14

Pela in Mittelastel war ein Haupthandelszentrum, wohin Kaufleute und Viehhändler aus allen Teilen des Imperiums reisten, um Handel mit den peloischen Züchtern zu treiben. Es war eine schäbige, behelfsmäßig wirkende Stadt. Viele Häuser waren in Wirklichkeit nur prunkvolle Fassaden, hinter denen sich Zelte befanden. Die ungepflasterten Straßen waren von Karrenrädern tief gefurcht, und Fuhrwerke und Rinderherden wirbelten Staubwolken auf, welche die Stadt meist völlig einhüllten. Außerhalb des kaum erkennbaren Stadtrands erstreckte sich ein Meer von Zelten – die transportablen Heime der nomadischen Peloi.

Tikume führte die Reisegruppe quer durch die Stadt und hinaus auf einen Hügel, wo auf der Kuppe buntgestreifte Zelte rings um einen größeren freien Platz errichtet waren. Ein von hohen Stangen gehaltener Baldachin spendete dem Ehrenplatz an der höchsten Stelle Schatten; der Boden darunter war mit Teppichen belegt, auf denen Kissen und Pelze lagen.

Mirtai war der absolute Mittelpunkt. Ihre schlichte Marschkleidung war unter einer knöchellangen Purpurrobe verborgen, als Zeichen ihres baldigen königlichen Standes. Kring und Tikume geleiteten sie der Etikette entsprechend zum zeremoniellen Platz des Lagers und machten sie mit Tikumes Gemahlin Vida bekannt, einer Frau mit scharfgeschnittenen Zügen, die ebenfalls ein Purpurgewand trug und Mirtai mit unverhohlener Feindseligkeit musterte.

Sperber und die anderen schlossen sich den Peloiführern als Ehrengäste im Schatten an.

Vidas Miene wurde immer finsterer, als die Peloikrieger sich gegenseitig auszustechen versuchten, indem sie Mirtai mit überschwenglichen Komplimenten überhäuften, als sie Kring und seiner zukünftigen Gemahlin vorgestellt wurden. Geschenke wurden der Atanerin dargebracht und Lieder gesungen, welche die Schönheit der goldhäutigen Riesin priesen.

»Wann haben sie nur die Zeit gefunden, Lieder für Mirtai zu schreiben?« fragte Talen leise, an Stragen gewandt.

»Ich vermute, die Lieder gibt es schon lange«, antwortete Stragen. »Nur die Namen werden ausgetauscht. Ich könnte mir vorstellen, daß auch Gedichte vorgetragen werden. Ich kenne einen drittklassigen Poeten in Emsat, der recht gut davon lebt, Gedichte und Liebesbriefe für junge Edle zu schreiben, die zu faul oder unbegabt sind, es selbst zu tun. Für solche Fälle gibt es jede Menge Vorlagen, bei denen Stellen für die Namen offengelassen werden.«

»Heißt das, daß man an diesen Stellen nur den Namen der Verehrten einfügt?« fragte Talen ungläubig.

»Den Namen einer anderen einzufügen, hätte wohl nicht viel Sinn.«

»Aber das ist unehrlich!« rief Talen.

»Welch ungewöhnliche Worte, Talen.« Patriarch Emban lachte.

»Besonders von dir.«

»Man darf doch ein Mädchen nicht belügen, wenn man ihr sagt, was man für sie empfindet!« beharrte Talen, der allmählich ein Auge auf junge Damen warf. Zudem hatte Talen einige erstaunlich feste Ansichten entwickelt. Man mußte es seinen Freunden hoch anrechnen, daß bei seiner Äußerung, die eine ziemlich naive Ehrlichkeit verriet, niemand auch nur die Miene verzog. Baroneß Melidere dankte Talen sogar mit einer impulsiven Umarmung.

»Was sollte das?« fragte er sie ein wenig argwöhnisch.

»Ach, nichts«, antwortete Melidere und strich sanft über seine Wange. »Wann hast du dich zum letztenmal rasiert?«

»Vergangene Woche, glaube ich – vielleicht war's auch die Woche davor.«

»Es wird bald schon wieder Zeit. Kein Zweifel, Talen, du wirst erwachsen.«

Der Junge errötete leicht.

Prinzessin Danae zwinkerte Sperber heimlich zu.

Nachdem die Geschenke überreicht und die Gedichte und Lieder vorgetragen waren, zeigten Krings Männer ihre Geschicklichkeit mit den Säbeln und die Tikumes mit ihren Speeren, die sie entweder schleuderten oder als kurze Lanzen benutzten. Ritter Berit hob einen cyrinischen Ritter, der ebenso jung wie er war, aus dem Sattel, und zwei blondzöpfige Genidianer führten einen sehr gefährlich anmutenden Axtkampf vor.

»Das gehört mehr oder weniger zu einer üblichen Hochzeitsfeier, Emban«, sagte Oscagne zum Patriarchen von Uzera. Die Freundschaft der beiden war so weit fortgeschritten, daß sie sich ohne Titel anredeten. »Kriegerkulturen lieben Zeremonien über alles.«

Emban lächelte. »Das ist mir nicht entgangen, Oscagne. Unsere Ritter sind die höflichsten Männer, die ich kenne, und niemand legt soviel Wert auf die Zeremonie.«

»Umsicht, Eminenz«, erklärte Ulath.

»Mit der Zeit werdet Ihr Euch daran gewöhnen, Exzellenz«, versicherte Tynian dem Botschafter. »Ritter Ulath geht mit Worten sparsam um.«

»Falls ich mich unklar ausgedrückt habe, Exzellenz«, wandte Ulath sich an den Botschafter, »ich wollte nur darauf hinweisen, daß man zu einem Mann mit einer Axt höflich sein muß.«

Atan Engessa erhob sich und verbeugte sich ein wenig steif vor Ehlana. »Darf ich Eure Sklavin erproben, Ehlana-Königin?«

»Wie meint Ihr das, Atan Engessa?« fragte sie stirnrunzelnd.

