Qui peut francais?Je!

 

Leider habe ich noch ein zweitesmal versucht, die Sprachbarriere zu durchbrechen. Schuld daran waren die hervorragenden Kritiken über »Les Freres Jacques«, das berühmte Gesangstrio, das damals Israel besuchte. »Sie singen französisch, aber man versteht jedes Wort, denn was sie singen, ist international«, lobhudelte die Presse - und das wollte ich mir anhören.

Wie sich zeigte, waren nicht nur meine Kenntnisse des Französischen gleich Null, ich hatte auch Schwierigkeiten mit dem Internationalen. Die Melodien der einzelnen Nummern fand ich recht hübsch, von den Texten hingegen verstand ich so gut wie nichts, und die Inhaltsangaben im Programmheft bedeuteten keine wirkliche Hilfe. »Molly-Malony von Tschin Pompon«, hieß es da. »Inhalt: Der Nabel einer Katze sieht wie ein Fragezeichen aus, aber die Liebe überwindet alle Hindernisse. Moral: Wer wagt, gewinnt.« Da ich nicht feststellen konnte, auf welches Lied sich diese Inhaltsangabe bezog, handelten für mich sämtliche Lieder von Nabeln und Fragezeichen.

Dessen ungeachtet wurde mir klar, daß die »Freres Jacques« große Künstler sind. Aber ich vermochte mich nicht recht auf sie zu konzentrieren. In der ersten Reihe saßen einige Angestellte der Französischen Botschaft und quittierten jede Zeile mit lautem Gelächter, das zugleich etwas Hämisches an sich hatte. »Was sind wir doch für ein kultiviertes Volk«, schien es besagen zu wollen; und, an meine Adresse gerichtet: »Warum sind Sie überhaupt hergekommen, wenn Sie nicht Französisch sprechen?« Ein Gefühl der Bitterkeit begann in mir aufzusteigen.

Schön, ich habe keine Ahnung, was die dort oben singen, sagte ich mir. Aber das soll mich nicht länger hindern, darüber zu lachen. Nach der nächsten Nummer - der Geschichte eines Nabels, der im Keller lebt und von einem Hund attackiert wird, denn Liebe gibt es überall - erhob ich mich zu voller

Größe und brach in schallendes Gelächter aus. Die Wogen der Mißbilligung, die von allen Seiten auf mich eindrangen, waren beinahe körperlich spürbar...

Mit dem Fortschreiten des Abends machte ich mir eine bestimmte Lachmethode zu eigen. Sie stützte sich zum Teil auf eine mathematische Analyse der Publikumsresonanz, zum Teil auf ein Grundgesetz der Pointierungskunst, welches besagt, daß jede Schlußpointe, um richtig zu landen, einen Anlauf braucht (vergleichbar der Piste, von der das startende Flugzeug abhebt). Angenommen, die »Freres Jacques« singen jetzt die »Ballade vom halbverdeckten Nabel«. Für Ignorantenohren wie die meinen klingt das ungefähr so:

La-la-la, lo-lo-lo,

Lo-lo-lo, la-la-la!

Li-li-li?

Oh-la-la!

Pim-pim-pim,

Pam-pam-pam!

Instinkt und Erfahrung sagen mir, daß die Pointe im »Pam-pam-pam!« liegen muß (beim »Li-li-li?« ist bereits ein kleineres Glucksen am Platze). Ich begrüßte also jedes »Pam-pam-pam!« mit herzlichem Lachen und machte von Zeit zu Zeit meiner Begeisterung durch hörbare Ausrufe Luft:

»Welch ein köstliches Wortspiel... Ja, so etwas gibt's eben nur auf französisch... Großartig...!«

Damit erregte ich die Aufmerksamkeit der Umsitzenden, die mich mit scheuem Respekt betrachteten. Allmählich merkten sie, daß sich hinter meinem scheinbar alltäglichen Äußeren ein überragender Intellekt verbarg, ein Kunstverstand höchsten Grades, kurzum: eine geniale Persönlichkeit, von der sie, die Durchschnittsbürger, nur lernen konnten. Eine glückliche Phase der Freundschaft zwischen mir und Frankreich hatte begonnen...

Aber Monsieur le Diable schläft nicht. Gerade als ich den Gipfel meines Hochgefühls erklomm - um diese Zeit schienen selbst die »Freres Jacques«, die über meine lautstarke Anteilnahme zunächst ein wenig verblüfft waren, nur mehr für mich zu singen - gerade als ich mir ausmalte, wie meine begeisterten Sitznachbarn mich nach Schluß der Vorstellung auf ihren Schultern hinaustragen würden -, gerade da passierte etwas Unvorhergesehenes:

»Les Freres Jacques« sangen die Ballade von einem männlichen Fischnabel, der sich in einen weiblichen verliebt, aber plötzlich beginnt es zu regnen, was den Besitzer des Motels, in dessen Aquarium sich das alles abspielt, zur Verzweiflung treibt. Mitten in dieser Verzweiflung riskierte ich ein waghalsiges Gelächter - und war aufs peinlichste überrascht, als die Umsitzenden mitlachten. Sie grölten geradezu. Damit nicht genug: Auch die französischen Sprachforscher in der ersten Reihe schlössen sich meinem Heiterkeitsausbruch an. Was ging hier vor? Sollte mein unheimlicher Pointeninstinkt mich befähigt haben, an der richtigen Stelle zu lachen? Ich versuchte es während der folgenden Ballade aufs neue. Sie handelte von einer Maus, Nabel genannt, und einem eifersüchtigen Mäuserich, der sie in der Nacht immer einsperrt, aber sie bläst trotzdem Trompete, und draußen scheint der Mond, schon vor den ersten Schlußzeilen (»Lo-lo-lo, la-la-la«) begann ich zu lachen, obwohl sie allen Berechnungen und Erfahrungen zufolge unmöglich eine Pointe enthalten konnten. Und was geschah? Das ganze Publikum lachte mit mir, laute Äußerungen der Begeisterung schwirrten durch den Raum »Großartig... welch köstliches Wortspiel... echt französischer Esprit...!« - Kurzum: Es sah ganz danach aus, als ob sämtliche Anwesenden plötzlich Französisch verstünden. In Wahrheit hatten sie mir bloß meinen Einfall gestohlen. Sie äfften mich nach, das war alles.

Moral: Man soll in Israel zu keiner französischen Vorstellung gehen. Da geht man schon besser zu einer hebräischen Vorstellung in Frankreich. Oder noch besser: Man bleibt zu Hause.