17

Es machte nicht zuletzt deshalb soviel Spaß, weil ihre Eltern nie wußten, wann Prinzessin Danae sie mit einem Frühmorgenbesuch beehrte. Natürlich war es nicht täglich der Fall; manchmal verging eine ganze Woche. Der heutige Morgen jedoch war typisch, denn Beständigkeit gehört zu den wichtigen göttlichen Eigenschaften. Die Tür krachte gegen die Wand, und die Prinzessin stürmte mit fliegendem schwarzem Haar und strahlenden Augen ins Gemach und sprang jauchzend zu ihren Eltern ins Bett. Dem Sprung folgten heftiges Gestrampel und Gewühle, bis Danae glücklich zwischen Ehlana und Sperber kuschelte.

Sie kam nie allein, doch was Rollo betraf, hatte er sich kein einziges Mal als Problem erwiesen. Er war ein guterzogener Plüschbär mit dem Wunsch, Freude zu bereiten, und er war fast nie aufdringlich. Murr hingegen konnte sehr lästig werden. Sie liebte Sperber, doch selbst unter den Decken war nichts vor ihrer Zuneigung sicher. Und durch die Krallen eines Kätzchens, das sich am nackten Bein hocharbeitet, aus den letzten Schleiern des Schlummers gerissen zu werden ist ein Erlebnis besonderer Art. Sperber biß die Zähne zusammen und ließ es über sich ergehen.

»Die Vögel singen schon!« verkündete Danae beinahe vorwurfsvoll.

»Wie nett von ihnen«, brummte Sperber und verzog das Gesicht, als das Kätzchen unter der Decke genußvoll gegen seine Hüfte zu treten begann und rhythmisch die Krallen in seine Haut drückte.

»Du bist heute aber brummig, Vater.«

»Weil deine Katze mich als Nadelkissen benutzt!«

»Das tut sie doch nur, weil sie dich lieb hat.«

»Ich weiß ihre Zuneigung durchaus zu schätzen! Aber bitte, mach ihr klar, daß ich mich ohne Krallen lieber lieben lasse.«

»Ist er am Morgen immer so, Mutter?«

»Manchmal.« Ehlana drückte ihr kleines Mädchen an sich. »Ich glaube, es hängt davon ab, was es zum Abendessen gab.«

Murr fing zu schnurren an. Erwachsene Katzen schnurren für gewöhnlich mit schicklicher Zurückhaltung. Kätzchen nicht. An diesem Morgen hörte Danaes kleine Katze sich wie ein heranrollendes Gewitter oder wie ein unrund laufendes Mühlrad an.

»Ich geb's auf«, brummte Sperber. Er warf die Decke zurück, stieg aus dem Bett und schlüpfte in seinen Morgenmantel. »Wenn ihr drei zusammen seid, kann man ja nicht schlafen«, sagte er anklagend. »Kommst du mit, Rollo?«

Seine Gemahlin und seine Tochter schauten ihn verblüfft an; dann wechselten sie einen besorgten Blick. Sperber packte Danaes Plüschbär an einem Bein und verließ das Gemach. Er konnte noch hören, wie Ehlana und Danae miteinander flüsterten. Sperber ließ das Plüschtier in einen Sessel fallen. »Das ist ja unerträglich, Rollo, alter Junge«, sagte er so laut, daß seine beiden Damen es hören mußten. »Ich verstehe nicht, wie du das aushältst!«

Im Schlafgemach breitete sich betroffenes Schweigen aus.

»Ich glaube, wir zwei sollten uns mal eine Weile rar machen, mein Freund«, fuhr Sperber fort. »Sie behandeln uns ja schon wie Möbelstücke.«

Rollo sagte nichts, aber das war man von ihm ja gewohnt.

Sephrenia hingegen, die an der Tür stand, wirkte ein wenig erschrocken. »Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Sperber?«

»Es geht mir gut, kleine Mutter. Warum fragt Ihr?« Er hatte bei seiner Vorstellung, die nur für seine Gemahlin und seine Tochter gedacht war, nicht mit Publikum gerechnet.

»Euch ist doch hoffentlich klar, daß Ihr mit einem Plüschtier redet?«

Sperber starrte mit gespielter Überraschung auf Rollo. »Oh, ich glaube, Ihr habt recht, Sephrenia. Seltsam, daß mir das nicht aufgefallen ist. Vielleicht liegt es daran, daß man in diesem Haus einfach nicht ausschlafen kann.« Doch seine Erklärung schien nicht auf das rechte Verständnis zu treffen.

»Wovon in aller Welt redet Ihr, Sperber?«

»Siehst du, Rollo«, sagte Sperber und tat so, als würde wenigstens das Plüschtier ihn verstehen. »Sie begreifen es einfach nicht – keine von ihnen.«

»Äh – Prinz Sperber?« Es war Ehlanas Kammermaid Alean. Sie hatte das Gemach unbemerkt betreten, und ihre großen Augen blickten besorgt drein. »Geht es Euch gut?«

Das wird ja immer schlimmer, dachte Sperber. »Diese Frage könnte ich nur mit einer langen Geschichte beantworten, die sowieso keiner versteht, Alean«, sagte er seufzend.

»Habt Ihr die Prinzessin gesehen, Ritter Sperber?« Alean blickte ihn eigenartig an.

»Sie ist bei ihrer Mutter im Bett.« Die Situation war ohnehin nicht mehr zu retten. »Ich gehe jetzt ins Badehaus – falls es jemanden interessiert.«

Er hüllte sich in die letzten Fetzen seiner Würde und schritt aus dem Raum.

Der Styriker Zalasta war ein asketisch aussehender Mann mit weißem Haar und langem Silberbart. Er hatte das eckige, unfertig wirkende Gesicht aller styrischen Männer, zottlige schwarze Brauen und eine tiefe, klangvolle Stimme. Er war Sephrenias ältester Freund, und man hielt ihn allgemein für den weisesten und mächtigsten Magier des Styrikums. Zur Zeit trug er ein weißes Kapuzengewand und hielt einen Stock in der Hand – vermutlich eine Marotte, da er durchaus rüstig war und keineswegs eine Gehhilfe brauchte. Er sprach perfektes Elenisch, allerdings mit starkem styrischem Akzent. Sperber und seine Gefährten hatten sich an diesem Morgen in Sephrenias Innengarten eingefunden, um Zalasta zuzuhören, der ausführlich erklärte, was in Tamuli tatsächlich vor sich ging »Wir wissen nicht mit Gewißheit, ob sie echt sind oder nicht«, sagte Zalasta gerade. »Sie wurden nur hin und wieder gesichtet und dann auch nur flüchtig.«

»Aber es sind zweifellos Trolle?« fragte ihn Tynian.

Zalasta nickte. »Kein anderes Lebewesen sieht aus wie ein Troll.«

»Das stimmt«, bestätigte Ulath. »Es kann sich durchaus um echte Trolle handeln. Vor einiger Zeit haben sie Thalesien verlassen, alle auf einmal. Niemand kam auf den Gedanken, einen von ihnen aufzuhalten und nach dem Grund zu fragen.«

»Auch Urmenschen wurden gesichtet«, fuhr Zalasta fort.

»Urmenschen?« fragte Patriarch Emban.