»Die Zeit des Rituals ist bald gekommen. Wir müssen entscheiden, ob sie bereit dafür ist. Ich werde sie nicht verletzen. Jetzt, wo all die anderen ihr Waffengeschick beweisen, werden Atana Mirtai und ich uns beteiligen. Es ist eine gute Gelegenheit für die Prüfung.«

»Wenn Ihr es für richtig haltet, Atan«, stimmte Ehlana zu. »Sofern die Atana nichts dagegen hat.«

»Wenn sie eine echte Atanerin ist, wird sie nichts dagegen haben, Ehlana-Königin.« Der Riese drehte sich abrupt um und schritt zu Mirtai hinüber, die bei den Peloi saß.

»Mirtai ist heute wirklich der Mittelpunkt«, bemerkte Melidere.

»Und das ist sehr schön«, erwiderte Ehlana. »Sie hat sich viel zu lange im Hintergrund gehalten. Ein bißchen Aufmerksamkeit steht ihr zu.«

»Euch ist doch klar, daß es politische Gründe hat«, warf Stragen ein. »Tikumes Leute überhäufen Mirtai auch deshalb mit Aufmerksamkeiten, um sich Krings Sympathien zu sichern.«

»Ja, das weiß ich, Stragen, aber ich finde es trotzdem schön.« Sie blickte ihre goldhäutige Sklavin nachdenklich an. »Sperber, ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dich ganz besonders um die Verhandlungen mit Atan Engessa kümmern würdest, was den Brautpreis betrifft. Mirtai verdient es, glücklich zu werden.«

»Ich werde sehen, was ich für sie tun kann.«

Mirtai erklärte sich mit Engessas Vorschlag sofort einverstanden. Sie erhob sich anmutig, öffnete die Spange am Hals ihrer Purpurrobe und ließ sie an sich hinabgleiten.

Die Peloi betrachteten sie offenen Mundes. Ihre Frauen trugen üblicherweise Gewandung, die viel mehr verbarg. Vidas höhnischer Gesichtsausdruck schwand. Mirtai war unverkennbar eine Frau. Obendrein war sie schwer bewaffnet, was die Peloi in Erstaunen versetzte. Mirtai und Engessa begaben sich auf den Platz vor dem Baldachin, verneigten sich kurz voreinander und zogen ihre Schwerter.

Als schlachterprobter Krieger hatte Sperber gedacht, den Unterschied zwischen Wettkampf und Kampf zu kennen, doch was nun geschah, ließ ihn daran zweifeln. Mirtai und Engessa schienen darauf aus zu sein, einander zu töten. Ihre Schwertkunst war unübertrefflich, doch ihre Art zu kämpfen war viel mehr von körperlicher Berührung geprägt als im Westen üblich.

»Es sieht aus wie ein Ringkampf mit Schwertern«, sagte Kalten zu Ulath.

»Ja«, bestätigte der Thalesier. »Ich frage mich, ob man so auch mit der Streitaxt kämpfen könnte. Wenn man den Gegner ins Gesicht tritt, wie Mirtai es gerade getan hat, und gleich darauf einen Axthieb folgen läßt, könnte man viele Kämpfe im Handumdrehen gewinnen.«

»Ich wußte, daß sie diese Finte macht!« Kalten grinste, als Engessa auf dem Rücken im Staub landete. »Das hat sie mit mir auch mal getan.«

Engessa jedoch blieb nicht nach Atem ringend auf dem Boden liegen, wie Kalten damals. Sofort rollte er von Mirtai weg und kam mit dem Schwert in der Hand auf die Füße. Er hob die Klinge in einer Art Salut und griff sofort wieder an.

Die ›Prüfung‹ dauerte noch einige Minuten, bis einer der zuschauenden Ataner laut mit der Faust auf seinen Brustpanzer schlug und damit das Ende des Wettkampfs anzeigte. Der Mann war viel älter als seine Kameraden, zumindest hatte es den Anschein. Sein Haar war schlohweiß. Doch ansonsten unterschied er sich nicht von seinen Kameraden.

Mirtai und Engessa verbeugten sich förmlich voreinander; dann geleitete er sie zu ihrem Platz zurück, wo Mirtai ihre Robe wieder überstreifte und auf ein Kissen sank. Vidas höhnisches Lächeln war nun völlig verschwunden.

»Sie hat die Probe bestanden«, erklärte Engessa der elenischen Königin. Er tastete unterhalb seines Brustpanzers an einer schmerzenden Stelle. »Mehr als bestanden«, fügte er hinzu. »Sie ist eine geschickte und gefährliche Gegnerin. Ich bin stolz, der Mann zu sein, den sie ›Vater‹ nennen wird. Sie wird meinem Namen Ehre machen.«

»Wir mögen sie sehr, Atan Engessa.« Ehlana lächelte. »Ich freue mich aufrichtig, daß Ihr einer Meinung mit uns seid.« Der grimmige Ataner war für einen Augenblick völlig Ehlanas unwiderstehlichem Lächeln ausgeliefert, und zögernd, fast ein wenig hilflos, erwiderte er es.

»Ich glaube, das ist der zweite Kampf, den er heute verloren hat«, flüsterte Talen Sperber zu.

»Das Gefühl habe ich auch«, antwortete Sperber.

