26

»Ihr dürft mir glauben, Majestät«, versicherte Zalasta dem skeptischen Sarabian, »es war ganz bestimmt kein normales Phänomen.«

»Ihr seid der Fachmann, Zalasta«, sagte Sarabian, in dessen Stimme immer noch leichter Zweifel lag. »Aber alle meine Instinkte raten mir, zuerst nach einer natürlichen Erklärung zu suchen. Vielleicht war es eine Wolke, die sich kurz vor die Sonne geschoben hat.«

»Es ist Abend, Sarabian«, erinnerte Ehlana. »Die Sonne ist bereits untergegangen.«

»Ja, das spricht nicht gerade für diese Theorie. Ihr habt das alles schon einmal gesehen?«

»Die meisten von uns, Majestät«, antwortete Oscagne. »Sogar ich, an Bord eines Schiffes. Und da war nichts zwischen mir und der Sonne. Ich glaube, wir werden die Erklärungen unserer elenischen Freunde akzeptieren müssen. Sie haben schon einige Erfahrung mit dieser seltsamen Erscheinung.«

»In der Tat?« sagte der Kaiser.

»Was für ein Dummkopf«, murmelte Sperber.

»Wie bitte?« fragte Sarabian freundlich.

»Verzeiht, Majestät«, entschuldigte sich Sperber. »Ich habe natürlich nicht Euch gemeint. Unser seltsamer Besucher ist alles andere als intelligent. Wenn man jemand heimlich belauschen oder beobachten will, verkündet man seine Anwesenheit nicht mit Trommelwirbel und Fanfarenschmettern.«

»Er hat sich auch in Erzmandrit Monsels Gemach in Darsas sehen lassen«, warf Patriarch Emban ein. »Ihr erinnert Euch gewiß.«

»Vielleicht weiß er gar nicht, was er tut«, meinte Kalten. »Als Adus für Martel zu arbeiten anfing, hat er auch versucht, andere zu bespitzeln. Deshalb mußte Martel schließlich Krager für diese Arbeit anstellen.«

»Wer ist Adus?« erkundigte sich Sarabian.

»Jemand, den wir kannten, Majestät. Er war allerdings als Spion nicht zu gebrauchen. Jeder in einem Umkreis von hundert Metern wußte, wann Adus in der Nähe war. Er hielt nichts vom Baden und hatte deshalb einen unverkennbaren Geruch.«

»Wäre es denn möglich?« fragte Vanion Sephrenia. »Könnte Kalten ausnahmsweise auf die richtige Erklärung gestoßen sein?«

»Vanion!« rief Kalten gekränkt.

»Verzeiht, Kalten. Das ist mir so herausgerutscht. – Aber mal ernsthaft, Sephrenia. Könnte es sein, daß unser Besucher sich des Schattens, den er wirft, gar nicht bewußt ist?«

»Alles ist möglich, Lieber.«

»Ein sichtbarer Gestank?« brummte Ulath ungläubig.

»Ich weiß nicht, ob ich es so nennen würde, aber …« Sephrenia blickte Zalasta an. »Ist es möglich?«

»Es wäre eine Erklärung«, antwortete der Magier, nachdem er einen Augenblick darüber nachgedacht hatte. »Es ist bemerkenswert, wie begrenzt die Allwissenheit der Götter im Grunde ist. Daß unser Besucher nicht weiß, daß wir ihn riechen können, wie Ritter Ulath es nannte, ist gar nicht so abwegig. Vielleicht glaubt er wirklich, daß er vollkommen unsichtbar für uns ist – daß sein Spionieren unbemerkt bleibt.«

Bevier schüttelte den Kopf. »Sobald er verschwunden ist, reden wir immer gleich darüber«, sagte er. »Er hätte es bestimmt gehört und müßte folglich wissen, daß er sich verrät.«

»Nicht unbedingt, Bevier«, widersprach Kalten. »Adus wußte nicht, daß er wie eine Jauchegrube stank. So etwas gesteht sich auch kaum jemand gern selber ein. Vielleicht ist dieser Schatten etwas Ähnliches – eine Art gesellschaftlich verpönte Eigenheit wie Mundgeruch oder schlechte Tischmanieren.«

»Eine faszinierende Vorstellung.« Patriarch Emban lachte. »Daraus ließe sich Stoff für ein ganzes Buch über göttliche Manieren schöpfen.«

»Zu welchem Zweck, Eminenz?« fragte Oscagne.

»Zu dem edelsten, Exzellenz – Gott noch besser zu begreifen.

Sind wir nicht deshalb auf der Welt?«

»Ich weiß nicht, ob eine Studie über die Tischmanieren der Götter das menschliche Wissen wirklich bereichern würde, Emban«, gab Vanion zu bedenken und wechselte das Thema. »Dürften wir Euch bitten, Majestät, uns den Weg in die inneren Kreise Eurer Regierung zu ebnen?«

Sarabian grinste. »Eben oder steinig, Hochmeister Vanion, ich bringe Euch in die Ministerien. Nachdem ich Pondia Subat zurechtgestutzt habe, nehme ich mir die übrigen Minister vor – einen nach dem anderen, oder reihenweise. Ich finde ohnehin, es ist an der Zeit, daß ihnen klar wird, wer hier das Sagen hat.« Er lächelte plötzlich. »Euer Besuch bereitet mir die allergrößte Freude, Ehlana. Ihr und Eure Gefährten haben mir deutlich gemacht, daß ich all die Jahre die absolute Macht besaß, ohne daß mir je in den Sinn gekommen wäre, sie zu nutzen. Jetzt werde ich sie hervorholen, abstauben und ein wenig demonstrieren.«

»O je!« hauchte Oscagne mit bestürztem Gesicht. »Was habe ich da angerichtet?«

»Wir haben da ein Problem, Stragen«, sagte Caalador. »Unseren gelben Brüdern gefällt die Vorstellung gar nicht, irgendwelche gesellschaftlichen Grenzen zu übertreten.«

»Bitte, Caalador, erspart mir eine langatmige Vorrede. Kommt zur Sache!«

»Das ist aber nicht üblich, Stragen.«

»Trotzdem!«

Stragen, Talen und Caalador hielten ihre Besprechung in einem Kellerraum am Hafen ab. Es war Vormittag, und die einheimischen Diebe wachten nach und nach auf. »Wie Ihr selbst festgestellt habt, leidet die Bruderschaft hier in Matherion unter einem Kastensystem«, fuhr Caalador fort. »Die Diebesgilde will nichts mit den Betrügern zu tun haben, die Bettlergilde nichts mit den Huren – außer wenn es ums Geschäft geht natürlich – und die Meuchlergilde ist völlig verfemt.«

»Weshalb sind die Meuchler verfemt?« fragte Stragen.

