16

Die Karosse bog um eine Kurve und näherte sich der Stelle, wo Sperber und Sephrenia warteten. Ehlana unterhielt sich angeregt mit Oscagne und Emban, als ihre Augen sich plötzlich weiteten. »Sephrenia?« stieß sie hervor. »Tatsächlich! Es ist Sephrenia!«

Alle königliche Würde war vergessen, als sie hastig aus der Kutsche stieg.

»Nimm dich zusammen!« mahnte Sperber lächelnd.

Ehlana kam zu ihnen gerannt, warf die Arme um Sephrenias Hals und küßte sie, während ihr Tränen der Freude über die Wangen liefen.

Ihre Tränen blieben nicht die einzigen, die an diesem Nachmittag vergossen wurden. Selbst die Augen der sonst so unsentimentalen Ordensritter schimmerten feucht. Kalten weinte sogar ungeniert, als er sich niederkniete, um Sephrenias Segen entgegenzunehmen.

»Ist die Styrikerin von einer besonderen Bedeutung für euch, Sperber-Ritter?« erkundigte Engessa sich neugierig.

»Von einer ganz besonderen, Atan Engessa«, versicherte Sperber ihm mit einem Blick auf seine Kameraden, die sich um die zierliche Frau drängten. »Sie rührt unsere Herzen auf eine unbeschreibliche Weise. Wir würden die ganze Welt für sie erobern und sie ihr zu Füßen legen, wenn sie uns darum bäte.«

»Das ist eine sehr gewaltige Macht, Sperber-Ritter«, sagte Engessa anerkennend. Der Atan respektierte Macht.

»Das ist es wahrhaftig, mein Freund«, bestätigte Sperber. »Zudem ist sie weise und schön, und ihre Kräfte sind so groß, daß sie die Gezeiten anhalten könnte, wenn sie wollte.«

»Sie ist aber ziemlich klein«, bemerkte Engessa.

»Das täuscht. In unseren Augen ist sie mindestens hundert Fuß groß – vielleicht sogar zweihundert.«

»Die Styriker sind ungewöhnliche Menschen mit ungewöhnlichen Kräften, doch ich habe noch nie davon gehört, daß sie ihre Größe verändern könnten.« Engessa nahm alles wörtlich; rhetorische Übertreibungen verstand er nicht. »Zweihundert Fuß, sagt Ihr?«

»Wenn nicht mehr, Atan.«

Während der überschwenglichen Begrüßung konnte Sperber Sephrenia unbemerkt beobachten. Sie hatte sich verändert. Sie kam ihm gelöster vor. Kein Styriker vermochte sich in der Gesellschaft von Eleniern völlig zu entspannen. Jahrtausende von Vorurteilen und Unterdrückung hatten die Styriker gelehrt, wachsam zu sein – selbst jenen Eleniern gegenüber, die sie am meisten liebten. Sephrenias Schutzschild – jenen Schild, den sie so lange vor sich gehalten hatte, daß sie ihn vielleicht gar nicht mehr bemerkte – gab es nicht mehr. Alle Barrieren waren gefallen.

Doch das war nicht alles. Ihr Gesicht strahlte, und die bedauernde Sehnsucht, die früher in ihren Augen gelegen hatte, war verschwunden. Zum ersten Mal in den vielen Jahren, die Sperber Sephrenia bereits kannte, schien sie uneingeschränkt glücklich zu sein.

»Wird das noch lange so weitergehen, Sperber-Ritter?« erkundigte Engessa sich höflich. »Es ist nicht mehr weit bis Sarsos, aber …« Er beließ es bei dieser Andeutung.

»Ich werde mit den anderen reden, Atan. Vielleicht gelingt es mir, sie zu überzeugen, daß sie mit ihren Bekundungen der Freude und des Respekts auch später weitermachen können.« Sperber schritt zu der aufgeregten Schar neben der Karosse. »Atan Engessa hat mir soeben einen interessanten Vorschlag unterbreitet«, sagte er zu den begeisterten Rittern. »Es ist zwar ein völlig unerwarteter Gedanke, der gründlich bedacht werden muß, aber Engessa hat darauf hingewiesen, daß wir unser Freudenfest im Grunde auch innerhalb der Mauern von Sarsos weiterfeiern könnten – vor allem, da es nicht mehr weit zur Stadt ist.«

»Ich sehe, eines hat sich nicht geändert«, sagte Sephrenia zu Ehlana. »Versucht er immer noch, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit witzig zu sein?«

»Ich fürchte, er ist unverbesserlich, kleine Mutter«, erwiderte Ehlana lächelnd.

»Meine eigentliche Frage ist, ob die Damen den Weg zur Stadt fortsetzen möchten, oder ob wir das Nachtlager lieber hier aufschlagen sollen?«

»Spielverderber!« rügte Ehlana.