»Wir können sie nie einholen, Freund Sperber«, sagte Tikume an diesem Abend, als sie alle entspannt auf Teppichen rund um ein prasselndes Lagerfeuer saßen oder lagen. »Die Steppe ist fast baumlos. Es gibt kaum eine Möglichkeit, sich zu verstecken, und man kann nicht durch hohes Gras reiten, ohne eine Fährte zu hinterlassen, der selbst ein Blinder folgen könnte. Sie tauchen aus dem Nichts auf, töten die Hirten und treiben das Vieh davon. Ich selbst habe mal einen Trupp dieser Viehdiebe verfolgt. Sie hatten hundert Rinder gestohlen und eine breite Fährte im Gras hinterlassen. Nach ein paar Meilen endete diese Fährte urplötzlich. Es gab keinerlei Spuren, die irgendwo hinführten. Sie waren einfach verschwunden. Man konnte meinen, jemand hätte vom Himmel herabgegriffen und die Diebe mitsamt ihrer Beute davongetragen.«

»Hat es auch noch andere Vorfälle gegeben, Domi?« fragte Tynian vorsichtig. »Ich meine, hat es irgendwelche Unruhen unter Euren Leuten gegeben? Verrückte Geschichten? Gerüchte? Oder Ähnliches?«

»Nein, Freund Tynian.« Tikume lächelte. »Wir haben offene Gesichter. Wir verbergen unsere Gefühle nicht voreinander. Ich würde es wissen, wenn irgend etwas im Busch wäre. Ich habe gehört, was sich in der Gegend von Darsas tut; deshalb weiß ich, warum Ihr fragt. Nein, nichts dergleichen geschieht hier. Bei uns gibt es keine Heldenanbetung wie bei anderen Völkern. Wir versuchen, selbst Helden zu sein. Jemand stiehlt unsere Rinder und tötet die Hirten, mehr steckt nicht dahinter.« Er bedachte Oscagne mit einem beinahe anklagenden Blick. »Ich möchte Euch um nichts auf der Welt beleidigen, Exzellenz«, sagte er. »Aber vielleicht könntet Ihr dem Kaiser vorschlagen, einigen seiner Ataner den Auftrag zu erteilen, der Sache nachzugehen. Es wird unseren Nachbarn nicht recht gefallen, wenn wir uns selbst darum kümmern müssen. Wir Peloi neigen leider dazu, keine großen Unterschiede zu machen, wenn jemand unser Vieh raubt.«

»Ich werde Seiner Kaiserlichen Majestät die Sache vortragen«, versprach Oscagne.

»Möglichst bald, Freund Oscagne«, mahnte Tikume. »Möglichst bald.«

»Mirtai ist eine außerordentlich geschickte Kriegerin, SperberRitter«, sagte Engessa am nächsten Morgen, als die beiden an einem kleinen Feuer saßen.

»Zugegeben«, entgegnete Sperber, »aber Eurer eigenen Tradition zufolge ist sie noch ein Kind.«

»Darum liegt es an mir, für sie zu verhandeln«, erklärte Engessa. »Wäre sie erwachsen, würde sie es selbst tun. Kinder kennen manchmal ihren eigenen Wert nicht.«

»Aber ein Kind kann nicht von so großem Wert sein wie ein Erwachsener.«

»Das trifft nicht immer zu, Sperber-Ritter. Je jünger die Frau, desto höher der Preis.«

»Oh, das ist absurd!« warf Ehlana ein. Die Verhandlungen waren problematisch und hätten normalerweise unter vier Augen stattgefunden. Normalerweise traf jedoch nicht immer auf Sperbers Gemahlin zu. »Dein Angebot ist völlig unannehmbar, Sperber!«

»Auf wessen Seite bist du eigentlich, Liebes?« fragte er sanft.

»Mirtai ist meine Freundin. Ich lasse nicht zu, daß sie beleidigt wird. Zehn Pferde! Soviel bekäme ich schon für Talen.«

»Hast du vor, ihn zu verkaufen?«

»Es sollte nur ein Beispiel sein!«

Auch Tynian war herbeigekommen. Von allen Gefährten stand er Kring am nächsten, und diese Freundschaft erregte ein tiefes Verantwortungsgefühl in ihm. »Wie müßte das Angebot aussehen, das Eure Majestät als angemessen erachten würde?« fragte er Ehlana.

»Nicht ein Pferd weniger als sechzig!« erklärte Ehlana kategorisch.

»Sechzig?« rief Tynian. »Wollt Ihr, daß Kring am Hungertuch nagt? Was für ein Leben wird Mirtai führen, wenn Ihr sie an einen Habenichts verheiratet?«

»Kring ist keineswegs ein Habenichts, Herr Ritter!« entgegnete sie. »Er hat immer noch das viele Gold, das König Soros ihm für die Ohren der Zemocher bezahlt hat.«

»Aber es ist nicht sein Gold, Majestät!« gab Tynian zu bedenken. »Es gehört seinem Volk!«

Sperber lächelte und nickte Engessa zu. Unauffällig entfernten die beiden sich vom Feuer. »Ich nehme an, daß die beiden sich auf dreißig Pferde einigen werden, Atan Engessa.« Sein Tonfall besagte, daß er es gleichzeitig als Vorschlag meinte.

»Wahrscheinlich«, bestätigte Engessa.

»Ich halte es für angemessen. Und Ihr?«

»Es entspricht in etwa meinen Erwartungen, Sperber-Ritter.«

»Dann sind wir uns also einig?«

»Ja.« Die beiden gaben einander die Hand. »Sollen wir es ihnen sagen?« fragte der Ataner mit der Spur eines Lächelns.

»Ah, sie haben eine Menge Spaß.« Sperber grinste. »Lassen wir sie zu Ende feilschen. Dann erfahren wir auch, wie gut unsere Schätzung war. Außerdem sind diese Verhandlungen für Kring und Mirtai sehr wichtig. Würden wir uns schon nach wenigen Minuten einigen, wären sie vielleicht enttäuscht.«

»Ihr seid welterfahren, Sperber-Ritter«, bemerkte Engessa. »Wie gut Ihr die Herzen von Männern kennt – und Frauen.«

»Kein Mann kann je das Herz einer Frau wirklich kennen, Engessa-Atan«, entgegnete Sperber.

Die Verhandlungen zwischen Tynian und Ehlana hatten mittlerweile ein dramatisches Stadium erreicht. Einer beschuldigte den anderen, Herzen aus dem Leib zu reißen – und ähnlich Unsinniges. Ehlanas Vorstellung war beeindruckend. Die Königin von Elenien hätte eine hervorragende Schauspielerin abgegeben, und sie war eine hochbegabte und erfahrene Rednerin. Sie ließ sich ausführlich über Ritter Tynians schändlichen Geiz aus, wobei ihre Stimme sich in majestätischen Kadenzen hob und senkte. Tynian hingegen sprach mit kühler Vernunft, obwohl auch er ein paarmal die Stimme leidenschaftlich hob.

