Das Idol

 

Kurzdrama, im Hauptpostamt spielend

PODMANITZKI (stürmt atemlos herein): Ich muß zu ihm! Ich muß sofort zu ihm!

ZWILLINGER (der Portier, sitzt in seinem Verschlag, kaut Sonnenblumenkerne): He! Wo brennt's denn?

PODMANITZKI: Ich muß mit dem Abteilungsleiter sprechen.

ZWILLINGER: Immer mit der Ruhe. Um was handelt es sich?

PODMANITZKI: Man hat mich verständigt, daß ein eingeschriebener Brief für mich angekommen ist und verlegt wurde.

ZWILLINGER: Da müssen Sie sich an das Postamt wenden.

PODMANITZKI: Danke vielmals. Guten Tag.

ZWILLINGER: Guten Tag.

PODMANITZKI (hält plötzlich inne): Ja - aber wieso? Hier ist doch das Postamt?

ZWILLINGER: Natürlich.

PODMANITZKI: Warum sagen Sie mir dann, daß ich mich an das Postamt wenden muß?

ZWILLINGER: Weil Sie sich an das Postamt wenden müssen.

PODMANITZKI: Hören Sie - ich habe keine Zeit für Ihre Scherze. In einer halben Stunde muß ich auf der Probe sein.

ZWILLINGER: Immer mit der Ruhe. Wer sind Sie?

PODMANITZKI: Ich bin Jarden Podmanitzki.

ZWILLINGER: Wer?

PODMANITZKI (mit Betonung): Jarden Podmanitzki.

ZWILLINGER (unbeeindruckt): Und was wollen Sie?

PODMANITZKI (fassungslos): Jarden Podmanitzki. Der Schauspieler. Jetzt am Kammertheater.

ZWILLINGER: Ich habe gefragt, was Sie wollen.

PODMANITZKI: Und ich habe Ihnen gesagt, daß hier ein

eingeschriebener Brief für mich liegt. Den will ich haben. Ich bin sicher, daß ein Scheck drin ist.

ZWILLINGER: Wie hoch?

PODMANITZKI: 150 Pfund.

ZWILLINGER: Von wem?

PODMANITZKI: Von meiner Großmutter.

ZWILLINGER: Wie alt ist sie?

PODMANITZKI: Wo ist der Abteilungsleiter?

ZWILLINGER: Dritte Tür links.

PODMANITZKI (stürzt davon).

ZWILLINGER (sieht ihm gedankenvoll nach).

PODMANITZKI (kehrt atemlos zurück): Es gibt keine.

ZWILLINGER: Was?

PODMANITZKI: Es gibt auf der linken Seite keine Tür.

ZWILLINGER: Nicht möglich.

PODMANITZKI: Keine einzige.

ZWILLINGER (achselzuckend): Ja dann...

PODMANITZKI (brüllt): Warum haben Sie mich dorthin geschickt?

ZWILLINGER: Probieren geht über Studieren.

PODMANITZKI: Ich werde mich beim Generalpostmeister beschweren.

ZWILLINGER: Den werden Sie nicht finden.

PODMANITZKI: Sie sind ein Lümmel.

ZWILLINGER: Sie sind selber ein Lümmel. Auch Ihr Vater.

PODMANITZKI: Ihr Vater und Ihr Großvater!

ZWILLINGER: Ihr Großvater, Ihr Urgroßvater und Ihr Ururgroßvater!

PODMANITZKI: Der Vater Ihres Ururgroßvaters und - oj! (Greift sich ans Herz)

ZWILLINGER: Einen Augenblick.

PODMANITZKI: Was?

ZWILLINGER: Entschuldigen Sie - sind Sie vielleicht Schauspieler?

PODMANITZKI: Was heißt »vielleicht?« Ich bin Schauspieler.

ZWILLINGER: Sie sind... Sind Sie nicht...

PODMANITZKI: Jarden Podmanitzki.

ZWILLINGER (fassungslos vor Aufregung): Nein!!

PODMANITZKI: Ja!!

