Er ist ein eifersüchtiger, zorniger, rachsüchtiger Herrscher, über alle Maßen erbarmungslos. Aber er verfügt über eine Kraft, die kein anderer hat – die Gabe des Durchschauens.«

»Was ist das?«

»Die Kraft«, erklärte Merlin, »durch die Oberfläche zu sehen, den wahren Ursprung von Dingen, Erscheinungen, Veränderungen zu erkennen.«

»Zu ihm werde ich fliegen«, versicherte der Drache.

»Sei aber vorsichtig! So schwierig es sein wird, seine Hilfe zu bekommen, eine Sache kann noch schwieriger werden.«

Basilgarrad stellte die Ohren auf. »Was wäre das?«

»Nicht mit ihm oder seinen Wachen zu kämpfen.« Merlin trat einen Schritt näher. »Wasserdrachen sind genauso bösartig und reizbar wie Feuerdrachen, das muss ich leider sagen. Der einzige Unterschied ist, dass sie nicht Feuer ausstoßen, sondern …«

»… Eis«, ergänzte der Drache. »Blaues Eis. Das habe ich schon erfahren – auf die harte Tour.«

Der Zauberer zog die buschigen Augenbrauen hoch. »Das musst du mir einmal erzählen.« Leiser setzte er hinzu: »Wenn wir beide die nächste Erfahrung überleben.«

»Bist du sicher, dass man sicher ist, wenn man durch diese Pforte reist?«, fragte Nuic und betrachtete misstrauisch die zitternden Flammen.

»Nein«, erklärte Merlin. »Aber ich bin sicher, dass es unsere einzige Chance ist.«

»Hmmmpff. Das klingt wirklich nach einem deiner Pläne! Bleib hier und stirb an der Seuche, oder geh und stirb in der Pforte.«

»Das fasst die Sache gut zusammen«, antwortete Merlin grimmig.

Die Pforte prasselte und zischte wie der Husten eines sterbenden Mannes. Merlin schaute über die Schulter auf die Flammen, dann sah er wieder Basilgarrad an. Er nickte, drehte sich um und stand dem Feuer gegenüber, durch das sie reisen würden – ans Ziel oder in den Tod.