Kring und Mirtai saßen Hand in Hand in der Nähe; mit besorgten Blicken lauschten sie atemlos jedem Wort. Tikumes Peloi schlichen um das feilschende Paar herum, so nahe es der Anstand erlaubte, und spitzten die Ohren.

So ging es stundenlang. Die Dämmerung senkte sich über das Land als Ehlana und Tynian endlich – wenn auch widerwillig – zu einer Einigung gelangten: dreißig Pferde. Der Handel wurde mit Spucke und Handschlag besiegelt. Sperber und Engessa bestätigten ihn auf dieselbe Weise, woraufhin unter den verzückten Peloi begeisterter Jubel ausbrach. Es war rundum ein unterhaltsamer Tag gewesen, und die Feier am Abend war laut und dauerte bis tief in die Nacht.

»Ich bin völlig erschöpft«, gestand Ehlana ihrem Gemahl, nachdem sie sich endlich zum Schlafen in ihr Zelt zurückgezogen hatten.

»Armer Liebling«, bedauerte Sperber sie.

»Ich mußte eingreifen, weißt du. Du warst viel zu bescheiden, Sperber. Du hättest Mirtai ja regelrecht verschenkt. Nur gut, daß ich da war! Einen solchen Preis hättest du niemals herausgeschlagen.«

»Ich war auf der anderen Seite, Ehlana, vergiß das nicht.«

»Ich verstehe es einfach nicht, Sperber. Wie konntest du die arme Mirtai bloß so demütigend behandeln?«

»Das sind die Regeln eines solchen Handels, Liebste. Ich habe für Kring gesprochen.«

»Trotzdem hast du mich sehr enttäuscht, Sperber!«

»Na ja, glücklicherweise wart ja ihr da, du und Tynian, und habt euch der Sache angenommen. Engessa und ich hätten es nicht halb so gut machen können.«

»Dreißig Pferde sind wirklich ein ordentliches Ergebnis, nicht wahr? Auch wenn wir den ganzen Tag dazu gebraucht haben.«

»Du warst hervorragend, Liebling«, sagte Sperber im Brustton der Überzeugung. »Einfach hervorragend.«

»Ich war in meinem Leben ja wirklich schon an so manchen schäbigen Orten, Sperber«, sagte Stragen am nächsten Vormittag, »aber so etwas wie Pela ist mir bisher noch nicht untergekommen. Die Stadt wurde mehrmals aufgegeben, habt Ihr das gewußt? Na ja, ›aufgegeben‹ ist vielleicht nicht das richtige Wort. ›Verlegt‹ trifft es eher. Pela ist, wo immer die Peloi ihr Sommerlager aufschlagen.«

»Das treibt die Kartographen in den Wahnsinn, könnte ich mir vorstellen.«

»Anzunehmen. Es ist eine behelfsmäßige Stadt, aber sie stinkt geradezu nach Geld. Wenn man eine Rinderherde kaufen will, muß man viel Bares hinblättern können.«

»Ist es Euch gelungen, Verbindung zu den hiesigen Dieben aufzunehmen?«

»Das war überhaupt kein Problem.« Talen grinste. »Ein kaum achtjähriges Bürschlein hat Stragens Geldbörse gestohlen. Der Junge war sehr geschickt – aber nicht schnell genug. Ich brauchte keine fünfzig Meter, ihn mir zu schnappen. Nachdem wir ihm erklärt hatten, wer wir sind, führte er uns nur zu gern zu ihrem Anführer.«

»Und ist der Diebesrat bereits zu einem Entschluß gekommen?« fragte Sperber.

»Sie diskutieren noch«, antwortete Stragen. »Sie sind hier in Daresien ein wenig konservativ. Die Vorstellung, mit der Obrigkeit zusammenzuarbeiten, erscheint ihnen offenbar unmoralisch. Ich nehme an, daß wir eine Antwort erhalten, wenn wir in Sarsos sind.

Die Diebe von Sarsos haben großen Einfluß im Imperium. Ist irgend etwas Wichtiges geschehen, während wir fort waren?« »Kring und Mirtai haben sich verlobt.«

»Das ging aber schnell. Ich muß ihnen gratulieren.«

»Du und Talen solltet euch erst einmal ausschlafen«, schlug Sperber vor. »Morgen reiten wir nach Sarsos weiter. Tikume wird uns bis zum Rand der Steppe begleiten. Ich glaube, er käme gern noch ein Stück weiter mit, aber die Styriker in Sarsos machen ihn nervös.« Er stand auf. »Legt euch schlafen, ich werde mich jetzt mit Oscagne unterhalten.«

Das Lager der Peloi wirkte wie ausgestorben. Der Sommer war ins Land gezogen, und während der mittäglichen Hitze hielten die Peloi sich in ihren Zelten auf. Sperber schritt über die festgetretene, trockene Erde zu dem Zelt, das Botschafter Oscagne und Patriarch Emban miteinander teilten. Sein Kettenhemd klirrte beim Gehen. Da sie sich in einem gesicherten Lager aufhielten, hatten die Ritter beschlossen, vorübergehend ihre unbequemen Plattenpanzer abzulegen.

Sperber fand die beiden Herren an der Seite ihres Zeltes vor, wo sie unter einem Sonnendach saßen und eine Melone aßen.

»Gruß und Willkommen, Herr Ritter«, sagte Oscagne, als der Pandioner zu ihnen trat.

»Das ist eine ziemliche altmodische Begrüßung«, stellte Emban fest.

»Ich bin nun mal ein wenig altmodisch, Emban.«

»Die Neugier treibt mich zu Euch«, wandte Sperber sich an Oscagne, nachdem er sich zu ihnen auf den schattigen Teppich gesetzt hatte.

»Neugier ist die Geißel der Jugend.« Oscagne lächelte.