ZWILLINGER: Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Welche Ehre... Bitte nehmen Sie Platz.

PODMANITZKI (nimmt Platz): Ich bin in großer Eile, mein Freund. In einer halben Stunde muß ich auf der Probe sein.

ZWILLINGER: Bitte bleiben Sie ein paar Minuten... Nur ein paar Minuten, ich bitte Sie... Nein, diese Ehre...

PODMANITZKI: Ich möchte mit dem Abteilungsleiter sprechen.

ZWILLINGER (krümmt sich vor Verlegenheit): Nein wirklich... Sie müssen entschuldigen... Ich hatte keine Ahnung... Ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll... So eine Ehre... so ein Schauspieler... Die werden zu Hause Augen machen, wenn ich's ihnen erzähle... Nein, so etwas... daß ich Sie nicht sofort erkannt habe... Ich wollte Sie immer schon persönlich kennenlernen... Dabei hatte ich sofort ein ganz bestimmtes Gefühl -gleich wie Sie hereingekommen sind... Gleich im ersten Moment hab ich mir gedacht: Wer ist dieser lächerliche Zwerg? Man muß ja schon lachen, wenn man sein Gesicht sieht... Nein, diese Ehre...

PODMANITZKI: In einer halben Stunde beginnt die Probe.

ZWILLINGER: Wo hab ich Sie nur gesehen? Ich muß Sie schon irgendeinmal gesehen haben...

PODMANITZKI: Führen Sie mich zum Abteilungsleiter.

ZWILLINGER: Halt, ich hab's! In der Habimah... Warten Sie... Sie haben einen Negerpriester gespielt, der seinen Sohn in Johannesburg sucht.

PODMANITZKI: Das war Aron Honigmann.

ZWILLINGER: Was sagen Sie? Honigmann! Ein herrlicher Schauspieler! Gott, hab ich mich gut unterhalten bei dem Stück. Ich hab mich beinah gewälzt vor Lachen... (Lacht, besinnt sich plötzlich) Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?

PODMANITZKI: Ich bin Jarden Podmanitzki.

ZWILLINGER: Vom -?

PODMANITZKI: Vom Kammertheater.

ZWILLINGER: Was ist das?

PODMANITZKI: Eine städtische Bühne.

ZWILLINGER (hält den gerade vorbeikommenden Kaddasch auf): Augenblick, Herr Kaddasch. Kennen Sie ein gewisses Kammertheater?

KADDASCH (bleibt stehen): Natürlich. (Blick auf Podmanitzki) Jarden Podmanitzki!

PODMANITZKI (Blick auf Zwillinger): In der Tat.

KADDASCH: Welche Ehre! Ich habe Sie in Ihrer jüngsten Rolle gesehen. Hervorragend.

ZWILLINGER: Was heißt hervorragend? Grandios!

KADDASCH: Gestatten Sie: Alexander Kaddasch, Postoberoffizial.

PODMANITZKI: Freut mich. (Mit Seitenblick auf Zwillinger) Jarden Podmanitzki.

KADDASCH: Ich will Ihnen nicht schmeicheln, aber Sie. waren großartig.

PODMANITZKI: Ich bitte Sie. Es war eine dankbare Rolle.

KADDASCH: Ich verstehe, ich verstehe...

PODMANITZKI: Hauptsache, daß es Ihnen gefallen hat.

KADDASCH: Gefallen? Ich war hingerissen! Und meine Frau hat sich direkt in Sie verliebt.

PODMANITZKI: Ich bitte, meine Empfehlungen zu bestellen.

KADDASCH: Am besten fand ich die Szene, wo Sie als alter Kurde... Sie wissen ja...

PODMANITZKI: Ich? Als alter Kurde?

KADDASCH: Ja. Erinnern Sie sich nicht? Eine überwältigende Szene.

PODMANITZKI (trocken): Es ist ein eingeschriebener Brief für mich da.

KADDASCH: Wirklich? Apropos Brief - da muß ich Ihnen einen köstlichen Witz erzählen. (Will ihn beiseite zerren) Sie verstehen doch Jiddisch?

