28

»Sperber, es war ohne jeden Zweifel Scarpa!« versicherte Caalador dem großen Pandioner. »Wir brauchten uns nicht nur auf die Zeichnung zu verlassen. Eine der hiesigen Huren stammt aus Arjuna und hatte früher manchmal geschäftlich mit Scarpa zu tun. Sie hat ihn sofort erkannt.« Die beiden Männer standen auf der Burgmauer, wo sie sich ungestört unterhalten konnten.

»Dann sind alle hier, außer Baron Parok von Dakonien«, stellte Sperber fest. »Wir haben Krager gesehen, und Gerrich, und Rebal von Edom, diesen Scarpa aus Arjuna und Elron aus Astel.«

»Ich dachte, der Verschwörer aus Astel heißt Säbel«, sagte Caalador verwundert.

Sperber verfluchte im stillen seine Unbedachtheit. »Säbel hält sich im Hintergrund«, erklärte er. »Elron ist ein Mitläufer – wahrscheinlich sogar mehr als das.«

Caalador nickte. »Ich kenne einige Asteler – auch einige Daziter – und halte es für sehr wahrscheinlich, daß Baron Parok irgendwo in Matherion lauert. Ganz sicher sammeln sie sich alle hier in der Stadt.« Er blickte nachdenklich über die perlmuttschillernde Wehrmauer in den Graben hinunter. »Wird dieser Burggraben denn überhaupt von Nutzen sein? Die Seiten sind so flach, daß Gras darauf wächst.«

»Von großem Nutzen«, versicherte Sperber, »wenn er erst mit spitzen Pfählen gespickt ist. Aber damit warten wir bis zum letzten Augenblick. Sind in den vergangenen paar Tagen viele Fremde nach Matherion gekommen? Alle unsere Gegner von außerhalb haben ihre Anhänger. Ein Mob von der Straße ist eine Sache – doch eine aus ganz Tamuli herangeschaffte Horde ist etwas ganz anderes.«

»Uns sind nicht ungewöhnlich viele Fremde in der Stadt aufgefallen«, antwortete Caalador, »und auf dem Lande gibt es auch keine größeren Ansammlungen Fremder – jedenfalls nicht in einem Umkreis von fünfzehn Meilen.«

»Sie könnten sich weiter außerhalb sammeln«, meinte Sperber.

»Wenn ich irgendwo da draußen heimlich eine Armee hätte, würde ich sie erst im letzten Moment heranmarschieren lassen.«

Caalador wandte sich um und blickte auf den Hafen. »Dort ist unsere schwache Stelle, Sperber«, sagte er mit Nachdruck. »In den Buchten entlang der Küste könnte sich eine ganze Flotte versteckt halten. Wir würden sie erst bemerken, wenn sie am Horizont auftaucht. Ich lasse die Küste zwar von Piraten und Schmugglern absuchen, aber …« Er spreizte die Hände.

»Ich fürchte, dagegen läßt sich nicht viel tun. Wir haben eine ganze Armee Ataner einsatzbereit, die sofort nach Ausbruch des Aufstands in die Stadt kommen werden. Kennen Eure Leute die Schlupfwinkel dieser ausgewählten Besucher? Wenn alles wie geplant läuft, möchte ich diese Burschen möglichst alle gleichzeitig festnehmen.«

»Die Besucher, wie Ihr sie nennt, sind noch nirgendwo gemeinsam aufgetaucht. Sie alle sind ziemlich viel unterwegs, aber sie werden beschattet. Wir könnten sie uns schon jetzt schnappen, wenn Ihr möchtet.«

»Damit würden wir nur Aufmerksamkeit auf unsere Vorbereitungen lenken. Wenn wir sie am Tag des Aufstands verhaften können, gut. Wenn nicht, verfolgen wir sie später. Ich möchte unseren Plan nicht gefährden. Eure Leute machen ihre Sache sehr gut, Caalador.«

»Nicht ganz ohne Zwang, mein Freund«, gestand Caalador bedauernd. »Ich mußte eine beachtliche Schar von Schlägern zur Einschüchterung einsetzen, um die tamulischen Verbrecher immer wieder daran zu erinnern, daß wir jetzt alle zusammenarbeiten.«

»Der Zweck heiligt die Mittel.«

»Der Vorschlag Ihrer Majestät hat gewisse Vorteile, Hochmeister Vanion«, sagte Bevier nach einiger Überlegung. »Dafür ist ein Burggraben schließlich vorgesehen. Er soll mit Wasser gefüllt sein, nicht mit Gras bewachsen.«

»Aber es würde offenkundig, daß wir Vorbereitungen zur Verteidigung der Burg treffen, Bevier«, wandte Vanion ein. »Wenn wir Wasser einzulassen beginnen, wird es binnen einer Stunde ganz Matherion wissen.«

»Ihr habt nicht den ganzen Plan gehört, Vanion«, sagte Ehlana geduldig. »Wir haben an Bällen und Banketten und verschiedenen anderen Vergnügungen teilgenommen, seit wir hier eingetroffen sind. Es ist nur recht, daß ich mich für diese Freundlichkeiten revanchiere. Ich möchte ein Galabankett geben, um meinen gesellschaftlichen Verpflichtungen Genüge zu tun. Purer Zufall, daß dieses Bankett ausgerechnet am Abend des Aufstands stattfindet. Wir haben hier eine elenische Burg, also geben wir eine elenische Gesellschaft. Wir werden eine Kapelle auf dem Wehrgang spielen lassen, bunte Lampions und Girlanden an den Wänden, und festlich geschmückte Barken im Burggraben – komplett mit Baldachinen und Bankettafeln. Ich lade den Kaiser und seinen ganzen Hof ein.«

»Das wäre wirklich außerordentlich praktisch, Hochmeister Vanion«, warf Tynian ein. »Auf diese Weise hätten wir alle, die wir schützen wollen, in unserer Nähe. Wir bräuchten nicht erst nach ihnen zu suchen und müßten nicht fürchten, Verdacht zu erregen, wenn wir im Schloßgarten hinter Kabinettsministern herjagen.«

Sperbers Knappe schüttelte den Kopf.