Sperber ging nicht darauf ein. »Dieser Teil von Astel kommt mir ganz anders als der westliche vor, durch den wir gezogen sind.«

»Das ist er auch«, bestätigte Oscagne. »Astel ist der Schmelztiegel, dem alle elenischen Kulturen entstammen – sowohl hier in Daresien wie auch in Eosien.«

»Darüber ließe sich streiten«, murmelte Emban.

»Daresien ist älter, das ist alles.« Oscagne zuckte die Schultern.

»Was nicht heißen muß, daß es besser ist. Jedenfalls, was Ihr bis her von Astel gesehen habt, dürfte im Wesentlichen Euren Erwartungen entsprechen, was das elenische Königreich Pelosien betrifft. Habe ich recht?«

»Es gibt Ähnlichkeiten, das stimmt«, bestätigte Sperber.

»Mit diesen Ähnlichkeiten ist Schluß, sobald wir die Steppe durchquert haben. Die beiden westlichen Drittel Astels sind elenisch. Vom Rand der Steppe bis zur atanischen Grenze ist Astel jedoch styrisch.«

»Wie ist es dazu gekommen?« fragte Emban. »In Eosien leben die Styriker weit verstreut. Sie wohnen in eigenen Ortschaften nach ihren eigenen Sitten und Gebräuchen.«

»Wie kosmopolitisch wollt Ihr Euch heute geben, Emban?«

»Wie provinziell betrachtet Ihr mich denn?«

»Wie stark seid Ihr im Nehmen? Euer typischer Elenier ist bigott.« Oscagne hob eine Hand. »Laßt mich zu Ende reden, ehe Ihr aus der Haut fahrt. Bigotterie ist eine Form von Egoismus, und ich glaube, Ihr müßt zugeben, daß Elenier eine sehr hohe Meinung von sich haben. Sie bilden sich ein, daß Gott hauptsächlich für sie da ist.«

»Stimmt das etwa nicht?« fragte Emban in gespieltem Erstaunen.

»Ach, hört auf. Aus Gründen, die nur Gott verstehen kann, sind Styriker für Elenier ein rotes Tuch.«

»Das ist ganz und gar verständlich.« Emban zuckte die Schultern. »Die Styriker halten sich für überlegen. Sie behandeln uns, als wären wir Kinder.«

»Aus ihrer Sicht sind wir das auch, Eminenz«, warf Sperber ein. »Styriker sind seit vierzigtausend Jahren zivilisiert, viel länger als wir Elenier.«

»Was auch immer der Grund sein mag«, fuhr Oscagne fort, »die Elenier haben sich redlich bemüht, die Styriker zu vertreiben – oder zu töten. Deshalb wanderten die Styriker viel eher nach Eosien aus als ihr Elenier. Elenische Vorurteile haben sie in die Wildnis getrieben. Eosien war jedoch nicht die einzige Wildnis. Auch entlang der atanischen Grenze gibt es große, einsame Landstriche, in die im Altertum viele Styriker geflüchtet sind. Nach der Gründung des Imperiums haben wir Tamuler die Elenier ersucht, die Styriker, die in der Gegend um Sarsos leben, nicht länger zu belästigen.«

»Ersucht?«

»Na ja, eigentlich haben wir darauf bestanden – wir hatten ja die vielen Ataner, die eine Aufgabe brauchten. Wir haben uns einverstanden erklärt, daß die elenische Geistlichkeit von der Kanzel wettert, während wir genügend Ataner rund um Sarsos stationieren, damit ein gewaltsamer Konflikt zwischen den beiden Völkern gar nicht erst ausbrechen kann. Deshalb ist es sehr friedlich, und wir Tamuler schätzen den Frieden ungemein. Ich glaube, ihr Elenier werdet sehr überrascht sein, wenn wir Sarsos erreichen. Es ist die einzige echte styrische Stadt auf der ganzen Welt. Sarsos ist erstaunlich! Gott scheint auf ganz besondere Weise auf diese Stadt herabzulächeln.«

»Ihr sprecht immer von Gott, Oscagne«, bemerkte Emban. »Ich dachte, die Beschäftigung mit Gott wäre ein elenischer Dünkel.«

»Ihr seid kosmopolitischer, als ich dachte, Eminenz.«

»Verratet mir eins: Was genau meint Ihr, wenn Ihr das Wort Gott benutzt, Exzellenz?«

»Wir verwenden es als Gattungsbezeichnung. Die tamulische Religion ist nicht sehr tiefgreifend. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Beziehung eines Menschen zu seinem Gott – oder seinen Göttern – seine persönliche Angelegenheit ist.«

»Das ist reinste Häresie. Sie würde die Kirche brotlos machen!«

»Es hat sein Gutes, Emban.« Oscagne lächelte. »Im Tamulischen Imperium ist Häresie nichts Schlimmes. Sie bietet ein unerschöpfliches Gesprächsthema an langen, verregneten Nachmittagen.«

Am folgenden Morgen brachen sie auf, begleitet von einem großen Trupp Peloi. Der sich nordostwärts bewegende Zug ähnelte weniger einer Armee auf dem Marsch denn einer Völkerwanderung. Kring und Tikume ritten während der nächsten Tage allein nebeneinander, ließen ihre Blutsbande neu aufleben und diskutierten über den Austausch von Zuchttieren.

Sperber versuchte auf dem Ritt von Pela zum Rand der Steppe festzustellen, ob sie schneller vorankamen, als zu erwarten war, doch so sehr er sich auch bemühte, er entdeckte nicht das geringste Anzeichen dafür, daß Aphrael Zeit und Entfernung beeinflußte. Die Kindgöttin war viel zu geschickt und erfahren, und ihre Manipulation zu perfekt, als daß Sperber etwas hätte bemerken können.