Caalador zuckte die Schultern. »Weil sie gegen eine der Grundregeln der tamulischen Kultur verstoßen. Sie sind im Grunde genommen bezahlte Assassinen, die vor ihren Opfern nicht katzbuckeln, ehe sie ihnen die Kehle durchschneiden. Höflichkeit ist das oberste tamulische Gebot. Es stört die Tamuler nicht, daß jemand im Auftrag Edelleute ermordet, aber daß es auf so unkultivierte Weise geschieht, geht ihnen gegen den Strich.« Caalador schüttelte den Kopf. »Das ist auch einer der Gründe, weshalb so viele tamulische Diebe geschnappt und einen Kopf kürzer gemacht werden – weil es unhöflich ist, davonzulaufen.«

»Unglaublich!« staunte Talen. »Das ist ja noch schlimmer, als wir dachten, Stragen. Wenn diese Burschen nicht miteinander reden, können wir auch nichts von ihnen erfahren.«

»Ich habe euch gewarnt, daß ihr hier in Matherion nicht zuviel erwarten dürft, meine Freunde«, erinnerte Caalador.

»Haben die anderen Gilden Angst vor den Meuchlern?« fragte Stragen.

»O ja!« erwiderte Caalador.

»Dann setzen wir bei ihnen den Hebel an. Was empfindet man für den Kaiser?«

»Ehrfurcht, hauptsächlich. Und eine Verehrung, die manchmal regelrechter Anbetung nahekommt.«

»Gut. Setzt Euch mit der Meuchlergilde in Verbindung. Sobald Talen Euch Bescheid gibt, sollen die Mörder die Häupter der übrigen Gilden aufstöbern und zum Schloß bringen.«

»Was habt Ihr vor, mein Freund?«

»Ich werde mit dem Kaiser sprechen und versuchen, ihn zu überreden, ein paar Worte zu unseren Brüdern zu sagen«, antwortete Stragen.

»Habt Ihr den Verstand verloren?«

»Keineswegs. Tamuler sind sehr traditionsgebunden. Und es ist eine Tradition, daß der Kaiser Traditionen beenden kann.«

»Hast du das begriffen?« fragte Caalador, an Talen gewandt.

»Ich bin mir nicht ganz sicher.«

»Dann wollen wir mal sehen, ob ich es recht verstanden habe«, wandte Caalador sich an den blonden Thalesier. »Ihr wollt jede Regel der kriminellen Kultur hier in Matherion verletzen, indem Ihr die Führer der anderen Gilden von Mördern entführen laßt.«

»Stimmt«, bestätigte Stragen.

»Dann laßt Ihr sie zur Schloßanlage bringen, dessen Betreten ihnen unter Todesstrafe verboten ist.«

»Ja.«

»Danach wollt Ihr den Kaiser bitten, einer Personengruppe, von deren Existenz er eigentlich gar nichts wissen sollte, eine Rede zu halten.«

»Ja, so habe ich es mir vorgestellt.«

»Und der Kaiser wird ihnen befehlen, uralte Sitten und Traditionen aufzugeben und von jetzt an zusammenzuarbeiten?«

»Seht Ihr dabei ein Problem?«

»Nein, eigentlich nicht. Ich wollt' mich nur vergewissern, daß ich auch alles richtig mitbekommen hab'.«

»Also, kümmert Euch darum, alter Junge«, bat Stragen ihn. »Ich rede jetzt wohl am besten mit dem Kaiser.«

Sephrenia seufzte. »Ihr benehmt Euch kindisch, das ist Euch doch klar?«

Sallas Augen drohten aus dem Gesicht zu quellen. »Wie könnt Ihr es wagen?« Er schrie es beinahe. Das Gesicht des styrischen Ältesten war kreidebleich geworden.

»Ihr vergeßt Euch, Ältester Salla!« rügte Zalasta den Entrüsteten. »Ratsherrin Sephrenia spricht für die Tausend. Wollt Ihr Euch gegen sie und die Götter auflehnen, deren Vertreter sie sind?«

»Die Tausend sind fehlgeleitet!« tobte Salla. »Es kann keine Verständigung zwischen Styrikum und den Schweineessern geben!«

»Das entscheiden die Tausend«, entgegnete Zalasta schroff.

»Aber überlegt doch, was die elenischen Barbaren uns angetan haben!« stieß Salla empört hervor.

»Ihr habt Euer ganzes Leben hier in der styrischen Enklave in Matherion verbracht, Ältester Salla«, sagte Zalasta. »Wahrscheinlich habt Ihr noch nie einen Elenier gesehen!«

»Ich kann lesen, Zalasta.«

»Das freut mich. Wir sind jedoch nicht hier, um zu diskutieren. Die Hohepriesterin Aphraels übermittelt lediglich die Anweisungen der Tausend. Ob es Euch gefällt oder nicht, Ihr seid verpflichtet, sie auszuführen!«

Sallas Augen füllten sich mit Tränen. »Sie haben uns gemordet!« quetschte er hervor.