PODMANITZKI: Ich bin in Eile.

KADDASCH: Also hören Sie. Ein Volkswagen kommt durch die Allenby-Straße gesaust, der Fahrer steckt den Kopf heraus und schreit: »Hallo! Wer kennt sich in Volkswagen aus?« (Lacht)

ZWILLINGER: Hahahaha... Er weiß nämlich nicht, wo die Bremse ist.

KADDASCH: Genau. Der kleine Käfer saust durch die Allenby-Straße, und der Fahrer weiß nicht...

PODMANITZKI: ...wo die Bremse ist. Deshalb steckt er den Kopf heraus und schreit: »Hallo! Wer kennt sich in Volkswagen aus?«

ZWILLINGER und KADDASCH (lachen wie verrückt).

PODMANITZKI: Weil er nicht weiß, wo die Bremse ist.

ZWILLINGER und KADDASCH: Bruhahaha...

ZWILLINGER (keuchend): Der kann vielleicht Witze erzählen, dieser Podmanitzki! Und wie er die Pointen bringt!

KADDASCH: Da sieht man eben den Routinier.

CHESCHWAN (tritt ein): Was ist denn hier los?

KADDASCH (brüllt Zwillinger an): Lassen Sie dieses idiotische Lachen! Wir sind hier in einem Amt, oder nicht?

CHESCHWAN (Blick auf Jarden): Augenblick... Sie sind doch der Schauspieler vom... vom... Nicht sagen... Es liegt mir auf der Zunge...

PODMANITZKI: Jarden Podmanitzki.

CHESCHWAN: Richtig! Wahrscheinlich haben Sie wieder einen Witz erzählt, was? Ja, das lustige Künstlervölkchen! Immer zu Spaßen aufgelegt, was? (Schlägt ihm auf die Schulter) Hahaha! Wollen Sie mich nicht auch mitlachen lassen, altes Haus? Na? Schießen Sie los! Um was handelt sich's?

PODMANITZKI: Es handelt sich um einen eingeschriebenen Brief, der verlegt wurde.

ZWILLINGER, KADDASCH und CHESCHWAN (bersten vor Lachen).

CHESCHWAN: Köstlich! Zum Schießen! Ein eingeschriebener Brief... Was ihr für Einfalle habt, ihr Schauspieler...

Verlegt... (Schüttelt sich vor Lachen und deutet dabei auf den Zettel, den Podmanitzki in der Hand hält) Was ist das?

PODMANITZKI: Die Nachricht, daß der Brief verlegt wurde.

CHESCHWAN (liest, fährt auf Kaddasch los): Das ist ein Skandal!

KADDASCH (zu Zwillinger): Haben Sie gehört?!

PODMANITZKI: Ich bin in Eile, meine Herren.

ZWILLINGER: Er hat eine Probe mit dem Volkswagen.

CHESCHWAN: Halten Sie den Mund, Zwillinger. Das ist keine Art, Beschwerden des Publikums zu behandeln! Und mit Ihnen, Herr Kaddasch, spreche ich später noch unter vier Augen.

KADDASCH: Jawohl. (Zu Zwillinger) Grinsen Sie nicht! (Ab)

CHESCHWAN (zieht Podmanitzki zur Seite): Ich habe alle Kritiken über Ihre letzte Rolle gelesen. Der eine Kritiker - ich habe vergessen, wie er heißt - versteht überhaupt nichts vom Theater. Kümmern Sie sich nicht um ihn.

PODMANITZKI: Das sowieso. Wer liest schon Kritiken? (Seufzt) Ich.

CHESCHWAN: Unsinn. Wissen Sie, was Sie tun sollten?

PODMANITZKI: Nicht genau.

CHESCHWAN: Ich sag's Ihnen. Hören Sie gut zu. Sie brauchen drei Dinge. A: ein gutes Stück, B: einen guten Regisseur, C: eine gute Rolle. Und natürlich müssen Sie die gute Rolle auch gut spielen. Das ist alles.