»Wir sollten uns jetzt wirklich auf den Weg zur Stadt machen«, riet Sephrenia. »Vanion wartet, und ihr wißt ja, daß er Unpünktlichkeit nicht ausstehen kann.«

»Vanion?« rief Ehlana. »Ich dachte, er wäre bereits gestorben!«

»Keineswegs. Er ist recht munter. Sehr munter bisweilen. Er hätte mich sicher hierher begleitet, wenn ihm gestern nicht ein Mißgeschick mit seinem Knöchel passiert wäre. Er läßt sich nichts anmerken, aber die Schmerzen sind größer, als er zugeben will.«

Stragen kam herbei und hob die zierliche Styrikerin mühelos in die Kutsche. »Was erwartet uns in Sarsos, liebe Schwester?« fragte er sie in einwandfreiem Styrisch.

Ehlana blickte ihn überrascht an. »Ihr wart nicht ganz offen zu mir, Durchlaucht Stragen! Ich hatte keine Ahnung, daß Ihr Styrisch sprecht.«

»Ich wollte es Euch längst sagen, Majestät, habe es jedoch immer wieder vergessen.«

»Macht Euch besser auf einige Überraschungen bereit, Stragen«, warnte Sephrenia ihn. »Das solltet ihr alle.«

»Überraschungen welcher Art?« erkundigte sich Stragen. »Ihr müßt bedenken, daß ich ein Dieb bin, Sephrenia, und Überraschungen sind für Diebe gar nicht gut. Sie neigen dazu, die Fassung zu verlieren, wenn sie überrascht werden.«

»Werft alle eure bisherigen Vorstellungen von Styrikern über Bord«, riet ihnen Sephrenia. »Wir haben keine Veranlassung, uns in Sarsos bescheiden und einfach zu geben, und ihr werdet dort eine völlig andere Art von Styrikern erleben.« Sie nahm in der Karosse Platz und streckte Danae die Arme entgegen. Die kleine Prinzessin setzte sich auf Sephrenias Schoß und küßte sie. Es schien das Natürlichste auf der Welt zu sein, doch Sperber war insgeheim verwundert, daß nicht eine Aura strahlenden Lichts um die beiden aufleuchtete.

Da erblickte Sephrenia Emban. »Oh, welch unerwarteter Besuch, Eminenz. Wie groß ist Eure Toleranz?«

»Ich mag Euch, Sephrenia«, versicherte ihr der fette kleine Mann. »Ich habe nur etwas gegen die hartnäckige Weigerung der Styriker, den wahren Glauben anzunehmen. Aber ich bin gewiß kein blinder Eiferer.«

»Würdet Ihr dann einen Rat beherzigen, mein Freund?« fragte Oscagne ihn.

»Laßt hören.«

»Ich würde Euch empfehlen, Euren Besuch von Sarsos als einen Ausflug zu betrachten und die Theologie zu Hause zu lassen. Seht Euch um, aber behaltet Euer Mißfallen für Euch. Das Imperium wüßte eine derartige Kooperation wirklich zu würdigen, Emban. Wir bitten Euch, nicht den Unmut der Styriker zu erregen. Sie sind ein sehr eigensinniges Volk mit Fähigkeiten, die wir nicht ganz verstehen. Wir wollen keine Unruhen heraufbeschwören, die sich vermeiden lassen.«

Emban öffnete den Mund, beschloß dann aber, nichts zu erwidern.

Sperber besprach sich kurz mit Oscagne und Sephrenia und beschloß, daß die Ordensritter, von den langjährigen Gefährten abgesehen, ihr Lager mit den Peloi vor der Stadt aufschlagen sollten. Auf die Weise wurden viele vorhersehbare Probleme vermieden. Engessa schickte seine Ataner in ihre Garnison ein Stück außerhalb der nördlichen Stadtmauer, während Ehlana und ihre Begleiter die Stadt durch ein unbewachtes Tor betraten.

»Was hast du denn, Khalad?« fragte Sephrenia Sperbers Knappen, der sich stirnrunzelnd umschaute.

»Es geht mich wirklich nichts an, Erhabene, aber sind Marmorhäuser so weit im Norden wirklich das Richtige? Sie müssen doch im Winter entsetzlich kalt sein!«

»Ganz der Vater!« Sie lächelte. »Ich fürchte, du bist da auf eine unserer Untugenden gestoßen, Khalad. Die Eitelkeit. Die Häuser haben Backsteinmauern. Der Marmor ist nur Fassade – mehr Schein als Stein.«

»Aber auch Backstein schützt nicht besonders gut vor der Kälte, Erhabene.«

»O doch. Wenn man Doppelwände errichtet und den Zwischenraum von etwa einem Fuß mit Gips füllt.«

»Das ist ja unglaublich mühsam und zeitraubend!«

»Du würdest dich wundern, wieviel Zeit und Mühe die Leute der Eitelkeit wegen aufwenden, Khalad. Der Zweck heiligt in diesem Fall die Mittel. Unsere Götter lieben Marmorgebäude, und wir möchten, daß sie sich darin wie zu Hause fühlen.«

»Holz ist trotzdem praktischer!« sagte er beharrlich.