»Für jemanden, der ermordet wurde, seid Ihr in recht guter Verfassung, Salla«, sagte Sephrenia. »Verratet mir, hat es sehr weh getan?«

»Ihr wißt, was ich meine, Priesterin!«

»Ah, ja. Dieser lästige styrische Zwang, jeden Schmerz zum eigenen zu machen. Jemand ersticht am anderen Ende der Welt einen Styriker, und Ihr fangt zu bluten an. Ihr tut mir so leid, daß Ihr sicher und in Luxus und Selbstmitleid hier in Matherion leben müßt, von Neid gepeinigt, daß Euch das Martyrium versagt ist. Nun, wenn Ihr so versessen darauf seid, Märtyrer zu werden, Salla, kann ich das schon für Euch in die Wege leiten.« Kalter Zorn erfüllte Sephrenia ob dieses brabbelnden Narren. »Die Tausend haben ihre Entscheidung getroffen«, sagte sie. »Ich bin nicht verpflichtet, sie Euch zu erklären, aber ich werde es trotzdem tun, damit Ihr die Entscheidung Euren Leuten klarmachen könnt – und Ihr werdet sie ihnen klarmachen, Salla, und dabei sehr überzeugend sein, oder ich werde Euch Eures Amtes entbinden.«

»Es ist mir auf Lebenszeit übertragen«, erklärte er herausfordernd.

»Da wäre ich mir nicht so sicher!« sagte Sephrenia drohend.

Salla starrte sie an. »Das wagt Ihr nicht!« krächzte er.

»Legt Euch lieber nicht mit mir an, Salla!« erwiderte sie mit tiefer Befriedigung. »Die Sache sieht so aus – unterbrecht mich, falls Ihr mir nicht folgen könnt. Die Elenier sind Wilde, die nur nach einem Grund suchen, jeden Styriker zu töten, der ihnen über den Weg läuft. Wenn wir sie in der gegenwärtigen Krise nicht unterstützen, servieren wir ihnen einen solchen Vorwand auf dem Präsentierteller. Also werden wir ihnen helfen, damit sie nicht jeden Styriker auf dem eosischen Kontinent umbringen. Das möchten wir doch nicht, oder?«

»Aber …«

»Salla, wenn Ihr noch ein einziges Mal ›aber‹ zu mir sagt, vernichte ich Euch!« Erstaunt stellte sie fest, welches Vergnügen es ihr bereitete, sich wie ein Elenier zu benehmen. »Ich habe Euch die Anweisungen der Tausend überbracht, und die Tausend sprechen für die Götter. Es gibt in dieser Angelegenheit keine Wenn und Aber, also hört auf, Euch herauszuwinden. Ihr werdet gehorchen oder sterben; eine andere Wahl habt Ihr nicht. Entscheidet Euch rasch, ich bin ziemlich in Eile!«

Selbst Zalasta schien erschrocken über ihren Tonfall.

»Eure Göttin ist grausam, Ratsherrin Sephrenia«, sagte Salla anklagend.

Sephrenia schlug ihn, ohne zu überlegen. Hand und Arm bewegten sich scheinbar von selbst. Sie hatte viele Generationen unter den pandionischen Rittern verbracht und wußte, wie man die Wucht der Schulter in den Schlag legte. Sie traf Salla mit der Faust hart auf die Kinnspitze, und er taumelte benommen rückwärts.

Sephrenia begann mit dem Todesspruch, und ihre Hände begleiteten die Worte unmißverständlich mit den erforderlichen Gesten.

Das werde ich nicht tun, Sephrenia! hallte Aphraels Stimme heftig in ihrem Kopf.

Das weiß ich, versicherten die Gedanken der zierlichen Styrikerin, ich will ihn nur aufrütteln, weiter nichts.

Salla keuchte erschrocken, als ihm bewußt wurde, was Sephrenia tat. Dann schrie er, warf sich auf die Knie und bettelte um Gnade.

»Werdet Ihr tun, was ich Euch befohlen habe?« fragte sie scharf.

»Ja, Priesterin! Ja! Bitte, tötet mich nicht!«

»Ich habe den Zauber nur unterbrochen, ich kann ihn jederzeit zu Ende führen. Ich halte Euer Herz in meiner Faust, Salla. Merkt Euch das gut und denkt daran, falls Ihr das nächste Mal das Bedürfnis haben solltet, meine Göttin zu beleidigen! Und jetzt steht auf und tut, was Euch befohlen wurde! – Kommt, Zalasta, gehen wir. Es stinkt hier nach Selbstmitleid, daß sich mir der Magen umdreht.«

»Ihr seid sehr hart geworden, Sephrenia«, sagte Zalasta mißbilligend, nachdem sie die engen Straßen der styrischen Enklave verlassen hatten.

»Ich habe ihm nur etwas vorgespielt, alter Freund«, versicherte Sephrenia ihm. »Aphrael hätte niemals auf meinen Spruch reagiert!« Sie betastete behutsam ihren Unterarm. »Wißt Ihr zufällig, wo es hier einen guten Arzt gibt? Ich glaube, ich habe mir das Handgelenk verstaucht.«

»Nicht sehr beeindruckend, die Herren«, stellte Ulath fest, als er mit Tynian und Kring über den fast peinlich sauberen Innenhof der Schloßanlage zur elenischen Burg zurückkehrte.

»Ganz meine Meinung«, bestätigte Kring. »Sie haben wahrscheinlich nichts anderes im Kopf als ihre Paraden.« Die drei kehrten von ihrer Besprechung mit dem Stab des imperialen Oberkommandos zurück. »Nur hohle Fassade, jeder einzelne«, fuhr der Domi fort. »Weder Saft noch Kraft.«

»Uniformierte Höflinge«, tat Ulath den tamulischen Generalstab verächtlich ab.

»Ich kann euch nicht widersprechen«, pflichtete Tynian ihnen bei. »Die Ataner sind das wirkliche Militär in Tamuli. Entscheidungen werden von der Regierung getroffen, und der Generalstab übermittelt sie lediglich an die atanischen Befehlshaber. Die ersten Zweifel über die Schlagkraft der imperialen Armee kamen mir bereits, als wir hörten, daß bei ihnen militärische Ränge erblich sind. In einem Notfall möchte ich mich wirklich nicht auf sie verlassen müssen!«

Kring nickte. »Ja, wer sich auf sie verlassen muß, ist verlassen. Ihr Kavalleriegeneral hat mich zu den Stallungen geführt und mir stolz die armseligen Klepper gezeigt, die sie hier als Pferde bezeichnen.« Er schüttelte sich.