»Das sind menschenähnliche Geschöpfe aus dem Anbeginn der Zeit, Eminenz«, erklärte Zalasta. »Sie sind größer als Trolle, streifen in Gruppen herum und sind außerordentlich wild, aber dumm. Ihre Intelligenz reicht nicht einmal an die der Trolle heran.«

»Wir sind solchen Urmenschen begegnet, Freund Zalasta«, warf Kring ein. »Ich habe an jenem Tag viele Brüder verloren.«

»Vielleicht besteht keine Verbindung«, meinte Zalasta. »Die Trolle stammen aus unserer Zeit, die Urmenschen hingegen kommen aus der finstersten Vergangenheit. Ihre Gattung ist seit Äonen ausgestorben. Auch Cyrgai sind angeblich gesichtet worden.«

»Nein, mit Gewißheit, Zalasta«, versicherte Kalten. »Sie haben uns vorige Woche mit einer nächtlichen Unterhaltung beglückt.«

»Die Cyrgai waren furchterregende Krieger«, sagte Zalasta.

»Für ihre Zeitgenossen vielleicht«, wandte Kalten ein. »Aber moderne Taktik, Waffen und Ausrüstung kennen sie nicht. Gegen Katapulte und gepanzerte Gegner sind sie hilflos.«

»Wer sind die Cyrgai denn genau, Weiser?« fragte Vanion.

»Ich habe dir doch die Schriftrollen gegeben, Vanion«, sagte Sephrenia. »Hast du sie nicht gelesen?«

»So weit bin ich noch nicht gekommen. Styrisch ist eine schwierige Sprache. Ihr solltet euch vielleicht mal eine Vereinfachung eures Alphabets durch den Kopf gehen lassen.«

»Einen Moment!« unterbrach Sperber sie. Er blickte Sephrenia an. »Ich habe Euch nie irgend etwas lesen gesehen«, sagte er vorwurfsvoll. »Und Ihr wolltet auch nicht, daß Flöte ein Buch in die Hand nimmt!«

»Kein elenisches Buch.«

»Dann könnt Ihr also lesen?«

»Styrisch, ja.«

»Warum habt Ihr uns das nie gesagt?«

»Weil es Euch nichts anging, Lieber.«

»Ihr habt gelogen!« Es war offenbar ein gewaltiger Schock für Sperber.

»Nein, das habe ich nicht. Ich kann nicht Elenisch lesen – hauptsächlich, weil ich nicht will. Elenisch ist eine plumpe Sprache, und eure Schrift ist häßlich – wie Spinnweben.«

»Ihr wolltet also, daß wir Euch für ungebildet hielten?«

»Das mußte sein, Lieber. Pandionische Novizen sind nicht sehr klug, und ich wollte dafür sorgen, daß ihr euch wenigstens auf einem Gebiet überlegen fühlen konntet.«

»Sephrenia!« murmelte Vanion tadelnd.

»Ich mußte ein Dutzend Generationen dieser großen tolpatschigen Lümmel ausbilden, Vanion«, sagte sie heftig, »und dabei ihre unerträgliche Herablassung erdulden. Ja, Sperber, ich kann lesen, und ich kann zählen, und ich kann über Philosophie diskutieren, auch über Theologie, wenn es sein muß, und ich habe eine abgeschlossene Ausbildung in Logik.«

»Ich weiß nicht, warum du mich anschreist«, wandte Vanion sanft ein und küßte ihre Handflächen. »Ich habe von Anfang an gewußt, daß du eine recht nette Dame bist …« Wieder küßte er ihre Hände. »… für eine Styrikerin zumindest.«

Zornig riß sie die Hände los, als sie sein Grinsen sah. »Du bist unmöglich!« Jetzt lächelte auch sie.

»Wir sprachen von den Cyrgai, glaube ich«, erinnerte Stragen diskret. »Wer sie eigentlich sind.«

»Sie sind glücklicherweise ausgestorben«, antwortete Zalasta. »Offenbar gehörten sie einer Rasse an, die nicht mit den anderen Rassen in Daresien verwandt war – weder mit den Tamulern noch den Eleniern und ganz gewiß nicht mit den Styrikern. Manche vermuten, daß sie entfernt mit den Valesianern verwandt sein könnten.«

»Das kann ich nicht glauben, Weiser«, warf Oscagne ein. »Die Valesianer haben nicht einmal eine Regierung, und von Kriegführung verstehen sie überhaupt nichts. Sie sind die zufriedensten Menschen auf der Welt. Sie können unmöglich mit den Cyrgai verwandt sein!«

»Der Charakter eines Volkes hängt manchmal vom Klima ab, Exzellenz«, gab Zalasta zu bedenken. »Valesien ist ein Paradies, was man von Zentralcynesga wahrhaftig nicht behaupten kann. Nun, jedenfalls verehrten die Cyrgai eine gräßliche Gottheit namens Cyrgon und – wie es bei den meisten primitiven Völkern der Fall ist – leiteten ihren Namen von ihm ab. Alle Völker haben ein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis, nehme ich an. Wir alle sind überzeugt, daß unser Gott besser als alle übrigen ist, und daß unsere Rasse allen anderen überlegen ist. Dies traf besonders auf die Cyrgai zu. Leider können wir den Glauben eines ausgestorbenen Volkes nicht näher erforschen, doch es hat ganz den Anschein, daß die Cyrgai sogar überzeugt waren, mit keiner anderen menschlichen Rasse verwandt zu sein, und daß Cyrgon ihnen alle Weisheiten offenbart hatte. Darum lehnten sie jegliche neuen Ideen ab. Sie haben ihre Vorstellung von einer Kriegergesellschaft bis ins Absurde verwirklicht, und sie waren von rassischer Reinheit besessen und strebten nach absoluter körperlicher Vollkommenheit. Wies ein Neugeborenes auch nur die kleinste Mißbildung auf, wurde es in der Wüste ausgesetzt, wo es qualvoll starb. Soldaten, die im Kampf verstümmelt oder verkrüppelt worden waren, wurden von ihren Kameraden getötet. Frauen, die statt Söhnen zu viele Töchter gebaren, erwürgte man. Die Cyrgai errichteten einen Stadtstaat an der Oase von Cyrga in Zentralcynesga und sonderten sich strikt von anderen Völkern und deren Zivilisation ab. Die Cyrgai hatten schreckliche Angst vor neuen Ideen, gleich welcher Art. Ihre Kultur war vermutlich die einzige in der Menschheitsgeschichte, die Dummheit idealisierte. Überragende Intelligenz galt für sie als eine Art Krankheit, und Kinder, die sich durch Klugheit hervortaten, wurden getötet.«

»Was für Bestien!« murmelte Talen.

»Natürlich eroberten die Cyrgai ihre Nachbarvölker und versklavten diese Menschen – hauptsächlich Wüstennomaden unbestimmter Rasse –, und es kam hin und wieder zu Mischgeburten, wie es bei Soldaten nicht anders zu erwarten ist.«

»Und das war natürlich in Ordnung«, warf Baroneß Melidere beißend ein. »Soldaten dürfen überall ungestraft Frauen schänden, oder?«

»In diesem Fall nicht, Baroneß«, entgegnete Zalasta. »Jeder Soldat, den man beim ›Fraternisieren‹ ertappte, wurde auf der Stelle hingerichtet.«

»Ein erfrischender Gedanke«, murmelte Melidere.