Einmal, als das Mädchen wieder mit Sperber auf Faran ritt, brachte er einen Punkt zur Sprache, der ihm keine Ruhe ließ. »Entschuldige meine Neugier, aber mir scheinen fünfzig Tage vergangen zu sein, seit wir bei Salesha an Land gingen. Wie viele sind es wirklich?«

»Viel weniger, Sperber. Höchstens halb so viele.«

»Ich hatte mir eigentlich eine genauere Antwort gewünscht, Danae.«

»Ich kann nicht sehr gut mit Zahlen umgehen, Vater. Ich kenne den Unterschied zwischen wenig und viel – und das ist im Grund doch das einzig Wichtige, oder nicht?«

»Das ist aber ziemlich ungenau.«

»Ist dir Genauigkeit denn so wichtig, Sperber?«

»Ohne Genauigkeit kann man nicht logisch denken, Danae.«

»Dann laß Logik Logik sein, und versuche es zur Abwechslung mit Intuition. Vielleicht findest du sogar Gefallen daran.«

»Wie lange sind wir unterwegs, Danae?« beharrte er.

Sie zuckte die Schultern. »Drei Wochen.«

»Das ist schon ein bißchen besser.«

»Ungefähr.«

Ein dichter Birkenwald kündigte das Ende der Steppe an; dort kehrte Tikume mit seinen Männern um. Da es bereits spät am Nachmittag war, schlug die königliche Eskorte am Waldrand das Lager auf, so daß sie am Morgen den Weg in die Schattenwelt des Waldes bei hellem Tageslicht antreten konnten.

Nachdem es sich alle bequem gemacht hatten und Essen über den Feuern brutzelte, bat Sperber Kring, ihn zu Engessa zu begleiten.

»Wir haben hier eine ungewöhnliche Situation, meine Herren«, sagte Sperber, als sie zu dritt am Waldrand entlangspazierten. »Wie meint Ihr das, Sperber-Ritter?« fragte Engessa.

»Unsere Truppe besteht aus drei verschiedenen Arten von Kriegern. Ich nehme an, daß bei Feindbegegnung jede ihre eigene Taktik hat. Wir sollten darüber reden, damit wir uns nicht gegenseitig behindern, wenn dieser Fall eintritt. Das übliche Vorgehen der Ordensritter bei Feindberührung basiert auf unserer Ausrüstung. Wir tragen Panzer und reiten auf großen Streitrossen. Wann immer es zum Kampf kommt, stürmen wir vor und machen das Zentrum der gegnerischen Armee nieder.«

»Wir ziehen es vor, den Feind wie einen Apfel abzuschälen«, erklärte Kring. »Wir reiten um eine feindliche Truppe herum, so schnell es geht, und schneiden dabei Stücke ab.«

»Wir kämpfen zu Fuß«, sagte Engessa. »Wir wurden ausgebildet, auf uns selbst gestellt zu sein, also stürmen wir auf den Feind los und kämpfen Mann gegen Mann.«

»Und ihr seid damit erfolgreich?« fragte Kring.

»Bisher immer.« Engessa zuckte die Schultern.

»Sollte es zu einer Feindberührung kommen, wäre es keine gute Idee, wenn wir alle zusammen auf den Gegner einstürmten«, sagte Sperber nachdenklich. »Wir würden uns nur gegenseitig behindern. Ich schlage folgendes vor: Wenn uns eine größere Truppe anzugreifen versucht, wird Kring sie mit seinen Männern umreiten, ich formiere die Ritter und stürme das Zentrum, und Atan Engessa läßt seine Krieger weit ausfächern. Der Gegner wird sich hinter uns Rittern zusammenziehen, nachdem wir tief in sein Zentrum vorgestoßen sind, um uns am Durchbruch zu hindern. Krings Angriff von hinten und an den Flanken wird die Verwirrung des Feindes erhöhen. Sie werden kopflos sein, und ein Großteil wird von den Führern abgeschnitten. Dann wäre der richtige Zeitpunkt für Engessas Angriff gekommen. Die besten Soldaten der Welt taugen nur halb soviel, wenn niemand ihnen Befehle gibt, die Ordnung in ihre Reihen bringen.«

»Eine brauchbare Taktik«, gab Engessa zu. »Es erstaunt mich ein wenig, daß auch andere Völker Schlachten planen können.«

»Die Geschichte der Menschheit ist im Grund genommen die einer langen Schlacht, Atan Engessa«, entgegnete Sperber. »Wir alle haben Erfahrung darin, also denken wir uns Taktiken aus, unsere Kräfte bestmöglich zu nutzen. Also, seid ihr mit meinem Vorschlag einverstanden?«

Kring und Engessa blickten einander an. »Fast jeder Plan würde aufgehen«, sagte Kring schulterzuckend, »solange wir alle wissen, was wir tun.«

Engessa blickte Sperber an. »Und wie werden wir Ataner erfahren, wann Ihr für unseren Angriff bereit seid?«

»Mein Freund Ulath wird ein Hornsignal geben«, antwortete Sperber. »Bläst er einmal, setzen meine Ritter zum Sturm an. Bläst er zweimal, beginnen Krings Leute, den Apfel von hinten anzusäbeln. Wenn der Feind uns seine volle Aufmerksamkeit schenkt, werde ich Ulath veranlassen, dreimal ins Horn zu stoßen. Dann werdet Ihr angreifen.«

Engessas Augen leuchteten. »Das ist die Art von Strategie, bei der vom Feind nicht viel übrigbleibt, Sperber-Ritter.«

»So hatte ich es mir auch gedacht, Engessa-Atan.«

Der Birkenwald erstreckte sich auf einem langen Hang, der von der Steppe Mittelastels sanft zu dem zerklüfteten Vorgebirge an der atanischen Grenze anstieg. Die Straße war breit und gut erhalten, doch kurvenreich. Engessas unberittene Ataner verteilten sich in einer Breite von etwa einer Meile zu beiden Straßenseiten. Die ersten drei Tage sichteten sie keine Menschenseele, nur größere Rudel Rotwild. Der Sommer hatte die anhaltende Feuchtigkeit des Waldbodens noch nicht getrocknet, und die Luft im sonnengesprenkelten Schatten war kühl und feucht und duftete noch nach frischem Grün und neuem Leben.