»So schlimm?« fragte Ulath.

»Noch schlimmer, Freund Ulath. Diese Zossen würden nicht einmal gute Ackergäule abgeben. Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß Pferde so fett werden können. Jede schnellere Gangart als Schritt würde den bedauernswerten Kleppern einen Herzschlag bescheren.«

»Dann sind wir also alle einer Meinung«, stellte Tynian fest. »Die imperiale Armee ist völlig unbrauchbar, stimmt's?«

»Das ist noch sehr schmeichelhaft ausgedrückt, Tynian«, meinte Ulath.

»Wir müssen unseren Bericht allerdings vorsichtig formulieren, wenn wir den Kaiser nicht kränken wollen«, gab der alzionische Ritter zu bedenken. »Sollten wir es ›unzureichend ausgebildet‹ nennen?«

»Das ist zweifellos die Wahrheit«, brummte Kring.

»Wie wär's mit ›unerfahren in moderner Strategie und Taktik‹?«

»Keine Einwände«, antwortete Ulath.

»›Schlecht ausgerüstet‹?«

»Nein, das würde es nicht treffen, Freund Tynian«, widersprach Kring. »Ihre Ausrüstung ist sogar von sehr guter Qualität. Wahrscheinlich von der besten, die das zwölfte Jahrhundert hervorgebracht hat.«

Tynian lachte. »Na gut. Wie wär's mit ›veraltete Ausrüstung‹?«

»So könnte man es nennen«, befand der Domi.

»Ich vermute, wir sollten die Worte ›fett, faul, dumm und unfähig‹ lieber für uns behalten, was meint ihr?« fragte Ulath.

»Ja, sie wären ein wenig undiplomatisch, Ulath.«

»Aber wahr«, murmelte Ulath bedauernd.

Pondia Subat gefiel es gar nicht. Emban und Vanion spürten es, obgleich sowohl die Miene wie das Benehmen des Reichsverwesers diplomatisch freundlich blieben. Kaiser Sarabian hatte, wie versprochen, eingehend mit seinem höchsten Minister gesprochen, und Pondia Subat tat alles, hilfsbereit zu erscheinen und seine wahren Gefühle zu verbergen. »Es sind völlig nebensächliche Details, meine Herren«, sagte er wegwerfend, »aber das ist der tagtägliche Kleinkram der Regierungsführung wohl immer, nicht wahr?«

»Natürlich, Pondia.« Emban zuckte die Schultern. »Aber in seiner Summe ergibt der tagtägliche Kleinkram Auskunft über die Qualität der Regierungsführung, meint Ihr nicht? Nach allem, was ich heute vormittag gesehen habe, konnte ich bereits gewisse Schlüsse ziehen.«

»Ach?« Subats Stimme verriet nichts.

»Das oberste Prinzip scheint der Schutz des Kaisers zu sein«, erklärte Emban. »Dieses Prinzip ist mir wohl vertraut, da unser Denken in Chyrellos ähnlich geprägt ist. Die Kirchenobrigkeit besteht fast ausschließlich zu dem Zweck, den Erzprälaten vor allem Ungemach zu bewahren.«

»Möglich, Eminenz. Aber Ihr müßt zugeben, daß es da Unterschiede gibt.«

»Natürlich. Aber die Tatsache, daß Kaiser Sarabian nicht so mächtig wie Erzprälat Dolmant ist, spielt keine große Rolle.«

Subats Augen weiteten sich, doch er faßte sich rasch wieder.

»Es ist mir klar, daß Euch diese Vorstellung befremdet, Pondia«, fuhr Emban geschmeidig fort, »aber der Erzprälat spricht für Gott, und das macht ihn zum mächtigsten Menschen auf Erden. Natürlich ist das eine elenische Ansicht, die vielleicht nur wenig oder auch nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Doch solange wir alle daran glauben, ist sie wahr. Und wir Kirchenoberen verwenden sehr viel Zeit und Mühe darauf, daß alle Elenier auch weiterhin daran glauben, daß Dolmant für Gott spricht. Solange sie davon überzeugt sind, ist der Erzprälat sicher.« Der dicke kleine Mann überlegte.

»Wenn Ihr mir eine Bemerkung gestattet, Pondia Subat? Euer Hauptproblem hier in Matherion besteht darin, daß ihr Tamuler zu weltlich denkt. Eure Kirche hat keine Bedeutung mehr – wahrscheinlich deshalb nicht, weil ihr euch nicht mit der Vorstellung einer Autorität anfreunden könnt, die jener des Kaisers gleichkommt oder sie gar übertrifft. Ihr habt jedes Fünkchen von Glauben in eurem nationalen Charakter zum Erlöschen gebracht. Skepsis ist ja schön und gut, doch sie gerät einem leicht aus der Hand. Nachdem ihr praktisch den Glauben an Gott – oder eure Götter – aufgegeben habt, hat die Skepsis sich verselbständigt, und die Menschen beginnen, auch andere Dinge in Frage zu stellen – zum Beispiel die Richtigkeit der Regierung, die kaiserliche Weisheit, die Gerechtigkeit des Steuersystems, und dergleichen mehr. In der vollkommensten Welt würde der Kaiser als Gott verehrt, und Kirche und Staat würden zur Einheit.« Er lachte ein wenig verlegen. »Verzeiht, Pondia Subat, ich hatte nicht vor, eine Predigt zu halten. Berufsgewohnheit vermutlich. Die Sache ist die, daß sowohl Tamuler wie Elenier den gleichen Fehler begangen haben. Ihr habt euren Kaiser nicht zum Gott gemacht, und wir unseren Erzprälaten nicht zum Kaiser. Beide haben wir das Volk betrogen, indem wir ihm eine unvollständige Autorität vorgesetzt haben, obwohl die Menschen Besseres von uns verdient hätten. Aber ich sehe, daß Ihr beschäftigt seid, und mein Magen sagt mir ziemlich eindringlich, daß es Zeit zum Mittagessen ist. Wir unterhalten uns bei nächster Gelegenheit wieder. Kommt Ihr Hochmeister Vanion?«

»Ihr glaubt doch nicht im Ernst, was Ihr gerade gesagt habt, Emban, oder?« murmelte Vanion, als die beiden Elenier die Amtsräume des Reichsverwesers verließen.