»Die Frau selbstverständlich ebenfalls. Doch trotz aller Wachsamkeit zeugten die Cyrgai immer wieder Mischlinge, obwohl dies in ihren Augen als ein scheußliches Verbrechen galt, und die Mischlinge wurden getötet, soweit man sie fand. Doch im Lauf der Zeit änderte Cyrgon offenbar seine Meinung. Er fand Verwendung für die Halbblütigen. Sie wurden ausgebildet und der Armee eingegliedert. Man nannte sie ›Cynesganer‹, und mit der Zeit bildeten sie jene Einheiten, die die Dreckarbeit machten und in vorderster Front die Köpfe hinhielten. Denn Cyrgon hatte ein Ziel – das übliche Ziel militärischer Führer.«

»Die Weltherrschaft?« fragte Vanion.

»Richtig. Die Cynesganer wurden ermutigt, viele Kinder in die Welt zu setzen, und die Cyrgai benutzten sie, die Grenzen ihres Reiches zu erweitern. Bald war die gesamte Wüste in ihrem Besitz, und sie bedrängten die Grenzen ihrer Nachbarn. Dort stellten wir uns ihnen entgegen. Die Cyrgai waren nicht auf uns Styriker vorbereitet.«

»Das kann ich mir denken.« Tynian lachte.

Zalasta lächelte flüchtig. Es war ein nachsichtiges Lächeln mit einem Hauch Gönnerhaftigkeit. »Cyrgons Priester verfügten über bestimmte beschränkte Fähigkeiten«, fuhr der Styriker fort, »aber sie waren dem, was sie erwartete, nicht gewachsen.« Er trommelte mit den Fingerspitzen. »Bei näherer Betrachtung ist das vielleicht unser eigentliches Geheimnis«, sagte er grübelnd. »Andere Völker haben nur einen Gott – oder im Höchstfall eine kleine Göttergruppe. Wir haben tausend Götter, die sich mehr oder weniger miteinander vertragen und sich im wesentlichen einig sind, was geschehen sollte. Wie auch immer, der Einfall der Cyrgai in styrische Gebiete war eine Katastrophe für sie. Sie verloren praktisch alle Cynesganer und den größten Teil ihrer reinrassigen Cyrgai. Sie flohen Hals über Kopf. Unsere Jüngeren Götter beschlossen, ihnen die Lust an der Überschreitung von Grenzen ein für allemal zu nehmen. Bis jetzt weiß niemand, welcher der Jüngeren Götter sich das ausdachte, aber es war brillant, einfach und wirkungsvoll. Ein großer Adler flog an einem einzigen Tag rund um Cynesga, und sein Schatten hinterließ eine unsichtbare Markierung auf dem Boden. Für die Cynesganer oder die Ataner oder Tamuler oder Styriker oder Elenier, ja, selbst für die Arjuni ist diese Markierung völlig bedeutungslos. Für die Cyrgai dagegen war sie lebenswichtig; denn wenn von diesem Tag an irgendein Cyrgai über diese unsichtbare Grenze schritt, starb er auf der Stelle.«

»Einen Moment!« warf Kalten ein. »Gar nicht weit westlich von hier sind wir auf Cyrgai gestoßen. Wie ist es ihnen gelungen, diese Linie zu überschreiten?«

»Sie kamen aus der Vergangenheit, Ritter Kalten«, erklärte Zalasta und spreizte die Hände. »Wir können davon ausgehen, daß diese Grenze für sie nicht existierte, weil der Adler seine Runde noch nicht gezogen hatte, als sie nordwärts marschierten.«

Kalten kratzte sich am Kopf und runzelte die Stirn. »Logik ist nicht unbedingt meine Stärke«, gestand er, »aber mir scheint, da ist eine Lücke in der Argumentation.«

Bevier hatte auch seine Probleme damit. »Ich glaube zu verstehen, wie es funktioniert«, sagte er nicht sonderlich überzeugt, »aber ich muß das wohl noch ein paarmal durchgehen, bis ich sicher bin.«

»Logik kann nicht alle Fragen beantworten, Ritter Bevier«, gab Emban zu bedenken. Er zögerte. »Aber Ihr braucht Dolmant nicht zu erzählen, daß ich das gesagt habe«, fügte er hinzu.

»Vielleicht ist der Zauber nicht mehr wirksam, Zalasta«, meinte Sephrenia. »Er ist ja nicht mehr erforderlich. Schließlich sind die Cyrgai längst ausgestorben.«

»Und es gibt keine Möglichkeit, es zu beweisen«, fügte Ulath hinzu. »Weder so noch so.«

Stragen lachte plötzlich. »Er hat recht, wißt ihr. Diesen schrecklichen Fluch könnte es da draußen immer noch geben, nur weiß niemand davon, weil das Volk, gegen das er gerichtet ist, vor abertausend Jahren bereits ausstarb. Was ist eigentlich mit den Cyrgai passiert, Weiser?« fragte er Zalasta. »Wie kam es dazu, daß sie ausstarben?«

»Sie zeugten sich zugrunde, Durchlaucht Stragen.«

»Widerspricht sich das nicht?« fragte Tynian.

»Letztlich nicht. Die Cynesganer waren zum Großteil gefallen. Nun wurden die Überlebenden entscheidend wichtig für den Fortbestand der Cyrgai selbst, weil die Mischlinge für Cyrgon die einzigen Soldaten waren, welche die Grenzen zu überschreiten vermochten. Den Cyrgai wurde von ihrem Gott befohlen, sich darauf zu konzentrieren, neue Heerscharen dieser zuvor verachteten Untermenschen zu zeugen. Die Cyrgai waren perfekte Soldaten, die jeden Befehl exakt ausführten. So wandten sie den Cynesganerinnen ihre ganze Aufmerksamkeit zu und beachteten ihre eigenen Frauen überhaupt nicht mehr. Als sie ihren Fehler erkannten, hatten alle Cyrgaierinnen das Gebäralter bereits überschritten. Der Sage nach ist der Letzte der Cyrgai vor etwa zehntausend Jahren gestorben.«

»Das ist Dummheit in Vollendung!« bemerkte Stragen.

Zalasta lächelte dünn. »Wie auch immer, was einst Cyrga war, ist jetzt Cynesga. Es wird von einer schwächlichen Mischlingsrasse bevölkert, die sich nur am Leben halten kann, weil die Handelsstraßen zwischen den Tamulern im Osten und den Eleniern im Westen durch ihr Land führen. Die übrige Welt blickt mit tiefster Verachtung auf diese Nachfahren der kriegerischen Cyrgai hinab. Sie sind hinterlistig, feige, unehrlich und abstoßend kriecherisch – ein angemessenes Schicksal für die Nachkommen einer Rasse, die sich dereinst einbildete, von den Göttern ausersehen worden zu sein, über die ganze Welt zu herrschen.«

Kalten seufzte. »Geschichte ist ein so trübsinniges Thema.«

»Cynesga ist nicht der einzige Ort, wo die Vergangenheit zurückkehrt, um uns Steine in den Weg zu legen«, fügte Zalasta hinzu.

»Das ist uns nicht entgangen«, versicherte ihm Tynian. »Alle Elenier in Westastel sind überzeugt, daß Ayachin zurückgekehrt ist.«

»Dann habt Ihr auch von diesem ›Säbel‹ gehört?« fragte Zalasta.