»Davon bin ich überzeugt, Khalad, aber es ist so gewöhnlich. Wir möchten gern anders sein.«

»Anders – das trifft es.«

Sarsos roch sogar anders. Über jeder elenischen Stadt, wo sie sich auch befinden mochte, hing eine ungesunde Glocke aus Rauch, verrottendem Abfall und ungeleerten Senkgruben. Sarsos hingegen duftete nach Bäumen und Rosen. Es war Sommer; überall blühten Rosenbüsche, und wohin man schaute, erfreuten kleine Parks das Auge. Ehlanas Blick wurde immer nachdenklicher. Ein sechster Sinn sagte Sperber, daß Eleniens Hauptstadt sehr viel Gartenarbeit bevorstand.

Die Architektur und Gestaltung der Stadt waren harmonisch und zeugten von hoher Kultur. Die Straßen waren breit und gerade, die Gassen idyllisch und still. Alle Häuser waren mit Marmor verkleidet und besaßen einen Portikus mit schlanken weißen Säulen. Unverkennbar war Sarsos keine elenische Stadt.

Für elenische Augen sahen die Bewohner indes seltsam unstyrisch aus. Die Styriker im Westen trugen ohne Ausnahme Gewänder aus grobem weißem Gewebe, so daß man sie allein schon daran erkannte. Die sarsosischen Styriker dagegen waren in Seide und feines Leinen gewandet. Auch sie zogen offenbar Weiß vor, doch sah man auch andere Farben – Blau und Grün und Gelb und viel leuchtendes Rot. Im Westen zeigten sich Styrikerinnen selten in der Öffentlichkeit; hier sah man sie überall in bunten Kleidern und mit Blumen im Haar.

Am augenscheinlichsten war jedoch der Unterschied im Auftreten der Menschen. Die Styriker im Westen waren zaghaft und bisweilen so furchtsam wie Rehe, dazu von einer Zurückhaltung, die der elenischen Aggressivität den Stachel nehmen sollte, was jedoch häufig die gegenteilige Wirkung erzielte. Die sarsosischen Styriker schlurften nicht gesenkten Blicks einher und sprachen nicht leise und stockend wie ihre westlichen Brüder. Ihr Auftreten war selbstsicher. Sie diskutierten an Straßenecken. Sie spazierten hocherhobenen Hauptes durch die breiten Prunkstraßen, als wären sie stolz darauf, Styriker zu sein. Besonders die Kinder, die ohne Furcht fröhlich in den Grünanlagen spielten, machten den Unterschied deutlich.

Embans Miene verriet Zorn, und seine Lippen waren verkniffen. Sperber kannte den Grund für den Groll des Patriarchen von Uzera, und seine Ehrlichkeit zwang ihn, sich insgeheim einzugestehen, daß er ähnlich empfand. Alle Elenier hielten die Styriker für eine minderwertige Rasse, und ungeachtet ihrer Indoktrinierung empfanden die Kirchenritter im tiefsten Herzen ebenso. Sperber spürte, wie die Gedanken sich ungebeten einstellten: Wie können diese aufgeblasenen, großmäuligen Styriker es wagen, eine schönere Stadt als die Elenier zu bauen? Wie können sie es wagen, wohlhabend zu sein? Wie können sie es wagen, durch diese Straßen zu stolzieren und zu glauben, sie wären den Eleniern ebenbürtig?

Da sah er, wie Danae ihn traurig anblickte, und abrupt unterbrach er diese Gedanken und kämpfte seinen unwillkürlichen Groll nieder. Plötzlich schämte er sich seiner Emotionen. Solange Styriker bescheiden und unterwürfig waren und in Elendshütten hausten, war er durchaus bereit, ihnen zu Hilfe zu eilen. Doch wenn sie ihm stolz und ungebeugt in die Augen blickten, juckte es ihn, ihnen eine Lektion zu erteilen.

»Gar nicht so einfach, nicht wahr, Sperber?« sagte Stragen. »Dadurch, daß mein Vater mich nicht anerkannte, fühlte ich mich immer schon den Unterdrückten und Verachteten verbunden. Ich war von der unendlichen Demut unserer styrischen Brüder so beeindruckt, daß ich mir sogar die Mühe machte, ihre Sprache zu erlernen. Allerdings muß ich zugeben, daß dieser Anblick sogar in mir unfreundliche Gefühle weckt. Sie wirken alle so aufreizend selbstzufrieden!«

»Stragen, manchmal seid Ihr mit Euren Einsichten nicht zu ertragen!«

»Oh! Ihr seid wohl ein bißchen empfindlich heute?«

»Tut mir leid. Ich habe nur etwas in mir entdeckt, das mir gar nicht gefällt. Daher der Mißmut.«

Stragen seufzte. »Wir sollten es lieber bleiben lassen, uns ins Herz zu schauen. Ich glaube nicht, daß es irgend jemanden gibt, dem alles gefällt, was er dort sieht.«

Sperber war nicht der einzige, der Schwierigkeiten hatte, die Stadt und ihre Bürger so zu nehmen, wie sie waren. Beviers Gesicht, das von Schock, ja Entrüstung gezeichnet war, verriet, daß sein Groll noch größer war als der der anderen.