»Was gefällt dir nicht, Khalad?« fragte Ehlana.

»Dieser Graben ist bestimmt nicht für Wasser angelegt worden, Majestät. Wir wissen nicht, wie durchlässig der Boden ist. Es könnte sein, daß das Wasser versickert, das wir hineinpumpen. In ein paar Stunden könnte der Graben bereits wieder trocken sein.«

»Zu dumm!« sagte Ehlana enttäuscht. »Daran hab ich nicht gedacht.«

»Das übernehme ich, Ehlana.« Sephrenia lächelte. »Ein guter Plan sollte nicht an ein paar Naturgesetzen scheitern.«

»Tut Ihr es, bevor wir den Graben füllen, Sephrenia?« fragte Stragen.

»Das wäre am einfachsten.«

Er runzelte die Stirn.

Sie blickte ihn fragend an. »Was spricht dagegen?«

»Unter dem Burggraben führen drei Tunnels zu Geheimgängen und Lauschposten in der Burg.«

»Das sind die drei, von denen wir wissen«, warf Ulath ein.

»Eben. Würden wir uns nicht alle sicherer fühlen, wenn diese Gänge – auch die, von denen wir nichts wissen – voll Wasser wären, ehe der Kampf beginnt?«

»Ausgezeichnete Idee«, lobte Sperber.

»Ich kann mit der Abdichtung des Grabens warten, bis ihr die Gänge geflutet habt«, versicherte Sephrenia ihnen.

»Was meint Ihr, Vanion?« fragte Emban.

»Die Vorbereitungen für das Fest der Königin würden in der Tat von unseren Befestigungsarbeiten ablenken«, gab Vanion zu. »Es ist ein sehr guter Plan.«

»Mir gefällt er auch – bis auf die Sache mit den Barken«, sagte Sperber. »Tut mir leid, Ehlana, aber diese Barken könnten dem Mob Zugang zu unseren Mauern verschaffen. Das würde die Sperrwirkung des Grabens zunichte machen.«

»Darauf wollte ich gerade kommen, Sperber. Naphta schwimmt doch an der Wasseroberfläche, nicht wahr?«

»Ja. Aber was hat das damit zu tun?«

»Eine Barke ist nicht nur eine schwimmende Plattform. Sie hat ein Unterdeck. Angenommen, wir füllen es mit Fässern voller Erdöl. Dann, wenn es ernst wird, werfen wir Steine vom Wehrgang hinunter. Sie werden die Barken wie Eierschalen zertrümmern. Das Naphta wird sich über das Wasser im Burggraben verteilen. Dann zünden wir es an und umgeben die Burg auf diese Weise mit einem Feuerwall. Das würde den Angreifern sehr zu schaffen machen.«

»Ihr seid ein Genie, meine Königin!« rief Kalten.

»Wie schön, daß Euch das endlich aufgefallen ist, Ritter Kalten«, antwortete sie selbstgefällig. »Das Schöne an der Sache ist, daß wir sämtliche Vorbereitungen in aller Öffentlichkeit treffen können, ohne des Nachts herumschleichen und Schlaf opfern zu müssen. Dieses Galabankett bietet uns die perfekte Ausrede, in der Burg praktisch alles zu tun, was nach Dekoration ausschaut.«

Mirtai umarmte plötzlich ihre Besitzerin und küßte sie. »Ich bin so stolz auf Euch, meine Mutter!«

»Ich freue mich, daß du es billigst, meine Tochter«, erwiderte Ehlana mit ungewohnter Bescheidenheit. »Aber du solltest vielleicht etwas mehr Zurückhaltung walten lassen. Du hast doch nicht vergessen, was du mir von Mädchen erzählt hast, die andere Mädchen küssen.«

»Wir haben zwei weitere Gänge gefunden, Sperber«, berichtete Khalad, als sein Ritter sich im Wehrgang zu ihm gesellte. Khalad trug einen schwarzen Leinenkittel über der schwarzen Lederweste.

Sperber blickte hinunter auf den Burggraben, wo ein Trupp Arbeiter lange Stahlstäbe in die weiche Erde am Boden des Grabens trieb. »Ist das nicht zu auffällig?« fragte er.

»Nein, wir müssen Pflöcke einschlagen, an denen man die Barken vertäuen kann. Die Gänge befinden sich allesamt ungefähr fünf Fuß unter der Oberfläche. Die meisten Arbeiter mit den Vorschlaghämmern wissen gar nicht, wonach sie wirklich suchen, doch ich habe genügend Ritter unten im Graben bei ihnen. Wenn wir den Graben füllen, werden die Decken dieser Gänge nicht mehr dicht sein.« Khalad blickte hinüber zum Rasen; dann legte er die Hände als Trichter vor den Mund und brüllte auf tamulisch: »Vorsichtiger mit der Barke! Wenn ihr die Fugen beschädigt, wird sie leck!«

Der Vorarbeiter der tamulischen Arbeitermannschaft, der die rundbugige Barke mühsam auf Rollen über den Rasen zog, blickte auf. »Sie ist sehr schwer, ehrenwerter Herr!« rief er zurück. »Was habt Ihr da drin?«

»Ballast, Idiot!« brüllte Khalad. »Morgen werden sehr viele Leute auf Deck sein. Wenn die Barke kentert und der Kaiser in den Burggraben fällt, haben wir alle nichts zu lachen!«

Sperber blickte seinen Knappen fragend an.