»Wir sind ihm ein paarmal begegnet.« Stragen lachte. »Ich glaube nicht, daß er eine große Gefahr darstellt. Er ist ein unreifer Poseur.«

»Die Westasteler scheinen mit ihm ganz zufrieden zu sein«, fügte Tynian hinzu. »Sie sind nicht gerade die klügsten.«

»Ich kenne sie«, sagte Zalasta und verzog das Gesicht. »Kimear von Dakonien und Baron Parok, sein Wortführer, sind jedoch ernster zu nehmen. Kimear war einer jener ruhelosen Reitergestalten, die hin und wieder aus der elenischen Gesellschaft auftauchen. Er unterwarf die beiden anderen elenischen Reiche in Westastel und gründete eines dieser tausendjährigen Reiche, die dann und wann emporsprießen und sogleich nach dem Tod ihres Gründers wieder zerfallen. In Edom heißt der Held Incetes – und ist ein Bursche aus der Bronzezeit, dem es tatsächlich gelang, den Cyrgai ihre erste Niederlage beizubringen. Sein Sprecher nennt sich Rebal. Das ist natürlich nicht sein wahrer Name. Aufwiegler lassen sich für gewöhnlich irgendeinen Phantasienamen einfallen. Ayachin, Kimear und Incetes erregen die primitivsten emotionalen Reaktionen der Elenier – Muskelspiel, hauptsächlich. Ich möchte euch um nichts auf der Welt beleidigen, meine Freunde, aber euch Eleniern macht es offenbar Spaß, soviel wie möglich zu zertrümmern und anderer Leute Häuser niederzubrennen.«

»Es ist eine rassische Untugend«, gestand Ulath.

»Die Arjuni bereiten uns ein wenig andere Probleme«, fuhr Zalasta fort. »Sie gehören der tamulischen Rasse an, und ihre innersten Bedürfnisse sind etwas anspruchsvoller. Tamuler wollen nicht über die Welt herrschen, sie wollen sie nur besitzen.« Er lächelte Oscagne flüchtig an. »Allerdings sind die Arjuni nicht die beliebtesten Vertreter der Rasse. Ihr Held ist der Kerl, der den Sklavenhandel erfand.«

Mirtai stieß zischend den Atem aus, und ihre Hand fuhr zum Dolch an ihrem Gürtel.

»Gibt es ein Problem, Atana?« erkundigte Oscagne sich freundlich.

»Ich habe Erfahrung mit den Sklavenhändlern von Arjuna, Oscagne«, antwortete sie knapp. »Ich hoffe, sie eines Tages auffrischen zu können, und diesmal werde ich kein Kind mehr sein.«

Sperber wurde bewußt, daß Mirtai ihnen nie erzählte hatte, wie sie versklavt worden war.

»Dieser Arjuniheld stammt aus jüngerer Vergangenheit als die anderen«, fuhr Zalasta fort. »Er lebte im zwölften Jahrhundert und hieß Sheguan.«

»Wir haben von ihm gehört«, sagte Engessa finster. »Seine Leute holten sich Sklaven aus den Reihen atanischer Kinder in Ausbildungslagern. Wir haben die Arjuni ein für allemal überredet, damit aufzuhören.«

»Das hört sich ziemlich rabiat an«, stellte Baroneß Melidere fest.

»Es war die totale Heimsuchung, Baroneß«, erklärte Oscagne. »Einige Sklavenhändler der Arjuni holten sich im siebzehnten Jahrhundert Sklaven aus Atan, worauf ein Reichsverwalter von einem Übermaß an gerechtem Zorn erfaßt wurde. Er gestattete den Atanern eine Strafexpediton nach Arjuna.«

»Unser Volk singt heute noch Lieder darüber«, sagte Engessa verträumt.

»War es so schlimm?« Emban blickte Oscagne fragend an.

»Schlimmer«, antwortete Oscagne. »Dem Esel, der diese Expedition genehmigte, war nicht bewußt, daß man den Atanern bestimmte Maßnahmen ausdrücklich verbieten muß, wenn man ihnen etwas befiehlt. Der Dummkopf schickte sie einfach los. Die Ataner haben den König von Arjuna gehängt und alle seine Untertanen in den Dschungel im Süden gehetzt. Wir haben fast zweihundert Jahre gebraucht, die Arjuni dazu zu bringen, wieder von den Bäumen herunterzukommen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen waren eine Katastrophe für den gesamten Kontinent.«

»Wie schon gesagt, diese Ereignisse liegen nicht ganz so lange zurück«, erinnerte Zalasta. »Die Arjuni waren immer Sklavenhändler gewesen, und Sheguan war nur einer von vielen aus Nordarjuna. Er war allerdings mehr ein Organisator. Sheguan baute die Märkte in Cynesga auf und organisierte den Schutz der Sklavenstraßen. Das Eigenartige in Arjuna ist die Tatsache, daß der Sprecher bedeutender ist als der Held. Er heißt Scarpa und ist gleichermaßen gerissen wie gefährlich.«

»Wie steht es in Tamul selbst?« fragte Emban. »Und in Atan?«

»Wir scheinen immun gegen diese Seuche zu sein, Eminenz«, antwortete Oscagne. »Wahrscheinlich liegt es daran, daß Tamuler für Heldenverehrung nicht viel übrig haben, und die Ataner der alten Zeit waren um so vieles kleiner als ihre Nachkommen, daß die Ataner von heute sie schlichtweg übersehen.« Er lächelte Engessa verschmitzt an. »Der Rest der Welt wartet atemlos auf den Tag, da der erste Ataner über zehn Fuß groß sein wird. Ich glaube, das ist das Endziel ihrer selektiven Fortpflanzung.« Oscagne blickte Zalasta an. »Eure Informationen sind viel genauer als unsere, Weiser«, lobte er den Styriker. »Die Bemühungen des Imperiums brachten bisher nur Oberflächliches über diese Leute ans Licht.«

»Mir stehen andere Quellen zur Verfügung, Exzellenz«, erwiderte Zalasta. »Diese Gestalten aus dem Altertum sind auch nicht wirklich gefährlich. Die Ataner könnten natürlich mühelos jeden militärischen Aufstand niederschlagen, doch es handelt sich hier nicht um eine rein militärische Angelegenheit. Jemand treibt mit den düsteren Seiten der menschlichen Phantasie ein gefährliches Spiel und läßt die Schreckensgestalten aus Sagen und Märchen auferstehen. Man hat Vampire und Werwölfe gesehen, Ghuls und Oger, und einmal sogar einen mindestens dreißig Fuß großen Riesen. Die Obrigkeit tut diese Erscheinungen als abergläubischen Unsinn ab, doch das einfache Volk Tamuls ist in Panik. Wir wissen natürlich nicht, ob die Kreaturen, die beobachtet wurden, tatsächlich existieren. Aber so eine Schar von Ungeheuern und Trollen, Urmenschen und Cyrgai verbreitet in jedem Fall Angst und Schrecken. Und um der Sache die Krone aufzusetzen, wurden auch noch die Kräfte der Natur bemüht. Es ist zu Gewittern von ungeheurem Ausmaß gekommen, zu Wirbelstürmen, Erdbeben, Vulkanausbrüchen, ja, vereinzelt sogar zu Sonnenfinsternissen. Das einfache Volk von Tamuli ist dermaßen verängstigt, daß es vor Hasen oder einer Schar Spatzen Reißaus nimmt. Es gibt keinen bestimmten Schwerpunkt für diese Vorfälle. Stets treten sie plötzlich und unerwartet auf. Daher kann niemand vorhersehen, wann und wo es das nächste Mal geschehen wird. Ja, meine Freunde, damit haben wir es zu tun! Ein kontinentweites Schreckensregiment – teils wirklich, teils Illusion, teils echte Magie. Wenn nicht bald etwas dagegen unternommen werden kann, verlieren die Leute vor Angst den Kopf. Das Imperium wird zusammenbrechen, und dann herrscht der nackte Terror.«

»Und was ist die schlechte Neuigkeit, die Ihr für uns habt, Zalasta?« fragte Vanion.