»Hab' mal eine Geschichte gehört«, wandte Ulath sich auf seine entwaffnend direkte Art an ihn, die deutlicher als Worte signalisierte, daß er etwas klarmachen wollte. Ulath sprach fast nie, außer er wollte etwas klarmachen. »Es waren einmal ein Deiraner, ein Arzier und ein Thalesier. Sie redeten alle in ihren heimischen Mundarten. Dann fingen sie an zu streiten, in welchem dieser Dialekte Gott sprach. Schließlich einigten sie sich darauf, nach Chyrellos zu reisen und den Erzprälaten zu bitten, Gott zu fragen.«

»Und?« Bevier blickte ihn ungeduldig an.

»Nun, jedermann weiß, daß Gott die Fragen des Erzprälaten immer beantwortet. Deshalb erfuhr er es, und damit war der Streit ein für alle Male beendet.«

»Und?«

»Und was?«

»Welche Mundart spricht Gott?«

»Thalesische, natürlich. Das weiß doch jeder, Bevier.« Ulath brachte es fertig, so etwas zu sagen, ohne mit der Wimper zu zucken. »Wie sollte es auch anders sein? Gott war ein genidianischer Ritter, ehe er beschloß, sich des Universums anzunehmen. Ich wette, das hast du nicht gewußt.«

Bevier starrte ihn für einen Moment an, dann lachte er ein wenig verlegen.

Ulath blickte Sperber an und zwinkerte ihm unmerklich zu. Wieder einmal fand Sperber, daß er seinen thalesischen Freund neu einschätzen mußte.

Sephrenia hatte ein Haus in Sarsos – eine weitere Überraschung für Sperber und seine Gefährten. Sie hatte immer den Eindruck erweckt, als würde sie auf irdischen Besitz keinen Wert legen. Das Haus war von beachtlicher Größe und stand inmitten eines Parks, dessen hohe alte Bäume den sanft abfallenden Rasenflächen, dem blühenden Garten und plätschernden Springbrunnen Schatten schenkten. Wie alle Gebäude in Sarsos schien auch Sephrenias Haus aus Marmor erbaut, und irgendwie sah es sehr vertraut aus.

»Ihr habt es abgeguckt, kleine Mutter«, sagte Kalten, als er Sephrenia aus der Kutsche half.

»Wie bitte?«

»Ihr habt Euer Haus Aphraels Tempel auf der Insel nachgebaut, die wir im Traum gesehen haben! Sogar der Portikus ist der gleiche.«

»Da mögt Ihr recht haben, Lieber, aber das ist hier so üblich. Alle Mitglieder des Rates von Styrikum geben gern mit ihren Göttern an. Das erwartet man sogar. Andernfalls wären unsere Götter gekränkt.«

»Ihr gehört dem Rat hier an?« fragte Kalten überrascht.

»Natürlich. Ich bin schließlich Aphraels Hohepriesterin.«

»Es kommt mir ein wenig ungewöhnlich vor, daß jemand aus Eosien zum Rat einer daresischen Stadt gehört.«

»Wie kommt Ihr darauf, daß ich aus Eosien bin?«

»Seid Ihr es nicht?«

»Natürlich nicht – und der Rat hier in Sarsos ist nicht nur für dieses Gebiet zuständig. Er trifft die Entscheidungen für alle Styriker, egal, wo sie sich befinden. Aber wollen wir jetzt nicht erst einmal ins Haus gehen? Vanion wartet auf uns.« Sie führte die Gefährten eine marmorne Freitreppe hinauf zu einer breiten, kunstvoll ziselierten Bronzetür, und sie traten ein.

Das Gebäude war um einen üppigen Innengarten mit einem marmoren Springbrunnen in der Mitte erbaut. Vanion hatte sich in einem Liegesessel neben dem Springbrunnen zurückgelehnt und sein rechtes Bein mit mehreren Kissen gestützt. Sein Fußgelenk war dick bandagiert, und er machte einen verärgerten Eindruck. Sein Haar und sein Bart waren nun silbern, doch sein Gesicht war faltenlos, und er sah sehr distinguiert aus. Die Sorgen, die ihn niedergedrückt hatten, waren von seinen Schultern genommen; doch das konnte wohl kaum für seine erstaunliche Veränderung verantwortlich sein. Selbst die Nachwirkungen der schrecklichen Bürde, die er getragen hatte, als er Sephrenia die Schwerter der toten Ordensritter abnahm, schienen fortgewischt. Sein Gesicht wirkte jünger als je zuvor. Er senkte die Schriftrolle, in der er gelesen hatte.

»Sperber«, fragte er gereizt, »wo seid Ihr so lange geblieben?«

»Auch ich freue mich, Euch wiederzusehen, Eminenz«, entgegnete Sperber.