»Wir laden die Naphtafässer in den Bauhütten auf die Barken«, erklärte Khalad. »Dort können wir's mehr oder weniger unbeobachtet.« Er blickte seinen Herrn an. »Es ist wahrscheinlich besser, wenn Ihr Eurer Gemahlin nicht erzählt, daß ich das gesagt habe, Sperber, doch ihr Plan hat ein paar Lücken. Das mit dem Naphta war eine gute Idee; aber wir haben zusätzlich Pech geladen, um dafür zu sorgen, daß das Naphta zu brennen anfängt, wann wir es wollen. Naphtafässer sind sehr dicht. Das Zeug nutzt uns gar nichts, wenn die Fässer auf den Grabenboden sinken, nachdem wir die Barken bombardiert haben. Außerdem möchte ich im Laderaum jeder Barke zwei von Krings Peloi unterbringen. Sie werden die Fässer im letzten Moment mit Äxten aufbrechen.«

»Du denkst an alles, Khalad.«

»Das muß in dieser Gruppe ja auch irgend jemand.«

»Jetzt hörst du dich genau wie dein Vater an!«

»Da ist noch etwas sehr Wichtiges, Sperber. Die Feiernden müssen äußerst vorsichtig sein! Auf den Barken gibt es Lampions, und vermutlich auch Kerzenleuchter. Schon ein kleines Versehen könnte den Brand viel früher auslösen als geplant. Und – äh, wir waren ein bißchen schneller, als wir dachten, Hoheit«, sagte er auf tamulisch, da sechs Arbeiter einen zweirädrigen Karren den Wehrgang entlangzogen. Der Karren war mit Lampions beladen, die jetzt von Arbeitern an der Brustwehr aufgehängt wurden. »Nein, nein, nein!« rügte Khalad. »Man hängt nicht zwei grüne nebeneinander. Ich habe es euch schon tausendmal gesagt: weiß, grün, rot, blau. Haltet euch daran! Zu Hause könnt ihr es machen, wie ihr wollt, aber nicht hier!« Er seufzte übertrieben. »Es ist wirklich nicht einfach, heutzutage gute Helfer zu bekommen, Hoheit.«

»Du übertreibst, Khalad«, murmelte Sperber.

»Ich weiß. Aber ich will sichergehen, daß sie kapieren.«

Kring kam, sich den Kopf reibend, über den Wehrgang auf sie zu. »Ich brauche eine Rasur«, sagte er abwesend, »aber Mirtai ist heute zu beschäftigt.«

»Ist das Sitte bei den Peloi, Domi?« fragte Sperber. »Ich meine, gehört es da zu den Pflichten einer Ehefrau, ihrem Mann den Kopf zu rasieren?«

»Nein. Ehrlich gesagt, war das Mirtais Einfall. Es ist schwierig, den eigenen Hinterkopf zu sehen, und für gewöhnlich sind mir ein paar Stellen entgangen. Kurz nach unserer Verlobung nahm sie mir das Rasiermesser weg und sagte, von nun an würde sie mich rasieren. Sie macht es wirklich sehr gut – sofern sie nicht anderweitig beschäftigt ist.« Er straffte die Schultern. »Meine Männer weigern sich hartnäckig, Sperber. Natürlich war mir das von vornherein klar; dennoch habe ich versucht, sie zu überzeugen, so wie Ihr mich gebeten hattet. Auf gar keinen Fall wollen sie während der Schlacht in der Burg festsitzen. Wenn Ihr es recht bedenkt, müßt Ihr zugeben, daß sie ohnehin viel nützlicher sind, wenn sie draußen zu Pferde kämpfen. Ein paar Dutzend berittene Peloi werden den Mob umrühren wie kochende Suppe im Kessel. Wenn Ihr morgen abend da draußen Verwirrung wollt, können wir reichlich dafür sorgen. Jemand, der jederzeit befürchten muß, Bekanntschaft mit einem Säbel zu machen, ist ein unkonzentrierter Angreifer.«

»Besonders wenn er auch noch herausfinden muß, daß seine Waffe nicht funktioniert«, fügte Khalad hinzu.

Sperber brummte: »Wir wissen natürlich nicht, ob das Waffenlager mit den Armbrüsten, das Caalador entdeckte, wirklich das einzige war.«

»Ich fürchte, das werden wir nicht vor morgen abend feststellen«, entgegnete Khalad. »Ich habe etwa sechshundert dieser Dinger unbrauchbar gemacht. Falls zwölfhundert Armbrustschützen in den Schloßkomplex kommen, wissen wir zumindest, daß die Hälfte ihrer Waffen funktionieren wird. Dann sollten wir lieber in Deckung gehen.« Er blickte plötzlich nach oben. »He, du!« brüllte er. »Du sollst die Girlande drapieren, nicht straff spannen!« Er schüttelte die Faust, während er den Arbeiter anfunkelte, der sich lebensgefährlich weit aus einem Fenster hoch oben in einem Turm beugte.

Der Gelehrte, den Bevier zu Ehlana geleitete, war noch sehr jung, aber schon fast völlig kahlköpfig. Seine Augen verrieten seine Nervosität, zugleich aber auch brennenden Fanatismus. Er warf sich vor Ehlanas thronähnlichem Sessel auf den Boden und klopfte regelrecht mit der Stirn darauf.

»Laßt das sein, Mann!« grollte Ulath. »Die Königin mag das nicht. Ganz abgesehen davon ruiniert Ihr die Perlmuttfliesen.«

Der Gelehrte richtete sich hastig und sehr verängstigt auf.

