Wohltun geht auf die Nerven

 

Nichts fasziniert den Durchschnittsbürger so sehr wie die persönliche Gegenwart eines Schauspielers. Daraus erklärt sich, warum Textilhändler verhältnismäßig hohe Summen dafür zahlen, mit echten lebendigen Stars in Tuchfühlung zu kommen. Und dies wiederum hat den berühmten »Variety Club«, die internationale Wohltätigkeitsorganisation der Kunst- und Theaterwelt, dazu bewogen, die hier vorhandenen Energien für menschenfreundliche Zwecke auszunützen.

So wurde zur Unterstützung notleidender israelischer Kinder vor einiger Zeit auch bei uns eine Zweigstelle des »Variety Club« gegründet. Für das exklusive Eröffnungsbankett im Hilton-Hotel hatten zahlreiche internationale Stars ihre persönliche Anwesenheit in Aussicht gestellt, an der Spitze - der Berichterstatter bittet um die Erlaubnis, Atem zu holen - an der Spitze James Bond recte Sean Connery!

Die Reaktion der als zurückhaltend bekannten israelischen Öffentlichkeit war lauwarm. Die fünf oder sechs Mordfälle, die sich im wütenden Kampf um die goldumrandeten Einladungskarten ereigneten, wurden von der Polizei vertuscht, und zwei Wochen vor dem großen Ereignis wußte jedermann im Lande, ob er zur Oberschicht gehörte oder zum Lumpenproletariat. Wenn zwei Chancenreiche einander auf der Straße begegneten, pflegte in ihr Gespräch die unauffällige Frage einzusickern:

»Übrigens - sind Sie eingeladen?«

Worauf der Befragte meistens antwortete: »Ich habe den heutigen Posteinlauf noch nicht gesehen.

Aber um die Wahrheit zu sagen: gar so viel liegt mir nicht daran.«

Auch die schweigende Mehrheit der Nichteingeladenen hatte eine Art Sprachregelung getroffen:

»Aufgepaßt, ihr Snobs!« zischten sie den Eingeladenen hämisch zu. »Ihr dürft das Scheckbuch nicht zu Hause vergessen!«

Das war zweifellos ein Tiefschlag, aber er hinterließ, wie das bei Tiefschlägen üblich ist, eine gewisse Wirkung. In der Tat: Wem galt die Einladung? Der Person oder dem Bankkonto? Und warum kamen alle diese Schauspieler und Regisseure und Playboys und sonstigen Mitläufer herbeigeströmt? Wenn sie unseren notleidenden Kindern helfen wollen, können sie das auch aus der Ferne tun, ohne sich zur Schau zu stellen. Wer soll denn überhaupt für den ganzen Wirbel zahlen? Wer? Arn Ende wir selbst? Es galt, der Sache auf den Grund zu gehen. Die Einladungen und Ankündigungen wurden einer genauen Textanalyse unterzogen, Leute, die den Veranstaltern nahestanden, wurden um Auskunft gebeten, Drähte begannen zu surren, Verbindungen begannen zu spielen. Allen erreichbaren Informationen zufolge bestand keine wirkliche Gefahr einer Schröpfung. Und selbst wenn etwas dergleichen geplant war, würde es in unauffälliger und würdiger Form geschehen.

Dennoch blieb die Ungewißheit bestehen.

»Sind Sie sicher«, so fragte man einander, »daß es sich hier nicht um eine ganz gewöhnliche Sammelaktion handelt?«

Der Schatten einer überdimensionalen Mausefalle lag über dem Alltag. In der Boulevardpresse las man, daß zu dem GalaAbend »zahlreiche Persönlichkeiten von Rang« eingeladen waren. Wahrlich ein dehnbarer Begriff. Was heißt hier »Rang«? Welcher »Rang« war gemeint? Der gesellschaftliche? Der geistige? Oder vielleicht doch der finanzielle? Allmählich beneidete man die Angehörigen der nichteingelade-nen unteren Schichten.

Auch ich wurde von unerquicklichen Gedanken heimgesucht. Ich habe ein gutes Gewissen, ich tue, was ich kann, ich unterstütze die öffentliche Fürsorge, ich kaufe alljährlich ein Los der Wohltätigkeitslotterie - und jetzt soll ich mir plötzlich von James Bond persönlich mein Geld aus der Tasche ziehen lassen? Selbstverständlich wünschen wir unsere Kinder glücklich zu sehen, wir lieben ihr seliges Lächeln, wir gönnen ihnen alles Gute, aber es gibt Grenzen. Als mein jüngerer Sohn im Winter an Keuchhusten litt, hat niemand einen Finger gerührt, um ihm sein Schicksal zu erleichtern. Wie komme ich dazu, für fremde Kinder...

»Immerhin wird ein Dinner serviert«, lautete eine zu Besänftigungszwecken ausgesprengte Nachricht. »Und das Hilton hat eine bekannt gute Küche.«

Zu Hause habe ich eine noch bessere. Ein Dinner ist kein Grund, sich lebensgefährlichen finanziellen Bedrohungen auszusetzen.