Vanion blickte ihn scharf an; dann lachte er ein wenig verlegen. »Das war wohl ziemlich unfreundlich, nicht wahr?«

»Brummig, ausgesprochen brummig, Hochmeister«, antwortete Ehlana. Dann aber warf sie alle Würde ab, rannte zu ihm und schlang die Arme um seinen Hals. »Ihr habt Euch Unser Mißfallen zugezogen, Hochmeister Vanion«, erklärte sie in majestätischem Tonfall. Dann küßte sie ihn herzlich. »Ihr habt Uns in Unserer Stunde der Not Eures Rates und Eurer Gesellschaft beraubt!« Wieder küßte sie ihn. »Es war außerordentlich ungehörig, Euch ohne Unsere Erlaubnis von Unserer Seite zu entfernen.«

»Tadelt Ihr mich, oder heißt Ihr mich von Herzen willkommen, meine Königin?« fragte er ein wenig verwirrt.

»Beides, Eminenz.« Ehlana zuckte die Schultern. »Ich hab' mir gedacht, ich erledige am besten alles gleichzeitig, um Zeit zu sparen. Ich freue mich unendlich, Euch wiederzusehen, Vanion, aber ich war sehr unglücklich, als Ihr Euch wie ein Dieb in der Nacht aus Cimmura davongestohlen habt.«

»Das tun wir Diebe doch gar nicht!« protestierte Stragen. »Wenn man etwas gestohlen hat, benimmt man sich so unauffällig wie möglich. Sich davonzustehlen würde nur Aufmerksamkeit erregen.«

»Mischt Euch nicht ein, Stragen«, rügte Ehlana ihn.

»Ich habe ihn um seiner Gesundheit willen aus Cimmura fortgebracht«, erklärte ihr Sephrenia. »Er war dort dem Tod nahe. Ich wollte aus ganz persönlichen Gründen, daß er am Leben blieb, deshalb brachte ich ihn an einen Ort, wo ich ihn gesundpflegen konnte. Zwei Jahre lang ließ ich Aphrael keine Ruhe, bis sie schließlich nachgab. Ich kann sehr hartnäckig sein, wenn ich etwas will, und an Vanion hängt mein ganzes Herz.« Sie versuchte gar nicht mehr, ihre Gefühle zu verbergen. Die so lange verschwiegene Liebe zwischen ihr und dem pandionischen Hochmeister war nun kein Geheimnis mehr. Sephrenia machte auch keinen Versuch, die zweifellos nicht nur für elenische, sondern auch für styrische Begriffe skandalöse Beziehung zu vertuschen. Sie und Vanion lebten unverhohlen in Sünde, doch keiner der beiden ließ deshalb auch nur eine Spur von Reue erkennen. »Wie geht's deinem Knöchel, Liebster?« erkundigte sie sich.

»Er schwillt schon wieder an.«

»Habe ich dir nicht gesagt, du sollst ihn in ein Tuch mit Eis wickeln?«

»Ich hatte kein Eis.«

»Dann mach welches! Du kennst den Zauber!«

»Das Eis, das ich zustande bringe, ist offenbar nicht so kalt wie deines, Sephrenia«, entgegnete er bedauernd.

»Männer!« rief sie in gespielter Verärgerung. »Führen sich wie kleine Kinder auf!« Sie eilte davon, um eine Wanne zu holen.

»Ihr habt das mitgekriegt, Sperber, nicht wahr?« fragte Vanion.

»Natürlich, Hochmeister. Das war sehr geschickt, wenn ich so sagen darf.«

»Wovon redet ihr eigentlich?« fragte Kalten.

»Das würdest du nie verstehen, Kalten.«

»Nicht in einer Million Jahren«, fügte Vanion hinzu.

»Wie habt Ihr Euch den Knöchel verstaucht, Eminenz?« fragte Berit.

»Ich mußte etwas beweisen. Ich habe dem Rat von Styrikum klargemacht, daß die körperliche Verfassung der jungen Sarsoser sehr zu wünschen übrigließ. Das habe ich demonstriert, indem ich schneller lief als alle miteinander. Es ging auch recht gut, bis ich das Kaninchenloch übersah.«

»Wie bedauerlich, Hochmeister Vanion«, sagte Kalten mitfühlend. »Soviel ich weiß, ist das der erste Wettkampf, den Ihr verloren habt.«

»Wer sagt, daß ich verloren habe? Mein Vorsprung war groß genug, daß ich die Ziellinie sogar noch humpelnd vor ihnen erreichte. Jetzt wird der Rat zumindest einmal darüber nachdenken, ob den jungen Männern nicht ein wenig militärische Ausbildung guttäte.« Er blickte Sperbers Knappen an. »Hallo, Khalad. Wie geht es deinen Müttern?«

»Sehr gut, Eminenz. Wir haben sie besucht, als wir die Königin nach Chyrellos begleiteten, damit sie den Erzprälaten übers Knie legen konnte.«

»Khalad!« entrüstete sich Ehlana.

»Hätte ich das nicht sagen sollen, Majestät? Wir dachten alle, daß Ihr das vorhattet, als wir Cimmura verließen.«

»Nun – na ja, so was Ähnliches – aber ich wollte sicher nicht, daß du in dieser Deutlichkeit damit herausplatzt!«

»Oh, das wußte ich nicht. Ich hielt es selber auch für eine gute Idee. Unsere Heilige Mutter braucht hin und wieder etwas, worüber sie sich Sorgen machen kann. Das bewahrt sie vor größerem Ärger.«

»Erstaunlich, Khalad«, sagte Patriarch Emban trocken. »Du schaffst es in einem Atemzug, sowohl Kirche wie Staat zu beleidigen.«

»Was ist denn seit meiner Abwesenheit in Eosien los?« fragte Vanion.