»Das ist Emuda«, stellte Bevier vor. »Er ist der Gelehrte, von dem ich Euch erzählt habe – jener mit der interessanten Theorie über Scarpa von Arjuna.«

»O ja«, sagte Ehlana auf tamulisch. »Willkommen, Meister Emuda. Ritter Bevier hat voller Anerkennung von Euch gesprochen.« Das hatte Bevier zwar nicht, doch Königinnen dürfen sich, der Höflichkeit halber, einige Freiheiten mit der Wahrheit erlauben.

Emuda gestattete sich einen schmelzenden Blick. Als Sperber es bemerkte, beeilte er sich, eine langatmige Schmeichelei zu unterbinden. »Verbessert mich, falls ich mich täusche, Meister Emuda. Nach Eurer Theorie steckt ein gewisser Scarpa hinter all diesen Unruhen in Tamuli.«

»So einfach ist es leider nicht, Herr …?« Er blickte den großen Pandioner fragend an.

»Sperber«, warf Ulath ein.

Emuda erbleichte und begann heftig zu zittern.

»Ich habe es gern klar und einfach, Nachbar«, sagte Sperber. »Verwirrt mich nicht mit komplizierten Erklärungen. Welche Beweise habt Ihr, daß Scarpa der Drahtzieher ist?«

»Es ist außerordentlich verwickelt, Ritter Sperber«, entschuldigte sich Emuda.

»Dann entwirrt es. Faßt es zusammen, Mann. Ich bin sehr beschäftigt.«

Emuda schluckte. »Wir – äh …« Er stockte. »Wir wissen – das heißt, wir sind ziemlich sicher –, daß Scarpa der erste Sprecher für diese sogenannten ›Helden aus der Vergangenheit‹ war.«

»Warum sagt Ihr ›sogenannten‹, Meister Emuda?« fragte Tynian, der den rechten Arm immer noch in einer Schlinge trug.

»Ist das nicht offensichtlich, Herr Ritter?« erwiderte Emuda eine Spur herablassend. »Allein die Vorstellung, Tote aus dem Grab zu rufen, ist absurd. Das alles ist ganz offensichtlich ein Schwindel. Irgendein Verschwörer in altertümlicher Gewandung erscheint in einem grellen Licht – wie es jeder Jahrmarktscharlatan zustande bringt – und brabbelt etwas Unverständliches, das der ›Ankündiger‹ als alte Sprache ausgibt. Ja, es ist ohne Zweifel ein Schwindel!«

»Wie klug Ihr seid, daß Ihr das durchschaut«, murmelte Sephrenia. »Wir hielten es für irgendeine Magie.«

»So etwas wie Magie gibt es nicht, werte Dame.«

»Ach, wirklich?« sagte sie leichthin. »Erstaunlich.«

»Ich würde meinen Ruf darauf setzen.«

»Wie mutig von Euch!«

»Ihr sagt, Scarpa sei der erste dieser Revolutionäre gewesen, der auf sich aufmerksam machte?« fragte Vanion.

»Ein Jahr eher als die anderen, Herr Ritter. Sein Erscheinen wurde vor gut vier Jahren in diplomatischen Meldungen aus Arjunas Hauptstadt erwähnt. Der nächste, von dem man hörte, war Baron Parok von Dakonien. Und ich habe eine eidesstattliche Bestätigung eines Kapitäns, daß Scarpa auf seinem Schiff von Kaftal in Südwestarjuna nach Ahat in Süddakonien reiste. Baron Parok ist in Ahat zu Hause. Er macht etwa seit drei Jahren von sich reden. Die Verbindung ist offensichtlich.«

»Ja, es sieht ganz so aus«, murmelte Sperber nachdenklich.

»Aus Ahat habe ich schriftliche Hinweise auf die Reisen der beiden. Parok begab sich nach Edom, wo er sich in der Vaterstadt von Rebal aufhielt – diese Verbindung bereitete mir einiges Kopfzerbrechen, da Rebal sich nicht seines richtigen Namens bedient. Wir konnten jedoch sein Heimatgebiet feststellen, und die Stadt, die Parok besuchte, ist die Hauptstadt des Bezirks. Ich bin ziemlich sicher, daß es bei Paroks Besuch zu einer Besprechung kam. Während Parok sich in Edom aufhielt, unternahm Scarpa die weite Reise nach Astel. Ich konnte nicht genau feststellen, wohin er sich dort begab; aber ich weiß, daß er viel in der Gegend nördlich der Marschen an der edomisch-astelischen Grenze herumkam, wo Säbel sein Hauptquartier hat. Die Unruhen in Edom und Astel begannen kurze Zeit, nachdem Scarpa und Parok diese beiden Königreiche besucht hatten. Eine Verbindung zwischen diesen vier Männern ist offensichtlich.«

»Was ist an diesen Berichten über unerklärliche, übernatürliche Geschehnisse?«

»Alles nur Schwindel, Herr Ritter.« Emudas Miene wirkte geradezu beleidigend überheblich. »Reine Scharlatanerie. Vielleicht ist auch euch aufgefallen, daß diese Vorfälle sich nur in ländlichen Gegenden ereignet haben, wo die einzigen Beobachter abergläubische Landleute und Leibeigene waren. Kultivierte Menschen würden sich von so billigen Zauberkunststücken nicht täuschen lassen.«

»Erzählt mir mehr über den zeitlichen Ablauf«, verlangte Sperber. »Wie sicher seid Ihr, daß Scarpa tatsächlich der erste Aufrührer war?«

»Ganz sicher, Ritter Sperber.«

»Dann nahm Scarpa Verbindung zu den anderen auf und zog sie auf seine Seite? Etwa anderthalb Jahre später?«

Emuda nickte.