PODMANITZKI: Sie haben den Stein der Weisen gefunden. Darf ich's mir aufschreiben? Sonst vergeß ich's vielleicht.

CHESCHWAN: Aber gewiß. Schreiben Sie's nur auf. A, B, C. Ich versteh nämlich etwas vom Theater. Ich wurde seinerzeit wiederholt von der »Teatrikowskaja Podolbaskinoja« eingeladen. Selbst heute noch fordert man mich immer wieder auf, mich um verschiedene Theater zu kümmern. Leider habe ich keine Zeit.

PODMANITZKI: Auch ich habe keine Zeit.

CHESCHWAN: Ja, richtig. Sofort. Nur noch eine Kleinigkeit. Meine Frau sekkiert mich schon seit Wochen, daß sie ins Theater gehen will. Könnten Sie uns drei Karten verschaffen? Möglichst in der Mitte?

PODMANITZKI: Gern. Drei?

CHESCHWAN: Ja. Meine Schwester will auch gehen - mit ihrem Mann.

PODMANITZKI: Also vier.

CHESCHWAN: Stimmt. Vier im ganzen. Egal für welchen Tag.

PODMANITZKI: Dann sagen wir: Montag?

CHESCHWAN: Lieber Mittwoch.

PODMANITZKI: Aber am Mittwoch spiele ich nicht.

CHESCHWAN: Ich habe leider nur den Mittwoch abend frei. Wir müssen bei Mittwoch bleiben.

PODMANITZKI (säuerlich): Na schön. Vier Karten für Mittwoch.

CHESCHWAN: Danke. Ich habe mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen. Auf Wiedersehen.

PODMANITZKI: Halt, halt! Was ist mit meinem eingeschriebenen Brief?

CHESCHWAN: Wir werden der Sache nachgehen. Also sechs Karten für Mittwoch. (Ab)

PODMANITZKI: Möglichst in der Mitte.

ZWILLINGER: Ich will auch zwei Karten haben.

PODMANITZKI: Bitte sehr. Sie werden an der Abendkasse bereitliegen.

ZWILLINGER: Danke, Herr Honigmann.

PODMANITZKI: Ich bin Jarden Podmanitzki.

ZWILLINGER: Wenn schon. Ein Schauspieler ist ein Schauspieler.

LEA BIRNBAUM (stürzt aufgeregt herein): Herr Podma-nitzki? Mein Name ist Lea Birnbaum. Ich bin hier Sekretärin. Haben Sie Ihre letzten Kritiken gelesen?

PODMANITZKI: Leider.

LEA: Vergessen Sie's. Lauter Unsinn. Ich verehre Sie schon seit Jahren. Ich komme zu jeder Ihrer Premieren.

PODMANITZKI: Und ich komme zu spät zur Probe.

LEA: Probe... Welch ein Zauber von diesem Wort ausgeht! Ich schwärme für das Theater.

PODMANITZKI (nervös): Freut mich, freut mich.

LEA: Ich habe selbst schon ein paar Theaterstücke geschrieben.

PODMANITZKI: Interessant.

LEA: Wenn Sie nichts dagegen haben, komme ich einmal zu Ihnen und lese Ihnen ein paar Seiten vor. Wieviel zahlen Sie für ein Stück?

PODMANITZKI: Ein Vermögen, Fräulein Birnbaum, ein Vermögen. Aber zuerst möchte ich den eingeschriebenen Brief haben.

ZWILLINGER: Es ist ein Scheck von seiner Großmutter drin.

LEA: Ich werde die Sache in die Hand nehmen. Kann ich Sie morgen besuchen?

PODMANITZKI: Ja.

LEA: 14 Uhr 30?

PODMANITZKI: 14 Uhr 30 geht. Aber ich werde nicht viel Zeit haben.

LEA: Da fällt mir ein: Morgen kann ich nicht. Ich habe schon zwei Verabredungen für den Nachmittag. Wie war's mit Freitag?

PODMANITZKI: Auch gut.

LEA: Wann?