»Es handelte sich lediglich um ein kleines Mißverständnis zwischen Sarathi und mir«, erklärte Ehlana. »Khalad hat übertrieben. Das tut er oft – wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, Kirche und Staat im selben Atemzug zu beleidigen.«

Vanion grinste. »Da wächst doch nicht etwa ein neuer Sperber heran?«

»Gott bewahre die Kirche!« rief Emban.

»Und die Krone«, fügte Ehlana hinzu.

Prinzessin Danae bahnte sich einen Weg zu Vanion. Sie hielt Murr mit einer Hand unter dem Bauch. Das Kätzchen machte ein resigniertes Gesicht und seine Beine baumelten nicht sehr anmutig herunter.

»Hallo, Vanion«, grüßte Danae den ehemaligen pandionischen Hochmeister. Sie kletterte auf seinen Schoß und gab ihm einen Kuß.

»Du bist gewachsen, Prinzessin.« Er lächelte.

»Hast du erwartet, daß ich schrumpfe?«

»Danae!« rügte Ehlana.

»Ach Mutter! Vanion und ich sind alte Freunde. Er trug mich schon auf den Armen, als ich noch ein Baby war.«

Sperber blickte seinen alten Freund forschend an und fragte sich, ob Vanion näher über die kleine Prinzessin Bescheid wußte. Vanions Gesicht verriet jedoch nichts. »Ich hab' dich vermißt, Prinzessin«, sagte er zu ihr.

»Ich weiß. Alle vermissen mich, wenn ich nicht da bin. Kennst du Murr schon? Sie ist meine Katze. Talen hat sie mir geschenkt. War das nicht lieb von ihm?«

»Sehr lieb, Danae.«

»Vater wird Talen zum Ritter ausbilden lassen, sobald wir wieder zu Hause sind. Wahrscheinlich ist es am besten, wenn er das alles hinter sich bringt, solange ich noch klein bin.«

»Ach? Wieso, Prinzessin?«

»Weil ich ihn heiraten werde, wenn ich groß bin. Möchtest du meine Katze halten?«

Talen errötete und lachte ein wenig nervös, um Danaes Eröffnung als Kleinmädchen-Einfall abzutun. Doch seine Augen blickten ziemlich erschrocken drein.

»Man darf Männer nie vorwarnen, Danae«, sagte Baroneß Melidere. »Man wartet geduldig ab und läßt die Katze erst im letzten Augenblick aus dem Sack.«

»Ach? So macht man das?« Danae blickte Talen an. »Dann vergiß einfach, was ich gerade gesagt habe«, riet sie ihm. »Die nächsten zehn oder zwölf Jahre werde ich in dieser Sache sowieso noch nichts unternehmen.« Sie überlegte. »Oder zumindest in den nächsten acht Jahren nicht. Warum Zeit vergeuden, nicht wahr?«

Talen starrte sie nun sichtlich erschrocken an.

»Sie zieht dich nur auf, Talen«, versicherte Kalten dem Jungen. »Und selbst wenn nicht, wird sie ihre Meinung bestimmt noch ändern, ehe sie in das gefährliche Alter kommt.«

»Ganz gewiß nicht, Kalten«, sagte Danae mit fester Stimme.

An diesem Abend, als es auf den Straßen still geworden war, saß Sperber mit Sephrenia und Vanion im angenehm kühlen Innengarten. Prinzessin Danae hatte es sich auf der Brunneneinfassung bequem gemacht und beobachtete ihr Kätzchen. Murr hatte entdeckt, daß in dem Becken Goldfische schwammen, und nun kauerte sie mit zuckendem Schwanz und Jagdlust in den Augen am Brunnenrand.

Sperber blickte Sephrenia an. »Erst müßt Ihr mir etwas sagen, bevor ich anfange. Wieviel weiß er?« Er deutete auf Vanion.

»So gut wie alles. Ich habe keine Geheimnisse vor ihm.«

»Das ist ziemlich ungenau, Sephrenia.« Sperber überlegte verzweifelt, wie er die Frage stellen könnte, ohne zuviel zu verraten.

»Komm schon zur Sache, Sperber!« forderte Danae ihn ungeduldig auf. »Vanion weiß, wer ich bin. Er hatte anfangs einige Schwierigkeiten, aber inzwischen hat er sich mit dem Gedanken abgefunden.«

»Das stimmt nicht ganz«, wandte Vanion ein. »Ihr seid es, der ernste Probleme hat, Sperber. Wie kommt Ihr mit dieser Situation zurecht?«

»Schlecht.« Danae rümpfte das Näschen. »Er stellt ständig Fragen, obwohl er weiß, daß er die Antworten doch nicht verstehen wird.«

»Ahnt Ehlana etwas?«

»Natürlich nicht«, antwortete die Kindgöttin. »Sperber und ich haben gleich zu Anfang beschlossen, daß sie es nicht erfahren dürfe. Erzähl ihnen, was geschehen ist, Sperber – und brauch nicht die ganze Nacht dazu. Mirtai wird mich bestimmt bald holen kommen.«

»Das muß die reine Hölle sein«, sagte Vanion mitfühlend zu seinem Freund.