»Wohin ging er, nachdem er Säbel in Astel für seine Sache gewonnen hatte?«

»Da verlor ich ihn leider eine Zeitlang aus den Augen, Ritter Sperber. Vor ungefähr zweieinhalb Jahren begab er sich in die elenischen Königreiche und kehrte erst acht oder zehn Monate später zurück. Bedauerlicherweise habe ich keine Hinweise, wo er sich in der Zwischenzeit aufgehalten hat. Oh, noch etwas! Die sogenannten Vampire sind fast genau zur selben Zeit in Arjuna aufgetaucht, als Scarpa den Arjuni weismachte, er käme von Sheguan, ihrem Nationalhelden. Die sagenhaften Ungeheuer der anderen Königreiche sind ebenfalls genau zu dem Zeitpunkt erschienen, als die jeweiligen Revolutionäre auftraten. Glaubt mir, Majestät«, wandte er sich ernst an Ehlana, »wenn Ihr nach einem Leitwolf sucht, dann ist Scarpa Euer Mann.«

»Wir danken Euch für diese Information, Meister Emuda«, sagte sie freundlich. »Hättet Ihr die Güte, Ritter Bevier Eure hilfreichen Informationen zu geben und sie ihm in allen Einzelheiten zu beschreiben? Leider können wir aufgrund unaufschiebbarer Angelegenheiten nur wenig Zeit für Euch erübrigen, so faszinierend wir Eure Folgerungen auch finden.«

»Es ist mir eine große Ehre, die gesamten Ergebnisse meiner Forschung Ritter Bevier zur Verfügung zu stellen, Majestät.« Bevier rollte die Augen zum Himmel und seufzte.

Sie schauten zu, wie der begeisterte Emuda den bedauernswerten Bevier aus dem Gemach führte.

»Das ist ein ziemlich hoffnungsloser Fall«, schnaubte Emban.

»Ja, es ist alles ziemlich dürftig«, meinte auch Stragen.

»Das einzige, was mich wirklich aufhorchen ließ, sind seine Zeitangaben«, meinte Sperber. »Dolmant hat mich im vergangenen Spätwinter nach Lamorkand geschickt, um Genaueres über Graf Gerrichs Umtriebe in Erfahrung zu bringen. Während ich dort war, hörte ich diese wilden Geschichten über Fyrchtnfles. Es hat ganz den Anschein, als wäre der alte Sagenheld genau zu dem Zeitpunkt aufgetaucht, als unser gelehrter Freund Scarpa aus den Augen verlor. Emuda ist ein solcher Schwachkopf, daß ich es ungern zugebe, aber er könnte ins Schwarze getroffen haben.«

»Doch aus den falschen Gründen, Sperber«, wandte Emban ein.

»Ich bin nur an seinen Antworten interessiert, Eminenz«, erklärte Sperber. »Solange sie stimmen, ist es mir egal, wie sie zustande kamen.«

»Es wäre ungünstig, früher einzugreifen, Sperber«, sagte Stragen später an diesem Tag.

»Ihr zwei geht ein zu großes Risiko ein«, warnte Sperber.

»Früher einzugreifen, ist viel zu riskant, Sperber. Wenn wir zuschlagen, bevor sie den Mob bewaffnen können, wäre es möglich, daß sie das Unternehmen abbrechen. Dann werden sie abwarten, neu planen und es an einem anderen Tag, den wir erst wieder herausfinden müßten, erneut versuchen. Wenn sie andererseits die Waffen bereits verteilt haben, wird es dafür zu spät sein. Dann werden sich Tausende auf den Straßen drängen – die meisten halbbetrunken. Und sie werden ebensowenig aufzuhalten sein, wie eine Flutwelle. Die entfesselten Kräfte werden für uns arbeiten, statt für unsere Schattenfreunde.«

»Und wenn diese Schattenfreunde sich absetzen und den Mob einfach in sein Verderben stürmen lassen?«

Caalador schüttelte den Kopf. »Die tamulische Justiz ist schnell bei der Hand, und einen Anschlag auf den Kaiser würde man als die schlimmste Art schlechter Manieren betrachten. Mehrere hundert Personen würden auf dem Richtblock enden. Danach wären Neurekrutierungen so gut wie unmöglich. Sie haben keine Wahl. Wenn sie anfangen, gibt es kein Zurück mehr.«

»Das läßt euch keinen großen Spielraum, das ist euch doch klar, oder?«

Caalador grinste. »Halb so wild, Sperber. In der Stadtmitte gibt es einen Tempel, der von den Priestern mehr für feuchtfröhliche Feiern genutzt wird als zur Andacht, da unsere gelben Brüder ja, wie Euch bekannt ist, ihre Religion nicht sehr ernst nehmen. Sind die Priester, die dort saufen, angeheitert, kommen sie für gewöhnlich auf die Idee, einen Gottesdienst zu halten. Im Tempel ist eine Glocke, die bestimmt zwanzig Tonnen oder mehr wiegt. Wenn es soweit ist, taumelt einer der betrunkenen Priester zu ihr, greift nach dem Vorschlaghammer, der stets dort bereitliegt, und schlägt damit ein paarmal auf die Glocke. Sie macht den gräßlichsten Lärm, den man sich nur vorstellen kann. Seeleute erzählen, daß sie die Glocke bis zu dreißig Meilen vor der Küste gehört haben. Da es einem betrunkenen Priester jederzeit einfallen kann, auf die Glocke einzuhämmern, achten die Matherioner längst nicht mehr darauf; sie wissen dann schon, daß die Priester sich wieder mal einen Spaß machen. Morgen aber wird das ganz anders sein. Sobald das Lagerhaus sich öffnet, wird die Glocke ihre Botschaft von Hoffnung und Freude hinausschallen. Die Meuchler, die jenen Leuten, mit denen wir ein Wörtchen reden wollen, fast schon an der Kehle sind, werden das Läuten als Aufforderung nehmen, sich an die Arbeit zu machen. Binnen einer Minute werden wir die gesamte Meute in sicherem Gewahrsam haben.«