Zalasta lächelte flüchtig.

»Ihr beliebt zu scherzen, Hochmeister Vanion. Heute nachmittag könnt ihr vermutlich noch mehr erfahren, meine Freunde«, wandte er sich an alle. »Ich habe die Ehre, euch eine Einladung zur Sitzung der Tausend zu übermitteln. Eure Anwesenheit ist aus politischer Sicht von großer Bedeutung. Wenngleich die Ratsmitglieder selten einer Meinung sind, gibt es doch eine starke Strömung, die dazu neigt, daß wir in dieser Sache gemeinsam an einem Strang ziehen sollten.« Er hielt seufzend inne. »Ihr solltet jedoch auf einige Feindseligkeit vorbereitet sein«, warnte er. »Es gibt im Rat eine reaktionäre Splittergruppe, deren Vertreter allein schon bei dem Wort elenisch zu geifern anfangen. Ich bin sicher, sie werden versuchen, euch zu provozieren.«

»Es geht etwas vor, das ich nicht verstehe, Sperber«, murmelte Danae eine Weile später. Sperber hatte sich mit einer von Vanions styrischen Schriftrollen in einen Winkel von Sephrenias kleinem Innengarten zurückgezogen und versucht, die Schriftzeichen zu entziffern. Danae hatte Sperber dort entdeckt und sich auf seinen Schoß gesetzt.

»Ich dachte, du wärst allwissend«, sagte er. »Ist das nicht eine Eigenschaft der Götter?«

»Laß die Späße. Irgend etwas stimmt hier nicht.«

»Rede mit Zalasta darüber. Er ist schließlich einer deiner Anhänger.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Zalasta, Sephrenia und du seid doch zusammen in derselben Ortschaft aufgewachsen.«

»Was hat das damit zu tun?«

»Ich dachte, alle Bewohner dort beten dich an. Es wäre doch logisch, daß du dir für deine Geburt einen Ort ausgesucht hast, in dem deine Anhänger leben.«

»Du hast überhaupt keine Ahnung vom Wesen der Styriker! Also wirklich! Alle Bewohner eines Dorfes sollen dieselbe Gottheit verehren! Das ist die langweiligste Idee, die ich seit langem gehört habe!«

»Elenier tun es!«

»Elenier essen auch Schweine!«

»Was hast du gegen Schweine?«

Sie schüttelte sich.

»Welchen Gott betet Zalasta denn an, wenn nicht dich?«

»Das hat er nie erwähnt, und es wäre unverzeihlich, ihn danach zu fragen.«

»Wie wurde er dann zum Mitglied des Rates der Tausend? Ich dachte, um Aufnahme zu finden, müßte man Hohepriester sein.«

»Er ist kein Ratsmitglied. Er will gar keines sein. Er berät den Rat.« Sie schürzte die Lippen. »Ich sollte es eigentlich nicht sagen, Sperber, aber ich muß dich warnen: Versprich dir vom Rat nicht zuviel. Hohepriester sind fromm, doch dazu bedarf es keiner Weisheit. Einige Ratsmitglieder sind entsetzlich dumm.«

»Hast du denn gar keine Anhaltspunkte, welcher Gott hinter den Unruhen stecken könnte?«

»Nein. Doch wer es auch ist – er möchte nicht, daß wir anderen auf ihn aufmerksam werden, und wir Götter haben Möglichkeiten, uns zu tarnen. Nur eines kann ich sagen: Er ist kein Styriker. Paß bei der Sitzung heute nachmittag gut auf, Sperber. Ich bin Styrikerin, und da gibt es bestimmt manches, was mir gar nicht auffällt, weil ich es gewöhnt bin.«

»Worauf soll ich denn achten?«

»Das weiß ich nicht. Benutz dein bißchen Intuition. Achte auf alles, was dir unstimmig vorkommt, was nicht zusammenpaßt, was darauf hinweisen könnte, daß jemand eine Maske trägt.«

»Vermutest du, daß es unter den Tausend ein Mitglied geben könnte, das für die andere Seite arbeitet?«

»Das habe ich nicht gesagt. Nur, daß etwas nicht stimmt. Ich habe wieder eine dieser Vorahnungen, wie damals in Kotyks Haus. Irgend etwas ist nicht so, wie es sein müßte, und ich weiß einfach nicht, was! Versuch, es herauszufinden, Sperber! Wir müssen es unbedingt wissen!«

Der Rat der Tausend tagte in einem vornehmen Marmorgebäude direkt im Zentrum von Sarsos. Es war ein beeindruckender, ja, einschüchternder Bau, der arrogant über die Häuser ringsum aufragte. Wie die meisten öffentlichen Gebäude wirkte er kalt und abweisend. Er hatte breite, hallende Marmorkorridore und riesige Bronzetüren, damit die Leute sich winzig und unbedeutend fühlten.

Die Sitzung fand in einem großen, halbrunden Saal mit stufenförmig angeordneten Reihen von Marmorbänken statt. Es waren natürlich zehn Reihen und die Sitzplätze in jeder Reihe wiesen den gleichen Abstand auf. Es war alles sehr logisch durchdacht. Baumeister sind für gewöhnlich logisch denkende Menschen, denn unlogisch errichtete Häuser neigen dazu, einzustürzen.

Auf Sephrenias Rat hatten Sperber und die anderen Elenier schlichte weiße Roben übergestreift, um die unerfreulichen Gedankenverbindungen in den Köpfen der Styriker beim Anblick von Eleniern in Rüstung zu vermeiden. Allerdings trugen die Ritter unter ihren Roben Kettenhemden und Schwerter.

Der Saal war etwa zur Hälfte gefüllt, da ein Teil der Ratsmitglieder stets mit etwas anderem beschäftigt war. Die Anwesenden saßen oder schlenderten herum und unterhielten sich leise. Einige schritten entschlossen von Kollegen zu Kollegen, um ernste Gespräche zu führen. Andere lachten und erzählten offenbar Witze. Einige, um nicht zu sagen viele, dösten.

Zalasta führte sie zur Vorderseite des Saals, wo Stühle für sie bereitgestellt worden waren, und wo sie von allen Anwesenden auf den Sitzreihen gesehen werden konnten.

»Ich muß meinen Platz einnehmen«, sagte Sephrenia leise zu ihnen. »Bitte braust nicht gleich auf, falls euch irgend jemand beleidigt. In diesem Saal hat sich im Laufe von mehreren tausend Jahren Groll aufgestaut, und etwas davon wird sicher überquellen.« Sie durchquerte den Saal, um sich auf eine der Marmorbänke zu setzen.

Zalasta trat in die Mitte des Saals, wo er still stehenblieb und keine Anstalten machte, die Anwesenden zur Ordnung zu rufen. Die Traditionen des Rates waren nur dem Eingeweihten verständlich. Allmählich verstummten die Gespräche und die Ratsmitglieder nahmen ihre Plätze ein.