»So schlimm auch nicht. Allerdings muß ich gut auf sie aufpassen. Einmal ließ sie die Blumen im Schloßgarten von einer Schar winziger Elfen bestäuben.«

»Die Bienen sind zu langsam.« Danae zuckte die Schultern.

»Möglich. Aber die Menschen erwarten, daß Bienen es tun. Wenn du Elfen mit dieser Arbeit beauftragst, bemerkt es früher oder später jemand, und dann werden die Münder nicht mehr stillstehen!« Sperber lehnte sich zurück und blickte Vanion an. »Sephrenia hat Euch von den Lamorkern und Fyrchtnfles erzählt, nicht wahr?«

»Ja. Es ist nicht nur Gerede, oder?«

Sperber schüttelte den Kopf. »Nein. Kurz vor Demos stießen wir auf einen Trupp Lamorker aus dem Bronzezeitalter. Nachdem Ulath ihrem Anführer mit einem Axthieb ein Ende gemacht hatte, verschwanden sie alle – außer den Toten. Oscagne ist überzeugt, daß es eine Art Ablenkungsmanöver ist – so wie die Spielchen, die Martel mit uns trieb, um uns während der Wahl des Erzprälaten von Chyrellos fernzuhalten. Krager wurde gesehen, und das spricht für Oscagnes Theorie. Aber Ihr habt uns immer gelehrt, daß es ein Fehler ist, den letzten Krieg noch einmal zu führen, deshalb halte ich es durchaus für möglich, daß die Geschehnisse in Lamorkand keine Ablenkungsmanöver sind. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand all diesen Aufwand betreiben würde, nur um die Ordensritter von Tamuli fernzuhalten – besonders wenn die Ataner bereits hier sind.«

Vanion nickte. »Ihr werdet Hilfe brauchen, wenn Ihr erst in Matherion seid, Sperber. Die tamulische Kultur ist feingesponnen, und Ihr könntet unverzeihliche Fehler machen, ohne es zu wissen.«

»Danke, Vanion.«

»Ihr seid jedoch leider nicht der einzige. Eure Gefährten sind nicht gerade diplomatisch, und Ehlana vergißt jede Vernunft, wenn sie sich aufregt. Hatte sie wirklich eine Auseinandersetzung mit Dolmant?«

»O ja«, versicherte Danae. »Ich mußte beide erst mit Küssen gefügig machen, bevor ich Frieden zwischen ihnen stiften konnte.«

»Wen könnten wir ihnen am besten mitgeben, Sephrenia?« fragte Vanion.

»Mich.«

»Das kommt gar nicht in Frage. Ich will nicht mehr von dir getrennt sein!«

»Das ist lieb von dir, Schatz. Warum kommst du nicht mit?«

Er zögerte. »Ich …«

»Du brauchst keine Angst zu haben, Vanion«, erklärte Danae. »Du wirst nicht gleich sterben, wenn du Sarsos verläßt – ebensowenig, wie du gestorben bist, als du meine Insel verlassen hast. Du bist jetzt völlig geheilt.«

»Das war nicht meine Sorge«, antwortete er ihr. »Aber Sephrenia kann Sarsos ohnehin nicht verlassen. Sie ist im Rat von Styrikum.«

»Das bin ich bereits seit mehreren Jahrhunderten, Vanion«, entgegnete Sephrenia. »Ich bin schon öfter verreist – dann und wann für längere Zeit. Die anderen Ratsmitglieder haben Verständnis dafür. Sie alle mußten hin und wieder das gleiche tun.«

»Ich weiß eigentlich so gut wie nichts über diesen herrschenden Rat«, gestand Sperber. »Ich wußte zwar, daß Styriker miteinander in Verbindung bleiben, aber ich hatte keine Ahnung, wie eng.«

»Wir hängen es auch nicht an die große Glocke.« Sephrenia zuckte die Schultern. »Wenn die Elenier davon wüßten, würden sie es gleich als ungeheure Verschwörung betrachten.«

»Eure Mitgliedschaft im Rat kommt immer wieder zur Sprache«, bemerkte Sperber. »Ist dieser Rat wirklich von Bedeutung? Oder handelt es sich lediglich um ein zeremonielles Gremium?«

»O nein, Sperber«, erklärte Vanion. »Der Rat ist sehr wichtig. Styrikum ist eine Theokratie, und der Rat setzt sich aus den Hohepriestern und -priesterinnen der Jüngeren Götter zusammen.«

»Aphraels Priesterin zu sein ist kein sehr anstrengendes Amt.« Sephrenia lächelte und blickte liebevoll auf die Kindgöttin. »Sie gehört nicht zu denen, die sich um jeden Preis durchsetzen wollen, da sie für gewöhnlich ohnehin auf andere Weise bekommt, was sie will. Mir bringt mein Amt gewisse Vorteile – wie dieses Haus –, aber ich muß an den Sitzungen der Tausend teilnehmen, und das kann manchmal recht ermüdend sein.«

»Der Tausend?«

»Lediglich ein anderer Name für den Rat.«

»Es gibt tausend Jüngere Götter?« staunte Sperber.