»Wahrscheinlich nicht.« Emban zuckte die Schultern. »Aber wir müssen etwas tun, um den Riß in dieser steinernen Mauer um Subats Verstand zu verbreitern. Ich bin sicher, daß des Kaisers Drohung, ihn um einen Kopf kürzer zu machen, seine Augen ein bißchen geöffnet hat. Doch bevor er nicht anfängt, tatsächlich zu denken, statt weiter stur auf den festgetretenen Pfaden seiner vorgefaßten Meinung dahinzustapfen, ist er uns von keinem Nutzen. Er ist der wichtigste Mann in der Regierung, und mir wäre lieber, er würde mit uns arbeiten, statt gegen uns. – Könnten wir etwas schneller gehen, Vanion? Ich bin wirklich sehr hungrig.«

»Es sollte allerdings blau sein«, sagte Danae. Sie saß mit Murr auf Kaiser Sarabians Schoß und blickte ihm direkt in die Augen.

»Für einen Elenier, ja, aber …« Zweifel klang aus der Stimme des Kaisers.

»Stimmt«, bestätigte sie. »Zur tamulischen Hautfarbe würde besser…«

»Doch nicht knallrot. Ein wenig mehr ins Scharlachrot, vielleicht sogar …«

»Nein. Weinrot ist zu dunkel. Es ist ein Ball, keine …«

»Wir tragen bei Bestattungen keine dunkle Gewandung, sondern…«

»Wirklich? Das ist eine sehr interessante Überlegung. Warum tut ihr…«

»Es gilt als beleidigend für …«

»Den Toten ist das doch piepegal, Sarabian. Sie sind mit ganz anderen Sachen beschäftigt.«

»Bekommst du noch mit, was die beiden reden?« flüsterte Ehlana Sperber zu.

»In etwa. Sie denken an dasselbe, deshalb brauchen sie die Sätze nicht zu beenden.«

Kaiser Sarabian lachte vergnügt. »Du bist die anregendste Gesprächspartnerin, die mir je das Vergnügen machte, sich mit mir zu unterhalten, Königliche Hoheit«, sagte er zu dem kleinen Mädchen auf seinem Schoß.

»Danke, Kaiserliche Majestät. Du bist auch gar nicht übel, weißt du.«

»Danae!« wies Ehlana sie zurecht.

»Oh, Mutter. Sarabian und ich lernen uns gerade ein bißchen besser kennen.«

»Ich nehme nicht an …«, überlegte Sarabian.

»Ich fürchte nein, Majestät«, antwortete Danae. »Das soll wirklich keine Beleidigung sein, aber der Kronprinz ist viel zu jung für mich. Die Leute zerreißen sich die Mäuler, wenn die Gattin älter ist als der Gatte. Er ist wirklich ein ganz liebes Kleinkind. Aber ich habe mich bereits entschieden, wen ich …«

»Schon? Du bist doch noch so jung.«

»Auf diese Weise vermeidet man spätere Dummheiten. Mädchen werden töricht, wenn sie ins heiratsfähige Alter kommen. Es ist besser, man hat seine Entscheidung getroffen, solange man noch alle Sinne beisammen hat – nicht wahr, Mutter?«

Ehlana errötete.

»Mutter hat meinem Vater die ersten Fallen gestellt, als sie etwa in meinem Alter war«, vertraute Danae dem Kaiser von Tamuli an.

»Habt Ihr das wirklich, Ehlana?« fragte Sarabian.

»Nun … ja. Aber das ist doch wohl kaum ein öffentliches Gesprächsthema!«

»Es hat Sperber nichts ausgemacht, von dir eingefangen zu werden, Mutter«, versicherte Danae. »Zumindest nicht mehr, nachdem er sich an den Gedanken gewöhnt hatte. Im großen ganzen sind sie recht gute Eltern – es sei denn, Mutter kehrt die Königin heraus.«

»Das reicht, Prinzessin Danae!« rügte Ehlana sie in ihrem königlichsten Tonfall.

»Siehst du, was ich meine?« Danae grinste den Kaiser an.

»Eure Tochter wird eine begnadete Königin«, sagte Sarabian als ernst gemeintes Kompliment. »Und Elenien bleibt ein so glückliches Königreich, wie's jetzt schon ist. Das Problem bei der Erbfolge waren anderswo stets diese tragischen Perioden beklagenswert unfähiger Monarchen. Nach einem großen König oder Kaiser folgte beinahe unausbleiblich ein hoffnungslos unfähiger Trottel.«

»Wie ist die Erbfolge hier in Tamul geregelt, Sarabian?« fragte Ehlana. »Ich weiß, daß Ihr neun Gemahlinnen habt. Wird Euer Erstgeborener zum Kronprinzen – egal von welcher Rasse seine Mutter ist?«

»O nein! Natürlich nicht. Thronfolger ist stets der Erstgeborene der ersten Gemahlin, und da der Kronprinz sich als erstes ohne Ausnahme mit einer tamulischen Prinzessin vermählt … Ich wurde bereits vermählt, als ich kaum zwei war. Meine anderen Gemahlinnen habe ich gleich nach meiner Kaiserkrönung geheiratet. Es war eine Gruppenzeremonie – acht Bräute und ein Bräutigam. Dadurch werden Eifersüchteleien und Rangstreitigkeiten von vornherein vermieden. Ich war am nächsten Morgen völlig erschöpft.«

»Soll das heißen …«

»O ja. Das ist unumgänglich. Es ist eine weitere Methode, diese Eifersüchteleien zu vermeiden, von denen ich sprach. Und alles muß vor Sonnenaufgang geschehen sein.«

»Wie wird entschieden, welche die erste ist?« fragte Ehlana sichtlich interessiert.