»Was ist, wenn sie sich wehren?«

»Oh, es wird natürlich ein paar Verluste geben.« Caalador zuckte die Schultern. »Man kann kein Omelette machen, ohne Eier zu zerschlagen. Es sind mehrere Dutzend Personen, die wir festnehmen wollen; da können wir es uns doch leisten, ein paar zu verlieren, nicht wahr.«

»Der Glockenschlag ist auch das Zeichen für Euch, Sperber«, fiel Stragen ein. »Sobald Ihr ihn hört, ist es Zeit, die Bankettgäste Eurer Gemahlin in die Burg zu bringen.«

»Aber das könnt Ihr nicht tun, Majestät!« protestierte der Innenminister am nächsten Morgen schrill, als Tonnen von Wasser aus riesigen, über den Rasen der Schloßanlage verteilten Rohren in den Burggraben zu fließen begannen.

»Ach?« fragte Ehlana unschuldsvoll. »Und warum nicht, Minister Kolata?«

»Äh – nun – äh – der Graben hat keinen dichten Untergrund, Majestät. Das Wasser wird versickern.«

»Aber das macht doch nichts, Minister Kolata. Es ist ja nur für eine Nacht. Ich bin sicher, daß der Wasserstand im Graben bis zum Ende des Festes hoch genug bleibt.«

Kolatas Augen weiteten sich bestürzt, als in der Mitte des Grabens plötzlich Luft und schlammiges Wasser in die Höhe sprudelten.

»Meine Güte!« rief Ehlana und blickte auf den gurgelnden Strudel, der sich an der Stelle bildete. »Dort unten muß es einen alten, vergessenen Keller gegeben haben.« Sie lachte silberhell. »Das wird die Ratten, die dort unten hausen, ziemlich überrascht haben, meint Ihr nicht auch, Exzellenz?«

Kolatas Gesicht war kreidebleich geworden. »Äh – würdet Ihr mich bitte entschuldigen, Majestät?« bat er. Ohne auf die Antwort zu warten, drehte er sich um und eilte über den Rasen davon.

»Laß ihn nicht entkommen, Sperber«, sagte Ehlana kühl. »Ich fürchte, Vanions Liste war nicht so vollständig, wie wir gehofft hatten. Wie wär's, wenn du den Innenminister in die Burg bittest, damit du ihm unsere anderen Vorbereitungen zeigen kannst?« Sie tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger aufs Kinn. »Und du könntest Ritter Kalten und Ritter Ulath bitten, sich euch anzuschließen, wenn du Seiner Exzellenz die Folterkammer zeigst. Kaiser Sarabians exzellenter Innenminister möchte Vanions Liste vielleicht noch ein paar Namen hinzufügen.«

Es war der kühle Gleichmut in ihrer Stimme, der Sperber einen Schauder über den Rücken sandte.

»Er fühlt sich allmählich gekränkter, als er sich anmerken läßt, Sperber«, sagte Vanion ernst, als die beiden Männer zuschauten, wie Khalads Arbeiter das riesige Tor der Schloßmauer ›dekorierten‹. »Er ist nicht dumm, und er weiß, daß wir ihm nicht alles sagen.«

»Das läßt sich nicht ändern, Vanion. Er ist zu unberechenbar, als daß wir ihn in alle Einzelheiten einweihen dürften.«

»Vielseitig wäre eine diplomatischere Formulierung.«

»Mag sein. Aber wir kennen ihn nicht gut genug, Vanion, und wir sind Fremde hier in Tamuli. Vielleicht führt er ein Tagebuch, dem er alles anvertraut. Das könnte eine tamulische Sitte sein. Es wäre auch durchaus möglich, daß die Kammermaid, die jeden Morgen sein Bett macht, ungehindert Zugang zu dem ganzen Plan hat.«

»Reine Mutmaßungen, Sperber.«

»Diese Hinterhalte auf dem Land waren keine Mutmaßungen.«

»Ihr verdächtigt doch nicht etwa den Kaiser?«

»Von irgend jemandem muß der Feind von unseren Expeditionen erfahren haben! Wir können uns beim Kaiser entschuldigen, sobald die bevorstehende Abendunterhaltung vorüber ist.«

»Aber das ist wirklich zu auffällig, Sperber!« platzte Vanion heraus und deutete auf das schwere Stahlgitter, das Khalads Arbeiter an der Innenseite des Tors befestigten.