»Es ist mir eine Freude«, sagte Zalasta auf Styrisch, »dem Rat mitteilen zu können, daß uns heute wichtige Gäste mit ihrer Anwesenheit beehren.«

»Also, ich betrachte es nicht als Ehre!« rief ein Ratsherr. »Diese ›Gäste‹ scheinen zum größten Teil Elenier zu sein, und ich bin ganz und gar nicht daran interessiert, mich mit Schweineessern abzugeben!«

»Das verspricht eine ziemlich unerfreuliche Sitzung zu werden«, murmelte Sperber. »Unseren styrischen Vettern fällt ungehobeltes Benehmen offenbar ebenso leicht wie uns.«

Zalasta ignorierte den flegelhaften Sprecher und fuhr fort: »Sarsos gehört dem Tamulischen Imperium an«, erinnerte er die Versammelten, »und wir profitieren sehr von dieser Verbindung.«

»Und die Tamuler sorgen dafür, daß wir auch genug dafür zahlen!« rief ein anderes Ratsmitglied.

Auch diesen Zwischenrufer ignorierte Zalasta. »Ich bin sicher, ihr alle heißt Außenminister Oscagne vom Tamulischen Imperium herzlich willkommen.«

»Seid Ihr Euch da wirklich so sicher, Zalasta?« brüllte jemand und lachte spöttisch.

Oscagne erhob sich. »Ich bin überwältigt von dieser herzlichen Begrüßung«, sagte er trocken in perfektem Styrisch.

Pfiffe und Buhrufe erklangen aus den Sitzreihen, verstummten jedoch abrupt, als Engessa aufstand und die Arme vor der Brust verschränkte. Er machte sich gar nicht die Mühe, den aufsässigen Ratsherren einen finsteren Blick zuzuwerfen.

»So ist es besser«, lobte Oscagne. »Ich freue mich, daß die legendäre Höflichkeit der Styriker sich endlich eingestellt hat. Wenn ihr gestattet, stelle ich euch kurz meine Begleiter vor. Dann unterbreiten wir euch eine dringende Angelegenheit zur Beratung.« Er stellte Patriarch Emban vor. Unfreundliches Gemurmel erhob sich.

»Das richtet sich gegen die Kirche, Eminenz«, flüsterte Stragen ihm zu, »nicht gegen Euch persönlich.«

Als Oscagne Ehlana vorstellte, raunte ein Ratsherr in der obersten Reihe seinem Nachbarn etwas ins Ohr, das ein unverkennbar vulgäres Lachen auslöste. Mirtai richtete sich wie eine Sprungfeder auf, und ihre Hände schossen zu ihren Dolchen.

Mit scharfer Stimme sagte Engessa irgend etwas auf tamulisch zu ihr.

Mirtai schüttelte den Kopf. Ihre Augen funkelten, sie hatte das Kinn vorgeschoben und zog einen Dolch. Vermutlich verstand sie kein Styrisch, doch die Bedeutung dieses Gelächters verstand sie durchaus.

Sperber stand auf. »Es ist meine Sache, etwas zu unternehmen, Mirtai«, sagte er.

»Ihr wollt es nicht mir überlassen?«

»Diesmal nicht, Mirtai. Tut mir leid, aber es ist eine formelle Zusammenkunft, und wir sollten uns an die Regeln halten.« Er blickte zu dem unverschämten Styriker auf der obersten Bankreihe hinauf. »Würdet Ihr das, was Ihr eben gesagt habt, etwas lauter wiederholen, Nachbar?« fragte er auf styrisch. »Wenn es so lustig ist, solltet Ihr uns vielleicht an Eurer Heiterkeit teilhaben lassen.«

»Na, so was!« höhnte der Kerl. »Ein Hund, der sprechen kann!«

Nun erhob sich Sephrenia. »Ich rufe die Tausend zum traditionellen Augenblick der Stille auf«, sagte sie auf styrisch.

»Wer ist denn gestorben?« rief das Großmaul.

»Ihr, Camriel«, entgegnete sie ruhig. »Deshalb wird unsere Trauer auch nicht sehr groß sein. Dies hier ist Prinz Sperber, der Mann, der den Älteren Gott Azash vernichtet hat. Ihr habt seine Gemahlin beleidigt, Camriel. Wollt Ihr die übliche Beerdigung? Vorausgesetzt natürlich, es bleibt noch genug von Euch übrig, um es der Erde zu übergeben, wenn er mit Euch fertig ist.«

Camriels Kinn war herabgesunken, und sein Gesicht war totenbleich. Die anderen Ratsmitglieder erschraken sichtlich.

»Sein Name hat offensichtlich immer noch Gewicht«, flüsterte Ulath Tynian zu.

»Offensichtlich. Und unser unverschämter Freund da oben ist anscheinend in Gedanken über seine Sterblichkeit versunken.«

»Ratsherr Camriel«, sagte Sperber nun förmlich, »wir wollen die Sitzung der Tausend nicht mit persönlichen Dingen aufhalten. Ich werde Euch nach Beendigung der Sitzung aufsuchen, dann können wir das Nötige vereinbaren.«

»Was hat er gesagt?« fragte Ehlana leise, an Stragen gewandt.

»Das übliche, Majestät. Ich vermute, daß Ratsherr Camriel sich plötzlich einer dringenden Verabredung auf der anderen Seite der Welt entsinnen wird.«

»Läßt der Rat zu, daß dieser Barbar mich bedroht?« rief Camriel mit zittriger Stimme.

Ein weißhaariger Styriker auf der anderen Seite des Halbkreises lachte spöttisch. »Ihr habt höchstpersönlich einen Staatsbesucher beleidigt, Camriel. Die Tausend haben keine Veranlassung, Euch unter diesen Umständen in Schutz zu nehmen. Euer Gott hätte Euch besser unterweisen sollen. Ihr seid ein ungehobelter, großmäuliger Trottel. Wir werden Euch keine Träne nachweinen!«

»Wie könnt Ihr es wagen, so zu mir zu reden, Michan?«

»Daß ein Gott Euch mag, scheint Euch verblendet zu haben, Camriel. Dabei überseht Ihr jedoch, daß jeder hier die Gunst eines Gottes besitzt. Mein Gott liebt mich ebensosehr wie Euer Gott Euch.« Michan machte eine Pause. »Wahrscheinlich sogar mehr. Ich könnte mir vorstellen, daß Eurer im Augenblick nicht so gut auf Euch zu sprechen ist. Ihr müßt ihn schrecklich in Verlegenheit gebracht haben. Aber Ihr vergeudet nur kostbare Zeit. Sobald diese Sitzung endet, dürfte Prinz Sperber mit einer Klinge nach Euch Ausschau halten. Ihr habt doch eine zur Hand, Hoheit?«

Sperber grinste und schlug seine Robe so weit zurück, daß der Griff seines Schwertes sichtbar wurde.

»Großartig, mein Junge«, lobte Michan. »Ich hätte Euch meine Waffe geliehen, aber man kommt mit seiner eigenen besser zurecht, nicht wahr? Seid Ihr immer noch hier, Camriel? Wenn Ihr bei Sonnenuntergang noch am Leben sein wollt, solltet Ihr die Beine in die Hand nehmen.«

Ratsherr Camriel folgte hastig seinem Rat.

»Was ist passiert?« fragte Ehlana ungeduldig.