»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht würfeln sie es aus. Es gab zu beiden Seiten des endlosen Korridors vier königliche Schlafgemächer, und ich mußte jede meiner neuen Bräute aufsuchen. Meinen Großvater hat es umgebracht. Er war kein junger Mann mehr, als er den Thron bestieg, und die Anstrengung war zuviel für ihn.«

»Könnten wir nicht das Thema wechseln?« fragte Sperber.

»Sei nicht so prüde«, rügte Ehlana ihn lächelnd.

»Ob Dolmant mir wohl mehr als einen Gemahl gestatten würde?« überlegte Danae laut.

»Jetzt reicht's!« wies Sperber sie zurecht.

Als auch die anderen sich eingefunden hatten, setzten sich alle um einen großen Tisch, der an Stelle eines warmen Mittagessens mit fremdartigen Delikatessen gedeckt war.

»Wie habt Ihr Subat gefunden, Eminenz?« fragte Sarabian den Primas von Uzera.

»Wir gingen in seine Amtsstube, und da saß er, Majestät.«

»Emban!« rügte Sephrenia den fetten kleinen Kirchenherrn, der mißtrauisch ein undefinierbares Fleischgericht beäugte.

»Verzeiht, Majestät«, entschuldigte sich Emban. »Euer Reichsverweser scheint in seinen Ansichten immer noch ein wenig festgefahren zu sein.«

»Ihr habt es also bemerkt«, sagte Sarabian trocken.

»Und ob, Majestät«, antwortete Vanion. »Emban hat seine Denkweise jedoch gewissermaßen auf den Kopf gestellt. Er sagte ihm, daß die Welt am vordringlichsten einen göttlichen Kaiser oder einen kaiserlichen Erzprälaten benötige. So, wie sie jetzt sind, ließen beide Ämter zu wünschen übrig.«

»Ich? Ein Gott? Das ist ja lächerlich, Emban. Ich habe schon mit einer Regierung Probleme genug. Bürdet mir nicht auch noch eine Priesterschaft auf!«

»Ich hab's doch gar nicht ernst gemeint, Majestät«, beruhigte Emban ihn. »Ich wollte in Eures Reichsverwesers Kopf nur ein paar Dinge in Gang bringen. Das Gespräch, das Ihr mit ihm geführt habt, hat ihm die Augen geöffnet; jetzt müssen wir aber auch in seinen Verstand eine Bresche schlagen.«

»Was ist mit deinem Arm passiert?« fragte Vanion seine Liebste. Sephrenia hatte den Ärmel ein wenig hochgeschoben, so daß der Verband um ihr Handgelenk zu sehen war.

»Ich habe ihn mir verstaucht«, antwortete sie.

»An einem sturen Styrikerschädel«, fügte Zalasta lächelnd hinzu.

»Sephrenia!« Vanion starrte sie ungläubig an.

»Ich habe mich meiner pandionischen Ausbildung bedient, Liebster.« Sie lächelte. »Die sich allerdings für einen Kinnhaken als ein wenig unvollkommen erwies.«

»Ihr habt jemandem einen Kinnhaken verpaßt, kleine Mutter?« fragte Kalten zweifelnd.

»Und was für einen!« Jetzt grinste Zalasta. »Sie hat ihn halb durch das Zimmer katapultiert und ihm einen gräßlichen Tod angedroht. Sie ging sogar so weit, mit dem Todeszauber zu beginnen. Von da an wurde der Mann sehr hilfsbereit.«

Alle starrten Sephrenia ungläubig an.

»Oh, hört auf damit!« Sie lachte leise. »Das hat vielleicht Spaß gemacht, kann ich euch sagen! Noch nie zuvor habe ich jemanden eingeschüchtert. Es ist sehr befriedigend, nicht wahr?«

»Keine Frage.« Ulath grinste.

»Die Styriker sind zur Zusammenarbeit bereit«, erklärte sie.

»Was war mit der Armee?« wandte Emban sich an Tynian.

»Ich fürchte, da sollten wir nicht zuviel erwarten, Eminenz«, antwortete Tynian vorsichtig mit einem Blick auf den Kaiser. »Ihre Funktion ist hauptsächlich zeremonieller Natur.«

»Sie kommen aus den allerbesten Familien, Herr Ritter«, nahm Sarabian seine Armee in Schutz.

»Das ist möglicherweise Teil des Problems, Majestät – das und die Tatsache, daß die Soldaten noch nie gegen irgend jemanden kämpfen mußten. Aber wir verlassen uns ohnehin auf die Ataner und brauchen die imperiale Armee im Grunde nicht.« Er blickte Engessa an. »Ist die hiesige Garnison einsatzbereit, Atan Engessa?«

»Die Burschen sind ein wenig verweichlicht, Tynian-Ritter. Ich habe sie heute morgen auf einen Eilmarsch geschickt, und sie haben schon nach zwanzig Meilen schlappgemacht. Aber bis zum Ende der Woche werden sie kampfbereit sein.«

»Langsam kommt alles in Schwung«, sagte Vanion überzeugt.

»Die Dienstboten im Schloß unterscheiden sich nicht von anderen, Hochmeister Vanion«, meldete Khalad. »Über andere zu klatschen ist ihnen ein Bedürfnis. Allerdings erfährt Alean von ihnen viel mehr als ich – wahrscheinlich, weil sie hübscher ist.«

»Danke«, murmelte das Mädchen und senkte die Wimpern.

»Das ist kein großes Kompliment, Alean«, warf Talen ein, »wenn man das Aussehen meines Bruders bedenkt.«

»Bis zum Ende der Woche dürften wir das Vertrauen der Dienerschaft so weit gewonnen haben, daß sie uns auch in Geheimnisse einweihen«, meinte Khalad.