PODMANITZKI: Um fünf Uhr in der Früh. Aber jetzt verschaffen Sie mir endlich meinen Brief! Und beeilen Sie sich!

LEA: Gut, ich nehme ein Taxi. (Notiert) Freitag, fünf Uhr. Paßt mir sehr gut ins Programm.

PODMANITZKI: Eigentlich - warum so spät? Warum nicht schon um drei ?

LEA: Ich mache nicht gern Besuche bei Mondschein.

PODMANITZKI (beherrscht sich mühsam): Wenn ich jetzt nicht sofort mit dem Abteilungsleiter sprechen kann, zertrümmere ich die Einrichtung.

LEA: Was ist denn los mit Ihnen? (Schon in der Tür) Ich habe auch eine sehr schöne Stimme.

PODMANITZKI (brüllt): Hinaus!

ZWILLINGER: Alle Leute belästigen Sie, Herr Podmanitzki. Alle wollen Karten von Ihnen - oder wollen Ihnen etwas vorsingen... (Beginnt eine Melodie aus »Oklahoma« zu trällern)

PODMANITZKI (stöhnt auf, will entfliehen, stößt mit dem hereinkommenden Inspektor Weinberger zusammen).

INSPEKTOR: Ich höre, daß wir einen bekannten Schauspieler zu Gast haben. Mein Name ist Inspektor Weinberger.

PODMANITZKI: Jarden Podmanitzki.

INSPEKTOR: Weiß ich, weiß ich. Sie kennt man doch... Was wollte ich Ihnen sagen...

PODMANITZKI: Ja. Ich habe die Kritiken gelesen und vergessen. Lauter dummes Zeug.

INSPEKTOR: Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund.

PODMANITZKI: Kann ich etwas für Sie tun, Herr Inspektor?

INSPEKTOR: Ja. Einen Augenblick, Herr... Herr...

PODMANITZKI: Podmanitzki.

INSPEKTOR: Wie bitte?

PODMANITZKI: Jarden Podmanitzki.

INSPEKTOR: Natürlich. Also, es handelt sich um meine Cousine. Ein sehr begabtes Mädchen. Kann tanzen, singen und kochen.

PODMANITZKI: Ich habe derzeit keine Absicht, mich zu verehelichen.

INSPEKTOR: Wer spricht von Ehe? Sie möchte zum Theater.

PODMANITZKI: Soll sie.

INSPEKTOR: Sie hat auch schon einen Kurs gemacht.

PODMANITZKI: Was für einen Kurs?

INSPEKTOR: Stenographie. Was würden Sie ihr als nächstes raten, Herr... Herr...

PODMANITZKI: Honigmann.

INSPEKTOR: Herr Honigmann. Vielleicht können Sie ein gutes Wort bei der Habimah für sie einlegen. Ein Wort von Ihnen würde genügen.

PODMANITZKI: Ein Wort? Es genügt, wenn ich pfeife.

INSPEKTOR: Um so besser. Rufen Sie doch gleich einmal dort an.

PODMANITZKI: Wer? Ich? Wo?

INSPEKTOR: Zwillinger, verbinden Sie uns mit der Direktion der Habimah.

ZWILLINGER (verbindet).

PODMANITZKI (röchelt): Mein Brief... INSPEKTOR: Was für ein Brief?

ZWILLINGER (am Telephon): Hallo? Einen Augenblick!

PODMANITZKI (reißt ihm den Hörer aus der Hand, spricht sehr schnell): Habimah? Schalom. Ich wünsche, daß Sie die Cousine von Herrn Weinberger engagieren. Sofort. Kein Wort weiter. Es ist ein Befehl. (Pfeift, legt den Hörer auf) Sie ist engagiert.

INSPEKTOR: Vielen Dank. Ich wußte ja, daß es klappen wird. Das Mädel ist so begabt. Übrigens - es geht mich ja nichts an - aber was machen Sie hier?

PODMANITZKI: Ich suche meinen eingeschriebenen Brief.

INSPEKTOR: Dann will ich nicht länger stören. (Ab)

BEAMTER (steckt den Kopf zur Tür herein): Hallo, Podmanitzki!