Theoretisch bestand die Möglichkeit, die Einladung zurückzuschicken. Niemand schickte sie zurück. Alle Eingeladenen erschienen bleich, angespannt, zitternd vor mühsam verhaltener Erregung, und ihre blutleeren Lippen murmelten unhörbare Gelöbnisse:

»Von mir bekommen sie nicht einen Pfennig. Es ist Sache der Regierung, sich um unsere Kinder zu kümmern.«

Die Regierung war denn auch anwesend. Die Ministerpräsidentin war anwesend. Der Verteidigungsminister war anwesend. Und der Finanzminister. Und die Geschäftswelt. Im- und Export. Alles mögliche. Nicht zu vergessen die Tratschkolumnisten.

»Na also«, flüsterte die Gattin eines Bauunternehmers, als sie das reich gedeckte Büffet überblickte. »Die Sache ist klar. Hier wird Geld gesammelt, und zwar gründlich.«

Die Plätze an den Tischen waren namentlich gekennzeichnet, so daß den Eingeladenen nicht einmal die kleine Freiheit verblieb, sich zu setzen, wohin sie wollten. Mißgünstige Blicke trafen die wenigen Glücklichen, deren Plätze sich in der Nähe des Ausgangs befanden. Sie konnten, wenn's gefährlich wurde, ohne größeres Aufsehen verschwinden. Über den Tischen hingen in enormer Vergrößerung die Photos pausbäckiger Kinder beiderlei Geschlechts.

Der offizielle Teil begann. Er verlief sachlich, nüchtern und langandauernd. Ein grauhaariger Brite sorgte mittels Mikrophons für einen disziplinierten Ablauf. Als erster erhob sich der Vorsitzende der »Variety«-Weltorganisation, las aus einem goldenen Buch die Namen vieler amerikanischer Bürger und überreichte der Ministerpräsidentin eine goldene Rolle. Die Ministerpräsidentin nahm die goldene Rolle mit der Versicherung entgegen, daß sie nichts sehnlicher wünsche, als Zweigniederlassungen in Kairo und Damaskus zu gründen, um den notleidenden arabischen Kindern zu helfen. Diese goldenen Worte trugen ihr lebhaften Beifall ein. Hierauf erhob sich die Schauspielerin Maureen O'Hara und erkundigte sich bei den Anwesenden, ob es auf Erden etwas Schöneres gebe, als zu geben und immer wieder zu geben. Die anwesenden Israelis vergewisserten sich, daß sie ihre Scheckbücher nicht mitgenommen hatten, und nickten befriedigt.

Aber es half nichts. Der schicksalsträchtige Augenblick des Spendenaufrufs rückte unaufhaltsam näher. In wenigen Minuten, vielleicht schon wenigen Sekunden, würde der Vorsitzende sich an Baron Edmond de Rothschild wenden und fragen:

»Was dürfen wir als Ihre Spende notieren, Baron?«

Lässig kommt die Antwort:

»Ich spende 5000 Shekel.«

Stürmischer Applaus.

Als nächster ist der Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes an der Reihe:

»Und wieviel zeichnen Sie?«

»10000 Shekel.«

Und jetzt, während das Händeklatschen langsam verklingt, jetzt bin's ich, an den der Vorsitzende die Frage richtet:

»Sie dort, mein Herr - ja, Sie, im dunkelblauen Anzug - was spenden Sie?«

»Dreißig Shekel... in bar...«

Nein, das geht nicht. Das wäre kläglich. Ich werde mindestens fünfzig Shekel zeichnen müssen. Schön, dann also sechzig, wenn ich schon in der Falle sitze. Soll ich mich vor dem ganzen Land blamieren? Aller Augen sind auf mich gerichtet. Warum bin ich gekommen? Ich werde 100000 Shekel spenden und die Spende nachher rückgängig machen. Wer kann mich daran hindern? Ich habe mich eben geirrt, ich habe 100 gemeint, nicht 100000...

Der Exporteur neben mir grinst teuflisch vor sich hin. Er hat sein gesamtes Vermögen vor wenigen Tagen auf den Namen seiner Frau überschreiben lassen.

Die Stimmung ist zum Bersten angespannt. Man kann unter solchen Umständen nicht einmal essen. Wie soll das weitergehen?

Da... was ist das? Ein Murmeln geht durch die Reihen der Anwesenden, ein Murmeln der Erleichterung.

Der Vorsitzende der Weltorganisation hat soeben einen goldenen Scheck ausgefüllt, erhebt sich und reicht ihn an Sean Connery weiter.

Der König der Spione erhebt sich seinerseits, um den Scheck dem Obmann der israelischen Zweigorganisation auszuhändigen, und spricht die Worte:

»Die Weltorganisation überreicht Ihnen den Betrag von 300000 Dollar.«

Verflogen sind die Ängste, leuchtende Klarheit durchflutet den Saal. Die Namen der amerikanischen Bürger, die der Vorsitzende verlesen hatte, waren die Namen der Spender. Der amerikanische »Variety Club« hatte der israelischen Zweigorganisation 1000000 Shekel als Anfangskapital zur Verfügung gestellt. Gewiß, die Hälfte der Summe wird zur Deckung der heute aufgelaufenen Spesen verwendet werden, aber auch eine halbe Million ist eine ganz schöne Summe. Warum hat man uns das nicht vorher gesagt. Das Gala-Diner wäre dann in einer ganz anderen, in einer geradezu wohltätigen Stimmung vor sich gegangen.

»Meine Damen und Herren«, verkündete der Vorsitzende der Weltorganisation, »der israelische >Variety Club< hat seine Tätigkeit aufgenommen.«

Eine wunderbare Einrichtung, dieser Club. Er hat eine große Zukunft in unserem Land.