»Natürlich, Sperber, das weiß doch jeder.«

»Warum tausend?«

»Es ist eine hübsche Zahl mit einem hübschen Klang. Auf styrisch heißt es Ageraluon.«

»Ich kenne dieses Wort nicht.«

»Es bedeutet zehn mal zehn mal zehn – in etwa. Wir hatten deshalb einen ziemlich heftigen Disput mit einem meiner Vettern. Er besaß ein Krokodil als Haustier, das ihm einen Finger abgebissen hatte. Danach hatte er immer Schwierigkeiten mit dem Zählen. Er wollte, daß wir Ageralican werden – neun mal neun mal neun. Aber wir erklärten ihm, daß unsere Zahl bereits größer sei und daß einige von uns gestrichen werden müßten, wenn wir Ageralican sein wollten. Dann fragten wir ihn, ob er einer derjenigen sein wolle, die ihr Amt niederlegen. Darauf ließ er die Idee fallen.«

»Warum hält sich auch jemand ein Krokodil als Haustier?«

»So was tun wir Styriker nun mal. Wir halten uns gern Tiere, die von Menschen nicht gezähmt werden können. Krokodile sind gar nicht so schlimm wie ihr Ruf. Und man muß sie nicht füttern.«

»Aber dafür jeden Morgen seine Kinder zählen«, sagte Sperber.

»Ich fürchte, wir kommen vom Thema ab«, mahnte Vanion. »Sephrenia sagt, Ihr hättet einen ziemlich ungewöhnlichen Verdacht.«

»Ich habe nur versucht, etwas zu erklären, das ich noch nicht ganz sehen kann, Vanion. Es ist, als wolle man ein Pferd beschreiben, wenn man lediglich seinen Schweif hat. Ich habe kaum mehr als eine Menge Bruchstücke. Ich bin überzeugt, daß alles, was wir bisher gesehen haben – und wahrscheinlich viel mehr –, miteinander zusammenhängt, und daß ein einziger die Fäden in der Hand hält. Ich glaube, es ist ein Gott, Vanion – oder mehrere Götter.«

»Seid Ihr sicher, daß Euer Zusammenstoß mit Azash nicht dafür verantwortlich ist, daß Ihr jetzt unter Betten und in dunklen Schränken finstere Gottheiten seht?«

»Ich weiß aus sicherer Quelle, daß nur ein Gott eine ganze Armee aus der Vergangenheit herbeirufen kann.«

»Es ist zu komplex, Vanion«, erklärte Danae. »Wenn man eine Armee aus der Vergangenheit holt, muß man jeden Soldaten einzeln erwecken, und um das bewirken zu können, muß man alles über ihn wissen. Es sind die Einzelheiten, an denen sterbliche Magier scheitern, wenn sie es versuchen.«

»Irgendwelche Vermutungen?« fragte Vanion seinen Freund.

»Mehrere«, erwiderte Sperber, »und keine sehr erfreulichen. Erinnert Ihr Euch an den Schatten, von dem ich Euch erzählte? Der mir durch ganz Eosien folgte, nachdem ich Ghwerig getötet hatte?«

Vanion nickte.

»Er ist wieder da, und diesmal kann ihn jeder sehen!«

»Das hört sich gar nicht gut an.«

»Ganz meine Meinung. Beim letzten Mal haben die Trollgötter diesen Schatten gebildet.«

Vanion schauderte; dann blickten er und Sperber Sephrenia an.

»Ist es nicht schön, wenn man gebraucht wird?« sagte Danae zu ihrer Schwester.

»Ich werde mit Zalasta reden.« Sephrenia seufzte. »Er hört sich hier in Sarsos für den Kaiser um. Vermutlich weiß er einiges über diese Sache. Ich werde ihn morgen zu mir bitten.«

Ein lautes Platschen unterbrach ihr Gespräch.

»Ich hab' dich gewarnt, Murr«, sagte Danae selbstgefällig zu dem Kätzchen, das sich verzweifelt über Wasser hielt. Murrs Lage wurde noch dadurch erschwert, daß die Goldfische ihr Reich heftig verteidigten, indem sie mit ihren Nasen an Pfoten und Bauch des Kätzchens stupsten.

»Fisch sie heraus, Danae«, wies Sperber sie an.

»Dann macht sie mich ja ganz naß, und Mutter wird mich schelten. Murr hat sich selber in diese Lage gebracht, jetzt soll sie auch zusehen, wie sie selber wieder herauskommt.«

»Sie wird ertrinken!«

»Das wird sie ganz bestimmt nicht, Sperber. Sie kann schwimmen. Schau doch, wie sie paddelt!«

Sperber blickte seine Tochter seufzend an.

»Na gut, wenn du meinst, dann helf' ich ihr halt.«