Die Kunst ist ein Nebenberuf

 

Nichts sehnt der Schauspieler so inbrünstig herbei wie das berauschende Gefühl des Erfolgs, wenn der Vorhang gefallen ist und vom applaudierenden Publikum nochmals zum Hochgehen genötigt wird, damit der Schauspieler, dem der Applaus gilt, sich nochmals verneigen kann. In diesen Augenblicken vergißt er sogar, daß eine erfolgreiche Rolle in einem erfolgreichen Stück für ihn eine finanzielle Katastrophe bedeuten kann.

Denn das Irrenhaus, welches Theater heißt, hat seine eigenen, seltsamen Gesetze.

Es bietet dem Schauspieler alles, was er sich irgend wünschen mag, es bietet ihm persönliche und künstlerische Befriedigung, Ruhm und Ansehen, Intrigen und Kabalen. Nur eines bietet es ihm nicht: einen auskömmlichen Lebensunterhalt. An einem Sensationserfolg, der jahrelang auf dem Spielplan bleibt, bereichern sich alle Beteiligten: das Theater, der Autor, die Steuerbehörde, die Stadtverwaltung, die Sterne am Firmament - nur der mittelmäßige Schauspieler hat nichts davon. Er bleibt, mittelmäßig wie er ist, an seine mittelmäßige Gage gefesselt, Abend für Abend. Es ist kein Geheimnis, daß der Schauspieler in der Regel seinen Hauptverdienst nicht vom Theater bezieht, sondern von heimlichen Aktivitäten jenseits der Kunst, jenseits des Ruhms: vom Reklameplakat eines Haarwuchsmittels, das er mit seiner lockigen Perücke verziert, von einem Werbeauftritt im Fernsehen, von vier gereimten Zeilen, mit denen er im Rundfunk eine neue Rasierseife anpreist, von kurzen Gastspielen in Altersheimen oder Jugendlagern, von Mitwirkungen bei Hochzeiten oder Beschneidungs-feiern und dergleichen mehr.

In dieses unentrinnbare Perpetuum mobile gerät der durchschnittliche Schauspieler im gleichen Augenblick, in dem er sich entschlossen hat, seinen fragwürdigen Beruf zu ergreifen, und bleibt darin gefangen sein ganzes Leben lang bis zu jenem Tag, an dem die Gläubiger hinter seinem Sarg einherschreiten.