»Ihr Elenier überrascht mich«, sagte Sarabian erstaunt. »Ihr seid offenbar allesamt geniale Intriganten.«

»Nun, wir sind eine ausgewählte Gruppe«, erklärte Emban. »Noch ehe wir Chyrellos verließen, war uns klar, daß unsere Hauptaufgabe das Sammeln von Informationen sein würde. Deshalb wählten wir Mitarbeiter aus, die auf diesem Gebiet sehr talentiert sind.«

»An der Universität bin ich auf einen Professor für politische Wissenschaften gestoßen«, sagte Bevier. »Die meisten seiner Kollegen haben sich bereits einen Namen mit der Erforschung dieses oder jenes geschichtlichen Ereignisses gemacht und ruhen sich nun auf ihren Lorbeeren aus. Sie leben quasi Jahrzehnte lang von einer einzigen Abhandlung. Wie auch immer, dieser Professor, den ich erwähnte, ist jung und muß sich erst noch Anerkennung verschaffen. Jetzt hat er eine Theorie aufgestellt, die er mit allen Kräften verfolgt. Er ist fest davon überzeugt, daß die derzeitigen Unruhen von Arjuna aus gehen – vielleicht, weil noch keiner seiner Kollegen sich mit diesem Gebiet beschäftigt hat. Er zweifelt nicht im geringsten daran, daß Scarpa der Kopf der gesamten Verschwörung ist.«

»Wer ist Scarpa?« fragte Kalten.

»Zalasta hat uns von ihm erzählt«, erinnerte Ulath. »Er hat in Arjuna die gleiche Funktion wie Säbel in Astel und Gerrich in Lamorkand.«

»Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein.«

»Jedenfalls«, fuhr Bevier fort, »trug unser Professor eine gewaltige Menge angeblicher Beweise für seine Theorie zusammen, wenngleich einige ziemlich wacklig waren. Es scheint ihm ein Bedürfnis zu sein, jedem, der die Bereitschaft zeigt, ihm zuzuhören, stundenlang seine Theorie zu erläutern.«

»Arbeitet noch jemand an der Universität an einem ähnlichen Projekt?« fragte Emban.

»Nicht in aller Offenheit, Eminenz. Die Professoren haben Angst, ihren Ruf zu gefährden, wenn sie zweifelhaften Forschungen nachgehen. Die akademische Vorsicht zwingt sie abzuwarten. Mein junger Enthusiast hat noch keinen wissenschaftlichen Ruf; darum ist er bereit, Risiken einzugehen.«

»Haltet Euch an ihn, Bevier«, riet Vanion. »Selbst negative Schlußfolgerungen können helfen, die Suche einzugrenzen.«

»Ganz meine Meinung, Hochmeister Vanion.«

»Dürfte ich Euch mit einer bestimmten Sache belästigen, Majestät?« fragte Stragen.

»Dafür ist ein Gastgeber da, Durchlaucht.« Sarabian lächelte. »Belästigt mich nach Herzenslust.«

»Ihr habt doch gewußt, daß es in Matherion Verbrecher gibt, Majestät, nicht wahr?«

»Ihr meint, von den Angehörigen meiner Regierung abgesehen?«

Stragen lachte. »Der Punkt geht an Euch, Majestät. Im Untergrund einer jeden Großstadt gibt es eine eigene Welt«, erklärte er. »Die Welt der Diebe, Einbrecher, Straßenräuber, Bettler, Huren, Betrüger und Meuchler. Sie leben schlecht und recht davon, sich an der übrigen Gesellschaft zu bedienen.«

»Natürlich wissen wir, daß es solche Leute gibt«, versicherte Sarabian ihm. »Deshalb haben wir schließlich Stadtwachen und Gefängnisse.«

»Ja, Majestät, das sind einige der unbedeutenden Ungelegenheiten im Leben Krimineller. Weitgehend unbekannt ist jedoch für gewöhnlich die Tatsache, daß die Verbrecher der ganzen Welt in bestimmtem Maße zusammenarbeiten.«

»Fahrt fort.«

Stragen wählte seine Worte mit Bedacht. »Ich hatte bereits vor einiger Zeit Verbindung zu diesen Leuten, Majestät. Sie können sehr nützlich sein. Es gibt in einer Stadt so gut wie nichts, das nicht jemandem zu Ohren kommt, der zur Unterwelt gehört. Wenn man diesen Leuten klarmachen kann, daß man sich nicht für ihre Machenschaften interessiert, sind sie normalerweise bereit, einem die Information zu verkaufen, an die sie gekommen sind, auf welche Weise auch immer.«

»Eine geschäftliche Vereinbarung also?«

»Genau. Ähnlich wie der Ankauf gestohlener Ware. Es ist nicht gerade moralisch, aber keineswegs unüblich.«

»Ja, natürlich.«

»Nun, diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die ich erwähnte, gibt es hier in Matherion nicht. Aus irgendeinem Grund arbeiten die tamulischen Gauner nicht zusammen. Jeder Berufszweig bleibt strikt für sich – Diebe, Betrüger, Meuchler und so weiter. Sie haben hier sogar eigene Gilden gebildet, und jede hat nur Verachtung und Mißtrauen für alle anderen übrig. Wir müssen diese Mauern niederreißen, wenn uns die tamulischen Halsabschneider von Nutzen sein sollen.«

»Das leuchtet mir ein, Durchlaucht.«

Stragen war sichtlich erleichtert. »Ich habe gewisse Vorbereitungen getroffen, Majestät«, gestand er. »Die Führer der verschiedenen Unterwelt-Gilden werden hierherkommen. Sie haben gewaltige Ehrfurcht vor Euch und werden gehorchen, wenn Ihr ihnen etwas befehlt.« Er machte eine Pause. »Natürlich nur, solange Ihr ihnen nicht befehlt, ehrliche Menschen zu werden.«

»Natürlich. Schließlich kann man von niemandem verlangen, daß er seinen Beruf aufgibt.«

»Eben. Aber Ihr könnt ihnen befehlen, Majestät, diese Kastenschranken niederzureißen und endlich miteinander zu reden. Wenn die Gauner von Nutzen sein sollen, müssen sie bereitwillig Informationen an eine zentrale Sammelstelle liefern. Wenn wir mit jedem Gildenführer getrennt Verbindung aufnehmen müßten, wäre die Information überholt, bevor sie uns erreicht.«