»Es wird nicht zu sehen sein, wenn das Tor ganz geöffnet ist, Vanion, und Khalad läßt Girlanden an das Gitter hängen, die es verbergen. Konnte Sephrenia sich mit Zalasta in Verbindung setzen?«

»Nein. Er ist offenbar noch zu weit weg.«

»Ich würde mich viel wohler fühlen, wenn er hier wäre. Falls die Trollgötter sich heute nacht zu einem Auftritt entschließen, könnten wir in sehr ernste Schwierigkeiten geraten.«

»Aphrael kann sich der Trollgötter annehmen.«

»Nicht, ohne ihre wahre Identität preiszugeben. Und wenn die bekannt wird, würde meine teure Gemahlin noch so allerlei herausfinden, was sie besser nicht wüßte. Ich werde nicht das Risiko eingehen, daß Ehlana den Verstand verliert, nur um Sarabian den Thron zu erhalten.«

Die Sonne wanderte stetig gen Westen und näherte sich langsam, aber unaufhaltsam dem Horizont. Obwohl Sperber natürlich wußte, wie absurd es war, hatte er das Gefühl, daß die brennende Scheibe wie eine Sternschnuppe auf die Erde herabstürzte. Es gab noch so viel – so viele große und kleine Dinge – zu erledigen! Und das Schlimme war, daß sie mit einem Großteil der Arbeiten erst nach Sonnenuntergang anfangen konnten, sobald die hereinbrechende Dunkelheit sie vor den gewiß Hunderten beobachtender Augen verbarg.

Am frühen Abend kam Kalten in die königlichen Gemächer und meldete, daß alles erledigt war, was vor Einbruch der Nacht getan werden konnte. Sperber war erleichtert, daß sie ihren Zeitplan wenigstens soweit eingehalten hatten.

»War der Innenminister überhaupt von Nutzen?« fragte Ehlana. Sie saß in ihrem Sessel am Fenster und ließ die aufwendige Prozedur über sich ergehen, sich von Alean und Melidere ›das Haar richten‹ zu lassen.

»O ja, Majestät«, versicherte Kalten ihr mit einem breiten Grinsen. »Er war sogar noch bereitwilliger und gesprächiger als Euer Vetter Lycheas seinerzeit. Ulath verfügt über erstaunliche Überredungskünste, wenn er es darauf anlegt. Bei Kolata haben die Blutegel anscheinend den Ausschlag gegeben.«

»Blutegel?«

Kalten nickte. »Gleich nachdem Ulath sich erboten hatte, Kolata kopfüber in ein Faß voll Blutegel zu stecken, entwickelte der Innenminister dieses geradezu unstillbare Verlangen, uns alles mitzuteilen.«

»Großer Gott!« Die Königin schauderte.

Alle Gäste an diesem Abend waren einmütig der Ansicht, das Fest der Königin von Elenien sei das krönende Ereignis der Saison. Die bunten Lampions, welche die Perlmuttmauern beleuchteten, waren bezaubernd, die Tausende von Metern sehr teurer Seidengirlanden wirkten ungemein festlich, und das Orchester auf dem Wehrgang, das alte elenische Weisen spielte – nicht die mißtönenden Klänge, wie sie an Sarabians Hof üblich waren und die man nur als Kakophonie, nicht als Musik bezeichnen konnte –, verhalfen dem festlichen Ereignis zu einer angenehmen, harmonischen Stimmung. Die größte Begeisterung weckten allerdings die im Burggraben vertäuten Barken. Im Freien zu dinieren war Tamulern nie in den Sinn gekommen, und schwimmende Banketträume, von zahllosen Kerzen erhellt und dicht mit bunten Seidengirlanden behangen, gingen weit über die Phantasie der meisten Hofleute des Kaisers hinaus.

Die Kerzen bereiteten den Rittern größte Sorgen. Schon der Gedanke an offene Flammen, die den verborgenen Barkenladungen so nahe waren, ließ die stärksten Männer erbleichen.

Da das Fest vor den Mauern der elenischen Burg stattfand und die Gastgeberin Elenierin war, hatten die Damen des Kaiserhofs die schöpferischen Gaben jedes Schneiders in Matherion mit ihren Wünschen nach ›elenischer‹ Kleidung aufs höchste gefordert. Die Schöpfungen waren allerdings in den meisten Fällen nicht sehr geglückt, da die tamulischen Schneider sich ihre Anregungen aus Büchern holen mußten, die aus der Universitätsbibliothek stammten. Die in diesen nicht selten mehrere hundert Jahre alten Werken abgebildeten Gewänder waren geradezu schauderhaft altmodisch.

Ehlana und Melidere hingegen waren modisch gewandet und der bewunderte Mittelpunkt der Gesellschaft. Ehlana prunkte in einem königsblauen Gewand und einer mit Brillanten und Rubinen besetzten Tiara im kunstvoll frisierten aschblonden Haar; Melidere prangte in einem lavendelfarbenen Gewand – Lavendel war offenbar ihre Lieblingsfarbe. Mirtai hatte sich mit voller Absicht nicht modisch gekleidet. Sie trug das ärmellose blaue Gewand, das sie sich für die Hochzeit ihrer Besitzerin angeschafft hatte, und diesmal verbarg sie ihre Waffen nicht. Erstaunlicherweise hatte Sephrenia sich zu diesem Anlaß für ein elenisches Gewand entschieden – ein schneeweißes natürlich –, und Vanion war offensichtlich ganz hingerissen von ihr. Die Ritter im Gefolge der Königin mußten, trotz Sperbers Einwände, auf ihr Geheiß Wams und enges Beinkleid tragen. Aber sie hatten ihre Rüstungen in Griffweite.

Nachdem die Angehörigen des Kaiserhofs erschienen waren und sich auf den Barken umschauten, erfolgte eine Pause und schließlich ein elenischer Fanfarentusch. »Ich mußte den Musikern drohen, bevor sie sich bereit erklärt haben, den Kaiser auf anständige Weise zu begrüßen«, flüsterte der elegant gekleidete Stragen Sperber zu.