Da die Bäume die Sicht einschränkten, bewegte der Zug sich vorsichtig voran. Ihr Nachtlager schlugen sie auf, während die Sonne noch über dem Horizont stand; die Männer errichteten primitive Befestigungen, um im Dunkeln keine unliebsamen Überraschungen erleben zu müssen.

Am Morgen des vierten Tages, den sie im Waldgebiet verbrachten, stand Sperber sehr früh auf und ging durch das erste stahlgraue Licht des anbrechenden Morgens zu den Bäumen, wo die Pferde angebunden waren. Khalad war bei den Tieren, Kuriks ältester Sohn.

Er hatte Farans Kopf hoch und dicht an einen Baumstamm gebunden, damit er ihn nicht beißen konnte, während er sorgfältig die Hufe des Hengstes untersuchte. »Das wollte ich gerade tun«, sagte Sperber leise. »Er hat gestern auf dem rechten Vorderhuf leicht gehinkt.«

»Er hatte sich einen Stein eingetreten. Ihr solltet ihn vielleicht auf die Koppel bringen, wenn wir wieder zu Hause sind. Er ist kein Fohlen mehr, wißt Ihr.«

»Ich auch nicht, wenn man es recht bedenkt. Auf dem Boden zu schlafen macht bei weitem nicht mehr so viel Spaß wie früher.«

»Ihr seid nur verweichlicht.«

»Danke. Wird das schöne Wetter anhalten?«

»Soweit ich das zu sagen vermag, ja.« Khalad setzte Farans Huf wieder auf den Boden und griff nach dem Strick, mit dem er den Kopf des Pferdes hochgebunden hatte. »Beiß ja nicht«, warnte er den Fuchshengst, »sonst tret' ich dir in die Rippen!«

Farans langes Gesicht wirkte gekränkt.

»Er ist ein übellauniges Tier«, sagte Khalad, »aber bei weitem das klügste Pferd, das mir je untergekommen ist. Ihr solltet ihn als Zuchthengst einsetzen. Es wäre interessant, zur Abwechslung mal intelligente Fohlen großzuziehen. Die meisten Pferde sind nicht sehr gescheit.«

»Ich dachte, Pferde zählen zu den klügsten Tieren.«

»Das ist eine Mär, Sperber. Wenn Ihr ein kluges Tier wollt, dann besorgt Euch ein Schwein. Es ist mir noch nie gelungen, einen Pferch zu bauen, aus dem ein Schwein sich nicht nach einigem Überlegen befreien konnte.«

»Schweine haben etwas zu kurze Beine, als daß man auf ihnen reiten könnte. Gehen wir und schauen, wie weit das Frühstück ist.«

»Wer bereitet es heute früh zu?«

»Kalten, glaube ich.«

»Kalten? Dann sollte ich besser hierbleiben und mit den Pferden frühstücken.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß roher Hafer so gut schmeckt.«

»Kaltens Kochkünsten ziehe ich ihn jederzeit vor.«

Kurz nach Sonnenaufgang brachen sie auf und ritten durch den kühlen, sonnengesprenkelten Wald. Die Vögel schienen überall zu sein und trillerten fröhlich. Sperber lächelte, als er daran dachte, wie Sephrenia ihm einst die Illusion genommen hatte, die Vögel würden singen, weil sie Musik liebten. »In Wirklichkeit warnen sie andere Vögel, sich fernzuhalten, Lieber«, hatte Sephrenia ihm erklärt. »Sie erheben Anspruch auf ihren Nistplatz. Es hört sich sehr schön an, aber im Grunde genommen wiederholen sie immer nur: ›Mein Baum, mein Baum, mein Baum.‹«

Am Vormittag kam Mirtai im Laufschritt herbei. »Sperber«, sagte sie mit ruhiger Stimme, als sie die Karosse erreichte, »Atan Engessas Späher melden Leute voraus.«

»Wie viele?« fragte er.

»Das ließ sich nicht feststellen. Aber es müssen Soldaten sein, und sie scheinen uns zu erwarten.«

»Berit«, wandte Sperber sich an den jungen Ritter, »reitet nach vorn und holt Kalten und die anderen her. Aber ohne Hast. Macht es so unauffällig wie möglich.«

»In Ordnung.« Berit trabte los.

»Mirtai, gibt es hier irgendwo günstiges Gelände, das sich leicht verteidigen läßt?«

»Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen«, erwiderte sie. »Etwa eine Viertelmeile voraus ist eine Anhöhe. Sie erhebt sich praktisch aus dem Waldboden und besteht hauptsächlich aus moosüberwucherten Felsblöcken.«

»Können wir die Kutsche hinaufbringen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»So kommst du zu einem Spaziergang, meine Königin«, sagte Sperber zu seiner Gemahlin.

»Wir wissen doch gar nicht, ob sie uns feindlich gesinnt sind, Sperber!« protestierte Ehlana.

»Das stimmt«, gab er zu, »aber wir wissen auch nicht, ob sie es nicht sind, und das wiegt schwerer.«

Kalten und die anderen kamen mit Kring und Engessa zurückgeritten.

»Was machen sie, Atan Engessa?« erkundigte sich Sperber.

»Sie halten nur Ausschau, Sperber-Ritter. Es sind allerdings weit mehr, als wir ursprünglich annahmen – tausend zumindest – wahrscheinlich aber viel mehr.«

»Es dürfte ein bißchen schwierig werden, bei all diesen Bäumen«, gab Kalten zu bedenken.

»Ich weiß«, brummte Sperber. »Khalad, wann ist Mittag?«

»In etwa einer Stunde«, antwortete Khalad vom Kutschbock.

