Mittelweg ohne Gold

 

Es kann nicht länger geleugnet werden: Jarden Podmanitzki ist keiner von den Giganten des zeitgenössischen Theaters. Anderseits ist er auch nicht direkt schlecht. Er ist - und etwas ähnlich Beklagenswertes gibt es nicht - ein mittelmäßiger Schauspieler. Er hat das Gehabe und die Ambitionen eines Stars, ohne sein angeborenes Glück, ohne das dazugehörige Talent. Ich setze »Glück« an die erste Stelle, weil man mit Talent allein noch kein Star wird. Mit Glück ohne Talent kann man es werden.

Podmanitzki hat sich seine eigene Privatwelt aufgebaut, eine Art freiwilliges Ghetto. Dort lebt er mit seinem Genius und den wenigen Bekannten, die sich auf der Straße von ihm aufhalten lassen.

Er spielt nicht immer kleine Rollen. Manchmal spielt er auch große, allerdings nur auf kleinen Bühnen. Am Nationaltheater, wo er ständig engagiert ist, besetzt man ihn mit dem zweiten zornigen Volkstribun oder mit einem historisch nicht näher definierten Regionalfürsten oder mit einem Regimentstrompeter, der atemlos auf die Bühne stürzt, um zu melden, daß die Schlacht verloren ist und der Feind sich im Anmarsch auf Rom befindet. Daraufhin packt ihn Eleasar G. Bulitzer, der Kaiser, am Kragen, schüttelt ihn und brüllt:

»Solch eine Botschaft wagst du mir zu bringen, du Hund? Wache! Führt ihn hinaus und schlagt ihm den Kopf ab!«

Nacht für Nacht wird Podmanitzki am Ende des ersten Aktes hingerichtet und muß dann in einem nahegelegenen Kaffeehaus zwei Stunden auf den Schlußvorhang warten, um sich endlich verbeugen zu können. Er verbeugt sich in der dritten Reihe, zusammen mit der ganzen Prätorianergarde, elf Jammergestalten insgesamt. Seit fünfunddreißig Jahren steht Jarden Podmanitzki auf der Bühne. Aber er hat sie noch nie allein für sich gehabt.

In seinem Herzen weiß er längst, daß er ein mittelmäßiger Schauspieler ist. Dafür gibt es untrügliche Merkmale. Vor allem die Gage. Podmanitzki bezieht einschließlich aller Zuschläge im Monat ungefähr die Hälfte dessen, was Seine Kaiserliche Hoheit Eleasar G. Bulitzer in der Woche bezieht.

Aber das Geld ist ja nicht das Entscheidende. Worunter Podmanitzki wirklich leidet, sind die Striche. Selbst in den wenigen Zeilen, aus denen sein Text besteht, findet sich immer noch etwas zum Streichen. Manchmal ist es der ganze Text.