»So?«

»Sie beharrten eigensinnig darauf, daß der Kaiser mit diesem grauenvollen Getöse begrüßt werden müsse, das sie hier als Musik bezeichnen. Sie wurden erst einsichtiger, nachdem ich einem Trompeter das Wams ein bißchen mit meinem Degen aufgeschlitzt hatte.« Plötzlich riß Stragen erschrocken die Augen weit auf. »Um Gottes willen, Mann!« fuhr er einen Lakai an, der eine Platte mit dampfendem Rinderbraten auf einen Tisch stellte. »Paß auf die Kerzen auf!«

»Er ist Tamuler, Stragen«, erklärte Sperber, als der Mann den Thalesier verständnislos anstarrte. »Ihr habt elenisch zu ihm gesprochen!«

»Trichtert ihm Vorsicht ein, Sperber! Eine einzelne kleine Flamme an der falschen Stelle auf einer dieser Barken, und wir alle brutzeln bei lebendigem Leibe!«

In diesem Augenblick erschienen der Kaiser und seine neun Gemahlinnen auf der Zugbrücke und schritten die mit einem roten Läufer belegten Stufen zur vordersten Barke herunter.

Alle verbeugten sich vor dem Kaiser, doch keiner blickte ihn an. Unwillkürlich hatten sich aller Augen auf die strahlend lächelnde Kaiserin Elysoun von Valesien gerichtet. Sie hatte das elenische Kostüm ihrem kulturellen Geschmack angepaßt und das wirklich schöne scharlachrote Gewand derart ändern lassen, daß jene Reize, die Elenierinnen gewöhnlich sittsam verbargen und Valesianerinnen stolz zur Schau trugen, auf zwei Rüschenkissen aus schneeweißer Spitze gebettet, so daß sie in ihrer ganzen Fülle, beinahe herausfordernd, zu sehen waren.

»Also das nenne ich wirklich modische Freiheit«, murmelte Stragen.

»Allerdings.« Sperber schmunzelte und strich den Kragen seines schwarzen Samtwamses glatt. »Und alle starren sie an. Der arme Emban ist einem Schlaganfall nahe.«

In einer formellen kleinen Zeremonie geleitete Königin Ehlana den Kaiser und seine Gemahlinnen über die Stege, welche die Barken miteinander verbanden. Kaiserin Elysoun hielt offensichtlich Ausschau nach jemandem, und als sie Berit ein Stück abseits auf der zweiten Barke stehen sah, änderte sie ihren Kurs und steuerte mit vollen Segeln – bildlich gesprochen natürlich – auf ihn zu. Ritter Berit wirkte zuerst besorgt, dann regelrecht verzweifelt, als Elysoun ihn an der Reling in die Enge trieb, ohne ihn auch nur mit einem Finger zu berühren.

»Armer Berit«, murmelte Sperber mitfühlend. »Paßt auf ihn auf, Stragen. Ich bin nicht sicher, ob er schwimmen kann. Rettet ihn, falls er sich nicht mehr zu helfen weiß und in den Burggraben springt.«

Nachdem der Kaiser herumgeführt worden war und alles begutachtet hatte, begann das Bankett. Sperber hatte die Ordensritter umsichtig unter die Gäste verteilt. Sie erwiesen sich jedoch nicht gerade als unterhaltsame Gesprächspartner, da sie sich fast ausschließlich auf die Kerzen und Lampions konzentrierten. »Gott helfe uns, wenn Wind aufkommt!« flüsterte Kalten Sperber zu.

»Allerdings!« entgegnete der große Pandioner inbrünstig. »Äh – Kalten, alter Freund.«

»Ja?«

»Du sollst auf die Kerzen achten, nicht auf das Oberteil von Kaiserin Elysouns Gewand!«

»Welches Oberteil?«

»Was für eine unfeine Bemerkung! Konzentriere dich lieber auf deine Aufgaben!«

»Wie sollen wir diese Herde aufgetakelter Schafe in die Burg treiben, wenn die Glocke schlägt?« Kalten rutschte unbehaglich auf seinem Sitz. Sein grünes Satinwams saß über seinem Bauch etwas eng.

»Wenn wir es richtig berechnet haben, dürfte der Hauptgang des Mahles bereits verzehrt sein, wenn unsere Freunde in der Stadt die Waffen verteilen. Wenn die Glocke ertönt, wird Ehlana alle Gäste zur Nachspeise in die Burg bitten.«

»Sehr schlau, Sperber!« sagte Kalten bewundernd.

»Lob meine Frau, Kalten. Es war ihre Idee.«

»Sie ist wirklich großartig in solchen Dingen. Ich bin froh, daß sie sich entschlossen hat, mitzukommen!«

»Darüber bin ich geteilter Ansicht«, brummte Sperber.

Das Bankett nahm seinen Lauf. Dutzende von Trinksprüchen hallten über das Wasser, und die Gäste häuften Lob auf die Königin von Elenien. Da die Geladenen nicht die geringste Ahnung von dem bevorstehenden Höhepunkt des Abends hatten, mangelte es den Komplimenten nicht an unbeabsichtigter Ironie.

Sperber stocherte nur in seinem Essen herum und kostete es kaum. Seine Augen waren unentwegt auf die Kerzen gerichtet, und seine Ohren gespitzt, um ja den ersten Laut der Glocke zu vernehmen, die den Aufbruch der Feinde ankündigen würde.

Kaltens Appetit hingegen war ungebrochen.

»Wie kannst du dich bloß so vollstopfen?« fragte Sperber seinen Freund gereizt.

»Ich muß schließlich bei Kräften bleiben, Sperber. Bis die Nacht um ist, werde ich bestimmt eine Menge Kraft brauchen. Wenn du nicht zu beschäftigt bist, alter Junge, dann reich mir doch die Soße.«

Da begann von irgendwo in der Mitte der schimmernden, mondbeschienenen Stadt Matherion ein erster tiefer Glockenschlag die zweite Hälfte der Abendunterhaltung einzuläuten.