PODMANITZKI: Ja?

BEAMTER (hält zwei Finger in die Höhe).

PODMANITZKI: In Ordnung. Zwei Karten in der Mitte. Liegen an der Abendkassa unter der Chiffre »Eingeschriebener Brief«.

BEAMTER: Gut. (Verschwindet)

TIRSA (kommt mit Zwillinger).

ZWILLINGER: Darf ich Ihnen unsere zweite Sekretärin vorstellen?

TIRSA: Tirsa Gadol.

PODMANITZKI: Stanislawski.

TIRSA: Ich bin eine große Verehrerin von Ihnen. (Zu Zwillinger, flüsternd) Er ist ein Schauspieler, nicht wahr?

ZWILLINGER: Sagt er.

TIRSA (zu Podmanitzki): Ich wollte Sie um etwas bitten.

PODMANITZKI: Wie viele und für wann?

TIRSA: Nein, ich gehe nie ins Theater. Nur ins Kino.

PODMANITZKI: Wo ist mein eingeschriebener Brief?

TIRSA: Davon weiß ich nichts. Ich meine etwas anderes. Nächste Woche findet der Universitätsball statt.

PODMANITZKI: Ich tanze nicht.

TIRSA: Mein Freund tanzt. Aber ich habe kein Abendkleid.

PODMANITZKI: Gut. Ich werde Ihnen eins nähen.

TIRSA: Nicht nötig. Man hat mir erzählt, daß die Frauen in »My Fair Lady« so schöne Kostüme getragen haben.

PODMANITZKI: Ich werde Ihnen einige Modelle vorlegen.

ZWILLINGER: Und dann suchen wir uns eins aus.

TIRSA: Aber kein schwarzes.

PODMANITZKI: Nein. Niemals.

ZWILLINGER: Gelb wäre besser. TIRSA: Oder weinrot.

PODMANITZKI: Vielleicht mit einem violetten Saum?

TIRSA: Nicht schlecht. Aber es ist sehr dringend.

PODMANITZKI: Ich breche noch heute in den Fundus ein. Noch in der Nacht.

TIRSA: Danke. (Zu Zwillinger) Er ist doch sehr nett.

PODMANITZKI (heult auf): Wo ist mein eingeschriebener Brief?

MAZALGOWITSCH (kommt mit einem Brief in der Hand): Hier, Herr Podmanitzki. Hier in meiner Hand.

PODMANITZKI: Gott sei Dank. (Wirft sich auf den Brief)

MAZALGOWITSCH (wehrt ab): Nein, nein, so schnell geht das nicht, Herr Podmanitzki. Nur Geduld. Wir haben vorher noch eine Kleinigkeit zu besprechen. Mein Name ist Mazal-gowitsch. Ich bin der Abteilungsleiter. Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Samstag abends veranstaltet unsere Belegschaft ihre alljährliche Betriebsfeier. Haben Sie nicht ein paar lustige Nummern?

PODMANITZKI: Ich habe einen eingeschriebenen Brief!

MAZALGOWITSCH: Sehr gut. Den können Sie auf jeden Fall singen, und noch zwei oder drei passende Stücke dazu. Ihnen muß ich doch keine Ratschläge geben.

PODMANITZKI: Nein. Den Brief.

MAZALGOWITSCH: Wir zahlen natürlich kein Honorar. Woher sollten wir das Geld nehmen? Aber Sie werden sich bei uns sehr wohl fühlen.

PODMANITZKI (reißt ihm den Brief aus der Hand).

MAZALGOWITSCH: Aber Herr... Herr...

PODMANITZKI: Mein Scheck, mein Scheck... (reißt den Brief auf, liest) »Lieber Jarden, wahrscheinlich kannst Du Dich nicht mehr an mich erinnern, wir sind zusammen in die Schule gegangen, und ich möchte Dich bitten, mir für Deine nächste Premiere zwei Karten zu verschaffen. Möglichst in der Mitte. Dein dankbarer Mischa.«