»Also bald genug. Nicht weit vor uns ist ein Hügel. Wir reiten hin und tun so, als wollten wir uns dort für eine Mittagsrast einrichten. Unsere Freunde hier in der Karosse werden auf die Anhöhe hinaufschlendern. Die übrigen verteilen sich um den Fuß des Hügels. Wir machen Feuer und klappern mit Pfannen und Töpfen. Ehlana, sei so albern, wie du es nur fertigbringst. Ich möchte von dir und der Baroneß oben auf dem Hügel möglichst viel Gelächter und Gekicher hören. Stragen, sucht Euch ein paar Männer aus und errichtet dort oben einen möglichst festlich aussehenden Pavillon. Räumt ein paar Steine aus dem Weg und rollt sie an den Rand der Kuppe.«

»Wieder eine Belagerung, Sperber?« fragte Ulath mißbilligend.

»Hast du eine bessere Idee?«

»Leider nicht. Aber du weißt, wie wenig ich von Belagerungen halte.«

»Niemand hat gesagt, daß du viel davon halten mußt, Ulath«, warf Tynian ein.

»Gebt den anderen Bescheid und sorgt dafür, daß alles ganz normal aussieht«, bat Sperber.

Ihre Nerven waren angespannt, als sie scheinbar gleichmütig dahinritten. Als sie um eine Kurve bogen, sah Sperber die Anhöhe und war erfreut über ihre strategischen Möglichkeiten. Es handelte sich um einen jener Steinhaufen, wie es sie unerklärlicherweise in allen Wäldern der Welt gab. Es war ein konischer Hügel aus mächtigen Rundlingen, etwa vierzig Fuß hoch und grün bemoost, doch ohne jegliche andere Vegetation, und er befand sich knapp zweihundert Meter links der Straße. Talen ritt dorthin, saß ab, stürmte hinauf und schaute sich oben um. Dann brüllte er hinunter: »Eine herrliche Aussicht, Majestät! Man kann meilenweit sehen. Genau das, was Ihr gesucht habt.«

»Das macht er gut«, lobte Bevier, »die Frage ist nur, ob unsere Freunde da draußen Elenisch verstehen.«

Stragen war bei den Lastpferden gewesen und kam nun mit einer Laute nach vorn. »Für den letzten Schliff, Majestät.« Er lächelte Ehlana an.

»Ihr spielt Laute, Durchlaucht?« fragte sie staunend.

»Jeder feine Mann, der etwas auf sich hält, spielt Laute.«

»Sperber nicht.«

»Wir suchen immer noch nach geeigneten Worten, um Sperber zu charakterisieren, Königin Ehlana«, entgegnete Stragen verschmitzt. »Wir sind uns gar nicht so sicher, daß der Begriff ›feiner Mann‹ wirklich auf ihn zutrifft – das soll natürlich keine Beleidigung sein, alter Junge«, versicherte er dem großen Pandioner hastig.

»Darf ich einen Vorschlag machen, Sperber?« fragte Tynian.

»Nur zu.«

»Wir wissen gar nichts über diese Leute da draußen, doch auch sie wissen nichts über uns – oder zumindest sehr wenig.«

»Das stimmt wahrscheinlich.«

»Der Umstand, daß sie uns beobachten, muß nicht bedeuten, daß sie einen direkten Angriff beabsichtigen – falls überhaupt. Und wenn, könnten sie einfach abwarten, bis wir wieder auf dem Marsch sind.«

»Stimmt.«

»Aber wir haben ein paar überspannte Edelfrauen dabei – verzeiht, Majestät –, und Edelfrauen brauchen für gewöhnlich keinen Grund für das, was sie tun.«

»Eure Beliebtheit nimmt in gewissen Kreisen nicht gerade zu, Ritter Tynian«, sagte Ehlana drohend.

»Ich bin zutiefst zerknirscht. Aber könnten Eure Majestät sich nicht – aus einer plötzlichen Laune heraus – für diesen Ort derart begeistern, daß Euch die Vorstellung, heute noch länger in einer Kutsche herumgeschaukelt zu werden, absolut unerträglich erschiene? Wäre es unter diesen Umständen nicht das Natürlichste auf der Welt, daß Ihr befehlt, anzuhalten und den Rest des Tages hierzubleiben?«

»Das ist keine schlechte Idee, Sperber«, warf Kalten ein. »Während wir unser Mittagsmahl zu uns nehmen, wären wir in der Lage, diesen Hügel unauffällig etwas besser zu befestigen. Dann, nach ein paar Stunden, wenn es unverkennbar ist, daß wir heute nicht mehr Weiterreisen, errichten wir unser übliches Lager für die Nacht, mit allen Befestigungen und Schutzmaßnahmen. Wir brauchen uns an keinen besonderen Zeitplan zu halten; somit können wir einen verlorenen halben Tag verschmerzen. Die Sicherheit der Königin ist jetzt viel wichtiger als schnelles Vorankommen, meinst du nicht?«

»Du kennst meine Antwort darauf genau, Kalten.«

»Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann.«

»Das ist gut, Sperber-Ritter«, stimmte auch Engessa zu. »Wenn meine Späher eine ganze Nacht zum Kundschaften haben, erfahren sie nicht nur, wie viele da draußen sind, sondern obendrein noch ihre Namen.«

»Brecht ein Rad«, schlug Ulath vor.

»Was meint Ihr damit, Herr Ritter?« erkundigte sich Botschafter Oscagne verblüfft.

»Das wäre ein offensichtlicher Grund, hierzubleiben«, erklärte der Thalesier. »Wenn die Karosse zusammenbricht, müssen wir die Reise unterbrechen.«

»Könnt Ihr ein Rad reparieren, Ritter Ulath?«

»Nein, aber durch eine Art Gleitvorrichtung ersetzen, bis wir einen Schmied finden.«

»Aber würde das nicht eine sehr holprige Fahrt werden?« gab Patriarch Emban mit gequältem Blick zu bedenken.

»Anzunehmen.« Ulath zuckte die Schultern.

»Ich bin sicher, es läßt sich ein anderer Vorwand für einen längeren Aufenthalt finden, Herr Ritter. Habt Ihr eine Ahnung, wie unbequem die Weiterfahrt sein würde?«

»Ich habe nicht groß darüber nachgedacht, Eminenz«, antwortete Ulath, »aber ich fahre ja auch nicht in der Kutsche, deshalb würde es mich nicht im geringsten stören.«