»Mit ein wenig gutem Willen«, antwortete Stragen, »könnte man die Flucht des Ratsherrn als eine Art Entschuldigung auslegen.«

»Wir nehmen keine Entschuldigung an«, sagte Mirtai unerbittlich. »Darf ich ihn verfolgen, Ehlana, und Euch seinen Kopf zu Füßen legen?«

»Warum lassen wir ihn nicht eine Zeitlang fliehen, Mirtai?« erwiderte die Königin.

»Wie lange?«

»Was meint Ihr, Durchlaucht?« fragte Ehlana Stragen. »Wie lange, denkt Ihr, wird er fliehen?«

»Den Rest seines Lebens wahrscheinlich, Majestät.«

»Das würde mir genügen.«

Die Reaktion der Tausend auf Zalastas Beschreibung der derzeitigen Lage war vorhersehbar gewesen, und die Tatsache, daß so gut wie alle Reden sorgfältig formuliert waren, machte deutlich, daß man den Ratsmitgliedern kaum etwas Neues erzählt hatte. Die Tausend schienen in drei Fraktionen geteilt zu sein. Eine war der Ansicht – was ebenfalls vorhersehbar gewesen war –, daß die Styriker sich selbst schützen konnten und keinen Grund zur Einmischung sahen. Styriker begegneten Versprechungen von Eleniern mit äußerstem Mißtrauen, da elenische Herrscher dazu neigten, Styrikern gegebene Versprechen zu vergessen, sobald eine Krise überstanden war.

Die zweite Fraktion war gemäßigter. Ihre Anhänger wiesen darauf hin, daß die hiesigen Probleme die Tamuler betrafen und weniger die Elenier, und daß die Anwesenheit einer kleinen Einheit von Ordensrittern nicht von Belang war. Der silberhaarige Michan sagte: »Die Tamuler sind vielleicht nicht in jeder Beziehung unsere Freunde, aber sie sind auf jeden Fall nicht unsere Feinde. Wir sollten die Tatsache würdigen, daß ihre Ataner uns die Asteler, die Edomer und die Daziter vom Leibe halten.« Michan war hochgeachtet, und seine Meinung hatte im Rat großes Gewicht.

Dann gab es noch die dritte Fraktion, eine geifernd antielenische Minderheit, die sich selbst zu der Behauptung verstieg, den styrischen Interessen wäre besser gedient, wenn man sich mit den Verursachern der Ausschreitungen verbünden würde. Diese Ratsherren erwarteten gar nicht erst, daß ihre Reden ernstgenommen wurden. Ihre Sprecher nutzten lediglich die Gelegenheit, ihrem Groll Luft zu machen und haßerfüllte, boshafte Hetzreden zu schwingen.

»Allmählich wird's mir zuviel«, sagte Stragen schließlich zu Sperber und erhob sich.

»Was habt Ihr vor?«

»Ich werde diesen Leuten antworten, Freund.« Stragen stellte sich in die Mitte des Saals vor die Versammelten; von den Buhrufen und Verwünschungen ließ er sich nicht erschüttern. Allmählich kehrte Stille ein – nicht so sehr, weil die Fanatiker sich dafür interessierten, was dieser elegante blonde Elenier zu sagen hatte, sondern weil sie zu heiser wurden. »Ich stelle mit Genugtuung fest, daß alle Menschen von gleich niederem Charakter sind.« Stragens klare, klangvolle Stimme war selbst im hintersten Winkel deutlich zu hören. »Ich hatte schon befürchtet, nie auch nur den geringsten Makel im styrischen Charakter finden zu können. Doch nun endlich habt ihr mir den Beweis erbracht, daß ihr wie alle anderen Menschen auch seid, wenn sie sich in der Masse stark fühlen. Die offene Selbstgerechtigkeit, die ihr hier an diesem Nachmittag zur Schau gestellt habt, läßt mich aufatmen und mein Herz höherschlagen. Meine Freude ist grenzenlos, daß es mir nach so langer vergeblicher Suche geglückt ist, diesen Abgrund an Bosheit und Schlechtigkeit in der styrischen Seele aufzuspüren; denn es beweist ein für allemal, daß alle Menschen, egal von welcher Rasse, auf einer Stufe stehen.«

Erneut wurden Protestrufe laut, diesmal begleitet von Verwünschungen.

Wieder wartete Stragen. »Ihr enttäuscht mich, meine lieben Brüder«, sagte er schließlich. »Ein elenisches Kind von sieben Jahren könnte einfallsreicher fluchen als ihr. Ist das wirklich der Gipfel der styrischen Unverschämtheit? Ist ›elenischer Bastard‹ die schlimmste Beschimpfung, die euch einfällt? Ich betrachte das nicht als sonderliche Beleidigung, da es in meinem Fall sogar zutrifft.« Er schaute sich mit freundlicher und ein wenig überlegener Miene um. »Ich bin außerdem ein Dieb und Mörder und habe viele unangenehme Eigenschaften. Ich habe Verbrechen begangen, für die es nicht einmal Namen gibt, und ihr bildet euch ein, eure Beschimpfungen könnten mich kränken? Hat jemand eine wirklich bedeutsame Beschuldigung vorzubringen, ehe ich mir eure Schwächen vornehme?«

»Ihr habt uns versklavt!« brüllte jemand.

»Nicht ich, alter Junge«, entgegnete Stragen. »Ich würde einen Sklaven nicht einmal geschenkt annehmen. Sklaven muß man füttern, selbst wenn sie nicht arbeiten. Aber fahren wir fort. Wir wissen jetzt alle, daß ich ein Dieb und Mörder und ein Bastard bin. Aber was seid ihr? Würde euch die Bezeichnung ›Jammerlappen‹ erstaunen? Ihr Styriker winselt gern. Ihr habt fleißig all die Mißhandlungen niedergeschrieben, die ihr in den letzten Jahrtausenden erduldet habt, und es bereitet euch eine perverse Freude, in dunklen, übelriechenden Winkeln zu sitzen und sie wiederzukäuen wie einen Haufen Erbrochenes. Ihr versucht, den Eleniern die Schuld an allen euren Schwierigkeiten zu geben. Überrascht es euch, daß ich mich nicht schuldig an der mißlichen Lage der Styriker fühle? Ich habe mehr als genug Schuld für meine ganz persönlichen Verbrechen auf dem Buckel, als daß ich mich auch noch für Dinge vor die Brust schlage, die tausend Jahre vor meiner Geburt passiert sind. Ehrlich gesagt, Freunde, all diese Märtyrermienen sind mir zuwider! Kriegt ihr denn nie genug davon, euch selbst leid zu tun? Und jetzt ein paar klare Worte, die euch hoffentlich bis ins Mark beleidigen werden. Falls ihr jammern wollt, dann tut es, wenn wir euch nicht hören. Wir bieten euch die Gelegenheit, an unserer Seite einem gemeinsamen Feind entgegenzutreten. Wir tun es aus Höflichkeit, versteht ihr, nicht weil wir euch wirklich brauchen. Das solltet ihr euch gut merken. Wir brauchen euch nicht. Im Grunde seid ihr uns nur ein Klotz am Bein. Ich hörte hier ein paar geistige Krüppel mit einem Bündnis mit unserem Feind liebäugeln. Wie kommt ihr auf den Gedanken, daß der Feind euch als Verbündeten haben möchte? Würdet ihr es versuchen, wären die elenischen Bauern wahrscheinlich überglücklich; dann nämlich hätten sie endlich einen guten Grund, mit Styrikern von hier bis zur Straße von Thalesien aufzuräumen. Es wird die Vorurteile der Elenier vermutlich nicht abbauen, wenn ihr euch uns anschließt. Aber wenn ihr euch mit unseren Feinden zusammentut, könnt ihr damit rechnen, daß in zehn Jahren kaum noch ein Styriker in irgendeinem elenischen Königreich am Leben sein wird.«