»Ja, gewiß. Verbessert mich, falls ich etwas falsch verstanden habe, Durchlaucht Stragen. Ihr wollt also, daß ich die Verbrecher von Matherion organisiere, so daß sie im Austausch gegen nicht näher bestimmte Informationen, die sie vielleicht auf der Straße aufschnappen – oder auch nicht –, ehrliche Bürger wirkungsvoller ausbeuten können. Habe ich das richtig verstanden?«

Stragen wand sich. »Ich hatte befürchtet, daß Ihr es so sehen würdet.«

»Keine Angst, Durchlaucht Stragen. Ich bin durchaus bereit, mit diesen loyalen Ganoven zu reden. Der Ernst der gegenwärtigen Krise ist größer als meine natürliche Abscheu vor Geschäften mit Gaunern und Halunken. Verratet mir, Durchlaucht, seid Ihr ein guter Dieb?«

»Ich glaube, ich habe Euch unterschätzt, Majestät.« Stragen seufzte. »Ja, ich bin sogar ein sehr guter Dieb. Ich möchte wirklich nicht, daß Ihr mich für unbescheiden haltet, aber ich bin vermutlich der beste Dieb der Welt.«

»Wie läuft das Geschäft?«

»In letzter Zeit nicht so gut, Kaiser Sarabian. Unruhige Zeiten sind schlecht fürs Verbrechen. Ehrliche Menschen werden nervös und schützen ihre Wertsachen besser. Ach, noch etwas, Majestät. Die Kriminellen, zu denen Ihr sprechen werdet, werden allesamt Masken tragen. Sie haben außerordentliche Hochachtung vor Euch, möchten ihre Gesichter jedoch lieber vor Euch verbergen.«

»Ich glaube, das kann ich verstehen. Ehrlich gesagt, freue ich mich darauf, mit Euren Kollegen zu sprechen, Stragen. Wir werden unsere Köpfe zusammenstecken und nach Möglichkeiten suchen, die Behörden zu umgehen.«

»Das ist keine so gute Idee, Majestät«, warf Talen ein. »Laßt einen Dieb nie näher als zehn Schritte an Euch heran.« Er hob die Hand und zeigte Sarabian ein edelsteinbesetztes Armband.

Der verdutzte Kaiser blickte rasch auf sein rechtes Handgelenk.

»Nur eine kleine Demonstration, Majestät.« Talen grinste. »Ich hatte nicht vor, das Armband zu behalten.«

»Gib ihm auch das übrige zurück, Talen!« wies Stragen den Jungen an.

Talen seufzte. »Eure Augen sind widerwärtig scharf, Stragen.« Er griff in sein Wams und zog ein paar weitere Kleinodien hervor. »Das beste ist, Ihr habt gar nicht erst irgendwelche Wertsachen bei Euch, Majestät, wenn Ihr mit Dieben redet«, riet er ihm.

»Ihr seid sehr geschickt, Talen«, sagte Sarabian.

Talen zuckte bescheiden die Schultern. »Ist alles nur Fingerfertigkeit.«

»Ich mag euch Elenier wirklich«, gestand Sarabian. »Tamuler sind humorlose, langweilige Leute, ihr dagegen steckt voller Überraschungen.« Er lächelte Melidere an. »Und welche erstaunlichen Enthüllungen habt Ihr für mich, Baroneß?«

Sie erwiderte sein Lächeln. »Nichts wirklich Überraschendes, Majestät. Mein häufiges Hin- und Hertrippeln hat mir einige ziemlich vorhersehbare Anträge eingebracht, sowie mehrere blaue Flecken am Gesäß. Tamuler zwicken offenbar viel mehr als Elenier. Ich achte jetzt immer darauf, meinen Rücken dicht an der Wand zu halten. Ich persönlich habe nichts dagegen einzuwenden, von einem hübschen jungen Burschen in seiner Begeisterung ein wenig gekniffen zu werden, aber es dauert ziemlich lange, bis die Blutergüsse verblassen.«

Nun blickten alle auf Berit. Der junge Pandioner errötete heftig. »Ich kann leider nichts berichten, meine Damen und Herren«, murmelte er.

»Berit«, sagte Ehlana sanft. »Es ist nicht schön, wenn Ihr uns anlügt.«

»Es war wirklich nichts von Bedeutung, Majestät. Bestimmt nur ein Mißverständnis, Majestät – wahrscheinlich, weil ich nicht gut genug Tamulisch spreche.«

»Was ist denn geschehen, mein junger Freund?« fragte Sarabian.

»Na ja, Majestät, es war Eure Gemahlin, die Kaiserin Elysoun – die mit der ungewöhnlichen Gewandung.«

»Ja, ich kenne sie.«

»Nun, Majestät, sie sprach mich auf einem Korridor an und bemerkte, daß ich müde aussähe – vermutlich, weil ich die Augen geschlossen hielt.«

»Warum habt Ihr das getan?«

»Äh … nun, ihre Gewandung ist …, Ihr versteht schon, Majestät. Ich hielt es für unhöflich, sie anzuschauen.«

»In Elysouns Fall ist es unhöflich, es nicht zu tun. Sie ist sehr stolz auf ihre Schönheit und mag es, wenn die Leute Anteil daran nehmen.«

Berit errötete noch tiefer. »Wie … wie auch immer«, fuhr er fort, »sie sagte, ich sähe müde aus, und dann machte sie mich darauf aufmerksam, daß sie ein sehr bequemes Bett in ihrem Gemach habe, das ich benutzen dürfe, um mich auszuruhen.«

Kalten hörte dem jugendlichen Ritter mit offenem Munde neidvoll zu. »Was hast du zu ihr gesagt?« fragte er atemlos.

»Nun, ich habe ihr natürlich gedankt und ihr versichert, daß ich … eigentlich gar nicht müde sei.«

Kalten vergrub das Gesicht in den Händen und ächzte.

»Na, na.« Ulath schlug ihm tröstend auf die Schulter.