Desdemona oder Das blonde Gift

 

Monsieur Boulanger, haben Sie fünf Minuten Zeit für mich?«

»Mit Vergnügen, Madame.«

»Ich höre von der Direktion, daß Sie mich für die Rolle der Desdemona in Erwägung ziehen.«

»Es wurde darüber gesprochen, das stimmt.«

»Ich habe das Stück heute nacht gelesen und finde es ganz gut. Natürlich müssen die unsinnig langen Monologe dieses Othello zusammengestrichen werden, aber das brauche ich Ihnen als Regisseur nicht zu sagen. Was ich mit Ihnen besprechen möchte, ist etwas anderes.

Mein Haar.«

»Wie bitte?«

»Mein Haar. Sie kommen aus Frankreich, Monsieur Boulanger, und Sie wissen über das israelische Theater nicht Bescheid. Es hat eine große Pioniertradition. Es ist, wie soll ich mich ausdrücken, eher konservativ. Jedenfalls konservativer als das Ihre. Sie verstehen.«

»Offen gesagt: nein.«

»Dann muß ich deutlicher werden. Wenn Sie glauben, daß ich mir wegen dieser Desdemona das Haar blond färben lasse, können Sie sofort Ihre Koffer packen und nach Paris zurückfahren.«

»Ich? Habe ich Sie jemals gebeten, Ihr Haar -«

»Sie haben mich nicht gebeten, weil wir über die Sache noch nicht gesprochen haben. Aber Sie sind sicherlich der Meinung - genau wie alle anderen Schwachköpfe, verzeihen Sie -, daß die Desdemona mit blondem Haar gespielt werden muß.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Kurz und gut - es fällt mir gar nicht ein, knallblond durch die Gegend zu spazieren. Damit sich alle Männer nach mir umdrehen. Das ist nicht mein Stil.«

»Aber wer sagt Ihnen, Madame, daß Sie Ihr Haar blond färben sollen?«

»Was? Wieso? Sie wollen nicht, daß ich -«

»Nein. Ich bin mit Ihrem dunklen Haar vollkommen einverstanden.«

»So? Ich finde es schrecklich. Schaut aus wie schwarzer Schleiflack.«

»Mir gefällt's.«

»Fragt sich nur, ob's dem Othello gefällt.«

»Warum zweifeln Sie?«

»Weil er ein Neger ist. Und weil ich mir nicht vorstellen kann, daß sich ein Neger in eine Dunkelhaarige verliebt. Neger lieben nur hellhaarige Frauen, das ist biologisch nachgewiesen. Und Desdemona gilt seit Menschengedenken als nordischer Typ, oder? Also. Aber ich bin nicht bereit, wegen dieses blöden Klischees meine Persönlichkeit aufzugeben.«

»Es besteht nicht der geringste Anlaß, Madame.«

»Wirklich nicht?«

»Wirklich nicht.«

»Machen Sie keine Witze, Monsieur Boulanger.«

»Witze?«

»Dazu ist die Sache zu ernst. Für mich zumindest. Sie müssen auf meine Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen.«

»Das tue ich, Madame, das tue ich.«

»Danke. Nur sollen Sie sich anderseits keinen Zwang antun. Ich bin schließlich Künstlerin und weiß, was es bedeutet, von einer bestimmten Rolle eine bestimmte

Auffassung zu haben. Wenn Sie die Desdemona mit blondem Haar sehen... sozusagen mit golden umrahmtem Gesicht... sozusagen mit einem Heiligenschein, der gewissermaßen ihr inneres Wesen symbolisiert... schön, dann gehe ich eben zum Friseur und lasse mir das Haar blond färben. Wie ich seelisch damit fertig werde, ist meine Sache.«

»Nichts dergleichen ist notwendig, Madame. Glauben Sie mir: Es kommt auf die Gestaltung der Rolle an, nicht auf die Haarfarbe.«

»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Da sind wir völlig einer Meinung. Und die Gestaltung der Rolle muß sich nach dem Konzept des Regisseurs richten. Ein Regisseur, der die Desdemona als nordischen Typ empfindet, hat das Recht, ja geradezu die Pflicht -«

»Aber -«

»Wir vom israelischen Theater glauben an Disziplin. An innere und äußere Disziplin. Diese gewissen Eitelkeiten und Eigensinnigkeiten, wie sie anderswo am Theater üblich sind, gibt's bei uns nicht. Wir sind, das sagte ich Ihnen ja schon, in dieser Hinsicht ein wenig konservativ. Wir halten das innere Erlebnis für die Grundlage der Rollengestaltung. Ich gebe Ihnen ein kleines Beispiel, Monsieur Boulanger. Bevor wir mit den Proben zu >Pygmalion< begannen, ließ uns der Regisseur eine Woche lang auf der Straße Blumen verkaufen. Oder nehmen Sie den «Kaufmann von Venedigs Das ganze Ensemble wurde nach Venedig geschickt, damit wir uns besser mit den Rollen identifizieren können. Und fragen Sie nicht, was wir vor der Premiere von >Frau Warrens Gewerbe< machen mußten. Das Theater ist eine Welt für sich, Monsieur Boulanger. Eine grausame Welt. Eine Welt, in der man auf alles gefaßt und zu allem bereit sein muß. Wenn Sie glauben, daß ich die Desdemona blond spielen soll, dann sagen Sie's, und ich spiele sie blond.«

»Warum die Eile, Madame?«

»Unsere Zeit ist kostbar. Ja oder nein?«

»Eigentlich -«

»Gut, ich gehorche. Aber zwingen Sie mich wenigstens nicht zu Platinblond.«

»Platin?«

»Oder halten Sie das für unerläßlich, um Desdemonas nordischen Charakter augenfällig zu machen? Dann will ich Ihnen nicht widersprechen. Ich bin auch dazu bereit.

Wie spät ist es?«

»Elf Uhr.«

»Gerade recht. In zwei Stunden bin ich platinblond. Aber an meiner grundsätzlichen Haltung ändert das nichts. Sie kennen meinen Standpunkt, Monsieur Boulanger. Und jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Ich bin für elf Uhr im Salon Nanette vorgemerkt.«