Er kratzte sich nachdenklich am Kinn und schaute sich wieder um. »Ich glaube, das war's, was ich euch sagen wollte. Ich würde vorschlagen, ihr diskutiert in euren erlauchten Reihen darüber. Meine Freunde und ich brechen morgen nach Matherion auf. Wenn ihr bis dahin zu einer Entscheidung kommt, könnt ihr sie uns wissen lassen. Aber das liegt natürlich ganz bei euch. Würden wir euch erklären, wie gleichgültig uns die Entscheidung eines so unbedeutenden Volkes ist, würden wir euch nur aufs neue beleidigen.« Er drehte sich um und bot Ehlana seinen Arm. »Wollen wir gehen, Majestät?«

»Was habt Ihr ihnen gesagt, Stragen?«

»Ich habe sie beleidigt.« Er zuckte die Schultern. »Danach drohte ich ihnen mit der Ausrottung ihrer Rasse, und schließlich bot ich ihnen an, sich mit uns zu verbünden.«

»Das alles in einer einzigen Rede?«

»Er war brillant, Majestät!« versicherte Oscagne ihr begeistert. »Er hat ihnen Dinge unter die Nase gerieben, die den Styrikern schon längst jemand hätte sagen müssen.«

»Ich habe einen gewissen Vorteil, Exzellenz.« Stragen lächelte. »Mein Charakter ist so fragwürdig, daß niemand Höflichkeit von mir erwartet.«

»Aber Ihr seid außerordentlich höflich«, wandte Bevier ein.

»Ich weiß, Ritter Bevier. Aber das erwarten die Leute nicht von mir, deshalb können sie es auch nicht glauben.«

Sowohl Sephrenia als auch Zalasta bedachten die Gefährten an diesem Abend mit eisigen Blicken.

»Ich wollte niemanden persönlich beleidigen«, versicherte Stragen. »Ich habe viele einsichtige Leute gleiches sagen hören. Wir fühlen mit den Styrikern, aber ihr unaufhörliches Selbstmitleid geht uns auf die Nerven.«

»Vieles, was Ihr gesagt habt, stimmt überhaupt nicht!« beschuldigte Sephrenia ihn.

»Natürlich. Schließlich war es eine politische Rede, kleine Mutter. Niemand erwartet, daß ein Politiker die Wahrheit sagt.«

»Ihr seid ein Vabanquespiel eingegangen, Durchlaucht Stragen«, kritisierte Zalasta. »Mir stand fast das Herz still, als Ihr sagtet, die Elenier und Tamuler böten nur aus Höflichkeit ein Bündnis an. Und Eure Feststellung, daß ihr die Styriker gar nicht braucht, hätte den Rat sehr leicht zu der Entscheidung bringen können, sich ganz aus dieser Sache herauszuhalten!«

»Das glaube ich nicht. Schließlich kann der Rat den ganzen Rest Styrikums als Druckmittel benutzen, Weiser«, widersprach Oscagne. »Es war eine brillante politische Rede. Der alles andere als subtile Hinweis auf eine mögliche neue Welle elenischer Greueltaten ließ den Tausend in dieser Angelegenheit gar keine Wahl. Wie war die allgemeine Reaktion?«

»Etwa so, wie Ihr erwartet hattet, Exzellenz«, antwortete Zalasta. »Durchlaucht Stragen hat der styrischen Tradition des Selbstmitleids den Boden unter den Füßen weggezogen. Es fällt schwer, den Märtyrer zu spielen, wenn man gesagt bekommen hat, daß man sich dadurch nur zum Esel macht. Im Rat der Tausend brodelt unglaublicher Zorn. Wir Styriker lieben es unendlich, uns selbst zu bedauern – und das hat man uns nun vermiest. Niemand hat je ernsthaft in Betracht gezogen, sich mit dem Feind zu verbünden – selbst wenn wir wüßten, wer er ist – aber Stragen hat uns kein Schlupfloch offengelassen. Wir können nicht einmal mehr neutral bleiben, da die elenischen Bauern zwischen der Neutralität und einem Bündnis mit dem Feind keinen großen Unterschied sehen würden. Die Tausend werden euch unterstützen. Sie werden alles tun, was in ihrer Macht steht – und sei es auch nur deshalb, um unsere Brüder und Schwestern in Eosien vor Leid zu bewahren.«

»Ihr habt wirklich ganze Arbeit geleistet, Stragen«, lobte Kalten bewundernd. »Ohne Euch hätten wir vielleicht einen ganzen Monat damit vertrödelt, die Styriker zu überzeugen, daß es in ihrem eigenen Interesse ist, sich uns anzuschließen.«

»Meine Arbeit ist noch nicht zu Ende«, entgegnete Stragen, »und die nächste Gruppe, die ich überreden muß, ist viel hartgesottener.«

»Könnte ich Euch dabei helfen?« erbot sich Zalasta.

»Ich fürchte nein, Weiser. Sobald es dunkel wird, müssen Talen und ich den Dieben von Sarsos einen Besuch abstatten.«

»In Sarsos gibt es keine Diebe, Stragen!«

Stragen und Talen blickten einander an und brachen in spöttisches Gelächter aus.

»Ich traue ihm einfach nicht, Sperber«, sagte Ehlana in dieser Nacht, als sie bereits im Bett lagen. »Irgend etwas stimmt nicht mit ihm!«

»Das liegt an seinem Akzent, glaube ich. Bis ich das erkannt habe, ist es mir wie dir ergangen. Sein Elenisch ist zwar perfekt, aber durch seinen Akzent werden die falschen Worte betont. Styrisch hat einen anderen Rhythmus als Elenisch. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Sephrenia würde wissen, wenn Zalasta nicht zu trauen wäre, Liebling. Sie kennt ihn schon seit sehr langer Zeit.«

»Ich mag ihn trotzdem nicht«, beharrte sie. »Er ist so ölig, daß er glänzt, wenn Licht auf ihn fällt.« Sie hob eine Hand. »Es ist kein Vorurteil. Ich betrachte Zalasta als Menschen, nicht als Styriker. Und ich traue ihm einfach nicht!«

»Das legt sich, wenn wir ihn erst besser kennen.«

Es klopfte an ihrer Tür. »Seid ihr beschäftigt?« erklang Mirtais Stimme.

»Womit sollten wir um diese Zeit beschäftigt sein?« rief Ehlana verschmitzt zurück.

»Wollt Ihr darauf wirklich eine Antwort, Ehlana? Talen ist hier. Er hat etwas erfahren, das euch interessieren wird.«

»Schickt ihn rein«, bat Sperber.

Die Tür öffnete sich, und Talen kam in den schwachen Lichtkreis der einzigen brennenden Kerze im Gemach. »Es ist wie in alten Zeiten, Sperber.«

»Was?«

»Stragen und ich waren auf dem Rückweg von den Dieben, als wir Krager auf der Straße sahen! Könnt Ihr Euch das vorstellen? Es hat gutgetan, ihn wiederzusehen. Er hat mir beinahe schon gefehlt!«