Shakespeare

 

Da der Text in den meisten Fällen von einem Autor stammt, kann dieser nicht völlig ignoriert werden. Während der Proben allerdings ist der Autor ungefähr so wichtig wie der Gatte während der Entbindung. Er macht auch eine annähernd gleiche Figur.

Es muß hier endlich einmal mit aller Klarheit gesagt sein, daß der Autor ein Schmarotzer ist, dessen Hauptbeschäftigung darin besteht, die Proben zu stören. Er lümmelt in einer der hinteren Reihen, stürzt von Zeit zu Zeit auf den Regisseur zu, um mit schriller Stimme auf ihn einzusprechen, und hetzt in den Probenpausen die weiblichen Ensemblemitglieder gegen den Direktor auf, von dem er behauptet, daß er homosexuell sei.

Nehmen wir zum Beispiel einen Dramatiker, der die besten Beziehungen zu den Theaterkritikern unterhält: William Shakespeare. Kein Zweifel, daß er etwas für das Theater geleistet hat. Statistischen Berechnungen zufolge wurden in Shakespeares Dramen mehr Aristokraten liquidiert als in der ganzen Französischen Revolution. Er hat aus Romeo und Julia ein Ehepaar gemacht und war taktvoll genug, ihnen den Weg zum Scheidungsanwalt zu ersparen, indem er sie letal abgehen ließ. (Ich frage mich übrigens, warum der traditionelle Vorrang des weiblichen Geschlechts, wie er etwa in der Anrede »Meine Damen und Herren« seit jeher festgelegt ist, in den Titeln von Theaterstücken so völlig mißachtet wird. Warum es nicht »Julia und Romeo«, »Isolde und Tristan«, »Sympathie und Tee« heißt?) Davon abgesehen, hat Shakespeare lange vor Marx die Grundsätze der proletarischen Diktatur ausgearbeitet, und zwar unter dem Titel »Richard III«.

Und trotz all dieser unvergleichlichen Leistungen ist es nicht einmal sicher, ob der große William wirklich gelebt hat. Wir besitzen keinen einzigen zuverlässigen Beweis für seine Existenz. Seit Jahrzehnten wird darüber ebenso heftig wie ergebnislos diskutiert. War Shakespeare Shakespeare? Stammt sein dramatisches CEuvre überhaupt von ihm? Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage. Vielleicht verdanken wir diese gewaltigen Tragödien, diese Gipfel der dramatischen Weltliteratur, irgendeinem unbekannten Scharlatan, einem Dilettanten, der nichts vom Theater verstanden hat?

Die internationale Presse tut gut daran, den Fall immer wieder aufzugreifen. Ich selbst schlage die führenden Gazetten jedesmal mit der prickelnden Erwartung auf, etwas Neues über die Causa Shakespeare zu erfahren. Und ich werde selten enttäuscht. Wie es scheint, neigt der Londoner »Observer« nunmehr endgültig der Meinung zu, daß Christopher Marlowe Shakespeare war. Demgegenüber setzt die »New York Times« auf Sir Walter Raleigh, der »Osservatore Romano« favorisiert Columbus, und die »Jerusalem Post« hat kürzlich angedeutet, daß der vielseitige Bürgermeister von Jerusalem etwas mit der Sache zu tun haben könnte. Jedenfalls sind die Nachforschungen noch lange nicht beendet.

Was mich betrifft, so bin ich aufgrund langjähriger Quellenstudien überzeugt, daß Shakespeare die Theaterstücke, die unter seinem Namen laufen, tatsächlich nicht geschrieben hat, sondern daß sie von einem ändern Autor stammen, der - wie der Zufall will - desgleichen den Namen Shakespeare trug. Dieser andere Shakespeare hat außerdem das Globe Theatre geleitet, die dankbarsten Rollen in den von ihm verfaßten Stück gespielt und sich überhaupt so benommen, als ob er Shakespeare wäre.

Ich halte meine These für genauso gut wie alle übrigen, wenn nicht für besser. Denn sie beweist, daß die Person des Autors unwichtig ist. Wenn er's nicht macht, dann macht's eben ein anderer.